Wissen Leser was Populärwissenschaft ist?

Derzeit herrscht im Internet ja die Tendenz, alles in „wissenschaftlich“ und „nicht-wissenschaftlich“ zu untergliedern.

Was soll das?

Die meisten, die das tun, sind noch komplett grün hinter den Ohren, tun aber so als hätten sie reihenweise in Nature publiziert. Nur die Allerwenigsten davon werden überhaupt mal in den Genuss kommen, in einem Nature-Lab zu arbeiten.

Aber sie wissen natürlich ganz genau, was „Wissenschaft“ oder „wissenschaftlich“ bedeutet.

Dieses spießige Gelabere kann man kaum ertragen.

Das liegt daran, dass keiner, wirklich keiner von uns im Internet als Wissenschaftler arbeitet. Wir stehen nicht im Labor, wir müssen keine Experimente durchführen, wir müssen unsere Daten nicht perfekt und sauber verkaufen und wir müssen sie auch nicht auf irgendwelchen Konferenzen einem Fachgremium vorstellen, also abgleichen mit dem, was andere so herausgefunden haben.

Wir reden im Zusammenhang mit biologischen Problemstellungen erst dann von „Wissenschaft“, wenn es ein Experiment dazu gibt. Und wenn es das gibt, präsentiert man „wissenschaftlich“ korrekt, also etwa mit Standardabweichungen etc., seine Daten und diskutiert sie im Anschluss, versucht sie in einen bereits bekannten Kontext zu bringen. Dort darf man sich dann auf andere Arbeiten beziehen — es muss allerdings schlüssig sein.

Genau das hat mir mal ein ziemlich angefressener habilitierter Doktor (rer. nat.) erzählt, als ich ihm kleinlaut auf die Nase binden wollte, dass „Reviews und Meta-Analysen“ doch auch „Wissenschaft“ seien.

Jeder hat ja anscheinend so seine eigene Definition von „Wissenschaft“ — in der Soziologie ist „wissenschaftlich“ schon, wer mal kritisch nachfragt. Das heißt: Von welcher „Wissenschaft“ sprechen wir überhaupt? Könnten wir erwarten, dass Physik, als Wissenschaft, etwas präziser und genauer arbeitet als die Biologie? Könnten wir erwarten, dass Ernährungswissenschaft etwas anderes ist als Biochemie-Wissenschaft?

Doch selbst wenn über Hypothesen, Ideen oder ungesicherte Daten diskutiert wird, kann es prinzipiell unter dem Schirmbegriff „Wissenschaft“ stehen und „wissenschaftlichem Anspruch“ genügen. Das ist dann ganz einfach erreicht, wenn man sich bei der Beweisführung Mühe gibt und seinen Gedankengang ordentlich darlegt, das heißt: so, dass es den maximal möglichen Qualitätsstandard erfüllt. In anderer Sprache: Man macht keine unbelegten, argumentativen Großsprünge, sondern legt Schritt für Schritt so dar, dass es prinzipiell nachprüfbar ist.

Das, was wir hier machen, ist

kein wissenschaftliches Arbeiten. 

Das geht alleine deshalb schon nicht, weil nicht alle Leser Biologen sind.

Das, was im Internet heute als „wissenschaftlich“ verkauft wird, ist

das Zitieren von Meta-Analysen. 

Wow! Da arbeitet jemand aber ganz besonders wissenschaftlich. Ohne Trinken sterben wir und alles, bis 30 g Fruktose, macht die Leber vermutlich nicht krank.

Es gibt allerdings nicht nur „wissenschaftlich“, „unwissenschaftlich“ oder „pseudowissenschaftlich“, sondern auch etwas, was sich

populärwissenschaftlich

nennt.

  • Nicht an Wissenschaftler, sondern an Laien gerichtet.
  • Das wissenschaftliche Niveau entspricht nicht dem von wissenschaftlichen Arbeiten.
  • Dennoch handelt es sich in der Regel um Wissenschaftler, die populärwissenschaftliche Literatur veröffentlichen.
  • Oft werden Sachverhalte sogar ohne Quellen-Angabe erklärt.
  • Sie werden nicht in einem wissenschaftlichen Schreibstil verfasst.
  • Es geht eher darum, den Forschungsstand ohne Fachsprache und allgemeinverständlich zu vermitteln.

Das, was nicht geht:

Dinge erzählen, die nachweislich falsch sind.

Oder Dinge so zu erzählen,

dass ein komplett falsches Bild entsteht.

Also das tun, was Verschwörungstheoretiker oder Populisten oft tun.

Je größer und klarer ein Bild gezeichnet wird, umso besser. Dass man sich argumentativ ab und zu aus dem Fenster lehnt, ist klar.

Aber speziell in unserem Falle gilt: Wer alle 400 Artikel, alle Bücher, alle Ebooks und die entsprechenden Referenzen dazu gelesen hat, der soll von uns mal behaupten, wir würden „unwissenschaftlich“ oder „pseudowissenschaftlich“ arbeiten.

Dieses wirklich pseudoelitäre Geschwurbel von einigen in diesem Internet nervt nur noch. Nur die Wenigsten von uns erzählen wirklich Blödsinn, und die allermeisten Leute (Blogger, Youtuber und Co.) wollen einfach nur Spaß und Wissen vermitteln. Der eine oder andere sollte einfach mal den Ball flach halten.

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

5 comments On Wissen Leser was Populärwissenschaft ist?

  • Die Gewissheiten von heute können die Irtümer von morgen sein.
    Ich weiss nur das ich nicht weiss.

  • Ich sage nur: „R. Fr…“ *hust*

  • Wissenschaft ist, was Wissen schafft.

    • Nachts ist es kälter als draußen.

      Und zum Artikel:
      Toll beschrieben! Die Suche nach dem heiligen Gral (mit Studien, Wissenschaft und so) … Genau damit werden viele geblendet.
      In der Regel macht sich vielleicht 1 von 100 die Mühe und schaut sich im Detail die Studie(n) an.
      Oh der Nährstoffoptimizer für eine bessere Körperzusammensetzung hat bei untrainierten 60+ Diabetikern funktioniert.
      Dann muss das bei mir, 25J, sportlich, durchtrainiert, gesund bestimmt auch funktionieren :-D

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