Bei Facebook gibt es die Seite National Geographic. Dort findet man regelmäßig Video-Ausschnitte vom „wild life“. Zu sehen ist dann zum Beispiel, wie irgendwelche Wildhunde andere Löwen vom Kadaver verjagen wollen.
Das ist ja noch normal. Damit rechnet man gegebenenfalls.
Erstaunlich an dem Ausschnitt war allerdings, dass Giraffen anscheinend auch Knochen verstorbener Tiere essen, um an Calcium und Phosphor zu kommen. Die langhalsige Giraffe stellt sich also mit gespreizten Beinen vor solche Knochen und lässt das weit oben sitzende Köpfchen herab, um am Skelett eines anderen Tieres zu knabbern. Zu allem Überfluss, scheinen die Tiere das Zeug auch noch zu kauen und mit dem Speichel zu verarbeiten. Ich dachte immer, das könnten Herbivoren gar nicht?
Viele Menschen kommentierten das Video und viele davon waren erschrocken, ja entsetzt. Die heile Welt brach zusammen, denn diese „süße Giraffe“ knabberte an anderen (leblosen) Tieren.
National Geographic berichtete dazu, dass das in der Tat keine Seltenheit ist. Tatsächlich knabbern Giraffen, laut einer im Jahr 2013 im Journal of Archaeological Science veröffentlichten Arbeit, nicht nur an den Knochen, sondern auch am Geweih, den Hörnern oder am Elfenbein anderer Tiere.
Da denke ich mir: Die Tiere sind ja so schlau.
Denn zwei Klicks weiter, auch in Facebook, entflammt unabhängig davon die Debatte um Calcium. Mal wieder! Calcium ist, laut vieler Internetexperten, überhaupt kein Problem. Man müsse nur genügend Pflanzen essen. Der Expertenrat könnte lauten: Fragen Sie dazu mal eine Giraffe. Die isst ja offensichtlich genügend Pflanzen.
Spaß beiseite.
Der Punkt ist, dass wir Menschen eine ganz wichtige Sache einfach nicht wahrhaben wollen. Das einzige, was uns schadet und für viele, vielleicht alle unsere (Ernährungs-)Problemchen verantwortlich ist, ist die Tatsache, dass wir immer ein striktes, quasi ideologisch verpacktes Konzept brauchen.
Für die Tiere in der Wildnis hieße dies: „Ich bin eine Giraffe. Per Definition ein Pflanzenfresser. Ich kriege mein Calcium und Co. ganz einfach aus Pflanzen.“ Ist halt eine Giraffe. Die stirbt dann irgendwann einfach weg. Es heißt ja nicht umsonst „essentieller Mikronährstoff“.
Vielleicht geht es der Giraffe auch gar nicht ums Überleben. Vielleicht denkt die sich: Ich bewege mich so viel, ich brauche eben viel Calcium, Extra-Calcium, um Knochen aufzubauen und keine Osteoporose zu bekommen. Dann wäre das Tier doppelt schlau, denn es hätte verstanden, dass es im Leben, in der Biochemie, nicht nur um „gerade so viel, dass ich nicht sterbe“ geht, sondern auch um dieses kleine Plus.
Während wir Menschen immer wieder die eine Religion suchen, die uns genau vorgibt, was und wie viel wir von Sache X zu essen haben, kümmern sich „echte“ Lebewesen in der Natur anscheinend gar nicht darum. Die wissen, woher auch immer, was ihnen zum Zeitpunkt X gut tut.
Während solche Tiere zum zyklischen Verhalten gezwungen werden, wollen wir eine genaue Ratio für jeden Tag, so, dass wir Zwangsneurotiker auch bloß alles bis ins kleinste Detail festgelegt haben. Natürlich geht es hierbei um die heiß ersehnte Gesundheit, die wir uns, mit unserem strikten Konzeptdenken, immer wieder selber kaputtmachen. Wir haben das Freestylen verlernt und glauben nunmehr ganz fest daran, dass wir den menschlichen Körper wie eine Maschine behandeln können.
Und das, obwohl wir doch gerade von allen Seiten mit der Bedeutung von randomness (=Zufälligkeit) bombardiert werden. Jedes Kraft- und Sporttraining basiert darauf: Immer wieder neue Wege finden, den Körper zu überlisten, bloß nicht ein bestimmtes Schema (= eine bestimmte Anzahl an Wdh, mit dem gleichen Gewicht) zu lange fahren. Denn das gibt keinen Fortschritt.
Bei der Gesunderhaltung müssen wir genau so vorgehen. Mal nichts essen, mal viel essen, mal wenig Protein essen, mal viel Protein essen, mal ein Carb-Load machen, mal keine Kohlenhydrate essen, mal Honig gönnen, mal keinen Zucker essen, mal sehr viele grüne, dann rote, dann blaue Pflanzen(teile) essen.
Wir machen genau das Gegenteil.
Daher: Wir brauchen durchaus ein Template, eine Vorstellung davon, was richtig ist. Das darf ruhig auch an unsere evolutive Vergangenheit angelehnt sein. Denn dann kommt es nicht zu fundamentalistischen Veganer-Verirrungen.
Warum ich immer wieder den Veganismus oder der „Keto-Szene“ nenne?
Weil es um Mäßigung und Zyklen geht, nicht um den jeweiligen Endpunkt des Spektrums.
Was das Suchen und das Leben des Extrems bedeutet, kann man mittlerweile quasi täglich in Berichten und Zeitungen nachlesen. Religion basiert auf denselben Prinzipien. Genau aus dem Grund verkommen viele Facebook-Gruppen zu Schlachtfeldern. Wer das nicht lächelnd hinnimmt, sondern mittendrin ist, der hat ein Problem. Ein großes sogar.
Neulich wurde meiner — aus religiösen Gründen — vegan lebenden Inder-Freundin ein schwerer Folat-, B12- und Eisen-Mangel diagnostiziert. „Keine Tiere essen, das ist gesund!“ — ja, super gesund. Konzentrationsstörungen, periphere Nervenschmerzen und Hautausschläge, das klingt sehr gesund.
Konzepte töten.
4 comments On Unser Konzeptdenken macht uns krank
Veganismus hat gute Gründe und ich respektiere Veganer, die diese ehrlich angeben: Massentierhaltung etc, meinetwegen auch, dass sie keine Tiere töten wollen. Nur, dass es das non-plus-Ultra ist für die Gesundheit, und mit „Argumenten“ wie :“ tierische Eiweiße sind schlecht, weil artfremd“ rübergebracht wird (ich rede von Lehrbücherinhalten aus Lehrgängen, die Geld kosten!), lässt mich dann doch (als Biologin) wundern…. ja, Sesam enhält mehr Calcium, aber seit wann sind wir mit Sesam, Soja und co näher verwandt als mit der Kuh…kleines DNA-Alignment gefällig? ;-D Da nervt mich daran dann auch, was hier schon häufiger geschrieben stand…erklären ja, aber bitte richtig, fundiert, wissenschaftlich korrekt.
Ja, gefällt mir wieder diese Zeilen da oben. Liegt wohl in der Natur des Menschen. Seien wir milde….Die Giraffe denkt nicht (oder ist sooo schlau, dass sie es uns nicht wissen lässt, um nicht in irgendein Labor gesteckt und verkabelt zu werden ;)), hat nur ihren Instinkt. Wir denken viel, das Gehirn kann kaum anders und dann brauchen wir was zum daran Festhalten. Gern eben die Extreme, Endpunktem, wie es hier heißt. Aber immerhin, nach ganz besonders vielem denken (und lesen) von ganz vielen Konzepten kann man, wenn man will, bei der Erkenntnis landen, dass man sich ganz gut zwischen den Extremen Einpendeln kann. Und zu viel immer doof ist (aber das war der vorige schöne Artikel, den ich gelesen habe. :))
Letztlich ist dieses absurde Verhalten, wie es z. B. die Veganer tun, und der Hype um diese unnatürlich Mangelernährung, nur Ausdruck einer einerseits totalen Verunsicherung und einer andererseits bestehenden Entfremdung von natürlichen Verhalten und Instinkten. Das sich das dann von diesen Vertretern und Anhängern ideologisch zurechtgerückt und schöngeredet wird, frei und überspitzt gesagt unter dem Motto, ich rette die Welt und ich bin ein Guter, die Fleischesser sind die Bösen usw., daß ist eine typisch menschliche Reaktion darauf. Es ist eine Form von Extremismus, der mittlerweile zum Thema Ernährung unter den Menschen entstanden ist, zumindest in der dekadenten westl. Überflußgesellschaft. Und das nicht aus einer Notlage heraus, z. B. Mangel an bestimmten Ernährungsmöglichkeiten und Nahrungsmitteln, sondern im Gegenteil im Rahmen einer neu erschaffenen Ernährungsideologie, die mittlerweile schon religiöse Ausmaße und Ansprüche hat und sich als „weltrettend“ erhebt. Man erhebt eine einseitige und unnatürliche Ernährungsform aus quasireligiösen und idelogischen Gründen zu einem Kult und verdammt und verunglimpft die Andersdenkenen. Wie gehabt in allen möglichen anderen Bereichen des gesellschaftlichen und politischen Lebens. So jetzt auch bei der Ernährung. Der große Rest der Welt kümmert sich bekanntlich aber einen Dreck um diese Dinge und man isst dort einfach weiter, was man schon immer gegessen und für gut befunden hat. Das ist im übrigen auch eine Form von Tradition, die ja im Westen auch im Rahmen der geplanten Entnationalisierung abgeschafft werden soll. In vielen Gegenden Westeuropas hält man aber davon auch nicht viel. Und so isst man z. B. in vielen Bergregionen des Alpenlandes in der Schweiz, Österreich und Deutschlands, weiter traditionell deftig und landestypisch, wie seit Jahrhunderten und erlebt dabei sogar noch kulinarischen Hochgenuß! Und auch in Ländern wie Spanien, Frankreich, Italien oder Griechenland, in denen Traditionen weiter hoch gehalten werden, kümmert man sich wenig um diese vor allem in Deutschland omnipräsenten Kämpfe zwischen den militanten Ernährungsvertretern und deren selbsternannten Gurus, sondern zaubert all das weiter munter aus den Herden und Töpfen, was die Menschen fasziniert, ihnen schmeckt und offensichtlich auch noch eine der gesündesten Ernährungsformen überhaupt ist (Mittelmeerernährung).
Keinem Konzept zu folgen ist letztendlich auch ein Konzept :-|
Korrekt. Nennen wir das Konzept doch einfach „Variabilität“ :P