Neurologische Erkrankungen durch Bewegungsarmut?

 

Was kostet das Leben, könnte man sich fragen. Auch wenn viele von uns daran nicht glauben: es gibt sie, die „Gesetze des Lebens“. Je mehr wir uns daran halten, umso mehr profitieren wir davon. Ein solches Gesetz lautet:

Bewege dich.

Noch nie aufgefallen? Sportler können noch so dumm sein – sie sind immer die privilegierten. Das kann mir jeder Sportstudent aus eigener Erfahrung bestätigen. Dabei handelt es sich allerdings nur um die Spitze des Eisbergs. Wie global solche vermeintlich „nebensächlichen“ Tatsachen wirken, erfährt man erst, wenn man’s selber mal gelebt hat.

Neue Studie. Bewegungsarmut schädigt Nervensystem

Einer der Autoren meint:

„Seit 2004 interessiere ich mich für neurologische Erkrankungen“, sagt Co-Autor Dr. Daniele Bottai, ebenfalls von der Università degli Studi di Milano. „Die Frage, die ich mir stellte, war: Ist das Ergebnis dieser Krankheiten ausschließlich auf die Läsionen zurückzuführen, die sich am Rückenmark bei Rückenmarksverletzungen und genetischen Mutationen bei SMA (Spinale Muskelatrophie) bilden, oder ist die geringere Bewegungsfähigkeit der kritische Faktor, der die Krankheit verschlimmert?“

Da steht also, wir verallgemeinern: Macht die neurologische Erkrankung selbst immer mehr kaputt … oder … sorgt die dadurch entstehende Bewegungsarmut dafür, dass immer mehr im Nervensystem kaputt geht?

Uns ist natürlich klar, dass es keine Entweder/oder-Frage ist, sondern ein sich wechselseitig beeinflusster Krankheitsprozess. Trotzdem:

„Es ist kein Zufall, dass wir aktiv sein sollen: gehen, laufen, hocken, sitzen und mit den Beinmuskeln heben“, sagt Adami. „Neurologische Gesundheit ist keine Einbahnstraße, in der das Gehirn den Muskeln sagt: „Heben“, „Gehen“ und so weiter.“

Kommt uns das nicht bekannt vor? 2014 im Handbuch? Der Muskel sezerniert Stoffe, die mit anderen Körpergeweben kommunizieren. Das ganze System Mensch ist extrem plastisch – ein riesiges Netzwerk aus Kommunikation und keine Einbahnstraße. Letzteres ist Biologie-Unterricht der Mittelstufe.

Um nun etwas konkreter zu werden. Die Forscher haben herausgefunden, dass:

die Verwendung der Beine, vor allem bei Belastung, Signale an das Gehirn sendet, die für die Produktion gesunder Nervenzellen unerlässlich sind. Schränkt man die Bewegung ein, bildet der Körper weniger neue Nervenzellen. Bei diesen Nervenzellen handelt es sich um wichtige Bestandteile, die dafür verantwortlich sind, dass wir das Leben auf täglicher Basis meistern können und uns an neue Situationen gewöhnen.

Das liest sich hier jetzt so nett. Aber in Wahrheit hatte die Maus-Gruppe, bei der die Hinterbeine (!) außer Gefecht gesetzt wurden, bis zu 70 % weniger neuronale Stammzellen. Zusätzlich reiften Neuronen und Oligodentrozyten nicht ordentlich.

Freilich sind die molekularen Ereignisse immer die gleichen:

Mitochondrien (im Muskel) werden faul …

und das macht Probleme im Ganzkörper. Alles längst bekannt.

Damals echauffierten sich einige, dass ich im Handbuch explizit immer von „den Beinen“ sprach, wenn es beispielsweise um den Sport ging – genau deshalb. Weil uns die Beine durchs Leben tragen und genau dort der höchste Energieumsatz überhaupt stattfindet. Mit den deutlichsten Effekten mit Blick auf die Ganzkörpergesundheit.

Referenz

Raffaella Adami et al. Reduction of Movement in Neurological Diseases: Effects on Neural Stem Cells Characteristics. Frontiers in Neuroscience, 2018; 12 DOI: 10.3389/fnins.2018.00336

 

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

5 comments On Neurologische Erkrankungen durch Bewegungsarmut?

  • Sehr interessant Chris. Vielen Dank.
    Ich arbeite als Physio in einer Neurologischen Klinik (Uni ?). Mir stellt sich dann sofort die Frage, ob das auch bei den vielen neurodegenerativen, erworbenen und peripheren Erkrankungen des Nervensystems zutrifft. Damit verhält es sich ja etwas anders als bei einer angeborenen, sprich genetischen Erkrankung. Z.B. Thema Schlaganfall und die entsprechenden Folgen. Vielleicht hast du noch mehr Quellen auf die ich mich stürzen kann. Denn vielleicht muss ich demnächst an meiner Therapie Veränderungen vornehmen?!

    Gruß. Volker.

  • Andreas Neubauer

    „Noch nie aufgefallen? Sportler können noch so dumm sein – sie sind immer die privilegierten. Das kann mir jeder Sportstudent aus eigener Erfahrung bestätigen. Dabei handelt es sich allerdings nur um die Spitze des Eisbergs.“

    Könnten die „Privilegierten“ einen kleinen Einblick zur Motivation geben – gerne auch als Anekdote?

    Vielen Dank :-)

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