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Teil 2: Sind Tierprodukte schädlich?

Newsletter vom 18.04.21

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In unserem letzten Blog-Post, der eigentlich als Newsletter erscheinen sollte, legten wir dar, warum es naheliegt, dass der Mensch Tierprodukte braucht, um überhaupt vollumfänglich gesund sein zu können – Hintergrund ist auch, dass der Mensch sehr wahrscheinlich nur deshalb Mensch geworden ist, weil unsere Vorfahren vor 3,5 Mio. Jahren dazu übergingen, vermehrt tierische Produkte zu konsumieren.

Sollte dich diese Aussage triggern, dann lies bitte erst mal den Beitrag. 

Heute wollen wir mal etwas ausführlicher darlegen, warum es auch ein Zuviel des Guten gibt und warum der Konsum von Tierprodukten im Zusammenhang mit Erkrankungen zu stehen scheint. Exemplarisch gehen wir dabei auf das Ziel vieler Ernährungsbemühungen ein, nämlich die Wiederherstellung der Stoffwechselgesundheit. 

Warum gibt es Diabetes? 

Um das zu verstehen, müssen wir zunächst mal wieder einen Blick auf unsere Evolution werfen. Die Frage, warum der Mensch überhaupt einen Diabetes entwickelt, beschäftigt viele Forscher. Diabetes – wohlgemerkt: Typ-2-Diabetes, also Wohlstandsdiabetes – gibt es bei natürlich lebenden Menschen in der Wildbahn nicht.

Seit vielen Jahren wird daher diskutiert, dass die Anfälligkeit gegenüber solchen Stoffwechselentgleisungen, und Typ-2-Diabetes ist sozusagen die Endstufe davon, ein maladaptives Überbleibsel unserer Jäger-und-Sammler-Vergangenheit ist (Q). Denn man muss sich vorstellen:

  • Energieflut gab es in der Wildbahn nicht.
  • Zucker in Reinform gab es nicht.
  • Kohlenhydrate und Stärke im Allgemeinen gab es in den Mengen, in denen wir es dank Bäcker und Co. konsumieren, auch nicht.

Entsprechend finden sich auch in uns noch alte Genvarianten, die beispielsweise die Zuckeraufnahme in den Muskel drosseln (Q). Das diente als Überlebensstrategie in einer Welt, wo es eben keinen Zuckerbaum und keine Brötchen gab. Hinzu kommt, dass die Evolution sehr sicher auch dahingehend selektiert hat, dass der Mensch relativ viel Glukose in der Leber selbst bilden kann – eine Gluconeogenese (= Zuckerneubildung), die Gas gibt, kann man in einer Welt, in der es keinen Bäcker und keine Cola gibt, gut gebrauchen.

Unsere Jäger-und-Sammler-Gene sind schuld

Tatsächlich wird dies den meisten von uns zum Verhängnis. Ein Muskel, der evolutiv bedingt darauf getrimmt ist, nicht allzu viel Zucker aufzunehmen und eine Leber, die konstant viel Zucker in den Blutkreislauf pumpt, gepaart mit der Energieflut, die wir heute mit unserem modernen Essen haben, überfordern den Energiestoffwechsel. All jene Punkte – schlechte Zuckeraufnahme in den Muskel (Insulinresistenz), eine gesteigerte Gluconeogenese in der Leber, zu viel Fett auf den Hüften (Lipotoxizität) – sind so genannte Hallmarks, also Eckpfeiler moderner Stoffwechselentgleisungen bis hin zum Diabetes. 

Übrigens ist das keine Seltenheit in der Natur. Katzen können als Hyperkarnivoren unter domestizierten Bedingungen auch Diabetiker werden. Diese Tiere haben nämlich zuckerhungrige Sprintermuskeln – „leider“ fressen Hyperkarnivoren nur Fleisch, weswegen diese ganze Glukose für die Muskeln in der Leber über die Zuckerneubildung aus Protein gebildet werden muss. Die Leber dieser Tiere produziert unablässig selbst Zucker aus Protein – gibt man diesen Tieren dann obendrauf Kohlenhydrate zu essen, gibt’s den metabolischen Supergau (Q).

Bei uns Menschen ist das Ganze nicht derart ausgeprägt, eben weil wir keine Karnivoren sind. Allerdings gilt, dass größere Mengen an Tierprodukten im Allgemeinen nur im Kontext einer solchen „Ur-Ernährung“ funktionieren, also in einer Ernährung, wo es keine allzu große glykämische Last in Form von großen Mengen Zucker und Kohlenhydraten gibt. Kombiniert man das Rind allerdings mit dem Brötchen, isst man dazu noch eine Pommes und spült es mit einer Cola runter, kann es im Kontext einer sowieso energieüberladenen Ernährung übel werden.

Das Veganismus-Prinzip 

Um zu verstehen, warum die moderne Kombination an Nahrungsmitteln krankmacht, wollen wir mal nach Kalifornien blicken, zum Institute of Longevity of the School of Gerontology an der University of Southern California in Los Angeles, wo der mittlerweile bekannte Langlebigkeitsforscher Valter Longo Direktor ist. Der will etwas rausgefunden haben: Fasten, das ja bekanntlich gesund und alt macht, lässt sich dadurch mimen, dass man quasi rein pflanzlich isst. Denn das, so Longo, würde Langlebigkeitsgene in uns aktivieren, die man eigentlich nur durchs Fasten oder die Kalorienrestriktion aktiv bekommt. (Vgl. Q)

Hier steckt was Entscheidendes drin: Wir, die modernen, energieüberfrachteten und damit stoffwechselkranken Menschen, werden natürlich dadurch stoffwechselgesund, dass wir diese Gene wieder aktiv bekommen – durch Gewichtsverlust, also durch Kalorienrestriktion, Fasten oder … pflanzenbasierte Ernährungsformen. 

Um die therapeutischen Effekte einer pflanzenbasierten Ernährung zu verstehen, muss man also verstehen, dass sie wirken wie fasten. Man lässt den Körper also „hungern“ ohne zu hungern. So kann ein Mensch wieder stoffwechselgesund und entsprechend alt werden. Damit sich der Kreis an dieser Stelle allerdings ordentlich schließt, müssen wir noch verstehen, warum der Entzug von Tierprodukten im modernen Kontext zu solchen netten Erscheinungen führt.

Wir brauchen ein niedriges Insulin

Die Quintessenz der Gesundheit, also quasi der Schlüssel zu Langlebigkeit, Gesundheit und Stoffwechselgesundheit, ist ein niedriges Insulin. Wenn uns gelingt, das Insulin niedrig zu halten, haben wir einen entscheidenden Schlüssel für uns entdeckt. Dies scheint über zwei Wege zu gelingen:

  • Entweder wir leben wie unsere Vorfahren und verzehren Tierprodukte ohne eine große glykämische Last, sprich nur ergänzt mit Obst und Gemüse …
  • oder wir entziehen unserem Speiseplan Tierprodukte und können dann auch viele Kohlenhydrate essen.

Unter diesen Bedingungen gelingt es dem Körper jeweils, seine Stoffwechselgesundheit zu wahren. Hintergrund ist: Tierprodukte haben die Eigenheit, erstens, den Stoffwechsel mehr in Richtung Anabolismus (Aufbau) zu verschieben (Beispiel L-Carnitin) und zweitens, mehr in Richtung Fettverbrennung zugunsten einer unterdrückten Kohlenhydratverbrennung (Beispiel Eisen; macht Sinn im Kontext unserer Evolution, siehe oben).

Beides schwächt allerdings die Insulinwirkung ab, weswegen der Insulinspiegel unweigerlich ansteigen wird, sobald die glykämische Last der Ernährung steigt. Nehmen wir diesen „Druck“ dadurch, dass wir Tierprodukte vom Speiseplan streichen, sinkt bei hoher Kohlenhydratzufuhr auch das Insulin und wir werden stoffwechselgesund. Aha!

Wenn Veganismus stoffwechselgesund, aber krank macht

Zu guter Letzt stellt sich die Frage, welche Lebensweise uns besser bekommt. Denn klar ist: Stoffwechselgesundheit ist das eine. Zu einer vollumfänglichen Gesundheit gehört aber ein bisschen mehr, beispielsweise ein fittes Immunsystem, eine gute Libido und ein gesundes, sprich antriebsreiches Gehirn. Dafür braucht es möglicherweise Stoffe, die man nur in Tierprodukten findet.

Hierfür sollte man verstehen, dass dies individueller nicht sein könnte. Genetisch betrachtet gab es für uns Europäer in den letzten Jahrtausenden Änderungen auf dem Speiseplan. Während wir über quasi 99,5 % unserer Entwicklungszeit Jäger und Sammler waren, setzten sich seit der landwirtschaftlichen Revolution, beginnend in Anatolien vor rund 10.000 Jahren, zunehmend Gene durch, die Anpassungen an eine pflanzliche Kost liefern.

Ackerbau und Landwirtschaft kamen mit einem Südwest-Nordost-Gefälle vor rund 7000 bis 4000 Jahren in Zentraleuropa an. Daher finden sich in modernen europäischen Populationen sowohl Jäger-und-Sammler-Gene als auch Gene von den „frühen Landwirten“ – eine „Ur-Population“ dieser Landwirte sind die Sarden, die wohl mit am besten an pflanzenbasierte Kostformen adaptiert sein dürften. (Vgl. Q)

Ob jemand also vegan leben kann oder sich doch besser für eine „Paleo-Ernährung“ entscheiden sollte, liegt nicht so sehr an den jeweiligen (Gesundheits-)Zielen, sondern eher daran, ob er mit der entsprechenden Ernährungsform klarkommt. Denn Fakt ist, dass möglichst naturbelassene Nahrungsmittel (= ohne Zutatenliste) aus Stoffwechselsicht je nach Stoffwechseltyp nicht krankmachend sind.

Aber: Tierprodukte haben ein inhärentes Potential, im falschen Ernährungsetting Stoffwechselentgleisungen zu begünstigen. Triebfeder dafür sind allerdings die aus evolutiver Sicht „neuen“ Pflanzen(-teile), in Form von hoher glykämischer Last und möglicherweise auch aufgrund der enthaltenen Antinährstoffe (Q). Genannt seien an dieser Stelle vor allem Gräser, also Getreide.

Ein abschließendes Wort 

Leider gelingt es den wenigsten Menschen, aus einer statischen Perspektive ein dynamisches Bild zu formen. Selbst jemand, der Tierprodukte isst, isst nicht jeden Tag ein Kilo Steak. Umgekehrt kann man sich pflanzenbasiert ernähren, und trotzdem geschickt mit Tierprodukten ergänzen. Wie auch immer man isst: Gesunde Ernährungsformen zeichnen sich dadurch aus, dass sie es uns leicht machen, weniger zu essen und dadurch ganz nebenbei die Kalorienzufuhr zu drosseln (Q). Drum ist auch Paleo manchmal einfach nur ein getreidefreier Veganismus, der mit Fleisch ergänzt wird ;-)

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

3 comments On Teil 2: Sind Tierprodukte schädlich?

  • Wie halte ich es dann als Ausdauer- und Kraftsportler?
    Ich komme auf gut 12Stunden Ausdauersport und 3Std. Krafttraining die Woche. Lange Trailläufe erfordern bereits im Grundlagentempo mind. 90g KH/Std. Im Sweetspot geht das deutlich über 100 KH und muss Stündlich nachgeschoben werden.
    Vegan möchte ich deshalb nicht Leben und die hohen KH Mengen sind nötig für den Sport. Führt das zwangsläufig zur Entgleisung?

    • Wie will denn dein Stoffwechsel bei dem vielen Sport entgleisen?
      Entgleisen kann der ja nur, wenn die Zelle dauerhaft mit Energie überfrachtet wird und das geht eben nur mit hoch-verarbeiteten Lebensmitteln mit Zutatenliste aus dem Labor.

      Um bei dem vielen Sport aber die Zelle zu überfrachten (und übergewichtig zu werden) müsstest du schon fressen wie Michael Phelps in seinen Hochzeiten (also so 7-12.000 kcal pro Tag).

      Also: Mach dir keine Sorgen und mach weiter so!

      LG Jens

  • Sehr aufschlussreicher Artikel, um den Zusammenhang noch besser nachvollziehen zu können.
    Lieben Dank für deine Zeit und Mühe, die du für uns wieder einmal investiert hast.

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