chrebp kohlenhydratschalter

Der unbekannte Kohlenhydratschalter

Immer, wenn wir über eine „Paleo-artige Ernährung“ schreiben, also eine Ernährung, die z. B. weitestgehend ohne (Weiß-)Mehl auskommt, hört man mindestens einmal:

Also ohne Brötchen und so verhungern wir ja! Was sollen wir denn sonst essen?

Abgesehen davon, dass man quasi *alles* essen kann – abzüglich Mehl –, die Frage daher ein bisschen albern ist, gibt es einen realen Hintergrund, warum Menschen es nicht verstehen können.

Daher verurteile ich Menschen, die so fragen, überhaupt nicht. Im Gegenteil: Leute, die so etwas schreiben, interessieren sich meistens ja wirklich für eine Ernährungsumstellung.

Die Kohlenhydratdominanz

Den meisten von uns geht es nämlich genauso, wir haben nur eine andere Einstellung dazu:

Sie haben einen aufgeblasenen Kohlenhydratstoffwechsel.

Sie sind metabolisch gefangen. Ihre Zellen sind jahrelang darauf trainiert, große Mengen Kohlenhydrate umzusetzen. Das war zunächst protektiv und gut!

Aber: Sie befinden sich stets in einer endlosen Spirale: Erst werden große Mengen Kohlenhydrate in die Speicher gedrückt. Die werden dann geleert. Und danach weiß die Zelle nicht, was sie ohne Glukose tun soll.

Folge: Kohlenhydrate erneut zuführen, sonst gibt’s den Hungerast, die miese Laune und einen Muskel, der wesentlich schlechter funktioniert.

Das Gemeine daran: Menschen sind unterschiedlich. Der eine kann viel Kuchen essen und enzymatisch trotzdem genug Enzyme des Fettstoffwechsels behalten, um eben nicht in diesen Kreislauf zu fallen.

Andere wiederum essen am Tag zwei, drei Brötchen und fahren so robust ihre Kohlenhydratmaschinerie in den Zellen hoch, dass die Zellen gar nicht mehr verstehen, wie man was anderes überhaupt verbrennt.

ChREBP: Der Kohlenhydratschalter

Zu verdanken haben wir dies u. a. einem sicher uralten „Kohlenhydratschalter“ in unseren Zellen, von dem die meisten vermutlich noch nie was gehört haben. Er nennnt sich

ChREBP.

Das ist die Kurzform für Carbohydrate-responsive element-binding protein. Es handelt sich dabei um ein Protein, das von Kohlenhydraten in der Zelle aktiviert wird und dann an die DNA bindet, um dort Gene zu (de-)aktivieren.

Das Ziel von ChREBP:

  • Proteine der Glykolyse (Zuckerabbau) hochfahren
  • Neubildung von Fetten aus Kohlenhydraten hochfahren
  • Proteine des Fettstoffwechsels eher runterzuregulieren

Alleine die ersten beiden Punkte reichen aus, um uns in der Spirale gefangen zu halten. Denn wenn die Zelle ihre kohlenhydatverarbeitende und fettaufbauende Maschinerie deutlich nach oben fährt, gibt es eben weniger Platz für den Fettstoffwechsel (= Fettabbau).

ChREBP ist dabei so mächtig, dass es offenbar sogar ganze Muskelfasertypen ändern kann. (vgl. Hanke et al. 2011)

Wir erinnern uns: Es gibt Muskelfasertypen, die eher oxidativ und ausdauernd belastbar sind, das heißt gut darin, auch Fette abzubauen (Typ-I und Typ-IIA-Fasern). Und solche, die viel Glykolyse (Zuckerabbau) machen und eher für schnellkräftige Bewegungen geeignet sind (Typ-IIX-Fasern).

ChREBP kann Muskelfasern so programmieren, dass sie sich wie ein glukosehungriger Sprintermuskel verhalten. Das ist gut, wenn man sprintet. Das ist nicht gut, wenn man am Schreibtisch sitzt und stoffwechselgesund bleiben will – dieser Muskel baut nämlich keine Fette ab. 

Wenn ChREBP krank macht

ChREBP ist eigentlich dazu da, uns gesund zu halten. Wie übrigens alle Proteine im Körper – auch die, die man mit Krankheit assoziiert. Das ist die paradoxe Natur der Biologie und hebt die Bedeutung von Umwelteinflüssen hervor.

Jedenfalls soll ChREBP bei hoher Kohlenhydratzufuhr den Kohlenhydratstoffwechsel optimieren, damit wir die Kohlenhydrate auch verarbeitet bekommen. Wie immer kann ein solches System in der Moderne entgleisen.

In Tiermodellen ist die ChREBP-Wirkung gut studiert. Dort hat man einfach Tiermodelle entwickelt, die ChREBP nicht (gut) bilden können. Mit folgenden Effekten, je nach Kontext (normalgefüttert, gemästet):

  • Niedrigere Fettmasse
  • Bessere Blutfette
  • Weniger Fettsynthese, weniger Fettleber
  • Weniger Entzündung und Fibrose (in der Leber)
chrebp effekte
Quelle: Sweet Sixteenth for ChREBP

Es gibt gute Hinweise darauf, dass ein chronisch hohes ChREBP die Bauchspeicheldrüse verfettet und so die Diabetesentstehung begünstigt. Außerdem steht ein hohes ChREBP auch beim Menschen in enger Verbindung zum metabolischen Syndrom, u. a. mit Leberverfettung. (vgl. Katz et al. 2021; Iizuka & Horikawa 2008)

Es ist aus Sicht der Stoffwechselgesundheit also nicht sonderlich förderlich, ein immer aktives ChREBP zu haben.

Viel ChREBP, wenig Fettstoffwechsel?

Die Spirale wird schnell zum Teufelskreis. Denn dem ChREBP entgegen stehen quasi alle Signalwege, die aktiv werden, wenn wir wenig essen, fasten oder wenige Kohlenhydrate essen – sprich der aktive Fettstoffwechsel.

Und das bringt uns zum Anfang dieses Artikels: Die meisten können sich enzymatisch nicht mehr aus der aktiven „ChREBP-Falle“ lösen, denn ihnen fehlt der enzymatische Unterbau dafür.

Heißt: Der Kohlenhydratstoffwechsel ist zu aufgeblasen. 

Das sorgt dann für die eingangs erwähnte Verwunderung bei Menschen, die z. B. Körper- oder Nahrungsfett nicht mehr gut als Energieträger nutzen können und stattdessen stets auf Nudeln, Brötchen, Brot usw. angewiesen sind.

Noch einmal: Glücklicherweise sind wir verschieden. Nicht jeden macht die hiesige Kohlenhydratmast stoffwechselkrank. Und nicht bei allen dankt der Fettstoffwechsel in ChREBP-Manier ab.

Gleichwohl wird ein Großteil der Menschen in diesem Land auf irgendeine Art metabolisch krank und sehr sicher wird bei den meisten ChREBP involviert sein, denn um (stoffwechsel-)gesund zu sein, braucht man einen gesunden Fettstoffwechsel.

Das heißt, ein aktives ChREBP sollte sich mit Zeiten abwechseln, in denen es stumm geschaltet ist – dieser Switch klappt bei vielen aber nicht mehr, weil sie zu abhängig vom Kohlenhydratstoffwechsel geworden sind. Genau deshalb gibt es Artikel von uns, die „Fettstoffwechsel trainieren“ titeln.

Ein Blick in die Vergangenheit

ChREBP ist ein für uns wichtiger Zellschalter. Denn mit ihm verstehen wir, was passiert, wenn wir von großen Mengen Kohlenhydrate abhängig werden und z. B. der Muskel verlernt, auch was anderes – z. B. Fette – zu oxidieren.

Doch wieso scheint dieses System zu entgleisen? Hierfür kämen – wie immer – zwei Aspekte infrage:

  1. Der Mensch hat in einem Großteil seiner Entwicklungszeit eben eher in einer kohlenhydratärmeren Umwelt gelebt. Machen z. B. Aborigines noch heute so.
  2. Wir essen eine ganz andere Kohlenhydratart heute.

Zu Punkt 1: Man könnte annehmen, dass es „archaische“ ChREBP-Varianten auch bei uns Europäern gibt, die sehr sensibel auf größere Mengen Kohlenhydraten reagieren. Vielleicht wie bei den Aborigines, die sehr, sehr schnell metabolisch krank bei modernem Essen werden.

Vielleicht gibt es seit der neolithischen Revolution auch neue ChREBP-Varianten, die auch bei kohlenhydratreicheren Kost „cooler“ bleiben und den Kohlenhydratstoffwechsel nicht überdrehen. Wäre ein Grund, warum manche auch bei Weizenmast einigermaßen gesund bleiben können.

Zu Punkt 2: Wir können davon ausgehen, dass es einen erheblichen Unterschied macht, ob wir unsere Kohlenhydrate aus zellulären Kohlenhydratquellen beziehen – also z. B. aus Kartoffeln und Obst –, oder ob wir aufkonzentrierte, azelluläre Stärke quasi in Reinform zuführen (Mehl und Co.).

Wie immer also: ChREBP hängt nicht nur davon ab, welchen Nährstoff wir essen, sondern was die Quelle ist. Das Verständnis dafür fehlt uns heute aber noch, weil die Forschung noch nicht so weit ist. Trotzdem können wir jetzt schon davon ausgehen, dass es genau so ist.

Unser Ziel

Nichts anderes ist mein Ziel. Ich will Menschen zeigen, was sie im Alltag gegebenfalls besser machen können, um eben nicht in solche Spiralen zu rutschen.

Und jeder, der genetisch nicht so beglückt ist, wird schon verstehen, dass es gar nicht so einfach ist, einem dominanten ChREBP-Kreislauf zu entkommen. Daher kann ich Einwände und Fragen gut verstehen.

Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass in diesem Land, in unseren westlichen Gesellschaften etwas ziemlich falsch läuft.

Und das zeigt die Forschung um metabolisches Syndrom heute mehr denn je: Natürlich kannst du auch mit der hiesigen Mehlkost irgendwie stoffwechselgesund bleiben. Geht, keine Frage, vor allem, wenn die Genetik passt und man sich ein bisschen Mühe gibt (Sport usw.).

Für viele klappt es traurigerweise halt nicht. Und die müssen das, was hier steht, verstehen. Sonst trifft einen irgendwann wörtlich der Schlag – und das war vermeidbar.

 

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

7 comments On Der unbekannte Kohlenhydratschalter

  • Wieder ein toller Beitrag !

    Einen großen Dank an Chris für seine fabelhafte Arbeit über all die Jahrte !

  • Hi Chris,
    es ist immer wieder faszinierend, wie hochkomplex der Körper mit all den unzähligen Stoffwechselvorgängen ist.

    Du schreibst unter anderem:
    »Das heißt, ein aktives ChREBP sollte sich mit Zeiten abwechseln, in denen es stumm geschaltet ist – dieser Switch klappt bei vielen aber nicht mehr, weil sie zu abhängig vom Kohlenhydratstoffwechsel geworden sind. Genau deshalb gibt es Artikel von uns, die „Fettstoffwechsel trainieren“ titeln.«

    Ich frage mich gerade, ob ich auch zu jenen gehöre, bei denen der Switch nicht mehr klappt, da meine Ernährung seit meinem 15. Lebensjahr fast durchgehend künstliche Trink- und Sondennahrung (als Ergänzung, nicht ausschließlich) beinhaltet.
    Wäre das denkbar?

    • Es ist einfach sehr schwer für dich hier eine Antwort zu finden, weil du so lange im starken Katabolismus lebst. Da geht es nicht mehr um einen „Switch“, weil du bildlich gesprochen bestimmte Hebel schon seit Ewigkeiten auf eine bestimmte Seite gedrückt hältst, was dich ja krank macht. Ich denke, die künstliche Trink- und Sondennahrung hat dich eher noch vor Schlimmerem bewahrt. Ich sage mal so: Wenn du etwas über einen funktionierenden Switch in deinem Körper wissen willst, dann schau einfach objektiv auf dich. Wer stark untergewichtig (oder das Gegenteil) ist, bei dem stimmen die Verhältnisse nicht mehr. Das, was für die meisten in diesem Land gilt, gilt halt nicht für dich.

      • Danke für deine Antwort, Chris!
        Wenn ich biochemische Dinge erfahre, was in meinem Körper da so anders als bei gesunden Menschen läuft, hilft mir das oft weiter. Daher bin ich froh über jede Info und schätze deine Hilfestellung enorm!

        Also wenn ich objektiv auf mich schaue, dann sehe ich eine ausgemergelte, verzogene, krumme Gestalt, bei der innen und außen schon alles mögliche atrophiert ist und kaum mehr etwas funktioniert und die sich mühevoll in Zeitlupe bewegt.

        Eigentlich wollte ich das nicht unbedingt öffentlich schreiben, aber nehme es in Kauf, um mit dir schreiben zu können.

    • Hey Melanie,
      ja, du brauchst hier nicht „blank“ zu ziehen, ich kenne deine Geschichte ja in Ansätzen und habe auch ein passendes Bild. Ich bin nur die falsche Ansprechperson, weil du vor Ort einfach kontrollierte Betreuung brauchst, damit du jemanden hast, der dir hilft, objektiv zu bleiben. Abgesehen davon bist du auch ganz bestimmt keine „verzogene, krumme Gestalt“, bei der schon alles mögliche atrophiert ist. Du hast noch eine potenziell lange Lebensspanne vor dir und du bist ganz sicher noch im Stande, deinen Weg zu korrigieren, auch wenn du schon lange auf dem nicht so optimalen Weg unterwegs bist und offenbar selbst nicht so richtig dran glaubst.
      Beste Grüße

  • Beeindruckend klar, diese Gedankenführung. Purer Genuss. Das Gefühl, dass alles rund wird und das substanziell Neue an das bereits Erlesene nahtlos anschließt: unbezahlbar!

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