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Macht Carnitin-Mangel Depressionen?

Newsletter vom 17.09.2019

Ich bin ein großer Fan vom Ausprobieren. Ich finde, einen besonderen Forscherdrang braucht man vor allem mit Blick auf seinen eigenen Körper. Ich kann nicht verstehen, wie Menschen 60, 70, 80 Jahre lang in einem Körper leben, über den sie nichts wissen. Ausprobieren. In den meisten Fällen reicht es nicht, eine Sache einmal auszuprobieren. Manchmal muss man es vielleicht wirklich sprichwörtlich bis zum Erbrechen gemacht haben. Danach weiß man wenigstens Bescheid.

Ich denke nicht, dass man sich der „Wahrheit“ deutlicher annähern kann. Denn „Wahrheit“ gibt es im biologischen Sinne nicht – jedenfalls nicht als fixen Wert. Aus diesem Grund muss ein Werk, das sich der „Wahrheit“ annähern möchte, darlegen, dass sie ein Mix aus einem festgelegten Rahmen (die menschliche Biologie) und individueller Beweglichkeit (unsere ganz eigene Biologie) ist.

Kommen wir nochmal zum „festgelegten Rahmen“. Keine noch natürlich lebende Population lebt ganz ohne Fleisch. Das geht auch gar nicht, weil man in der freien Wildbahn sonst stirbt. Kein B12. Aber was ist das überhaupt für eine blöde Argumentation? Wer will denn auch sterben? Befragt man solche indigen lebenden Menschen, werden die sagen:

Fleisch ist Lebensenergie. 

Acetyl-Carnitin-Mangel als Marker für Depression

Bis vor ein paar Jahren klangen solche Behauptungen ziemlich an den Haaren herbeigezogen, weil keiner, der sowas sagte, es wirklich „beweisen“ konnte. Heute sieht die Sachlage zunehmend anders aus. Letztes Jahr im Juli gab es sehr, sehr interessante Erkenntnisse zum Thema „Depression“. Wissenschaftler nämlich hatten herausgefunden, dass bei Depressiven der (Acetyl-)Carnitin-Wert im Blut deutlich zu niedrig war. Mehr noch, schlug die Therapie nicht an, war Carnitin noch niedriger.

Die Wissenschaftler schlussfolgerten, dass (Acetyl-)Carnitin im Blut eine Art Marker für die psychische Gesundheit darstellt, und, dass stark belastende Stressoren einen Einfluss auf den Carnitin-Stoffwechsel haben. Vorangegangen waren diesen Untersuchungen Tierstudien, in denen man zeigen konnte, dass Carnitin die psychische Gesundheit der Tiere deutlich verbesserte – und ein Mangel umgekehrt zu depressiven Symptomen führte.

Carnitin erfüllt eine Vielzahl an wichtigen Aufgaben im Gehirn. So reguliert das Molekül beispielsweise den Energiestoffwechsel und interagiert mit der DNA, um die Expression wichtiger Gene zu fördern. Insbesondere wirkt es auf ein Gen, das den Spiegel des Neurotransmitters Glutamat kontrolliert – eine Chemikalie, die in fast allem verwickelt ist, was das Gehirn tut.

Und tatsächlich wurde in einer Meta-Analyse aus 2018 bestätigt, dass Carnitin „signifikant die depressiven Symptome im Vergleich zu Placebo/keiner Intervention verringert und dabei eine vergleichbare Wirkung wie etablierte Antidepressiva mit weniger unerwünschten Wirkungen bietet“. Bitte, bitte. Das sollte man sich ganz, ganz lange auf der Zunge zergehen lassen, weil das hier eine kleine Sensation ist.

Viele von uns brauchen Carnitin aus der Nahrung

Wir synthetisieren endogen zwar eine geringe Menge Carnitin. Das reicht in vielen Fällen aber nicht aus. Denn wir können Carnitin maximal im niedrigen Milligramm-Bereich bilden, wohingegen 100 g rotes Fleisch schon bis zu 100 mg und je nach Fleischsorte auch deutlich mehr liefern. Wir könnten jetzt weit ausholen und anbringen, dass der beste (menschliche) Jäger in der Natur … sich auch am besten fühlen darf. Aber das wäre unzulässig und würde ich so nicht sagen.

Anmerkung 2021 ;-) Doch, ich habe es getan, nämlich hier.

Was ich stattdessen sagen möchte: Wer vegetarisch und vegan leben will, muss – Stand heute – eine extreme Fülle an Dingen beachten, die es zu kompensieren gilt. Ich nämlich würde mit einem Carnitin-Mangel oder (zu) niedrigen Carnitin-Werten nicht spielen wollen. Dass sowas ernste (psychische) Folgen haben kann, ist – auch Stand heute – keine Vermutung mehr, sondern eine Tatsache.

Wenn der Mensch frei entscheidet…

macht er vieles kaputt. Soeben lernte ich, dass das menschliche Ejakulat 60 % weniger Spermien enthält als noch vor ein paar Jahrzehnten. Dass die Hodenkrebsrate und die Zahl der -fehlbildungen zunimmt. Wenn der Mensch also nicht gerade mit Hilfe der Ernährung am eigenen Ast sägt, macht er’s, indem er die Umwelt versifft. Wenn man das so von oben betrachtet sieht, muss man sagen …

krass!

Schon irgendwie ein Zeitalter für sich, momentan.

Nein, es geht nicht darum, kiloweise Fleisch zu essen. Es geht darum, die eigenen ambitionierten Ziele mit Blick auf sämtliche Lebensbereiche gesund zu vereinen. Wieso verstehen wir nicht, dass wir immer mit Trade-offs zu tun haben? Glauben wir ernsthaft, ein Depressiver trifft die richtigen Entscheidungen? Wenn das Gehirn nicht gesund ist?

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

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