angst

Angst macht blöd

Ich bin immer in großer Sorge ;-), wenn jemand von sich behauptet, dass er „in großer Sorge“ sei oder „Angst vor X“ habe. Denn dann weiß man:

Die Person kann nicht mehr klar denken. 

Viele Leute nehmen das nicht ernst genug. Die denken wohl, dass sie in jeder Situation des Lebens klar und richtig denken können. Weit gefehlt.

Das Gehirn unter Angst

scientific american
„Die neuronalen Schaltkreise, die für die bewusste Selbstkontrolle zuständig sind, reagieren selbst auf leichten Stress sehr empfindlich. Wenn sie sich abschalten, leidet die Impulskontrolle, und eine geistige Lähmung setzt ein“ Quelle: Scientific American 

In jedem Buch, das es zu diesem Thema gibt, liest man von entscheidenden Veränderungen im Gehirn bei Stress und Angst. Unser „Denkkorridor“ verengt sich. Wer jetzt Verbindungen zum Wort Meinungskorridor sieht, der irrt nicht.

Je höher das Stresslevel, typischerweise korreliert mit der Angstintensität, umso inkohärenter werden höhere Zentren des Gehirns, was gleichbedeutend mit einem Funktionsverlust ist. Dazu zählt vor allem der große Kortex – die Großhirnrinde –, die ein bisschen aussieht wie eine Walnuss und sich über das komplette Gehirn legt.

Besonders entscheidend für Emotionsregulation, klares, rationales Denken und nachhaltige Entscheidungsfindung ist der präfrontale Kortex – Teil des s. g. Stirnlappens –, der direkt … hinter der Stirn liegt. Dieser Bereich wird nicht umsonst als „Organ der Zivilisation“ bezeichnet – zivilisiertes Verhalten und so.

system 1 v system 2.png
Der Kortex, aber insbesondere der präfrontale Kortex, „höhere Zentren“ des Gehirns, sind für klares, rationales Denken („System 2“ nach Kahneman) essenziell. 

Der Präfrontalkortex entscheidet auch über schnelles Denken, langsames Denken (Kahneman). Denn während Früherkennungssysteme des Gehirns in viel tieferen, älteren Schichten des Gehirns zu finden sind, ist es genau dieser präfrontale Kortex, der eben nicht reflexartig und affektiv „zuschnappt“, sondern … etwas braucht, um uns Kluges, Weises zu entlocken.

Wer Talkshows und X-Beiträge von exponierten Personen verfolgt, wird mit diesem Wissen erstaunt sein, wie infantil sich diese Menschen teilweise an Debatten beteiligen. Denn während schnelles Denken mit wenig Affektkontrolle typisch für Kleinkinder ist, ist langsames Denken (hoffentlich) ein Merkmal von Erwachsenen.

Spannend ist in dem Zusammenhang übrigens, wie regelmäßige Smartphone-Nutzung bzw. Social Media unser Gehirn – speziell das von jungen Menschen – auf kleinkindliche Affektlabilität programmiert (wusste man schon 2009…)!

„Ängstliche Personen überschätzen das Risiko negativer Folgen…“

Wenn also die höheren Zentren des Gehirns unter Angst zunehmend flöten gehen, kann man nicht erwarten, dass es etwas Brauchbares ausspuckt. Wer unter (starker) Angst lebt, lebt in einer Fake-Welt. Das ist nicht die Realität.

Dass das leider so zutreffend ist, zeigen Studien. Zum Beispiel eine aus Mannheim, die zum Schluss kommt:

Unter Angst verschätzen wir uns.

Unter Angst scheint es dem Gehirn nicht mehr darum zu gehen, objektive, rationale Entscheidungen zu treffen – es geht nur noch um Weglaufen (oder Kämpfen). In dem Zustand interessiert sich das Gehirn nicht mehr für „Zahlen, Daten, Fakten“, oder höchstens noch so, dass es unsere selektive Wahrnehmung via Bestätigungsfehler (confirmation bias) speist.

Das Problem und Teil der Angstantwort des Gehirns: Wir merken das nicht mal. Für uns ist das ja die Realität, die wir erleben. Das Resultat im wahren Leben hatten wir damals gelesen, da hieß es zum Beispiel, dass „Deutsche ihr eigenes Corona-Risiko um das 7- bis 38-fache überschätzen“.

Haben uns solche Tatsachen interessiert? Eher nein.

Stets unter Angst

Ich persönlich finde das alles ziemlich schwierig. Wir Aufgeklärten haben ja ständig Angst.

  • Klimaangst
  • Damit verbunden: viele Ängste (Wasserknappheit?)
  • Coronaangst
  • Angst vor einer neuen Pandemie
  • Angst vor den Bolschewiken, äh… den Russen :P
  • Angst vor Krieg im Allgemeinen
  • und so weiter.

Und unsere Medienlandschaft schlachtet das genüsslich aus. Auch unseren Politikern gelingt es nicht, sich mit kluger Führungskompetenz aus diesem Spielchen herauszuhalten und … machen den Bürgern noch mehr Angst. Nicht zuletzt durch: Existenzangst.

Viele haben die psychischen Folgen der Pandemie noch nicht verdaut, finden sich aber in immer neuen Ängsten wieder, sehnen sich möglicherweise nach Konservatismus. Folge: Andere Teile der Bevölkerung haben eine weitere Angst gefunden, nämlich die Angst vor Rechts. Der MDR spinnt es weiter, nennt es passend, „Generation Zukunftsangst“.

Unsere Politiker kippen an der Stelle meistens noch mehr Öl ins Feuer, getreu dem Motto: Das musst du jetzt so hinnehmen, wir leben schließlich im Zeitalter des Globalismus, heißt auch, du musst dich für alles verantwortlich fühlen. Macht: Hilflosigkeit … also Angst.

Ist das nicht alles ziemlich pervers? Was muten wir uns eigentlich zu?

Nicht so schnell, junger Padawan

Also, was kann man tun, um dem Nachbar – aus Angst – nicht den Schädel einzuhauen?

Das ist denkbar einfach, schwer für die meisten in der Umsetzung:

Nicht. zu schnell. abbiegen.

Hier habe ich immer Tim Ferris oder unsere Kanzlerin a. D. im Kopf.

  • Tim Ferris beschreibt in seinem Buch „Die 4-Stunden-Woche“, wie man sich Junk-Infos vom Hals hält. Ganz einfach: Andere sollen sich damit befassen. Die wirklich wichtigen Infos – quasi das Destillat – werden uns sowieso irgendwann erreichen. Viel entspannter.
  • Frau Dr. Merkel. Für mich ein Vorbild in mindestens einem Punkt: Die hat erst immer andere machen lassen, hielt lange still, beobachtete lange, und kam dann mit gereiften, klugen Sprüchen um die Ecke. Genial!

Für uns heißt das also: Medienkonsum begrenzen. Länger beobachten statt vorschnell urteilen. Nochmal fragen statt einfach hinzunehmen. „Block-Denken“ unterlassen, das Leben ist nicht schwarz oder weiß.

Und sich immer wieder daran erinnern: Themen, die unter Angst und Sorge diskutiert werden, werden – aus hier dargelegten Gründen – in sehr vielen Fällen viel zu heiß gekocht. Man kann also davon ausgehen, dass es weniger schlimm kommt als angenommen.

Was übrigens sowieso als kognitive Verzerrung gilt: Der Mensch neigt dazu, die Zukunft schlechter zu sehen als sie sein wird (Deklinismus). Und die Vergangenheit zu romantisieren (rosige Retrospektive).

Wann endet die Massenpsychose?

Viele Menschen hierzulande können einfach gar nicht mehr klar denken, befinden sich konstant in einem Modus der Angst. Mit fatalen Folgen. Wir können dann beispielsweise ziemlich gehässig und ausgrenzend werden.

Auch sowas lässt sich relativ zügig ausbremsen. Indem man sich zu einem Glaubenssatz macht, dass Denunziationen (aus Grund x) nie erlaubt sind. Denn auch an der Stelle neigen wir dazu, Denunziationen bzw. Ausgrenzungen jeglicher Art mit Begründung x zu legimitieren.

Ungeimpfte durften dies damals live erleben. Die Gesellschaft hat sich viele Gründe ausgedacht, warum es in Ordnung ist, Ungeimpfte weitestgehend aus dem sozialen Leben zu entfernen. Im Winter 2021 war es dann nicht mal mehr möglich, eine Bratwurst auf dem Weihnachtsmarkt („Fest der Liebe“) zu essen.

Ich bin mir sicher, dass es noch immer Leute gibt, die fest davon überzeugt sind, dass das absolut richtig war.

Traurigerweise können so auch die schlimmsten Verbrechen legimitiert werden. Ich hüte mich vor Nazi-Vergleichen, aber: Rassenlehre – engl. scientific racism, also „wissenschaftlicher Rassismus“ (!) – war spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in weiten Teilen Europas eine anerkannte wissenschaftliche Lehrmeinung.

Verstanden? Das waren keine bösen Menschen. Die waren – auch durch Indoktrination – einfach vom Falschen überzeugt. Natürlich untermauert von „der Wissenschaft“. Folgen bekannt.

Daher: Obacht! Das menschliche Gehirn denkt sich oft ziemlich beschissenes Zeug zusammen. Sich selbst, seine Gedanken und Emotionen gut zu hinterfragen, ist heute vielleicht wichtiger denn je.

PS:

Um noch einmal ganz konkret zur Überschrift zurückzukommen: Kann Angst ganz real verblöden? Freilich.

Pathologische Angst und chronischer Stress führen zu einer strukturellen Degeneration und einer Beeinträchtigung der Funktion des Hippocampus und des präfrontalen Kortex, was das erhöhte Risiko der Entwicklung neuropsychiatrischer Störungen, einschließlich Depression und Demenz, erklären könnte.

(Linda Mah et al. 2016)

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

9 comments On Angst macht blöd

  • In diesem Zusammenhang sei allen das Buch von Dr. Nehls als Herz gelegt: „Das erschöpfte Gehirn“

  • M.K.
    Meine Erfahrungen als Ungeimpfte in der Corona Zeit, geprägt durch Ausgrenzungen beim Sport, Urlaub und in Restaurants, hat dazu geführt, mich intensiver mit Politik, dem WEF und deren Plänen auseinanderzusetzen. Man hat die Situation in anderen Ländern verglichen ( das Niederschlagen der Trucker Proteste in Kanada, das Einsperren und Isolieren Ungeimpfter in Australien) und ich war und bin noch immer besorgt um unnsere Zukunft. So viele sogenannter Verschwörungstheorien haben sich bewahrheitet, blos gut, einige auch nicht. Doch was passiert mit wachsender KI, der Macht synthetischer Medien bzw. deepfake und dem Metaverse auf der einen Seite, unserer Ohnmacht gegenüber den großen digitalen Konzernen andererseits, gibt uns wenig Anlass, optimistisch in die Zukunft zu blicken.
    Man kann nur das Beste hoffen und für die Vernunft eintreten, sich nicht beirren lassen. Leider gibt es viele, die nicht so stark sind und unsere Hilfe benötigen.

  • Danke für den Artikel, den man sich für ´akute Fälle von Sorgen/Angstˋ gut aufheben sollte.
    Zu Frau Dr. Merkel: Wehe, wenn sie dann mal von ihrer ´hielt lange still, beobachtete langeˋ Strategie abwich:
    14.3.11 (3Tage nach Fukushima) folgenschwerer Solo-Ausstieg aus der Atomkraft und damit auch aus deren Nachfolge-Technologien.
    6.2.20 Das verfassungswidrige Einmischen in die Thüringer Regierungsbildung, 1 Tag nach der Kemmerich-Wahl hat die Rechten eher noch gestärkt.

  • Danke Chris….soooo wahr.

  • „Der Mensch neigt dazu, die Zukunft schlechter zu sehen als sie sein wird (Deklinismus). Und die Vergangenheit zu romantisieren (rosige Retrospektive).“

    FALSCH!!! DAS IST EINFACH NUR FALSCH!!!

    Genau dies charakterisiert nämliche ängstliche Menschen mit mangelndem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und dem Gefühl sein Leben nicht selbstbestimmen zu können!!!

    Selbstbewusste, motivierte Menschen mit präsenz und Energie (morgens brav meditativ gelaufen, Wim Hof geatmet, kalt geduscht, horse gedanced) ticken eben GENAU UMGEKEHRT:

    Die denken eher so:
    „Ach, das ist echt nicht so gelaufen, wies hätte laufen sollen gestern… aber JETZT, wo ich die Fehler gesehen habe, mach ich es heute gleich DOPPELT UND DREIFACH BESSER!!“

    KAMATE… HHUUUUOOOOAARRRR!!!!

    • Das ist ja genau die Eigenheit der kognitiven Verzerrungen :-) Diejenigen, die „langsam denken“ können, verfallen ihnen nicht so schnell. Viele Menschen, insbesondere heute, denken aber viel zu affektiv und sind daher anfällig für sämtliche kognitive Verzerrungen. „Falsch“ ist daher immer im wahrsten Sinne des Wortes subjektiv.

      • Gut rausgeredet! :-D

        Genau das wollte ich ja durch meinen aufs derbste zugespitzten Kommentar nochmal auf den Punkt bringen. :-)

        • Na ja, die bekannten kognitiven Verzerrungen wachsen ja nicht auf meinen Mist, bei irgendwem müssen sie sich ja zeigen *lol*
          Und: ja, danke für deinen Kommentar, den ich auch so verstanden habe :P

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