… erreicht man beim Rezipienten, wenn man immer und immer wieder dasselbe (oder: denselben Quatsch) wiederholt.
Wenn also ein Mediziner rund um die Uhr warnt, muss man sich als Biologe fragen, ob der in den Biologie-Stunden gepennt hat. Denn wirklich jedem mit ein bisschen Gefühl für Biologie, muss klar sein, dass es zur Abstumpfung kommt. Man kann also einen Knopf nicht hundertmal hintereinander drücken und immer wieder die gleiche Reaktion erwarten. Im Gegenteil spricht man dann von Verdrossenheit. Die Leute befassen sich nicht mehr damit.
Natürlich kann man das Phänomen der Abstumpfung umgehen, indem man sich immer wieder neue Horror- und Schreckensszenarien ausdenkt, um die Psyche wirklich von allen Seiten zu tackeln.
Nur, damit wir uns richtig verstehen: Warnen oder sensibilisieren ist oft wichtig. Man sollte sich allerdings darüber im Klaren sein, dass es sich dabei um ein kostbares Gut handelt, mit dem man am besten sorgsam umgeht. Wenn ich ein eher ängstlicher, sorgenvoller Wissenschaftler bin, sollte ich mir der Ehrlichkeit und Sachlichkeit halber überlegen, ob ich so das Seelenleben der Massen meiner Zuhörer einfärben will.
Speziell unserer Medien- und Informationslandschaft kommt hier eine Sonderrolle zu. Sie tragen im Grunde eine große Verantwortung, denn sie kontrollieren zu weiten Teilen, wie sensitiv die Masse weiterhin auf bedeutsame Nachrichten reagiert. Sie steuern, wie offen und bereit Menschen sind, sich auch wirklich mit solchen Informationen auseinanderzusetzen. Dies gewinnt an Bedeutung, wenn man versteht, dass wir im Zeitalter des Informationsüberflusses leben.
Analog zu Fettleibigkeit (obesity) beim Menschen, wo die Gewebe z. B. resistent gegenüber wichtigen Hormonen wie Insulin werden, gibt es auch bei der Information eine Überlastung der (kognitiven) Systeme, mit o. g. Folgen. Die Literatur spricht in diesem Zusammenhang von infobesity. Die Rolle der Medien ist es, uns mit qualitativ hochwertigen „Info-Kalorien“ zu versorgen. Nicht mehr, nicht weniger.
Qualität: Hart zu sich selbst, weich zu anderen
Da ich selbst als Autor tätig bin und quasi Teil dieser Informationslandschaft bin, sind mir gewisse Standards wichtig – und umgekehrt habe ich einen anderen Blick auf das Handwerk vieler Journalisten, Redakteure und Autoren. Was mir besonders aufstößt:
- Wenn man andere Menschen nicht ernst nimmt.
Das zeigt sich dadurch, dass wir „Experten“ zitieren, und damit zeitgleich der Diskurs beendet wird – dadurch erzeugen wir automatisch eine Hierarchie, obwohl wir als Autoren (!) oft nicht mehr wissen als unser Gegenüber. Das zeigt sich auch dadurch, dass wir anderen die Mündigkeit absprechen, indem man sie bevormundet. Und es zeigt sich dadurch, dass ich sie in Schubladen packe, ohne zu verstehen, dass dahinter oft Ängste und Nöte, sprich reale Bedürfnisse realer Menschen stecken. Besonders sensibel reagieren Menschen dann, wenn man zur Bewertung ihres Verhaltens den Maßstab wechselt – Doppelstandards sind nie gut, über Kontextabhängigkeit sollte aber immer gesprochen werden.
- Wenn man keine knallharte und ehrliche Recherche an den Tag legt.
Als ausgebildeter Naturwissenschaftler geht mir das ganz besonders gegen den Strich. Wenn ich von oder über etwas berichte, dann müssen vor allem die „harten und schweren Punkte bzw. Argumente“ – also der Grund, warum ein Leser überhaupt den Artikel lesen will – extrem gut, wasserdicht, nachvollziehbar und logisch belegt sein. Das heißt: Je härter ich argumentiere, umso besser muss meine Beweisführung sein. Das heißt auch: Ich sollte nicht einfach immer bei anderen abschreiben, auch wenn es gut klingt.
Zum einen haben wir jetzt aber ein Problem: Damit die Leute im Überfluss dieser Infolandschaft überhaupt noch Artikel lesen, wird in vielen Fällen dick aufgetragen – dicker als es die Beweislage eigentlich zulässt. Zum anderen sind die Journallien unserer Zeit oft damit beschäftigt „Fake News aufzudecken“ – sie wollen z. B. unbedingt belegen, dass in Berlin nur 20.000 Demonstranten waren. Sie geben also das Korrektiv.
Wer ist das Korrektiv?
Wer aber bestimmt, wer oder was das Korrektiv sein soll und sein darf? Wer korrigiert das Korrektiv? Auch hier zeigt sich, dass unsere Informationslandschaft oft selektiv und tendenziös prägt. Denn: wenn eine Medienlandschaft für sich in Anspruch nimmt, das Korrektiv zu sein, weiß man, dass es bereits zu einer Färbung der Berichterstattung gekommen ist. Denn mal Butter bei die Fische: Bei wie vielen Themen gibt es definitiv. eine. korrekte. Antwort?
Hinzu kommt, dass man als Korrektiv ganz schnell einen großen Fehler macht: Man unterliegt dem Dunning-Kruger-Effekt. Man weiß nicht, dass man inkompetent ist – denn um das zu wissen, muss man kompetent sein. Deshalb hüten sich gerade Wissenschaftler quasi immer davor, sich definitiv festzulegen. Aber die Autoren unserer deutschen Redaktionslandschaft können das?! Warum der Schuss oft genug nach hinten losgeht, hat uns das Social-Media-Team von Quarks eindringlich demonstriert.
Daher täte es der allgemeinen „Informationspolitik“ gut, einen Gang runterzuschalten, wieder etwas empathischer den Mitmenschen gegenüber zu werden und vor allem: statt die Nase vier Meter über dem Boden zu tragen, lieber immer und immer wieder die eigenen (Qualitäts-)Standards auf den Prüfstand zu stellen.
- Autor und journalistisch tätig zu sein, bedeutet nicht, hauptsächlich das zu zitieren und zu referenzieren, was ich für richtig halte.
- Es bedeutet nicht, blind und unkritisch „Experten“ zu zitieren, und dadurch Diskussionen beenden zu wollen.
- Und es bedeutet auch nicht, bewusst oder unbewusst Meinungen zu formen.
- Erst recht bedeutet es nicht, andere („Andersdenkende“, auch wieder so ein Unwort) zu diffamieren, und Konnotationen zu erfinden und herzustellen, damit man sich weitere Diskussionen sparen kann. Zu fragen, für Fragen offen zu bleiben und Fragen auch laut zu äußern, darf nicht negativ besetzt sein!
Jeder macht Fehler
Denn jeder macht Fehler. Nur, dass die sich in so sensiblen Bereichen später nur noch schwer korrigieren lassen – oder gerne untergehen. Die Korrektur von falscher, unwahrer bzw. nicht-korrekter Berichterstattung wird nur noch von einem Bruchteil jener Leser wahrgenommen, die die ursprüngliche Fehler-News gelesen haben. Soeben korrigiert der Spiegel einen seiner Artikel. Immerhin. Doch keine unvernünftigen Menschenmassen, die die spanischen Strände verstopfen ;-)
1 comments On (Medien-)Verdrossenheit
Ja so ist es leider. Was wurden am Anfang einige Experten, denen man das Expertentum verleugnet hat, angeprangert. Die Luftverschmutzung in Italien war nicht schuld, hat man geschrieben. Den Herrn Professor als Unwissenschaftlich gebrandmarkt, aber immerhin unter dem Artikel dann eine update geschrieben, dass dies dann doch stimmig war, seine Gedanken. Alles was nicht RKI Konform oder Drostenkonform war wurde von den Medien abgebügelt. Man hat Korrektiv gehandelt und genau so geschrieben wie du es dargestellt hat. WHO hat gesagt, RKI hat gesagt…der Mann hat unrecht. Ich glaube da werden sich einige Sachen bzgl Corona im Nachinein evtl als Richtig erweisen, was die Nörgler, Zweifler gesagt haben. Nur werden denen Genugtuung erwiesen, denen man – auf deutsch gesagt- ans Bein gepi…t hat? Leider nein.