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Entwicklungen im Zeitraffer

Nun haben wir in den vergangenen Wochen Beiträge über Dopamin und über Entwicklungen gelesen. Allgemein haben wir hier oft über das Mismatch zwischen unserer Genetik, also unserer evolutiven Vergangenheit und unserem modernen Leben gesprochen.

Wirklich greifbar nachvollziehen kann man die Diskrepanz, die aus einer ganz langsamen, langen Entwicklung hervorging, wohl aber nur, wenn man – wie z. B. Staffan Lindeberg damals – vor Ort an noch etwas primitiver lebenden Menschen forscht oder – wie das heute ganz modern ist – mal eine Zeit lang im afrikanischen Busch mit den Hadza lebt.

staffan lindeberg
Staffan Lindeberg (re.) untersucht einen Kitava-Islander für die berühmte Kitava Study

Smartphones und das archaische Leben

Manchmal reicht auch ein Artikel aus der BILD, die den Inhalt bei der New York Times abgeschrieben hat, wie ich jetzt lernen durfte ;-) Man liest:

pornosucht amazonas

Mit Verlaub: Ich fühle mich an der Stelle ein bisschen wie ein Nachrichtensprecher, der eigentlich ernst bleiben sollte, sich das Lachen aber kaum verkneifen kann… Es sei mir verziehen. :-))

Diese herrliche Überschrift weckte mein Interesse. Da hat der Musk doch einfach 20 Antennen fürs Internet in den Urwald gestellt und plötzlich erging es den Ureinwohnern im Amazonas wie uns immer. Entwicklungen im Zeitraffer.

Im Artikel lesen wir doch tatsächlich:

Inzwischen gibt es mächtig Zoff im Dschungel! Der Grund: Statt sich wie früher für die Dorfgemeinschaft einzusetzen, lungern immer mehr der Ureinwohner in ihren Hängematten rum und daddeln am Handy.

Naturgemäß sind es vor allem die Jüngeren, die dem Fortschritt frönen.

Herrlich, einfach herrlich.

Erinnert mich sofort an den Gen-Z-Trend „Bed Rotting“. Im Bett vergammeln, Hauptsache das Smartphone ist dabei. Wer neulich aufgepasst hat, weiß, dass das die unersättliche Dopaminsucht ist, die Ratten so weit treiben kann, dass sie nicht mehr am Leben (Sex, Essen etc.) partizipieren wollen und können (Olds & Milner, 1954).

Mir persönlich wäre das ja alles völlig egal. Jeder soll leben, wie er will. Aber, wie die Amazonas-Indigenen, leben auch wir in einer Gemeinschaft, wo sich jeder ein bisschen einbringen muss…

„Die jungen Leute sind durch das Internet faul geworden“, sagt Tsainama Marubo (73). Er ist der Stammesälteste. (…)

„Wer im Dorf nicht jagt, fischt und anpflanzt, hat nichts zu essen“

Siehst du, sowas – also quasi die Kontrastschablone zu uns – ist entlarvend. Wir Erwachsenen, die noch ohne Smartphone groß wurden, wissen das instinktiv. Wenn die Jungen chronisch unzufrieden sind. Immer sind die anderen schuld – der alte weiße Mann kann’s in Südamerika immerhin nicht sein. Die kommen offenbar nicht auf die Idee, dass sie sich durch ihr Verhalten vielleicht selbst sabottieren.

Natürlich gab’s dazu passend erst kürzlich eine Studie, die folgert, dass es „Hinweise darauf gibt, dass sich depressive Symptome in sozialen Netzwerken möglicherweise von einer Person zur anderen übertragen können“. Ein „mentales Virus“, übertragen durch Social Media?

Entwicklungen im Zeitraffer.

„Wer im Dorf nicht jagt, fischt und anpflanzt, hat nix zu essen“, könnte man zudem 1:1 auf die Wirtschaft unseres Landes übertragen („Wir entwickeln uns zu einer Freizeitgesellschaft“), aber … lassen wir das. Da darf sich jeder selbst ein Bild machen.

Was ist Normalität?

Auch, wenn dieser Kommentar von mir heute sicher nicht ohne Polemik und Zynismus auskommt… Wenn einem die Kontraste und Gegenanzeigen fehlen (hier: Indigene) und wir deshalb keinen Kompass mehr haben, neigt man dazu, sich auf der Karte zu verlieren (wir Modernen). Im Bereich Ernährung ist das definitiv schon geschehen. Auch unser Lebensstil im Allgemeinen ist völlig entgleist.

Problematisch wird es immer dann, wenn es uns nicht mehr auffällt. Dieser „Kipppunkt“ ist nach meinem Gefühl mittlerweile erreicht. Anomales ist längst zur Normalität geworden. Für die Normalität muss man inzwischen kämpfen.

Ich muss nur über Ernährung und Lebensstil schreiben. Zum Glück bin ich nicht in der Politik.

PS: Abhilfe gibt’s auch im Dschungel. Die Handynutzung wird einfach eingeschränkt. Funktioniert mit vielen positiven gesundheitlichen Outcomes sehr sicher auch für uns.

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

13 comments On Entwicklungen im Zeitraffer

  • Mir stellt sich die Frage, ob nicht in früherer Zeit ähnliches passierte, nur eben ohne Internet. Stichwort Bücherwurm. Abenteuerroman gleich Dopaminkick?

    • Nein, das ist alleine deshalb schon was anderes, weil man sich nicht mal eben den großen Dopamin-Spike abholen kann. Man muss konzentriert (!) lesen und bei der Sache bleiben, um Dopamin zu bekommen. Oder in Hubermans Worten: Erarbeitetes Dopamin ist gesundes Dopamin.

      • Dann ist wohl zocken eine Grauzone? Kann mir keiner sagen, dass das Dopamin bei einer guten CnC oder CoD Mission nicht hart erarbeitet ist^^

  • Danke erstmal an Chris für die vielen informativen Blogs, die ich sehr lesenswert finde!

    Ich selber lese! viel an meinem Handy, meistens über Biohacking oder Ernährung, höre gelegentlich Podcasts, ob ich deshalb schon mediensüchtig bin, kann ich nicht beurteilen.
    Allerdings habe ich einen Sohn (19) und er ist mediensüchtig, da ohne Tiktok, Insta und Co. nichts geht..
    Es ist ihm auch bewusst, dennoch kann er sich diesem Teufelskreis kaum entziehen.
    Mit drei Jahren hat er das erste Mal etwas im TV geguckt, damals war es die Augsburger Puppenkiste mit Jim Knopf, zum Schulwechsel gab es das erste Handy, mit 13 kam dann die erste Playstation und von da an war ich machtlos! Pubertät, der Kampf mit ewigen Zockzeiten die geändert wurden und eine Prise ADHS waren die perfekte Basis für das Süchteln im ewigen Social Media All!
    Ich unterhalte mich oft mit meinem Sohn über diese Macht, der sich kaum noch jemand entziehen kann, der nicht – wie meine Generation- mit Klettergerüsten, Murmeln, Quartett spielen und Winnetou gross geworden ist.
    Mein Sohn wünscht sich, dass er seine Kinder später vor dieser Medienflut schützen kann, aber ohne eine Änderung in diesem verkorksten System sehe ich da wenig Hoffnung..
    Wir sind uns im klaren, dass das, was uns überrennt nicht gut tut, versuchen uns davon frei zu machen, achten auf gesunde Ernährung, treiben Sport, supplementieren DHA, EPA, Magnesium, D3/K2 etc um zumindest einen kleinen Schutz aufzubauen, um in dieser künstlichen Blase doch noch ein bisschen Lebewesen zu bleiben…. ;-)
    Man sollte einfach öfter in Cafés gehen, etwas plaudern, mehr Gesellschaftsspiele spielen (zB Siedler, da ist man in geselliger Runde für ein paar Stündchen beschäftigt), Radtouren machen, puzzlen(ja 1000er) und im Urlaub aus Muscheln oder Steinen irgendwas kreieren, das hilft schon sehr, sich wieder selbst wahr zu nehmen.
    In diesem Sinne, einfach mal Handy liegen lassen <3

  • Deshalb führt edubily jetzt auch den Broadcast-Channel auf Instagram ein der nur mobil verfügbar ist, damit wir gezwungen werden Instagram auf unserem Handy zu installieren und uns täglich die Dopaminkicks abholen können. Edubily ist manchmal schon etwas schizophren…

    • Ich verstehe die Kritik, aber wenn du drüber nachdenkst, kommst du sicher selbst drauf: edubily ist eine Wissensplattform, wo wir vor allem den Broadcast nutzen, um Studien zu teilen. Wegen dem wirst du also eher nicht den halben Tag mit überflüssigem Scrollen und unendlichen Dopaminpeaks verbringen, ich wette sogar, dass du dir nicht eine Studie durchlesen wirst. Aber das ist nur meine persönliche Einschätzung. :P Spaß beiseite: Ja, Tools sind nun mal da, um sie richtig zu nutzen. Social Media ist ja auch nicht per se schlecht, genauso wenig wie Essen per se schlecht ist, man sollte halt nur nicht den ganzen Tag Fastfood essen. LG

      • Tipp: Die Infos auch im Newsletter teilen. Ich verstehe die Kritik nämlich voll. Auch mich stört es, dass so viele wichtige Informationen hinter Instagram versteckt werden.

        • Nahezu alle Infos, die auf Instagram sind, finden sich hier im Blog oder kommen im Newsletter dran. Wir „verstecken“ dort gar nichts, bereiten es höchstens Instragram-konform auf :-)

    • Also ich bin vor mehreren Monaten bei Insta ausgestiegen und habe nicht das Gefühl bei edubily was zu verpassen.
      Die wirklich wichtigen Infos kommen eh per Newsletter und sind im Blog, alles andere ist Wiederholung was wir eh schon wissen sollten!
      Völlig logisch posten sie da, das hat mit Schizophren in meinen Augen überhaupt nichts zu tun sondern mit Geschäftssinn.

  • Mein Gehirn ist leider auch sehr anfällig für das Smartphone-Dopamin-Problem. Ich habe deshalb schon vor Jahren Insta & Facebook von meinem Handy entfernt, um der Versuchung zu widerstehen. Wie eine Marionette habe ich in jeder freien Minute mein Handy gezückt und irgendwelche Apps geöffnet, um was zu nachzuschauen. Manchmal öffne ich sogar wie ein Zombie-Roboter einfach Chrome und scrolle eine Stunden vorher geöffnete Google-Suchergebnisseite, obwohl das Thema schon längst erledigt ist. Hauptsache gescrollt und aufs Display gestarrt. Ich finde das echt erschreckend, Mittlerweile habe ich das relativ gut im Griff. Ab und zu werde ich rückfällig, wenn ich doch mal wieder ein paar Tage reddit oder so installiert habe und ich komme schnell wieder ins Muster. Genauso schnell lösche ich die App dann aber wieder. Immerhin habe ich meist gelesen auf dem Display, statt kurze Clips zu schauen. Trotzdem möchte ich auf noch viel weniger Handyzeit hinarbeiten.

    Trotzdem: Das System ist mächtig, da sorgt’s mich echt um die jungen Menschen, die es noch viel schwerer haben, weil Social Media & Co schon vieeel früher EInzug in die Gehirne findet. Ich glaub das wird noch eine richtige Krise.

    Ich habe Insta nur noch auf dem PC installiert, um edubily Content anzuschauen. Ich hoffe dass ich meinen geplanten Kindern einen anständigen Umgang mit diesem gefährlichen Werkzeug „Handy“ beibringen kann.

  • Letztens bei der Eisdiele, meinen Kids wird es langweilig…also fangen sie an zu nölen… dann wird getobt, draußen natürlich, springen über Steine, spielen fangen, streiten und versöhnen sich, ersteres wird präferiert, pflücken Blumen. Beschäftigen sich halt aus der Langeweile heraus, finden Freunde und haben einen echt schönen Nachmittag.

    Paar Tische weiter, ein Junge vllt 2 Jahre alt…er hat nicht mal groß genörgelt, bekommt sofort das Handy in die Hand gedrückt. Ich finde das per se nicht schlimm, es sind Momentaufnahmen. Niemand weiß was die Eltern vllt für ne stressige Zeit hinter sich haben und gerade einfach nur durchatmen wollen (mit der Kippe^^), der Junge sich vllt ausruhen musste etc. aber es war so krass zu sehen, wie dieser Junge die spielenden Kinder (da waren alle Altersgruppen vertreten von 1-10) beobachtet hat; wie er gelächelt hat, wie er „auf dem Sprung war“ das Leben zu leben….aber seinen Kopf dann immer wieder senkte bis er irgendwann komplett versunken war in diesen Untiefen von gestellten und massiv reizüberfluteten „Kinder Serien“ auf YouTube. :-/

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