gehen

Warum Gehen so magisch wirkt

Was ist das mit dem Gehen?

Unfassbare Risikoreduktion … durch Gehen

Da hat die European Society of Cardiology – also die europäische Gesellschaft für Kardiologie – höchstpersönlich, soeben eine riesige Meta-Analyse, basierend auf 17 Kohortenstudien und mehr als 220.000 Teilnehmern zum Thema Schrittzahl veröffentlicht.

Die wollten schlicht und ergreifend wissen, wie die Zahl der täglich gegangenen Schritte mit dem Risiko für den Tod durch Herzkreislauferkrankungen und der allgemeinen Sterblichkeit zusammenhängt. Nicht mehr, nicht weniger.

Das Resultat sind unfassbare Zahlen. Die zeigen nämlich:

  • Jeder Schritt zählt.
  • Schon bei 4000-5000 Schritten zeigen sich erhebliche Risikoreduktionen um 40-50 %.
  • Das Risiko fällt nichtlinear bis zu 20.000 Schritten pro Tag.
  • Ab 10.000 Schritten reden wir von Risikoreduktionen um 70-80 %!
risikoreduktion durch schritte
Risikoreduktion für die allgemeine Sterblichkeit (links) und Herzkreislaufsterblichkeit (rechts), je Schritte pro Tag. 

Ein kleiner Wermutstropfen: Die Studie trifft keine Aussage darüber, welche Faktoren hier modifizierend wirken. Denn logisch ist, dass ein alter Mensch, der schwer krank ist und bald stirbt, eher keine 20.000 Schritte mehr abreißt.

Tatsächlich betonen die Autoren, dass die Aussagekraft der Studie bis etwa 10.000 Schritte sehr viel stärker ist als darüber hinaus, denn bis 20.000 Schritte war die Datendichte deutlich geringer.

Nichtsdestotrotz haben die Ergebnisse eine hohe statistische Aussagekraft – die Ergebnisse gelten den Autoren zufolge unabhängig von Alter, Geschlecht und Klimazone, was eine tatsächliche Kausalität nahelegt.

Gehen beugt Todesursache Nummer eins vor

Normalerweise müsste ein Aufschrei durch unsere Gesellschaft gehen. Wir erinnern uns: Deutschland belegt bei der Lebenserwartung in Europa einen der hinteren Plätze, nur noch etwas besser als osteuropäische Länder.

Wesentliche Ursache: Herzkreislauferkrankungen. Forscher mahnen mit erhobenem Zeigefinger: Das ließe sich vermeiden! Denn Herzkreislauferkrankungen lassen sich in der Mehrzahl durch einfache Prävention verhindern.

Meanwhile: Herzkreislauferkrankungen sind Todesursache Nummer eins in unserem Land. Zeitgleich verschlingen diese Krankheiten des Gefäßsystems Unsummen an Geld, belegen Platz 1 bei Ausgaben des Gesundheitssystems.

Und jetzt zeigt die europäische Gesellschaft für Kardiologie persönlich(!), dass man das Risiko, daran zu sterben, durch einfaches Schrittesammeln massivst reduzieren kann. Es gibt nahezu keine uns bekannte Intervention, die so starke Zusammenhänge zeigt.

Sind wir noch im Dämmerschlaf oder verstehen wir die Bedeutung dieser Ergebnisse?

Was macht Gehen so magisch?

Gehen macht also ganz offenbar etwas Magisches mit unserem Herzkreislaufsystem. Was passiert in unseren Gefäßen, wenn wir (spazieren) gehen, das einen so starken Schutzeffekt erklärt?

Mir persönlich kommt direkt unser bester Freund in den Sinn:

Stickstoffmonoxid (NO). 

Das Gefäßgas, das jeden Aspekt unserer Gefäße schützt. Es verbessert Fließeigenschaften, stellt die Gefäße weit, hemmt das Anheften von Immunzellen an die Gefäßinnenseiten, schützt LDL-Cholesterin vor Oxidation und wirkt zudem antientzündlich.

Uns allen bekannt: Gibt man cholesteringemästeten Hasen Vitamin C + E + Citrullin/Arginin (= viel NO), kriegen die quasi keine Arteriosklerose. Typische Herzinfarkte also ausgeschlossen. (vgl. NO-Guide)

arteriosklerose arginin vitamin C

Auch der Entdecker und Beschreiber dieses unheimlichen Gases und späterer Nobelpreisträger, Louis Ignarro, hat mal ein populärwissenschaftliches Buch mit dem vollmundigen Titel, „NO More Heart Disease: Wie Stickstoffmonoxid Herzkrankheiten und Schlaganfällen vorbeugt – und sie sogar rückgängig machen kann“, verfasst. Der wird schon was wissen.

Aus hochwertigen Studien wissen wir zudem: Einfaches Gehen erhöht die Produktion von NO in den Gefäßen (Q: z. B. hier). Auf diese Weise verbessert „Gehtraining“ die Symptome von sogar weit vorgeschrittenen Gefäßverstopfungen.

Umgekehrt zeigen Tierstudien, dass die Ganggeschwindigkeit bei Tieren, bei denen man die NO-Bildung hemmt, drastisch reduziert sind. Heißt simpel: Gehen hat viel mit NO zu tun – und umgekehrt.

Daher dürfte der Wind wehen.

Manchmal macht das Leben so richtig Spaß.

Denn hier steht nicht, dass man sich dafür in besonderer Weise anstrengen muss. Im Gegenteil: Selbst der Lead-Autor der Studie führt an, dass diese Risikoreduktion vermutlich stärker ist als die der besten Medikamente.

Und wir bekommen das quasi geschenkt. Nur dadurch, dass wir ein bisschen durch die Gegend schlappen. Gerne mit dem Kaffeebecher in der Hand, beim Gespräch mit Freunden, mit dem Podcast im Ohr, beim Sightseeing oder beim Wandern.

Und auch hier weist uns unsere Evolution – wieder einmal – den Weg. Die Hadza sind keine Marathonläufer. Aber sowohl Mann – 13 km und 18.500 Schritte – als auch Frau – 7,6 km und 11.000 Schritte – bewegen sich erheblich mehr als wir.

hadza schritte
(Quelle

Wir als Gesellschaft haben dagegen alles getan, unseren Komfort so auszubauen, dass Alltagsbewegungen möglichst vermieden werden.

Mit offenbar drastischen Konsequenz. Wer sich diese Zahlen wirklich vor Augen führt, mal reflektiert, heute Nacht davon träumt, muss einfach zur Erkenntnis gelangen, dass ab morgen keine Ausrede der Welt mehr zählen kann …

wenn du keinen tödlichen Herzinfarkt oder Schlaganfall bekommen willst.

Tipp: Das oben angefügte Bild ausdrucken und an den Kühlschrank hängen. Vielleicht hilft’s. Das ist deine Lebensversicherung.

Tipp 2: Vielleicht mal 3 g Arginin am Tag ergänzen. Dann wird der Spaziergang ggf. noch etwas effektiver ;-)

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

16 comments On Warum Gehen so magisch wirkt

  • Der Zusammenhang muss ja nicht unbedingt ursächlich sein. Ich unterstelle mal, dass Menschen, die sich viel bewegen, auch sonst einen gesünderen Lebensstil haben. Zudem können auch andere Effekte wie Energieverbrauch, frische Luft, Vitamin D (Tageslicht) und gute Laune ursächlich sein – einzeln oder in Kombination.
    Bitte nicht falsch verstehen: Ich befürworte die Bewegung und damit auch das Gehen. Ich sehe nur nicht, wie die Zahlen als Beweis für einen ursächlichen Zusammenhang herhalten können. Das wiederum prangerst Du/prangert Ihr bei vielen anderen Medien zu Recht an.

    • Guckst du andere Kommentare…

      Oder einfach genau im Artikel lesen: „Ein kleiner Wermutstropfen: Die Studie trifft keine Aussage darüber, welche Faktoren hier modifizierend wirken. Denn logisch ist, dass ein alter Mensch, der schwer krank ist und bald stirbt, eher keine 20.000 Schritte mehr abreißt.“

      Mir ist das schon klar, aber danke für den Input

  • Aus dem Science daily Artikel ist leider nicht zu erkennen unter welchen Umständen die Probanden lebten.
    Wer nur Null Schritte am Tag geht, liegt wahrscheinlich im Koma auf der Intensivstation.
    Generell dürften weniger mobile Menschen kränker sein und damit früher versterben.
    Ich persönlich merke schon, dass mir Bewegung gut tut, wenn man mit plakativen 70% kommt, wäre etwas mehr an Information überzeugender.

    • Im SD Artikel findest du unten ja den Volltext zur Studie. Dort steht nicht mehr drin.

      Ich denke, die Schrittezahl ist ein Mix aus Marker (wie du richtig sagst) und Ursache für eine gesundheitliche Wirkung. Wer 5000 Schritte macht und 2-3 x trainiert usw. wird keine 10.000+ Schritte machen müssen. Aber Gehen und einfaches mäßiges Bewegen (zB Laufen) sollte man schlicht nicht unterschätzen in ihrer Bedeutung.

  • Ich meine, eigentlich wars ja schon immer klar, dass Spazieren gesund ist ;-)

    Was mich generell etwas irritiert (wie auch hier) ist, wenn man schreibt: „Das Sterberisiko ist damit um 40-50% erniedrigt.“ Das mag ja isoliert betrachtet schön und gut sein, aber was sagt das generell überhaupt aus? Eigentlich nicht viel. Wenn jemand, der täglich seine 10’000 Schritte tut daneben aber raucht oder gruseliges Zeug in sich hineinstopft, kann man da ja gleich andere Studien hervorzaubern, die besagen: „Das Risiko erhöht sich bei Verhalten X bis zu 60%.“ Und dann wars das schon wieder mit den 40-50% Sterberisikoreduktion. Und in einem Menschenleben kommen so viele Faktoren gleichzeitig zusammen, dass solche Prozentangaben zu Risiko und Riskoreduktion kaum mehr eine Aussagekraft haben.
    Es ist mir natürlich schon klar, dass Wissenschaftler das genau so darstellen müssen, weil es ja gar nicht anders geht. Ist also keine Kritik an den Wissenschaftlern. Jedoch frage ich mich immer, welchen Nutzen die Zahlen letztlich haben im Vergleich zur groben Aussage, dass Tätigkeit XY gesund ist oder eben nicht.

    Aber hey, ich finde „Gehen“ als tägliche Betätigung trotzdem gut! Und danke für den Artikel.

    • Ja, und wenn ich morgen gegen eine Wand fahre, liegt die Sterblichkeit bei 100 %.

      Der Punkt ist, ohne Statistik wüsstest du ja nicht mal, dass Rauchen dein Risiko für Lungenkrebs um Faktor 10-20 erhöht oder dass 8 oder 9 von 10 Lungenkrebsfälle durch Rauchen verursacht werden. Dass überhaupt so viele Menschen an sowas sterben liegt auch daran, dass sie argumentieren wie du. Sie nehmen (große) Zahlen einfach nicht ernst.

      Es geht hier nie darum, ein echtes individuelles Risiko für jemanden abzuleiten, sondern Größenordnungen darzustellen. Wenn bei einer riesigen Kohorte mit 220.000 Teilnehmern ein banales Schritte sammeln mit einer starken Risikoreduktion verbunden ist, dann sind da viele Lebensstilfaktoren schon mit einkalkuliert, heißt, es hilft unabhängig davon, ob man auch ungesunde Lebensweisen hat. Das ist der Punkt.

      Da bei Sterblichkeit und Herzkreislaufsterblichkeit schon eine Reduktion um 5, 10 oder 15 % eine drastische Wirkung auf eine ganze Gesellschaft hätten, sind so große Zahlen einfach ein enormer Fingerzeig, dass die Leute ihren Arsch bewegen müssen, wenn sie (länger) leben wollen. Schritte sammeln ist also nicht nur „gesund“, es ist eine Lebensversicherung.

      • Ja, ich verstehe dich schon. Du BIST halt Wissenschaftler und findest diese Zahlen sehr aussagekräftig. Was für mich nich so sehr der Fall ist. Wie gesagt, das Resultat an sich (Gehen ist gesund und kann das Leben stark verlängern) ist absolut einleuchtend, aber die Prozentangaben helfen mir als Laien gar nicht weiter.
        Eben weil ich dann sofort denke: Gut, ich geh 1x täglich 45 Minuten spazieren (40%), dafür erledige ich aber meine Arbeit am Rechner (wegen dem Nacken) häufig in fast liegender Position (3-4 Stunden täglich; oje, massiver Rückgang der zuvor geownnenen 40%). Und dann trinke ich 2 dl Milch pro Tag (reduziert meine Lebensdauer sicherlich auch ein wenig); dafür esse ich dann kaum Getreide (wieder ein paar „Lebensprozente“ erhöht?). Ach ja, und dann lebe ich in einer Stadt. Die Luftverschmutzung ist da viel höher als auf dem Land udn bestimmt gibt es auch dafür einen Risikofaktor um ?%. Den müsste ich wieder abziehen von meinem Lebenspunktekonto. Ganz zu schweigen von Stressphasen, in denen mein Adrenalin den Parasympathikus ausschaltet und mein Regenerationsprogamm gegen 0 geht (das ist sicher auch ganz schlecht und zieht mir mindestens xy% ab). Dafür lache ich viel (gibt das einen Bonus?).

        Ich will mich nicht darüber lustig machen (eher über mich selbst), aber so ähnlich ergeht es mir, wenn ich über solche Studien lese. Aber hey, ich finde es doch trotzdem gut, dass du solche Artikel bringst, denn ich kann ja die Prozente ignorieren und einfach die Botschaft abholen, welche Tendenz das Resultat der Studie gebracht hat.

        • Ich denke, du hast ein anderes Verständnis von dem, was Zahlen hier sagen sollen.

          Jemand, der möglichst lange gesund sein möchte, soll Dinge im Alltag tun, die ein (sagen wir: fiktives) Risiko minimieren. Diese Studie sagt dir auf Basis der enormen Risikoreduktion für zwei Endpunkte, dass du mit Schritte sammeln einen sehr starken Hebel in der Hand hast, um z. B. dein Risiko für den Tod durch Herzkreislauferkrankungen zu minimieren.

          Keiner von uns ist perfekt. Im Alltag müssen wir Prioritäten schaffen – die Prozentzahlen helfen uns, zu verstehen, was wirklich wichtig ist und was wir als Handlung bevorzugen sollten. Da die Zukunft aber ungewiss ist und wir alle persönliche/individuelle Risikofaktoren mitbringen, kann dir niemand sagen, ob die genannten 50-80 % *für dich* gelten. Darum geht es aber auch gar nicht.

  • alles sehr schön und gut,…
    aber ab wann kippt das? mir fällt da aus anderer quelle ’nitrosativer stress‘ ein, also wenn zuviel NO vorhanden ist.
    aus der gleichen quelle weiss ich, dass SOD(superoxiddismutase) dagegen helfen soll…

    danke im voraus

  • Hi ihr Süßen,
    bei euren Artikeln ist viel Humor im Spiel, da muss ich immer herzlich Lachen.
    Kann noch eine weitere sehr gute NO Quelle nennen: fit rabbit, Saft aus Rote Beete, Granatäpfeln, Sauerkirschen,
    Kräutern und Acerola. Trinke jeden Morgen ein kleine Gläschen, super gut!

  • Hallo zusammen. Ich muss Blutverdünnung nehmen, 10mg Eliquis, verträgt sich das mit Arginin?

  • Ein Lediger mit einem bewegungsfreudigen Hund hat ein um 30 % niedrigeres Sterberisiko gegenüber einem Ledigen ohne Hund. Ich (69) mache mit meinem Hund täglich große Runden und komme so regelmäßig auf ca. 17.000 Schritte.

    • Joa, erzähl dein Märchen mal einem Ledigen ohne Hund, stattdessen mit einer Langhantel mit 180 kg Gewichtscheiben dran…

      • Warum so passiv-aggressiv? Ein Hund hat viele positive (gesundheitliche) Effekte auf den Halter. Denke man muss an der Stelle nicht so despektierlich sein.

  • Vielen Dank, das ist ja sensationell, insbesondere wenn man bedenkt, dass Statine das Herzinfarkt Risiko um lediglich 25% senken. Und das ohne Nebenwirkungen. Komischerweise kriegt man diese Info nicht vom Arzt.

    Hast Du eine Zahl, wieviel Schritte der Normalo im Durchschnitt schafft?

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