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Du bist (sehr wahrscheinlich) kein Inuit

Newsletter vom 06.12.20 


Wir sind immer wieder verdutzt, wenn wir eine große Fragerunde bei Instagram (dort solltest du uns folgen) starten – so wie in der vergangenen Woche. Da geht man davon aus, dass manche Sachverhalte schon lange im kollektiven Bewusstsein verankert sind… aber weit gefehlt!

Genvarianten machen uns zum Individuum

So ein Sachverhalt ist beispielsweise, dass verschiedene Ethnien, verschiedene Populationen, die diese Welt an vielen unterschiedlichen Orten besiedeln, andere Ernährungsbedürfnisse haben und andere Voraussetzungen, um mit bestimmten Ernährungsformen zurechtzukommen.

Das ist keine Raketenwissenschaft: In Populationen können sich förderliche Genvarianten extrem schnell verbreiten, weswegen es gar nicht so viele Generationen braucht, um eher besser oder eher schlechter mit bestimmten Ernährungsformen umgehen zu können. Gensignaturen, die für bestimmte Populationen charakteristisch sind, findet man aber nicht nur mit Blick auf Ernährungsbedürfnisse.

So haben Europäer beispielsweise Gensignaturen, die man vorwiegend in europäischen Populationen findet. Eine solche Genregion mit dem Namen IBD5 (Inflammatory Bowel Disease 5), die auf deutsch übersetzt den „amüsanten“ Namen Entzündliche Darmerkrankung 5 trägt, findet man bei Europäern besonders häufig.

Hintergrund ist: Die Verbreitung förderlicher Gene kann auch dazu führen, dass „benachbarte“ Gene oder Genregionen mitgeschleppt werden („genetic hitchhiking“), die nicht ganz so toll sind. Daher auch der Name dieser Genregion: Europäer neigen leider dazu, schneller entzündliche Darmerkrankungen zu bekommen.

Doch zurück zur Ernährung. Es gibt eine Vielzahl an Genvarianten, die aufzeigen, dass unterschiedliche Populationen an andere Ernährungsformen angepasst sind. Eine Studie in der renommierten Fachzeitschrift Science schreibt dazu:

Grönländisches Genom signalisiert fettreiche Ernährung

Die evolutionären Folgen des Lebens in einer herausfordernden Umwelt, lassen sich an den Genomen der Grönland-Inuit ablesen. Fumagalli et al. haben Zeichen der Selektion auf genetische Varianten im Fettstoffwechsel gefunden, und zwar nicht nur für die stärkere Bildung hitzeproduzierender brauner Fettzellen, sondern auch für den Umgang mit den großen Mengen mehrfach ungesättigter Fettsäuren (Anm.: z. B. Omega-3-Fettsäuren) aus ihrer Meeresfrüchtekost (siehe die Perspektive von Tishkoff). Gene, die in diesen Populationen selektiert werden, haben einen starken Einfluss auf Größe und Gewicht von bis zu 2 cm bzw. 4 kg, sowie eine schützende Wirkung auf den Cholesterin- und Triglyceridspiegel.

Spannend, nicht wahr? Wenn du also ein Inuit bist, kannst du den ganzen Tag Robbenfett futtern und bleibst (einigermaßen) gesund. Genvarianten sei Dank.

Du bist (wahrscheinlich) kein Inuit

In den Werken von Weston Price bzw. in der deutschen Verarbeitung davon in Form von A. von Hallers „Gefährdete Menschheit: Ursache und Verhütung der Degeneration“, liest man gleichermaßen Spannendes:

„Langwierige Magenleiden, Dyspepsien sah ich niemals bei jenem Teil der Bevölkerung, der von Fleisch, Fisch und Tang lebte, während sie sehr häufig waren unter den Eingeborenen, die in der Kolonie wohnten und sich von Ladenkost ernährten.“

Doch es geht noch weiter:

Bei einseitiger Brot-, Zucker-, und Grützekost entstand auch bei den Eskimos eine eigenartige schwammige Fettigkeit, die unter den Leuten draußen unbekannt war. Durch die Landeskost hielt man sich schlank und leicht.

Doch dann kommen die unterschiedlichen Gene ins Spiel, so liest man ein paar Zeilen später:

Wie es kein allgemeinverbindliches Rezept gibt, so lassen sich aus der Kenntnis einer auch noch so zweckmäßigen Kost eines einzigen Volkes keine allgemeinen Schlüsse ziehen. Wenn z. B. Inlandstämme der Eskimos bei intensiver Fleisch-Fett-Ernährung kaum Arteriosklerose kennen, so erkranken Kirgisen bei ähnlicher Kost verhältnismäßig früh an diesem Leiden.

Das konnte man also schon vor 100 Jahren – so ganz ohne Kenntnis über Genetik und Co. –  erahnen.

„Traurigerweise“ ist es so, dass die meisten von uns nicht aus geschlossenen Populationen kommen. Viele von uns, die in Europa leben, haben zwar typisch europäische Gensignaturen, aber wer mal seine Gene analysiert, wird mit Staunen feststellen, dass man Teile der eigenen Genetik verstreut über halb Europa findet.

Du musst ausprobieren!

Es ist daher anhand solcher Beschreibungen unmöglich, festzustellen, wie man sich am besten ernähren sollte. Zu guter Letzt daher noch das Schöne: Der Körper ist so schlau, dass er aus diesen Genfetzen längst einen „Sinn“ geformt hat. Das brauchen wir nicht mehr zu tun.

Jeder, der viel ausprobiert, wird irgendwann schon wissen, was ihm guttut, was er braucht, und was er eher nicht verträgt. Nur sollte man aufhören, ständig nach noch besseren Ernährungsformen zu suchen oder sich immer weiter von irgendwelchen Leuten und Strömungen beeinflussen lassen, die es wieder besser oder sogar am besten wissen wollen.

Übrigens: Gemeinsames Merkmal aller Menschen auf dieser Welt ist, dass keine Population vor uns (ohne Vitaminpräparate und Co.) rein pflanzlich gelebt hat. Wer jetzt ein bisschen das Abstraktionsvermögen bemüht, wird vielleicht drauf kommen, dass es Ernährungsformen gibt, die ganz sicher für keinen Menschen auf dieser Welt geeignet sind ;-) Zum Glück kann man sich gedanklich in Fantasiewelten der Ernährungswissenschaften stürzen. Aber das macht auch nicht gesünder.

PS: Es gibt übrigens einige Artikel von uns über die Inuit. Beispiel: Schon gewusst, dass Inuit eigentlich gar keine Ketone bilden können?

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

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