Genetisch

Tut mir leid, aber ich kann es nicht mehr hören: Seit dass wir Epigenetik kennen, ist die Aussage „genetisch bedingt“ nichts mehr wert.

Epigenetik oder Nutrigenomik impliziert, dass wir unsere Gene so manipulieren können, wie uns das zusagt. Zumindest wird diese Aussage so häufig benutzt, wenn es um die Änderung des Lebensstil geht: Du hast dein Leben selbst in der Hand.

Aber, wie so häufig werden Dinge nicht wahr formuliert, sondern maßlos überspitzt.

Ähnlich einer Werbung, wo es darum geht, eine Wirkung eines Produktes zu erklären. Dort wird auch selten die Wahrheit erzählt, sondern eher Wahrheit² oder Wahrheit³.

Ich stelle mir die Frage: Wieso können wir Menschen diverse Limitierungen nicht einsehen?

Wir haben das Genom entschlüsselt und herausgefunden, dass es nicht nur das Genom gibt, sondern auch die Regulation des Genoms, was letztendlich darüber entscheidet was exprimiert wird.

Aber an dieser Stelle muss ich sagen: Auch wenn das stimmt und Gene reguliert werden, dann werden Gene doch auch reguliert durch andere Gene, es bleibt also doch insgesamt ein Gen-Gen-Produkt, quasi eine DNA, die sich selbst modifiziert.

Und diese Modifikation, das stimmt, beruht auch auf Umwelteinflüssen.

Aber das hat alles seinen Rahmen. 

Genetische Mutation ist „the driving force“ hinter Darwins Theorie, hinter natürlicher Selektion. Nur wenn eine Art Varianz zeigt, phäno – und somit auch genotypisch, kann dieser Mechanismus der Evolution überhaupt greifen. Es war das Gen und auch das Gen-Produkt, das dafür sorgte, dass wir heute Mensch sind.

Wir sehen sogar noch innerartliche Variation. So wissen wir seit einiger Zeit, dass alle Neanderthaler-Gene in sich tragen, deren Vorfahren Afrika verlassen haben. Es gibt also durchaus noch Individuen in Afrika, die eine reine Sapiens-DNA haben.

Und das kann man messen.

Ende Januar dieses Jahres konnten wir erfahren, dass wir Neanderthaler-Gene in uns tragen, die wohl beteiligt sind an phänotypischen Erscheinungen wie Haare, Fingernägel und Haut.

Problematisch wird es aber, wenn wir abstreiten wollen, dass auch Erkrankungen im Zusammenhang mit Gen-Veränderungen stehen bzw. postulieren, dass wir durch „lifestyle choices“, genetisch bedingte Krankheiten vorbeugen können oder abstreiten, dass es so etwas wie „genetisch bedingt“ überhaupt gibt.

Das ist ein Stück weit Resignation, aber auch ein Stück weit Ehrlich-sein zu sich selbst.

Dieses Ehrlich-sein zu sich selbst ist Teil einer Entwicklung von Bewusstsein, anerkennen, dass wir nicht in einer idealisierten Welt leben, in der wir tun und lassen können, was wir wollen – auch auf genetischer Ebene.

Dieses Beispiel wird dann deutlich, wenn man versucht einzugreifen und dann Fehler macht.

Es ist richtig: Viele Zellen sind chronisch unter-methyliert und benötigen die von uns zugeführten Methyl-Donatoren.

Aber wusstest du auch, dass es Erkrankungen des Stoffwechselapparates des Gehirns gibt, die durch über-methylierung gekennzeichnet sind?

Oder was ist, wenn in einer Promotor-Region eines wichtigen Anti-Krebs Gens plötzlich eine Mutation auftaucht?

Dagegen kannst du absolut nichts machen. Zumindest gegen diesen Faktor.

Natürlich kannst du hoffen und sollst darauf bauen, dass das Gebilde Krebs multidimensional und multiperspektivisch ist und es noch andere Mechanismen gibt – die es tatsächlich gibt – die einen Krebs ausschalten können.

Aber: Durch die Mutation im Anti-Krebs Gen wurdest du anfällig für Krebs.

Dürfen wir uns selbst ständig belügen, um in dieser Lüge, in dieser Seifenblase dann schein-glücklich zu sein? Wie jemand, der darauf hofft, dass nach dem Leben ein anderes Leben im Paradies kommt?

Ich bin der Meinung: Souveränität und Bewusstsein bedeutet auch, Fehler im System anzuerkennen, zu akzeptieren und zu intervenieren, aber ohne dabei eine Wahrheit auszusprechen – ohne dabei die ultimative Lösung finden zu wollen und anderen anzubieten. Denn diese wird und kann es nicht geben.

Für einen multidimensionalen Grund kann es keine monodimensionale Lösung geben.

Das beinhaltet aber auch, dass wir anerkennen müssen, ständig differenziert zu denken und das ist ein energiefressender Prozess. Niemand möchte „viel denken“, nein, wir wollen eine Wahrheit, eine ultimative Lösung – und das am besten für alles.

Ein Reifeprozess sollte sich vollziehen, wir sollten das Obige anerkennen, anerkennen, dass es sehr wohl genetische Neigungen gibt, dass es sehr wohl so etwas wie „genetisch bedingt“ gibt.

Aber, das habe ich bereits angedeutet, so multidimensional wie die Probleme im menschlichen Körper, so multidimensional und vielfältig können auch Lösungsmöglichkeiten sein – resignieren muss niemand.

Aber ehrlich sollte man sein – vor allem ehrlich zu sich selbst.

 

 

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

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