Soja ist gesund

Gesund ungesund – und umgekehrt?

In der Ernährungswissenschaft ist es des Öfteren so, dass plötzlich eine Erkenntnis um die Ecke kommt, die alles auf den Kopf stellt. Mit der Folge, dass man sich selbst erst mal an den Kopf fassen muss. Oder mit den Fingern an die Nasenwurzel *miternstermiene*.

Ernährungswissenschaft und die Biochemie dahinter ist nix für Anfänger. Man muss schon mit allen Wassern gewaschen sein. Wenn sich jemand seit drei Jahren mit Ernährung befasst und jetzt „Medfluencer“ oder sonstiger Influencer ist, weiß man immer schon, dass man Premium bestellt aber nur Müll bekommt.

Denen fehlt es an Erfahrung – an vielleicht Jahrzehnten der Forschung in dem Bereich (Dunning-Kruger-Effekt!). Wer sich also immer wundert, warum das Internet, speziell Social Media, so wild und ein einziger Info-Dschungel geworden ist, wo der Konsument nicht mehr weiß, wo oben und unten ist … der versteht das jetzt.

Wenn gesundes Essen ungesund wird

Soeben ist eine interessante Studie erschienen. Eine Perle, die man erkennen muss. Eine Studie, die eher unter dem Radar laufen wird.  Der Artikel, der über die Studie berichtet, hat eine vielsagende Überschrift:

Der Ernährungsfehler in einer Krebstherapie 

Da werde ich immer hellhörig. Schließlich ist niemand perfekt und es könnte einen selbst treffen. Dann ist es gut, man hat den einen oder anderen Joker in der Hinterhand, nicht wahr? Könnte das etwa so einer sein?

Jedenfalls haben Forscher bestimmte Klassen der Krebsmedikanente untersucht, die sogenannten PI3K-Inhibitoren. Chris Michalk-Leser wissen ja seit 2014 (Handbuch), dass PI3K ein Zellschalter im anabolen Signalweg ist. Mehr PI3K, mehr Wachstum. Schlecht bei Krebs! Daher will man das hemmen.

So weit, so gut. Und dann kommt erstmal die Sensation:

Das Labor von Rabinowitz und andere haben gezeigt, dass ketogene Diäten die Reaktion auf Krebsmedikamente in präklinischen Mausmodellen dramatisch verbessern.

Dramatisch verbessern. Wie Musik in meinen Ohren. Jetzt aber der klassische Trugschluss, etwas, was die allermeisten Menschen an der Stelle übersehen würden. Die Forscher nicht. Aufgepasst:

Bei der Untersuchung dieses unerwarteten Ergebnisses stellten sie fest, dass die Verstärkung der Reaktion auf PI3K-Inhibitoren durch die Keto-Diät wenig mit Kohlenhydraten, Fett, Blutzucker oder Insulin zu tun hat.

Ich höre Louis de Funès in meinen Ohren (du weißt schon…).

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Aber mit was hatte es dann zu tun?

Unerwarteterweise lag es nicht an den tollen Effekten der Keto, sondern an den in diesem Kontext unerwünschten Effekten der sogenannten Standard Chow, also der Standardernährung der Tiere. Wenn es sich nicht um eine speziell aufgereinigte Ernährung handelt (purified), dann ist die Ernährung der Tiere ziemlich komplex, man möchte sagen, gesund.

Sie besteht unter anderem aus einer komplexen Pflanzenmatrix, die Mais, Haferflocken, Weizenkleie, Sojabohnenmehl enthält, und tierischen Bestandteilen wie Fischmehl, Molke, etwas Schweinefett und anderes.

Hier kickt wieder die Erfahrung: Stoffe in der Nahrung sind keine Begleitsubstanzen, die man isst oder nicht. Die wirken, stell dir vor! Wenn du jeden Tag drei Tassen Kaffee trinkst, haust du dir halt ziemlich hochdosiert 1500 Pflanzenstoffe rein. Das wirkt – irgendwie, meistens zu deinem Nachteil. Simple as that.

Exakt das passierte in dem Versuch: Die Forscher fanden heraus, dass die Pflanzenstoffe aus Soja im Darm zu anderen potenten Metaboliten umgewandelt werden, die die Entgiftung der Leber steigern. Eigentlich gut – im Kontext der Chemo natürlich nicht. Denn dann wirkt die Chemo einfach schlechter.

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass einige pflanzliche Ernährungsformen durch ihre Wechselwirkungen mit den Darmmikroben die Exposition gegenüber Krebsmedikamenten verringern können, indem sie die körpereigenen Systeme zur Beseitigung von Medikamenten ankurbeln.

Der Witz an der Sache dürfte sein, dass die gleiche Ernährung das Krebsrisiko der Tiere vermutlich generell senkt, da die verbesserte Entgiftung ja auch krebserregende Stoffe besser entsorgen würde. Ergo: Wenn gesundes Essen „ungesund“ wird. 

Wenn karnivore Ernährung wirkt…

… dann vielleicht ziemlich oft als „Therapie“, weil die Menschen schon krank sind. Heißt also nicht, dass sie wegen einer nicht-karnivore Ernährung krank wurden und es heißt auch nicht, dass eine karnivore Ernährung per se dauerhaft gesund hält.

Karnivore Ernährung ist hier nur ein Platzhalter, da es thematisch gut zu Keto und einer aufgereinigten Ernährung ohne Pflanzenstoffe passt.

Fakt ist, man muss schon etwas Hirnschmalz in die eigene Ernährungsplanung stecken. Diese Alles-oder-nichts-Menschen, wie man sie heutzutage in den sozialen Medien in einem unfassbaren Ausmaß erlebt, können einem leid tun – weil man erkennt, wie fest sie davon überzeugt sind, dass sie die eine Ernährungs-Wunderpille entdeckt haben.

Dabei geht es für alle von uns um einen maßgeschneiderten Anzug. Durch dieses Nadelöhr muss jeder gehen. Da hilft leider kein Konzept von außen. Ich habe das Gefühl, in den vergangenen zehn Jahren haben wir hier keine Fort- sondern große Rückschritte gemacht. Heute ist’s schlimmer als 2008.

 

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

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