wolf hündchen

Welche Ratte bist du?

Mir brennt schon länger ein Thema unter den Nägeln, das mich tagtäglich konfrontiert. Das ich einfach nicht verstehen kann.

Als der Wandel begann

Vor etwa 10.000 Jahren haben unsere Vorfahren weitestgehend aufgehört, Jäger und Sammler zu sein. Sie haben stattdessen den Ackerbau und die Viezucht verstanden.

Das hatte viele Vorteile, beispielsweise die Sesshaftwerdung.

Wären wir Jäger und Sammler geblieben, würde es die moderne Welt so, wie wir sie heute erleben, wohl nicht geben. Denn wohlverstanden: Jäger und Sammler waren wir davor schätzungsweise 2-3 Mio. Jahre lang.

Der Mensch hat sich selbst zunehmend domestiziert. Per definitionem: Aus einer wilden, wurde die „Kulturform“. Aus einem Wolf, der Hund.

Auch, wenn es den einen oder anderen gibt, der von sich glaubt, er sei noch immer der archaische Höhlenmensch … weit gefehlt. Wir wären in der Wildbahn genauso aufgeschmissen wie der Hund, würden wir ihn aussetzen.

Uns fehlen Instinkte und natürlich auch die Kultur.

Die sind uns nicht nur abtrainiert, sie verschwinden auch zunehmend aus unserem Genom. Am besten lässt sich dies an Gensignaturen des Immunsystems erkennen. Das zeigt starke Anpassungen an unseren neuen Lebensstil, was leider zu einer Erhöhung des Risiko für entzündliche Erkrankungen sorgt.

immunsystem neolothikum
Domestikation steckt uns in den Genen. 

Viele Menschen sind tot, bevor sie sterben

Was ist Fortschritt, was ist Rückschritt? Nach wie vor durchleben wir Menschen einen drastischen Wandel, den manche – so wie ich – erleben und der eine gewisse Dissonanz erzeugt.

Man könnte argumentieren: Wandel ist normal. Gleichwohl verläuft Wandel seit dem Neolithikum – und heute mehr denn je – so schnell, dass wir kaum noch Schritt halten können. Das dabei entstehende Gefühlswirrwarr können die meisten Menschen gar nicht zuordnen.

Mehr und mehr glaube ich, dass wir den Bogen überspannt haben. Viele Menschen sehen nicht, dass sie sinnbildlich gar nicht mehr leben, sondern an ein Lebenserhaltungssystem angeschlossen sind, an das sich so intinktiv klammern.

wall e
Dystopie wird zur Realität, wie in vielen Filmen – hier Wall-E – dargestellt 

Das lässt sich beispielsweise an der hiesigen Technokratiesucht erkennen. Es muss alles erst von irgendeiner Behörde oder Institution abgenickt sein, bevor es in der Lebensrealität vieler Mensch überhaupt eine Rolle spielen kann und – zunehmend – darf.

Auch das medizinische System zeigt dies eindrucksvoll: Der Mensch wird nicht als mündige Person beraten. Er wird bevormundet, erzogen, belehrt und in ein Korsett gepresst, das mit ihm als Individuum nix zu tun hat.

Ich persönlich erkenne das im täglichen Gespräch dadurch, dass Menschen wie ein entgleistes Immunsystem entweder gegen alles schießen oder vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen und sich so gar nicht zu helfen wissen.

Quetschies machen Diabetes – ganz bestimmt!

Wo ist die natürliche Cleverness und Robustheit hin, die den Menschen seit jeher ausgezeichnet haben? Die Schlitzohrigkeit, die Killerinstinkte, um auch mal „unkonventionelle“, um nicht zu sagen nicht-konformistische, Entscheidungen zu treffen?

Auch das verstehen viele Menschen nicht mehr: Wir haben nur ein Leben und auch jetzt gerade geht es bei dir, bei mir, um Leben und Tod. Das „System“ kann einem diese Verantwortung nicht nehmen, was gleichbedeutend damit ist, dass wir als Subjekt handlungsfähig sein müssen.

Vor kurzem hat das Wissensmagazin Quarks einen Instagram-Beitrag zu Quetschies veröffentlicht. Wer sie nicht kennt: Das ist überteuertes Fruchtpüree in dünnen Plastikverpackungen, das man … rausquetscht. Ideal für kleine Kinderhände.

Davon kann man halten, was man will. Quarks meint: Dieses Fruchtpüree (wohlgemerkt: 60 Kalorien pro Packung) würde, wegen des Zuckers, das Risiko für Diabetes bei Kindern erhöhen. „Interessant“, dachte ich. Kinder essen Nuggets, Süßigkeiten und Chips en masse, aber Fruchtpüree macht Diabetes?

Auf Nachfrage meinerseits gab es nur den Verweis auf „eine Stellungnahme der Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin“. Die meinten: Die Kaloriendichte könnte Übergewicht fördern – so der Educated guess offenbar.

Von Diabetes war dort zwar nicht die Rede. Und eine Datenlage bei Pubmed gibt’s dazu auch nicht. Nur eine Studie, die ich für Quarks zitierte, und die zeigt, dass diese Quetschies nicht mit erhöhtem Risiko für Übergewicht assoziiert seien.

Welche Ratte willst du sein?

Antwort aber: Das sei ja nur eine Studie. Und die Kommission habe doch gesagt…

Verstanden?? Da wird nix hinterfragt. Da wird einfach nur kopiert, was irgendeine Kommission vor sich hin brabbelt. Da wird nicht überlegt, ob die Datenlage vielleicht zu dünn ist oder ob das, was wir da gerade erzählen wollen, überhaupt einen Sinn ergibt.

Nein, da wird einfach gesagt: Erhöht das Risiko für Diabetes. Obwohl Typ-2-Diabetes (vormals: „Wohlstandsdiabetes“) bei Kindern quasi nicht vorkommt. Hier hat man also das reale Risiko wieder unfassbar verzerrt dargestellt.

quetschies risiko
Quetschies sind schlimme Diabetes-Verursacher in Kindern – nicht. 

Das ist im Gesundheitsbereich ein immens starkes Wording. Mit großem Einfluss auf sowieso häufig verunsicherte Eltern, die ihrem Kind zwischendurch einfach nur mal … 100 g Fruchtpüree mit 60 Kalorien geben und jetzt denken, das mache Diabetes.

Dieses kleine Beispiel ist völlig unbedeutend. Zeitgleich zeigt es so viel. Wir haben auf der einen Seite Menschen, die völlig unreflektiert, lebensfern und autoritätshörig irgendwas nachplappern. Auf der anderen Seite haben wir die (armen) Eltern, die so indoktriniert werden.

Mit dem Resultat, dass die mehr und mehr ja genau so werden. Nur noch mehr dumme Fragen stellen. Als ob das kleine Kind zuhause mit Zähnen im Mund kein kleiner Mensch wäre, sondern irgendwie eine Puppe, von der keiner weiß, wie man sie eigentlich füttern soll.

All das erinnert mehr und mehr an ein Beispiel von Art de Vany, das er damals dem Spiegel erzählte:

„Es gibt einen Versuch, bei dem man eine Ratte an einen Draht hängt und schaut, wie lange sie sich festhalten kann“, sagt De Vany. „Die Laborratte plumpst nach kurzer Zeit zu Boden.“ Und die wilde Ratte? „Die zieht sich hoch und verschwindet.“

Du solltest dir gut überlegen, welche Ratte du sein willst.

PS: Soeben habe ich eine bekannte KI gebeten, mir ein 3D-Cartoon-Bild zu generieren, das den Überkonsum eines Menschen überzeichnet und abstrakt darstellen soll. Antwort: „Unsere Richtlinien schränken die Erstellung von Bildern ein, die sensible Themen wie Überkonsum oder Darstellungen von Menschen in einer nicht respektvollen Weise beinhalten.“ So, so… :-) 

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

12 comments On Welche Ratte bist du?

  • Unwillkürlich muss ich an eine Messe vor einigen Jahren denken. Dort wurden natürlich allerlei leckere und „gesunde“ Dinge angeboten. Meine Kollegin war verwirrt, dass ich die an jeder Ecke (gratis) erhältlichen Quetschies an dem Tag zu meiner Hauptversorgungsquelle machte. Das wäre ja soviel Zucker und viel ungesünder, als in der Kantine eine „vernünftige“ Mahlzeit mit einzunehmen (Pommes Currywurst).

    Die Antwort der K.I ist vielsagend.

  • Danke für diesen unterhaltsamen Einblick – eine erfrischende Pause im Alltag! 😊
    Mit schmunzelnden Grüßen,
    Mario

  • „Das hatte viele Vorteile, beispielsweise die Sesshaftwerdung.

    Wären wir Jäger und Sammler geblieben, würde es die moderne Welt so, wie wir sie heute erleben, wohl nicht geben.“

    Und wo sind da die Vorteile? Es gibt weniger Kindersterblichkeit und eine schwere Infektion muss nicht unbedingt tödlich verlaufen, aber das sind dann auch schon die einzigen Vorteile, die die moderne Welt zu bieten hat. Die Sesshaftwerdung war der größte Fehler der Menschheit.

    • Also ich bin ganz froh nicht mehr in einer Höhle hausen zu müssen und mein essen zu jagen :)

      • Ich denke auch. Man sollte das JuS-Leben nicht allzu sehr romantisieren. Ich persönlich mag es, meinen A…Allerwertesten mit hochwertigem Klopapier abputzen und den Mist dann in die Kanalisation spülen zu können, ohne dass mir eine Ameisenarmee das Bein hochkrabbelt oder mir eine Ratte in den Po zwickt.

        • Aber gesund für die Erde ist das nicht! Ich geh öfters mal in den Wald kacken, macht zwar keine Laune, aber ist allemal besser als es mit ‚Trinkwasser‘ in die ewige Vergessenheit zu spülen…
          Ich hab auch eingeführt bei uns: Wenn du viel abzuputzen hast, verdaust du shlecht, dann iss halt weniger Zucker-Zeug und mehr Protein, nimm noch ein Zink-Supplement, und sieh zu, daß du das Papier, welches du benutzen musst, in den Abfallkorb mit Klappe gibst, und nicht herunterspülst, das entlastet die Kanäle und die Kläranlage enorm!

          Ja so ist das mit der Menschheit im späten Spiel, die sind alle krank im Kopf weil sie per Design so vieles falsch machen, sogar wie man richtig zu sheizen hat muss man ihnen erklären (nämlich in der Hocksitzhaltung, Klappe hoch und wie ein Vogel mit den Füßen direkt auf dem Korpus der Klosetts, sodass die Knie im Brustbereich schön den Darm quetschen…alles andere begünstigt Erkrankungen des Mastdarms mit der Zeit…)

          Leck mir fett ist unsere Welt verkommen…

    • Wenn man es mal nüchtern ohne Klopapier und Feuchttücher betrachtet , ist denke ich die Fortpflanzung ein ganz wichtiger Punkt für die Sesshaftigkeit. Es gab signifikant mehr Zeit und Lust für Intimität. So wächst eine Gesellschaft. Und mehr Sicherheit zu haben, vllt bin ich altmodisch, aber das ist schon nett.

      • Aber das ist ja auch einer der größten Kritiken an der Sesshaftwerdung. Der Mensch konnte, und musste, sich extrem fortpflanzen, was zu den heutigen Problemen geführt hat. Die Bevölkerung ist so riesig, dass der Erde der Großteil aller Ressourcen beraubt wurde und die Natur so weit zurückgedrängt werden musste, dass es bald nicht mehr genug für alle, inklusive der Tierwelt, gibt. Die Sicherheit nahm ebenfalls immer weiter ab, je stärker die Bevölkerung wuchs.

    • Sehr schön gesagt! Danke dir für das Aussprechen meiner intimen Gedanken!

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