Studien mit Menschen

Warum Menschen keine tollen Versuchsobjekte sind

Ab und zu wird kritisiert, dass Tierstudien genutzt werden, um Aussagen zu treffen.

Das ist nachzuvollziehen. Abgesehen davon, dass man diesbezüglich nicht alle Tierstudien gleichsetzen kann, bieten Tiere einen gewissen Vorteil gegenüber Studien an Menschen.

Ratten bzw. Mäuse kann man in Käfigen halten, ihnen immer das gleiche Futter geben, die Futter- bzw. Trinkmenge sogar kontrollieren, man kann die Licht-Exposition regulieren und man kann sogar das Verhalten gewissermaßen voraussagen, weil häufig relativ homogene Ratten- oder Maus-Stämme genutzt werden. Ganz wichtig auch: Wissenschaftler sorgen bei Experimenten immer dafür, dass das „System Ratte“ oder „System Maus“ ordentlich funktionieren darf, indem man die dafür nötigen essentiellen Substanzen ins Essen oder Trinken kippt, standardmäßig und ziemlich standardisiert. So ähnlich geht man übrigens auch bei Schlachtvieh vor.

Heißt: Wir erzeugen einen kleinen, ziemlich stabilen Mikrokosmos, der auch — mit Blick auf die Versuchsergebnisse — ziemlich homogene Resultate liefert bzw. liefern kann.

Dann haben wir den Menschen. Der sich so ganz anders verhält und von Grund auf … komisch ist.

Dazu musste ich mich nur mal mit meinen damaligen Kommilitonen vergleichen. Wenn man gute Noten schreiben will, dachte ich jedenfalls, dann sollte man einfach den Stoff lernen. Dazu nehme ich das Vorlesungsskript in die Hand oder schalte es auf den PC-Bildschirm und … lerne.

Zwischen Vorlesungsskript und Klausurnote gibt es eigentlich nicht sooo viel, könnte man meinen. Okay, wir könnten über Lerntechniken etc. sprechen, aber meine Erfahrung zeigt, dass die Variabilität hier gar nicht so groß ist. Soll heißen: Jedes Schulkind weiß, dass es spielend leicht lernt, wenn es halbwegs interessiert dabei ist und das Zeug ein paar Mal wiederholt, also durchliest, vielleicht auch mal drüber nachdenkt, vielleicht auch lustige Bilder entwickelt, um das Gelesene besser zu verankern. Gut.

Gewundert habe ich mich dann oft über die Noten. Was ist da los, bei meinen Mitstudenten?

Nun … Das beginnt freilich damit, dass nicht jeder die gleichen Interessen hat. Der eine liebt halt Biochemie, der andere vielleicht Ökologie. Klar. Diese Diskrepanz würde vielleicht wegfallen, wenn die nötige mentale Einstellung gegeben wäre, aber gut … Darüber könnte man reden.

Aber es gibt Mitstudenten — so war jedenfalls mein Eindruck — die wollten scheinbar alles daran setzen, keine gute Note zu schreiben.

Unvergessen in Neurobiologie. 1500-Seiten-Skript. Total durcheinander, keine Struktur, kein roter Faden, nix. Ich habe mich also, wie gewohnt, durchgequält, dieses Zeug einfach versucht zu verstehen (wird ja häufig geschmückt mit tollen Bildern) und … na ja … wiederholt. In der Regel ein- bis dreimal lesen und dann bleibt es für eine Zeit im Hirn.

Irgendwann traf ich dann eine andere Studentin, die mir von ihrem Vorgehen berichtete. Sie holte dann, ganz stolz, ihr 300-Seiten-Heftchen raus, indem sie feinsäuberlich das komplette Neuro-Skript (das man ja im Internet downloaden kann) einmal abgeschrieben hat. Sie hat, wörtlich, tagelang gebraucht, um eine Struktur zu schaffen, den Stoff sinnvoll zu ordnen (für was eigentlich?). Die Oberhärte aber waren dann die Bilder. Sie hat einfach jedes Bild, das im Skript abgebildet war, neu gezeichnet. Aber nicht irgendwie hingekritzelt, sondern wirklich perfekt abgemalt. Schön mit Farben angemalt.

Da dachte ich mir: Kein Wunder. Die braucht ja erst mal drei Monate für das Heft. Die Zeit hätte sie nutzen können, um den Stoff zu wiederholen, man hätte ja einfach das Skript nutzen können. Bezeichnend und ganz typisch: Die Zeit läuft weg und dann wird die eine Woche vor der Klausur auch noch krank. Wieder typisch: Fieber, Influenza, volles Programm. Könnte man das vielleicht abstellen? So wie ich das vor Jahren mit der richtigen Ernährung etc. gemacht habe?

Ja. Das ist ja kein Einzelfall. Ich könnte das sicher noch mit etlichen Anekdoten erweitern.

Viele Menschen machen einfach die komischsten Sachen, Sachen, die wir so niemals machen würden, die uns gar nicht in den Sinn kämen, weil sie — aus unserer Perspektive — so wirr und abstrus sind. Das ist der Mensch.

Genau diesen Mensch, mit all seinen komischen Verhaltensweisen (woher kommen die überhaupt?), mit seinen Polymorphismen im Stoffwechsel, mit seiner Unperfektheit (immer krank, weil Zink-Mangel :-) ), genau den Menschen nutzt man dann für wissenschaftliche (!) Studien und glaubt, man könnte durch raffiniertes Studien-Design diese massiven Confounder eliminieren.

Der Mensch ist so besonders begabt, dass er es sogar schafft, genau das Gegenteil von dem zu tun, was man von ihm eigentlich will. Das muss sich nicht mal bewusst äußern, oft passiert es quasi einfach so. Du willst, dass er abnimmt? Er kann lt. ihm selbst ALLES richtig machen, aber irgendwie schafft er es dann doch, sich selbst zu sabotieren. Ich sag ja. Am besten du denkst überhaupt nicht darüber nach, wie das geht. Auf die abstrusen Ideen und Verhalten würden andere Leute gar nicht kommen. Siehe oben.

Sagen wir mal so. Human-Studien können funktionieren, keine Frage.

Aber man sollte dann doch immer wieder daran denken, dass der Mensch eben ein doch sehr komisches Wesen ist, nahezu alles irgendwie kompensiert und kompensieren kann. Selbst gut gemeinte Ratschläge und Ratschläge, die — mit Blick auf die Wirkung — eigentlich todsicher sein sollten.

An dieser Stelle könnte man dann ausholen und über Buch-Bewertungen sprechen. Da sind ja dieselben Menschen am Werk :-) Manchmal ziemlich unverständlich. Aber lassen wir das. Wir wissen ja, mit wem wir es zu tun haben. :-)

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

1 comments On Warum Menschen keine tollen Versuchsobjekte sind

  • Nun, wenn ein Versuch nur einige Wochen dauert und man die entsprechenden Mittel hat, kann man die Versuchsmenschen in entsprechenden Versuchszimmern mit Bad einsperren. Da kann dann auch alles haarklein kontrolliert und überwacht werden. Das sind dann richtig gute human-Studien.

    Also wenn ich da schlafen, duschen, trainieren kann und entsprechendes Essen und zudem eine vernünftiges Tagesgehalt bekommen würde, wäre ich als Versuchsperson am Start :D

    Ist wohl nur eine Frage der finanziellen Mittel und die sind halt für solche schönen human-studien extrem hoch, als wenn man es mit Ratten macht.

Leave a Antwort:

Your email address will not be published.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .

Site Footer