In Sachen Ernährung, Diäten und Co. wird ja gefühlt jede Woche ne neue Sau durchs Dorf getrieben. Gerne lässt sich Ernährung auch vor den Ideologie-Karren spannen. Die eigene Agenda kann man mit Hilfe von Ernährung definitiv durchdrücken, was man derzeit ja bestens bestaunen kann, Stichwort Veganismus.
Warum es uns nicht gelingt, einen roten Faden, also den heiligen Gral der Ernährung zu finden, haben wir in diesem Blog ja hinreichend erläutert. Ich möchte das heute nochmal kurz zusammenfassen. Dazu nehmen wir mal drei Faktoren:
- Tierprodukte
- Eine hohe glykämische Last
- Die klassische Europäer-Genetik (die es im Bereich von Ernährung sehr wohl gibt, siehe hier)
Und jetzt lassen wir die Spiele mal beginnen.
Genetik: Landwirt oder Jäger und Sammler?
Nehmen wir zu Beginn mal unsere Genetik. Die ist heutzutage leider weder 100 % Jäger und Sammler (JuS), von denen wir in Europa lebenden Menschen teilweise abstammen, noch 100 % „Landwirt“. Doch, doch, letzteren Begriff gibt es wirklich. Die Rede ist von Early European Farmers (EEF), ein wissenschaftlicher Fachbegriff – Menschen, die vor aus Anatolien kamen, das europäische Genom weitestgehend assimilierten (nicht umgekehrt) und die Landwirtschaft mitbrachten.
Genau genommen setzt sich das moderne europäische Genom aus drei großen Gen-Strömungen (europäische JuS, EEF aus Anatolien und Pastoralisten aus der eurasischen Steppe) zusammen, wobei es je nach Land mit Nord-Süd-Gefälle zu anderen Kompositionen kommt.
Schaut man sich die eigene Genetik einmal per Gentest an – ich ganz neu per Full-Genome-Sequencing, also komplettes Genom entschlüsselt –, fällt einem genau dieser genetische Mischmasch auf. Unterm Strich bedeutet das etwas Gravierendes: Wir sind weder die Jäger und Sammler – die wir in >99 % unserer Entwicklungszeit waren –, die gut mit einer kohlenhydratarmen, fleischreichen Ernährung klarkamen. Wir sind aber auch keine Landwirte und ggf. Pastoralisten, die ideal mit … sagen wir … Getreide und Käse klarkommen – obwohl es dafür starke, entwicklungsgeschichtlich junge Marker in den Genen gibt.
(Mehr zur Genetik der Europäer auch hier bei Wikipedia und in diesem YouTube-Video vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte.)
Der Mechanismus hinter Insulinresistenz und Diabetes
Alleine aus dieser (genetischen) Herausforderung ergeben sich viele Probleme für uns, die ich jetzt nur mal am Beispiel von Tierprodukten <=> glykämische Last erklären möchte. Gemeinhin bekannt ist, dass viele von uns schnell Probleme mit dem Blutzucker bekommen, sprich viele von uns werden insulinresistent. Irgendwas in uns scheint beim modernen Lebensstil also zu klemmen.
Fakt 1 ist: Insulinresistenz allgemein ist ein protektiver Mechanismus aus der Vorzeit. Kann man daran erkennen, dass Aborigines, die vom Busch in die Stadt kommen, dramatisch höhere Diabetes-Raten haben als moderne Menschen, die in der Stadt leben. Heißt: Je älter die Genetik, umso schneller wird man insulinresistent und Diabetiker.
Fakt 2 ist: Tierprodukte im Allgemeinen, Fleisch im Speziellen, haben die Eigenheit, die Glukose-Toleranz, sprich die Insulin-Wirkung einzuschränken und damit die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, insulinresistent zu werden und Diabetes zu bekommen. Die Hintergründe hatten wir vielfach beschrieben (z. B. hier). Vereinfacht: Fleisch mit Eisen, Carnitin, Taurin und Co. „shiften“ den Stoffwechsel hin zur Fettverbrennung, was via Randle-Zyklus („Fettsäuren-Angebot hemmt Glukose-Oxidation“) dafür sorgt, dass die Glukose-Verarbeitung gedrosselt wird.
Dass wir uns richtig verstehen: In der Vorzeit, als es morgens eben kein Nutellabrötchen nach dem Aufwachen gab, war so etwas sehr nützlich. Das hat unsere Vorfahren, die relativ kohlenhydratarm und mit vielen Fastenphasen leben mussten, geschützt. Denn je stärker der Glukose-Stoffwechsel gedrosselt ist und je besser der Fettstoffwechsel läuft, umso besser konnte man logischerweise ohne Kohlenhydrate leben.
Mit dem Neolithikum kamen die Kohlenhydrate und so
Dann aber wurde etwas anderes eingestreut. Mit der neolithischen Revolution und den neuen Landwirt-Genen aus Anatolien … gab es plötzlich neue Themen: Baut man selbst Essen an, kriegt man regelmäßig Mahlzeiten. Man wird ggf. krank vom Weizen (s. dazu Forschungen über die Statur, die Zahngesundheit uvm.), aber Essen hat man genug, was zeitgleich bedeutet, dass man sich kulturell ggf. stärker entwickeln kann und mehr Zeit und Muße hat … du weißt schon, ein bisschen öfter Sex zu machen (= mehr Kinder).
Resultat dieser Zeit war auch, dass ein Nadelöhr des menschlichen Stoffwechsels eben nicht mehr die Kohlenhydratverfügbarkeit war, im Gegenteil. Plötzlich hatte man Stärke im Überfluss, sodass die Genetik zunehmend Anpassungen an mehr Kohlenhydrate zeigt. Der Mensch bewegte sich langsam aber sicher weg vom „Karnivoren“ und wurde mehr ein Stärke-Esser. Im Übrigen eine Entwicklung, die sich auch am Beispiel der Hunde-Co-Evolution zeigt: Auch der war mal Karnivore (Wolf), aber später derart domestiziert, dass er mehr Pflanzliches, insbesondere Stärke verdauen kann.
Leider ging es ob der eigenen genetischen Grundlage nicht ganz ohne Fleisch. Denn Fleisch liefert Stoffe, die wir nachweislich nicht mehr gut bilden können (z. B. Taurin, Carnitin und Co.), aber auch höchstwertiges Protein, das sich nur schwerlich ersetzen lässt. In dieser Zeit gab es jedoch keinen allgemeinen Überfluss, weshalb diese Menschen sehr sicher keine menschengemachten Stoffwechselerkrankungen zu ertragen hatten.
Je moderner eine Gesellschaft aber wird, umso schwieriger wird es, mit dieser Misch-Genetik klarzukommen. Denn hier haben wir eine hohe Menge an verfügbaren Tierprodukten – die wir in gewisser Weise und in gewisser Menge brauchen – und zeitgleich eine hohe glykämische Last. Heißt: BurgerKing, McDonald’s, BigMac, Döner, Salamipizza. Es kollidieren jetzt also zwei (in uns genetisch verankerte) Welten, die beide das Potenzial haben, einen krank zu machen. Der wichtige, schützende Faktor Variation („Zyklen“) oder Mäßigung fällt ob der Dauerverfügbarkeit einfach weg.
Das Resultat heute: Paleo vs. Veganismus?
Jetzt das Resultat aus diesem Zwiespalt. Da der Mensch in seiner Psyche so etwas wie Mäßigung anscheinend nicht kennt, tendiert er prinzipiell dazu, sich für Extreme zu entscheiden:
- Lösung 1, glykämische Last senken und „neolithic foods“ streichen: Vielen Menschen geht es viel besser, wenn sie Weizen und Co. vom Speiseplan streichen. Dafür gibt’s mehr Hack und Eier. Leider klappt es mit Low-carb oder – noch krasser – Keto nicht dauerhaft. Das ist der Grund, warum solche Ernährungsformen seltsamerweise nie wirklich Mainstream werden, obwohl sie ja auch ihre Popularität haben.
- Lösung 2, Tierprodukte streichen: Auf der anderen Seite haben wir Menschen, die verstehen, dass sie Blutzuckerprobleme und Stoffwechselentgleisungen offenbar auch mit einer veganen Ernährung in den Griff bekommen. Dafür gibt es gute Evidenz und es lässt sich biochemisch ja auch nachvollziehen, wie z. B. die Effekte eines niedrigeren Eisens im Körper (s. hier).
Auch Lösung 2 funktioniert für viele nicht dauerhaft, da Tierprodukte, wie eben erwähnt, eben extrem wertvolle und nicht zu ersetzende Stoffe liefern, die ein Mensch unbedingt braucht, um zu überleben bzw. sich gut zu fühlen (s. z. B. Cholin, Carnitin, tierisches Vitamin A).
Wie löst man das Problem?
Das ist also das Dilemma, das wir heute sehen können und das offenbar niemand versteht. Der einfachste Zugang, das Problem zu lösen, wäre
- … Mäßigung. Alles moderat zu essen.
- Nicht täglich 4 Eier und 500 g Steak, aber ggf. täglich 1-2 Eier und 100 g rotes Fleisch.
- Ein weiterer Zugang wäre, genkompatibler zu essen, also etwas zu essen, was mit beiden Seiten gut funktioniert, z. B. Hühnchen/Geflügel und Fisch, z. B. viele Stärke-Quellen wie Wurzelgemüse, Kartoffeln, meinetwegen auch Reis. Davon isst man jedenfalls nicht morgens, mittags, abends. Nennt sich wissenschaftlich dann „mediterrane Ernährung“ – äh, ja.
- Die Energieverfügbarkeit generell mal einzuschränken.
Das versuchen wir seit Jahren zu vermitteln. Die Erfahrung zeigt, dass es ein bisschen schwer zu vermitteln ist, augenscheinlich.
Wie dem auch sei. Die Komplexität von Ernährung haben wir jetzt nur mal anhand von drei Faktoren erörtert. Wenn wir da jetzt noch ein paar mehr Faktoren einstreuen … etwa Bewegung, individuelle statt Populationsgenetik, Stress oder andere … tja, genau deshalb wird es nie „die eine Ernährung für alle“ geben. Stattdessen kann man sich auf lebenslangen (Ernährungs-)Streit einstellen. :-)
6 comments On Warum Ernährung so schwer zu verstehen ist
Hallo Chris,
Ist das „nicht morgens, mittags, abends essen“ auf die Stärke-Quellen bezogen?
Hast du Tipps wie man Stärke-Quellen gut ersetzen kann? Mir fällt es oft schwer darauf zu verzichten.
Beste Grüße
Ist auf Weizen bezogen. Nicht auf Reis oÄ :-)
Hi Chris,
was ist dann mit der Verwertung der Nahrung, wenn ich Krafttraining mache? Müssten dann nicht die größeren Mengen an tierischen Protein/Fett und KH auch dankbar vom Muskelgewebe angenommen werden ohne das ich gesundheitliche Probleme bekommen könnte?
Doch, doch. Sag ich ja auch im Text. Aber es geht ja nicht nur um Protein und Fett und KH, sondern um die ART und die HERKUNFT der Makronährstoffe… Wie erläutert halt.
Edit: Es ist ja aber auch eine allgemeine Fehlinterpretation, dass Krafttraining oder Sport, wenn man daran gewöhnt ist, irgendwie ne besonders große Herausforderung für den Körper darstellt. Der Mehrbedarf ist nicht sonderlich höher, s. Hormesis.
Es ist zwar eine Anekdote,aber ich war dieses und letztes Jahr in Südfrankreich und habe dort Urlaub gemacht. Ich habe in dieser Zeit natürlich geschlemmt und eher mediterran gegessen. Auch mal Wein und auch Gebäck und Baguette. Mir ging es in dieser Zeit gefühlt immer so gut. Herausragende Verdauung und Stuhlgang.
Es scheint wohl etwas dran zu sein …vielleicht auch das Klima und der wenige Stress. Aber immerhin!
Jap! Danke für deine Erfahrungen, sehr interessant.