Schon mal aufgefallen?
Das Hirn ist gut darin, immer sofort loszuschnattern.
Oh, der ist aber hässlich.
Oh, der hat aber schöne Zähne.
Oh, das ist aber scheiße geschrieben.
Ein mir bekannter Mensch lag mal auf der Couch vor seinem Fernseher. Und hat genau das direkt ausgespuckt, was sein Gehirn gerade fabriziert hat:
Oh, die hat aber dicke Beine als Tänzerin.
Oh, der hat aber graue Haare.
Oh, die hat aber einen breiten Hintern.
Oh, der hat vielleicht eine komische Stimme.
Oh, die sieht aber heiß aus.
Das Gehirn scheint also eine Norm zu kennen — und alles, was dieser Norm irgendwie abweicht, produziert eine neurochemische Antwort, die wir wahrnehmen. Bei besonders hübschen Menschen schießt uns Dopamin in den Frontallappen und wir sind fast gezwungen, uns an der Schönheit zu ergötzen.
Ich finde, eine der wichtigsten Aufgaben ist, sich selbst, also seinem Gehirn, Denk-Disziplin beizubringen. „Konzentriert“ zu bleiben, auch wenn das Gehirn gerade wieder irgendwelche Ströme fabriziert, von denen wir uns treiben lassen könnten.
Das fällt uns Menschen aber extrem schwer. Denn diese vorhin beschriebene „neurochemische Antwort“ auf äußere Reize besteht aus einem potenten Neurotransmitter-Cocktail, der immer wieder ganz dominant unsere Gedanken lenken will. Das sorgt dafür, dass wir die Situation nicht mehr re-evaluieren, wir gedanklich also abdriften, uns also leiten lassen.
Es erfordert mentale Energie, gegen diese, vereinfacht ausgedrückt, Dopaminhochs oder -tiefs anzugehen. Denn würden wir die Situation konzentriert und rational evaluieren, kämen wir vermutlich zu ganz anderen Schlüssen. Für mich ist die Fähigkeit, genau das zu können, ein Maß für die tatsächliche Intelligenz des Menschen.
Diese Diskrepanz zwischen „Reiz -> Emotion (Dopamin hoch oder niedrig)“ und rationaler Evaluation der Gesamtsituation, hängt gewiss „ein wenig“ von unserer Vergangenheit als Homo sapiens ab. Wir bewerten Menschen (und Situationen) nun mal sehr schnell aufgrund irgendwelcher Marker, selbst dann, wenn die Marker viel zu unpräzise sind, um ein komplettes und aussagekräftiges Bild zu generieren. Aber, wie so oft gilt: Nicht die Wahrheit interessiert, sondern auch die Wirtschaftlichkeit, also die Effizienz. Das nämlich hätte uns früher das Leben retten können.
Ein besonders amüsantes Beispiel für das oben geschilderte Phänomen gab es neulich bei ARD, glaube ich. Dort durften „Hater“, die sonst immer nur böse Hass-Kommentare unter Beiträgen ablassen, den ARD-Verantwortlichen per Skype, also face to face, mal so richtig die Meinung geigen.
Das End vom Lied war aber kein böses Beschimpfen, sondern eine, in meinen Augen, äußerst konstruktive Diskussion.
Im wahren Leben also lassen wir uns von unserem miesen Geschnatter im Kopf zwar oft genug leiten, aber wir sprechen es nicht aus. Das Internet aber sorgt dafür, dass wir die Hüllen fallen lassen und unsere Emotionen nach Gusto ins Netz schreien können. Denn klar: Wie oben geschrieben, verbrauchen vernünftige Evaluationen Energie. Der Mensch, wie alles andere auf diesem Planeten, ist aber von Haus aus ökonomisch.
Das Resultat: Überall im Internet (vor allem Facebook), dummes und böses Geschwätz.
Das Schlimme daran sind eigentlich zwei Dinge:
- verseuchen wir uns damit selbst unser Leben. Jeder „miese“ Gedanke tut uns nicht gut. Erstens, weil wir so im Grunde gar nicht sein wollen. Aber noch viel eher, weil uns bewusst wird, wie klein wir eigentlich sind. Denn uns berauscht im selben Augenblick, dass andere Menschen ja genauso von uns denken könnten, wie wir von ihnen.
- Wir verbauen uns möglicherweise ein großes Lebensglück.
Denn viele Oberflächlichkeiten, auf die wir sofort reagieren, sind zu weiten Teilen überhaupt nicht relevant und sagen, präziser ausgedrückt, sehr, sehr wenig über die Qualität des Menschen und der Persönlichkeit, die uns gegenübersitzt. Das gilt natürlich nicht nur für Menschen, sondern auch für Situationen usw.
Wenn dein Chef also nur hübsche, attraktive Damen einstellt, dann ist er zumindest teilweise eine sich wenig kontrollierende Dopamin-Natur und, nach meiner Definition, nicht ganz auf der Spitze menschlicher Intelligenz — oder einfach Denkfaul. Stellt sich dein Chef ein Team zusammen, das nach äußeren Merkmalen sehr divers in seiner Erscheinung ist, ist die Chance gegeben, dass hier ein Mensch arbeitet, der über mehr nachhaltiges Denken verfügt.
Wir müssen also an uns selbst arbeiten, an unserer mentalen Disziplin und an unserer Denkkraft, um wesentliche Eckpfeiler, die große Errungenschaften der Menschheit ausmachen, zu erhalten. Das sind „softe“ Fähigkeiten wie Anstand, Moral, Werte und Mitgefühl. Die Fähigkeit, das Ding zwischen den Ohren auch ordentlich einzusetzen und nicht auf ein minderbemitteltes Reptilien-Niveau abzufallen.
Oh, die hat aber dicke Beine als Tänzerin, aber …
Oh, der hat aber graue Haare, aber …
Oh, die hat aber einen breiten Hintern, aber …
Oh, der hat vielleicht eine komische Stimme, aber …
Oh, die sieht aber heiß aus, aber …
Die Denkkapazität des menschlichen Gehirns auszunutzen, heißt also, Gedanken, vor allem auf Emotion beruhende Gedanken, immer wieder zu „challengen“ und zu (re-)evaluieren.
Statt nur egozentrische Gedankengülle über andere Menschen preiszugeben, einmal versuchen zu verstehen, warum Menschen überhaupt so handeln, so sind, sich so geben — oder whatever. Sich mal selber hinterfragen. Zu akzeptieren, dass wir nicht immer zu allem eine Meinung brauchen.
Ein ganz Großer wurde gefragt, was er von diesem und jenem halte, seine Antwort:
Das geht mich nichts an.
Punkt.
Wer diese mentale Einstellung hat, der wird früher oder später merken, dass sich das Gehirn umprogrammiert und sich fast eine Zen-Attitüde ergibt. Wir werten nicht mehr so schnell.
Facebook und Internet machen viele von uns zu kleinen Ameisen, die sich ganz groß fühlen. Wenigstens dort, nicht wahr?
3 comments On Zen-Attitüde: Facebook macht uns zu Ameisen
Naja, machen wir uns nichts vor, der Mensch be(wertet) immer sein Gegenüber, auch unbewußt. Und wird dabei immer zu einer Entscheidung kommen, gefährlich, ungefährlich, schön, häßlich, dick, dünn usw. Dieses Taxieren ist doch ganz normal und sicher auch evolutionär bedingt, man mußte eben sein, zumeist unbekanntes, Gegenüber schon immer schnell einschätzen können. Eine Fehleinschätzung konnte früher regelmäßig und kann ja leider auch noch heute im Extremen bis zu Verletzung oder Tod führen. Dabei spielt auch der sexuelle Aspekt eine wichtige Rolle und unbewußt schätzen wir auch Kriterien wie Gesundheitszustand und damit Fortpflanzungsqualität ab. Männer bei Frauen und umgekehrt genauso. Und so bewerten wir unser Gegenüber eben noch immer. Schließlich ist das die einzige Möglichkeit für uns, schließlich beschnüffeln wir uns nicht gegenseitig, so wie das in der Tierwelt der Datenübermittlungsweg zu vielen der genannten Aspekte der Fall ist. Und ja, wir richten uns sicher auch oft nach den gängigen und wechselhaften Schönheitsidealen, mit den Vor-und Nachteilen, die das mit sich bringt. Das war schon immer so und wird immer so sein. Wir sind letztlich auch nur „Tiere“ und folgen unseren Instinkten und hormonellen „Richtlinien“. ;-)
Marcus, bei dem Thema Bodyshaming bin ich im Grunde auch deiner Meinung, doch ich finde, dass man da sehr differenzieren muss.
Ich selbst war bis vor einiger Zeit immer leicht untergewichtig und fand Kommentare wie „Du halbes Hemd“ immer ziemlich beleidigend. Daher bin ich ganz deiner Meinung, dass sowohl Übergewichtige, als auch Untergewichtige nicht durch solches Bodyshaming beleidigt werden sollten. Das gleiche gilt im Grunde auch bei massiv fettleibigen bzw. massiv magersüchtigen Menschen.
ABER es gibt eine Grenze, und zwar dann, wenn diese Menschen an die Öffentlichkeit gehen (z.B. mit eigenem Youtube-Kanal) und sich eine Followerschaft aufbauen. Dann hört der Spaß m.M.n. auf. Ich bin zwar nicht jemand, der in solchen Fällen in Bodyshaming einsteigen würde, aber verteidigen würde ich solche Leute gegenüber ihren Hatern ebenfalls nicht. Denn:
1. sind sie jetzt nicht mehr allein im privaten Rahmen unterwegs, sondern stehen nun in der Öffentlichkeit und nehmen somit eine Vorbildfunktion für ihre häufig noch jungen Follower ein und
2. handelt es sich bei diesen Extremen eben NICHT um von der Natur gegebene Äußerlichkeiten. Das Argument, dass die inneren Werte zählen und dass man nicht auf Äußerlichkeiten reduzieren dürfe zählt in diesem Falle nicht mehr. Es handelt sich nämlich bei solchen Extremen nicht um Äußerlichkeiten, sondern viel mehr um äußere Spiegelungen innerer Werte. Extreme Äußerlichkeiten sind nämlich nur durch extreme Lebensstile realisierbar, welche wiederum ein inneres Mindset voraussetzen.
Hier mal ein Beispiel:
https://www.youtube.com/watch?v=VcafWEqtLUc
Dieses Mädchen ist nicht einfach nur von Natur aus untergewichtig, sondern hält sich durch gezielte Interventionen krankhaft dürr.
Dazu hat sie zunächst einmal alles Recht der Welt. Doch dass sie sich öffentlich als Autorität für junge Mädchen positioniert, finde ich unmöglich und fahrlässig. Wenn man sie anschaut, hat man fast das Gefühl, einen Heiligenschein über ihr zu erkennen und es würde mich nicht wundern, wenn sie eines Tages an Organversagen stirbt.
Das ist traurig, aber es ist noch viel trauriger, dass sie von anderen Mädchen, die in der Pubertät noch unsicher und auf der Suche nach ihrer eigenen Identität sind, sich an dieser Youtuberin ein Beispiel nehmen. Das gleiche gilt m.M.n. auch für extrem Fettleibige, die mit ebenjenem Thema als Vorbild an die Öffentlichkeit treten.
Also zusammengefasst: Ich bin gegen Bodyshaming von Übergewichtigen, Untergewichtigen, sowie im privaten Rahmen agierenden massiv Fettleibigen und Magersüchtigen. Aber Bodyshaming gegen in der Öffentlichkeit agierende massiv Fettleibige/Magersüchtige verurteile ich ganz sicherlich NICHT, auch wenn ich es nicht aktiv unterstütze.
Ich bin gegen Bodyshaming, aber ich bin ebenfalls gegen die immer radikalere Fat-Acceptance, oder in diesem Falle Anorexia-Acceptance.
Gut geschrieben. Genau daraus resultiert dann auch das Thema Bodyshaming etc. Denn wer andere in diesen Medien mit dieser Art zu Denken definiert, definiert auch sich selbst und sein äusseres darüber.
Das Motto „andere gehen mich nichts an“, könnte auch leicht auf dies Thema umgeleitet werden. Am besten immer versuchen die beste Version von sich selbst darzustellen, anstatt falschen Vorbildern nachzujagen – die oftmals genetisch gar nicht erreichbar sind.