Hormonchaos durch Darmdysbiose

Wie dein Mikrobiom deinen Östrogenspiegel beeinflusst

Das Mikrobiom, also die Gesamtheit aller Bakterien, die auf und im Körper leben, fasziniert mich immer mehr. Ich betrachte es mittlerweile als eine Art weiteres Organ, denn es ist so tief in unsere Physiologie eingebunden. 

Viele Aufgaben des Mikrobioms sind uns sicher auch noch zum jetzigen Zeitpunkt unbekannt. Viele kennen wir aber auch schon. Da wären…

  • die Modulation und Entwicklung des Immunsystems,
  • die Aktivierung des Nervensystems via dem Vagusnerv (Stichwort gut-brain axis),
  • die Regulation von Neurotransmittern oder auch
  • die Produktion von Metaboliten wie SCFAs (short chain fatty acids). 

Aber wusstest du auch, dass das Mikrobiom eine elementare Rolle bei der Regulation des Hormonhaushalts spielt? Tatsächlich kann das Mikrobiom die Menge an Sexualhormonen im Körper beeinflussen. 

Das Östrobolom 

Bezogen auf das weibliche Sexualhormon Östrogen nennt man die Gesamtheit der Bakterien, die an dessen Regulation beteiligt sind, auch ÖstrobolomBevor wir allerdings verstehen können, wie das Östrobolom Einfluss auf den Östrogenspiegel nehmen kann, müssen wir uns zuerst den Abbau der Östrogene in der Leber anschauen. 

Die Leber entgiftet, indem sie die auszuscheidenden Substanzen so modifiziert, dass sie gut wasserlöslich sind und über den Darm oder die Nieren eliminiert werden können. 

Im ersten Schritt, der sogenannten Phase-I, werden die Östrogene hydroxyliert, d.h. spezielle Enzyme hängen ihnen eine OH-Gruppe an. Die Produkte dieser Reaktion nennt man dann Katecholöstrogene

Einige Katecholöstrogene, wie beispielsweise das 16α-Hydroxyöstron, stehen mit der Entstehung von Brustkrebs in Zusammenhang, weil sie die DNA schädigen können. Eine effiziente Weiterverarbeitung ist also wichtig und findet in Phase-II statt. 

Dabei werden diesen Katecholöstrogene weitere funktionelle Gruppen angehängt, wie beispielsweise Methylguppen, Sulfate oder Glucuronsäure. Diesen Vorgang nennt man KonjugationDie konugierten Östrogene sind jetzt für die Ausscheidung bereit und werden zum einen über den Urin, zum anderen aber auch über die Galle in den Darm abgegeben. 

Bakterielle Glucuronidase macht Östrogen scharf

Im Darm kommt jetzt das Mikrobiom ins Spiel, bzw. genauer gesagt das Östrobolom, dessen Darmbakterien ein entscheidendes Enzym produzieren:

Die ß-Glucuronidase.

Was macht dieses Enzym? In seinem Namen ist die Antwort verborgen: “Glucuron” bezieht sich auf die Glucuronsäure, die in der Leber ans Östrogen angeheftet wurde. die Endung “-ase” bedeutet, dass dieses Enzym etwas auftrennt oder spaltet. 

Die ß-Glucuronidase spaltet also die Glucuronsäure wieder vom Östrogen ab, was zur Folge hat, dass dieses nun wieder frei vorliegt und von der Darmschleimhaut aufgenommen wird. Anstatt das Östrogen auszuscheiden, gelangt es wieder zurück in den Blutkreislauf

 

 

Entgiftung Östrogene
Phase-I und Phase-II modifizieren die Östrogene in der Leber und machen sie somit zur Ausscheidung bereit. Im Darm kann ein Teil der konjugierten Östrogene dann durch die ß-Glucuronidase gespalten werden und freie Östrogenmoleküle werden wieder durch die Darmschleimhaut ins Blut aufgenommen.

Und jetzt wird klar, wie wichtig es ist, ein ausgewogenes Östrobolom zu haben: Es darf nämlich weder zu wenig noch zu viel Östrogen ausgeschieden werden. 

Ist die Darmflora intakt, so reguliert sich der Östrogenspiegel von selbst. Es herrscht eine Bidirektionalität, was bedeutet, dass der Östrogenspiegel im Blut und das Östrobolom sich gegenseitig beeinflussen. 

Produziert der Körper etwas weniger Östrogen, fährt das Östrobolom die ß-Glucuronidase-Aktivität hoch und kostbares Östrogen wird vermehrt recycelt. Andersherum, wenn der Körper viele Östrogene produziert, kann das Östrobolom die ß-Glucuronidase-Aktivität senken und mehr Östrogene ausscheiden statt resorbieren. Das ist der gesunde Normalzustand.

Dysbiosen im Darm stören den Hormonspiegel

Herrscht allerdings eine Dysbiose im Östrobolom, so kann das Hormonsystem aus dem Gleichgewicht geraten. 

Eine zu hohe Aktivität der ß-Glucuronidase sorgt dann für einen Überschuss an Östrogenen und es kann zu einer Östrogendominanz und ultimativ zu östrogen-bedingten Erkrankungen wie Brust- und Gebärmutterhalskrebs oder Endometriose kommen. Östrogene stimulieren nämlich Wachstumsprozesse. Geraten diese außer Kontrolle, kommt es zu unerwünschtem Wachstum, wie bei Krebszellen oder Endometrioseherden.

Forscher vermuten, dass Patientinnen mit Endometriose eine größere Anzahl ß-Glucuronidase-produzierender Bakterien aufweisen, was zu mehr Östrogen und damit zu Endometriose führen könnte. Leider gibt es dazu bis heute, wie bei vielen Erkrankungen, die nur Frauen betreffen, kaum Daten. (Vgl. 1,2) 

Sind hingegen zu wenig ß-Glucuronidase-produzierende Bakterien im Darm, so wird Östrogen vermehrt ausgeschieden und es kommt zu einem Östrogenmangel. Dieser tritt häufig in den Wechseljahren auf.

Zu den hypoöstrogenen, also durch Östrogenmangel bedingten Erkrankungen gehören beispielsweise auch das metabolische Syndrom und kardiovaskuläre Erkrankungen, da Östrogene im Stoffwechsel und dem Herzkreislaufsystem eine wichtige Rolle spielen. 

Beta Glucuronidase Aktivität
Die ß-Glucuronidase-Aktivität reguliert die Menge an Östrogenen im Körper

 

Halten wir nochmal fest:

  • Sind im Darm zu viele Bakterien, die ß-Glucuronidase herstellen, werden viele Östrogene dekonjugiert und wieder zurück in den Blutkreislauf aufgenommen.
  • Ist hingegen zu wenig ß-Glucuronidase vorhanden, werden die konjugierten Östrogene überwiegend ausgeschieden und der Östrogenspiegel im Körper verringert sich. 

Übrigens: die ß-Glucuronidase beeinflusst nicht nur die Wiederaufnahme von Östrogenen, sondern auch die von allen anderen Steroiden, Vitamin D, Schilddrüsenhormonen sowie Toxinen und Medikamenten. Eine hohe ß-Glucuronidase-Aktivität kann so zum Beispiel zu einem verzögerten Abbau von Giftstoffen führen, da diese immer wieder neu in den Körperkreislauf aufgenommen werden. (4) 

Mehr Pflanzen in der Nahrung = weniger ß-Glucuronidase

Die spannende Frage ist jetzt, wie man das Östrobolom beeinflussen kann. Da liefern uns Wissenschaftler folgende Antwort: 

Die ß-Glucuronidase-Aktivität kann durch die Ernährung beeinflusst werden.

Bei Menschen, die sich im Sinne der typischen Western Diet fett- und proteinreich sowie ballaststoffarm ernähren, wurde eine erhöhte ß-Glucuronidase-Aktivität festgestellt, während der Verzehr von Pflanzenfasern und ballaststoffreicher Kost die Aktivität verringert. (Vgl. 3-6)

Ein Vergleich zwischen einer Kohorte aus New York und einer aus Umea, einer Stadt in der schwedischen Provinz, zeigte, dass die Bewohner von Umea, die sich “weniger westlich” ernähren, trotz gleichem Proteinanteil und sogar höherer Fettaufnahme (durch Milchprodukte) eine geringere ß-Glucuronidase-Aktivität aufwiesen. Ausschlaggebender Faktor war hier höchstwahrscheinlich der höhere Faseranteil der Nahrung. (Vgl. 7)

Spannend ist auch folgende Beobachtung: Strikte Vegetarier haben eine erhöhte fäkale Ausscheidung von konjugierten Östrogenen im Vergleich zu Nicht-Vegetariern, was zu einer verringerten Östrogenkonzentration im Plasma führt. (8)

Nicht verwunderlich, oder? Denn Vegetarier essen in der Regel viel mehr Pflanzenfasern und Ballaststoffe als der durchschnittliche Omnivor. Und Pflanzenfasern fördern eher das Wachstum von Bakterien, die keine ß-Glucuronidase herstellen wie z. B. Prevotella. 

Aus Pflanzenfasern produziert das Darmmikrobiom kurzkettige Fettsäuren, die das Darmmilieu ansäuern. Folglich ist ein niedrigerer pH-Wert, also ein saures Millieu, mit niedrigerer ß-Glucuronidase-Aktivität assoziiert, während die Aktivität bei höheren pH-Werten zunimmt. 

Das kannst du zusätzlich tun

In der westlichen Welt haben schätzungsweise mehr Menschen ein Problem mit einer zu hohen ß-Glucuronidase-Aktivität als mit einer zu geringen. Das legt auch die Beobachtung nahe, dass „wenig entwickelte Länder“ (z. B. Afrika) deutlich niedrigere Raten an östrogenabhängigen Erkrankungen wie Brustkrebs haben. 

Wie dargelegt: Der Schlüssel ist möglicherweise die Darmgesundheit. Folgende weitere Maßnahmen bieten sich an: 

  • Bakterielle Überwucherung ß-Glucuronidase-produzierender Spezies (E. Coli, Bacteroides, Clostridien, Peptostreptokokken) angehen 
  • Mit probiotischen Supplements oder Lebensmitteln (Sauerkraut, Kefir, etc.) sowie Ballaststoffen (resistente Stärke, Pflanzenfasern etc.) eine Säuerungsflora schaffen
  • Giftstoffbelastungen reduzieren
  • Leberfunktion stärken (Bitterstoffe, Mariendistel)
  • ß-Glucuronidase-Aktivität hemmen mit Calcium-D-Glucarat (Supplement oder aus z. B. Äpfeln oder Zitrusfrüchten) (Vgl. 9)

Man kann generell ziemlich sicher davon ausgehen, dass auch hier wieder der Leitsatz gilt: 

Was dich gesund macht, macht auch das Mikrobiom gesund. 

  • Mehr Vitamin D, 
  • mehr Omega 3, 
  • Sport,
  • ein niedrig-normaler Körperfettanteil, 
  • Stressreduktion 

… und einige andere „Klassiker“ werden hier sicher auch helfen. 

Abschließende Worte 

Es gibt aber auch Menschen, denen eine leichte Erhöhung der ß-Glucuronidase-Aktivität gut täte.

Ich denke da direkt an besonders „gesundheitsbewusste“ junge Frauen, Sportlerinnen oder auch Frauen in den Wechseljahren, die  vielleicht vegetarisch oder gar vegan leben und unter eher niedrigen Östrogenspiegeln leiden. Etwas mehr tierisches Fett und Protein könnte da für den dringend benötigten Hormon-Boost sorgen. 

Es ist also eine Art Gratwanderung zwischen geringer und hoher Wiederaufnahme von förderlichen sowie schädlichen Substanzen.

Viel ß-Glucuronidase schenkt uns zwar z. B. genug Sexual- und Schilddrüsenhormone, erhöht aber auch die Exposition gegenüber Toxinen. Mit zu wenig ß-Glucuronidase sind wir vor diesen zwar recht gut geschützt, müssen aber eventuell auch ein niedriges Level an Sexualhormonen und die teils gravierenden Folgen davon in Kauf nehmen. 

Wie immer im Leben gilt: Balance is key. 

Quellen

1. Baker, J. M., Al-Nakkash, L. & Herbst-Kralovetz, M. M. Estrogen–gut microbiome axis: Physiological and clinical implications. Maturitas 103, 45–53 (2017).

2. Wei, Y. et al. Gut dysbiosis-derived β-glucuronidase promotes the development of endometriosis. Fertil. Steril. 120, 682–694 (2023).

3. Kwa, M., Plottel, C. S., Blaser, M. J. & Adams, S. The Intestinal Microbiome and Estrogen Receptor–Positive Female Breast Cancer. JNCI J. Natl. Cancer Inst. 108, djw029 (2016).

4. Reddy, B. S., Weisburger, J. H. & Wynder, E. L. Fecal bacterial beta-glucuronidase: control by diet. Science 183, 416–417 (1974).

5. Reddy, B. S., Engle, A., Simi, B. & Goldman, M. Effect of dietary fiber on colonic bacterial enzymes and bile acids in relation to colon cancer. Gastroenterology 102, 1475–1482 (1992).

6. Shiau, S.-Y. & Chang, G. W. Effects of Dietary Fiber on Fecal Mucinase and β-Glucuronidase Activity in Rats. J. Nutr. 113, 138–144 (1983).

7. Domellof, L. et al. Fecal sterols and bacterial beta-glucuronidase activity: a preliminary metabolic epidemiology study of healthy volunteers from Umea, Sweden, and metropolitan New York. Nutr. Cancer 4, 120–127 (1982).

8. Goldin, B. R. et al. Estrogen excretion patterns and plasma levels in vegetarian and omnivorous women. N. Engl. J. Med. 307, 1542–1547 (1982).

9. Dwivedi, C., Heck, W. J., Downie, A. A., Larroya, S. & Webb, T. E. Effect of calcium glucarate on beta-glucuronidase activity and glucarate content of certain vegetables and fruits. Biochem. Med. Metab. Biol. 43, 83–92 (1990).

Hallo, ich bin Annika. Schon in meiner Kindheit entdeckte ich meine tiefe Leidenschaft für Gesundheit, Medizin und Naturwissenschaften. Daher war es naheliegend, dass ich mich für das Studium der Biochemie entschied. Sowohl meinen Bachelor als auch meinen Master absolvierte ich an der renommierten Universität Tübingen. Nachdem ich eine Zeit lang als Labormanagerin in der Auftragsforschung gearbeitet habe, zog es mich weg von der Sterilbank und ich tauschte den Laborkittel gegen Sportleggins. In meiner Arbeit als Fitnesstrainerin und Ernährungsberaterin erweiterte ich sowohl meine Erfahrung als auch mein Wissen, das ich mittlerweile als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei edubily einbringen darf.

5 comments On Wie dein Mikrobiom deinen Östrogenspiegel beeinflusst

  • Sehr interessant. Danke für den guten Artikel!

  • Was für ein toller Artikel, vielen Dank! Leider ist Biochemie für mich ein Buch mit sieben Siegeln und ich wünschte, es gäbe hier mehr Frauenspezifische Themen (gibt es ja sonst schon kaum). Da auch mein Englisch nicht gerade der Wahn ist, ist es oft schwierig an solche Informationen zu kommen. Ich bin 44 und in der beginnenden Menopause und habe das ein oder andere Problem wie zum Beispiel schwache Nebennieren. Was ich mir schon alles von Ärzten anhören musste ist unter aller Sau, man wird als Frau ü40 anscheinend einfach in eine Schublade gesteckt; hysterische und depressiv oder so, aber nein, die Hormone müssen nicht gemessen werden, dafür sei ich viel zu jung!

    Dass ich das mit dem Calcium-D-Glucarat wusste, zeigt mir immerhin, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Auch DIM (Brokkoliextrakt) hat mir sehr geholfen und natürlich eine „bessere“ Ernährung.

    Nochmals Danke!

    Nochmals vielen Dank!

    • Vielen Dank für dein Lob :)
      Ich stimme dir bei allem was du sagst völlig zu! Gerade im deutschsprachigen Raum gibt es einfach noch viel zu wenig seriöse und nützliche Informationen über Frauengesundheit. Dabei muss man die Sache wirklich selbst in die Hand nehmen, da man wie du es beschreibst von Ärzten nur selten ernstgenommen wird bzw. diese einfach auch paradoxerweise nur wenig Ahnung von der Materie haben.
      Genau, DIM ist auch eine gute Option, da es die Bildung der harmloseren 2-Hydroxy-Metaboliten des Östrogens fördert.

  • Wow, richtig guter informierende Text! Hut ab für die gute wissenschaftliche Schreibweise!
    Ich kann den Inhalt aus der eigenen Praxis bestätigen. Als schlanke, aktive Frau mit einer jahrelangen rein pflanzlichen Ernährungsweise habe ich inzwischen sehr niedrige Östrogenspiegel. Jetzt weiß ich auch warum, danke!

    Tatsächlich sind Frauenärzte über diesen Mechanismus bislang kaum aufgeklärt, zumindest diejenigen nicht, die ich aufgrund meiner Symptomatik besucht habe (3 verschiedene!!).

    • Danke für dein tolles Feedback, Sandra!
      Ja, das ist erschreckend, wie wenig die Frauenärzte generell über das Hormonsystem wissen. Und dabei sollte man meinen, dass gerade die sich damit auskennen müssten! Umso mehr freut es mich, dass wir hier im Blog weiterhelfen und erklären können.

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