Kaffeesucht

„Wie neugeboren“ ohne Kaffee

Eigentlich ist zu Kaffee bei uns alles gesagt. Heute nochmal eine kleine Ergänzung mit Erfahrungsbericht einer Leserin von uns.

Nachdem ich meine Einstellung zu Kaffee auf den Social-Media-Kanälen (und natürlich hier) ein bisschen verbreitet habe, gab es gewaltiges Feedback, bis heute. Viele Menschen unterschätzen offenbar, wie stark Kaffee wirklich wirkt.

Kaffee weg, Probleme weg?

Nicht bei allen, aber bei vielen. Und bei den meisten negativ. Drum hören wir immer die gleichen Aussagen: Viel mehr und gleichmäßigere Energie über den Tag, besserer Schlaf, keine Mittagstiefs mehr, keine drastischen Blutzuckerschwankungen, weniger Hunger, Gewichtsverlust und so weiter.

Kaffee macht in unserem Körper Feedforward. Er hat einige interessante positive Wirkungen. Aber offenbar auch sehr viele negative. So scheint es, dass Kaffee die Wirkung von Insulin nachahmt. Gut fürs Hirn (bei bestimmten Menschen), gut bei Prädiabetikern – schlecht bei normalen Menschen, weil es den Energiestoffwechsel verzieht.

Vermutlich der wichtigste Grund für mich – der Kaffee, Espresso usw. eigentlich liebt, so geschmacklich –, ist, dass er mir wörtlich Lebensenergie nimmt. In biochemischer Fachsprache ist das ATP. Genau genommen nimmt Kaffee dem Körper „Sauerstoff“ – und mehr Sauerstoff im Körper und in den Zellen wiederum ist Hauptgrund dafür, dass wir z. B. überhaupt Ausdauersport machen, uns bewegen.

Wenn wir im Alltag weniger Sauerstoff in den Zellen haben, fühlen wir uns müder, der Energiestoffwechsel läuft nicht ordentlich und … Belastungen werden schwerer. Das beginnt beim Treppensteigen und hört beim Gewichteheben im Kraftraum auf.

Kaffee aktiviert Nrf2 – the good, the bad, the ugly

Klingt jetzt ein bisschen wie Esoterik. Ist es aber nicht. Der Grund, warum Kaffee so wirkt, ist, dass er ein starker Aktvitator von Nrf2 ist (Quelle z. B. hier und hier). Nrf2 ist sozusagen der Masterregulator des Körperschutzes vor freien Radikalen (oxidativer Stress), Entzündung und Entgiftung, denn es steuert Gene bzw. reguliert Proteine hoch, die daran beteiligt sind.

Nrf2
Abbildung nach eigener Modifikation: (Röst-)Kaffee ist ein starker Aktivator des Nrf2-Signalwegs und reguliert damit eine Vielzahl an Proteinen positiv, die an der Entgiftung, an der Bildung von Antioxidantien und im Eisenhaushalt beteiligt sind. 

Klingt gut. Nrf2 wird prinzipiell von Röststoffen aktiviert, weil die eigentlich toxisch für uns sind. Röststoffe kommen in der Umgebung vom Menschen aber seit Ewigkeiten vor. Beispielsweise beim Braten von Fleisch, beim Rösten von Bohnen, Nüssen und Co., aber auch in der Luft – man denke ans Lagerfeuer.

Der Körper ist also so gut darauf eingestellt, dass diese Röstsubstanzen in niedrigen Mengen gesund sind, weil sie Nrf2 aktivieren, was dem Körper guttut. Stichwort Hormesis. Wenn Nrf2 aber überaktiv ist, sind auch Gene überaktiv, die im Eisenhaushalt eine tragende Rolle spielen, dazu zählen Proteine, die das Eisenspeicherprotein Ferritin aufbauen, aber auch Proteine, die Häm abbauen (mehr dazu gleich).

Jetzt schließt sich der Kreis. Häm ist ein Eisenkomplex und grundsätzlicher Baustoff der Hämproteine im Körper. Wichtige Hämproteine sind beispielsweise Hämoglobin (Sauerstofftransport im Blut), Myoglobin (Sauerstoffspeicher in Geweben), Neuroglobin (Sauerstofftransport im Hirn!) oder Cytochrom-C-Oxidase (COX), auch Komplex IV genannt, in den Mitochondrien.

COX ist dafür da, in den Mitochondrien Sauerstoff zu binden – nur so können unsere Mitochondrien Energie bilden. Und genau das ist der Grund, warum wir überhaupt atmen und Sauerstoff brauchen. Ohne Sauerstoff, nix Leben.

Hämoxygenase baut Häm und damit Leistungsfähigkeit ab

Nrf2 aktiviert ein Enzym, das sich Hämoxygenase-1 nennt. Dieses Enzym ist weitreichend involviert in sämtlichen Krankheit- … oder auch „Gesundheitsprozessen“ ;-) Ein Hochregulieren dieses Enzyms baut die eben genannten Hämproteine ab. Kurzfristig ist das gut, weil das z. B. antientzündlich wirken kann. Macht Sinn bei Infektionen wie Covid.

Umgekehrt aber fehlen diese Hämproteine dann. Vor allem in den Mitochondrien. Und darunter leidet die Energiegewinnung. Und wir atmen schwerer, wenn wir die Treppe hochlaufen. Man könnte sagen: Viel Kaffee und damit ein hohes Hämoxygenase, hat „Anti-Trainings-Effekt“, weil es genau das Gegenteil von dem macht, was wir mit Sport hervorrufen wollen, nämlich MEHR Hämproteine.

Zusätzlich klaut Nrf2 den Zellen Eisen, indem es Eisenspeicherproteine hochreguliert (FTL1 und FTH1, s. Abbildung). Logischerweise fehlt das dann für den Aufbau wichtiger Eisenproteine.

„Wie neugeboren“ – ein Leserbericht

Und genau deshalb erreicht uns Leserfeedback, das fast immer wie folgt klingt:

Als ich (ebenfalls durch euren Blog) zusätzlich auf Kaffee verzichtet habe, fühlte ich mich wie ein neugeborener Mensch. Anfangs war es sehr schwer den Entzug durchzuziehen. Aber danach fühlte ich pure ENERGIE! Pure Lust am Leben, an Aktivitäten… Durchgehende Motivation, mehr Konzentration, mehr Fokus im Alltag…

Ich konnte einfach so 20 kg mehr kreuzheben. Einfach so?!?! Anstrengung beim Sport? Nö, plötzlich geht da immer mehr! Aber am schönsten war das Gefühl: den Drang richtig Leben zu wollen, das Leben zu spüren, Reisen zu gehen, was erleben zu wollen, den Rausch zu fühlen. Ein Stück vom Kuchen abhaben zu wollen, dass sich LEBEN nennt!

Ich fühlte mich so unglaublich motiviert und lebendig, wie ein kleines Kind welches die Welt entdeckt. Es ist unglaublich wie viele Jahre ich in diesem Zombie – Leben, wach – aber gar nicht anwesend, verbrachte und im Dunkeln tappte. Es kommt mir vor, als sei die Lösung des Problems so simpel, wie die Entstehung dessen gewesen.

Du bist nicht krank…

Wollen wir nicht alle genau dieses Gefühl haben? Beneidenswert. Drum sage ich immer wieder:

Du bist nicht krank, du trinkst nur zu viel Kaffee. 

Natürlich lässt sich dieser Spruch auch auf z. B. den hiesigen Brötchenkonsum beziehen. Oder auf das Stück Torte jeden Nachmittag. Wie dem auch sei.

Das ist Sauerstoff.

Oder zu wenig davon. Das ist „Energiestoffwechsel“ und „Lebensenergie“ – bzw. zu wenig davon. Nur leider keine Esoterik, sondern wichtige Zusammenhänge, die offenbar durch Kaffeekonsum beeinflusst werden.

Ist Kaffee „schlecht“?

Nein. Kaffee ist alles andere als schlecht. Manche vertragen eben nur Mikrodosen davon. Denn Hormesis macht Kaffee bei jedem von uns. Und bei jedem von uns wirken solche kleinen „Giftstöße“ positiv.

Viele von uns unterschätzen aber, wie stark Kaffee in seiner Potenz eigentlich ist und wie wenig wir davon wirklich vertragen, bevors ins Gegenteil umschlägt. Diese Artikel sollen ein kleiner (oder großer) Reminder dafür sein, dass auf dich – nach kleiner Überwindung, also Kaffeeentzug – ggf. ein Reich voller positiver Überraschungen warten könnte.

Möglicherweise brauchst du gar nicht viel zu ändern. Möglicherweise reicht es, wenn du ab sofort Kaffee streichst. Ach ja: Nein, es gibt keine wirkliche Alternative für Kaffee. Trink‘ halt Wasser. Du darfst auch koffeinhaltige Getränke zu dir nehmen, weil um Koffein geht es nicht.

Schon tausend Mal wiederholt: Kaffee enhält 1500 Substanzen, die alle Wirkungen in deinem Körper haben. Koffein ist eine davon.

Du hast auch Erfahrungen mit Kaffeeentzug? Dann schreib was in die Kommentar oder schick uns eine Mail an kontakt@edubily.de :-)

 

 

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

10 comments On „Wie neugeboren“ ohne Kaffee

  • Ja Kaffee, die bedeutenste Haßliebe meines Lebens. Mein Fazit ganz klar… er hilft mir kurzfristig, schadet mir aber langfristig. Und zwar in der Dosis von nur einem Espresso/Tag. Und das sagt doch ganz klar das er ein Gift ist. Bei mir sind es genau wie beschrieben Müdigkeit, aber auch Gelenkschmerzen, die langristig zunehmen. Am besten nur 1 Espresso pro Woche, dann wirkt er grandios positiv, erhöht aber widerum das Rückfallrisiko enorm, genau wie bei einem Alkoholiker. Am Besten ganz abstimnent. Also, ganz klar nicht nur Gift, auch Droge. Leider, denn auch ich liebe einen guten Espresso!

  • Super Artikel … habt ihr Erfahrung oder eine Einschätzung wie schwarzer Tee im Vergleich dazu abschneidet ?

  • Hallo zusammen,

    sehr interessanter Artikel. Ich liebe Kaffee, werde es aber denke ich mal ausprobieren.

    Gibt es denn Erfahrungswerte wie lange es in der Regel dauert bis sich die positiven Effekte zeigen?

    viele Grüße
    Markus

  • Aufgrund einer kaputten Dichtung an meiner Kaffeemaschine habe ich vor kurzem eine 14 tägige Abstinenz durchgeführt :-) Bis dahin habe ich täglich gleich morgens, vor 7 Uhr 2-3 doppelte Espresso getrunken und bin jetzt auch wieder dazu übergegangen.
    Positive Veränderungen habe ich durch das Weglassen eigentlich nicht festgestellt.
    Dass Kaffee trotzdem eine potente Wirkung hat merke ich eher, wenn es mal 4 Kaffee morgens werden (ich werde dann fahrig und manchmal zittrig) oder ich nachmittags nach 13 Uhr noch eine Tasse trinke. Dann liege ich abends zur normalen Schlafenszeit wach im Bett.

    Da ich abends i.A. sehr gut einschlafe, der Nachschlaf wenn dann nur durch die Kinder unterbrochen wird und ich morgens leicht aus dem Bett komme und tagsüber seltenst Durchhänger habe, gehe ich davon aus, dass die 3 Tassen ganz früh morgens eine „gute“ Dosis für mich darstellen.

  • Als echter Süchtiger wollte ich es endlich auch einmal probieren. So habe ich meinen Kaffeekonsum vom einer 2Stelligen Menge auf 0 Reduziert. Auch alles andere was Koffein enthält etc. gestrichen selbst auf Tee verzichtet.

    Was ich nach nun 2 Wochen bemerkt habe … Nichts. ABsolut nichts. Keinerlei unterschied.

  • Hallo, ich habe kürzlich meinen Kaffeekonsum testweise komplett eingestellt, um mglw. endlich mal Fortschritte gegen meine chronische Ermüdung (geistig+körperlich) zu machen. Um den Entzug zu erleichtern, trinke ich seitdem Lupinen-Kaffee und bin davon eigentlich so begeistert, dass ich mich frage, ob ich das langfristig regelmässig trinken sollte. Weiß jemand, ob Lupinenkaffee bedenkenlos im Hinblick auf Ermüdung, Nebenniere etc. ist? Oder sind hier wieder diverse Antifraß-Stoffe enthalten, die eher gegen Dauergebrauch sprechen? Vitaminräuber etc.? Wo kann ich mich am Besten schlau machen?
    Herzlichen Dank und viele Grüße, Andi

  • Also dann doch lieber Red Bull? 😂
    Hat auch Taurin 💪

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