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Genetik: Drei wichtige Nährstoffe für Veganer

Gene lügen nicht.

Vieles von dem, was ich seit vielen Jahren subjektiv empfunden habe und wonach ich meinen Ernährungsplan bereits gestaltet hatte, lässt sich dank einer Gen-Analyse schwarz auf weiß bestätigen. Ich weiß, was viele noch nicht wissen:

Europäer haben eine etwas unglücklich geratene Ernährungsgenetik. 

Denn wir können alles ein bisschen, aber nichts richtig gut. Wir sind also definitiv in keinem Ernährungsextrem verortet, auch wenn die momentan einmal mehr sehr in zu sein scheinen. Gut, wer nicht hören will, muss fühlen. Man erklärt es ja erst seit vielen Jahren. Aber: Man kann eine pflanzenbasierte Ernährung sehr viel gesünder und quasi voll ausgewogen machen, wenn man ein paar Dinge beherzigt. 

Uns unterscheiden Polymorphismen

Erst mal vorab: In vielen verschiedenen Populationen dieser Erde finden sich viele verschiedene kleinste Veränderungen, s. g. Polymorphismen, innerhalb von Genen – eine Reaktion auf die Anpassung an einen bestimmten Lebensraum. Nun sind wir über die letzten Jahrhunderte eher zum genetischen Schmelztiegel geworden, weswegen es auch zu einer Vermischung dieser kleinsten Anpassungen an den jeweiligen Lebensraum kam, mit der Folge, dass es heutzutage kaum noch wirklich genetisch isolierte Populationen gibt.

Dennoch lassen sich die Häufungen bestimmter Gen-Polymorphismen innerhalb von größer gefassten Populationen noch gut erkennen. Europäer zeigen andere Anpassungen als Asiaten, Afrikaner, Südamerikaner oder … Subpopulationen wie die Inuit. Besonders bei Asiaten lassen sich Anpassungen an pflanzenbasierte Ernährungsformen sehr gut nachvollziehen.

Lustigweise trage ich beispielsweise eine „Asiaten-Version“ des HFE-Gens. Das HFE-Gen ist bei uns in Europa auch bekannt, denn es sorgt bei fleischreicher Ernährung für eine Eisenüberladung. Manche Polymorphismen im HFE-Gen erhöhen nämlich die Eisenaufnahme im Darm. Der Polymorphismus rs9366637 scheint die ostasiatische Anpassung an eine vorwiegend pflanzliche Ernährung zu sein. Über 70 % aller Ostasiaten tragen diesen Polymorphismus mindestens einmal, bei uns sind es lediglich ca. 10 %.

Unsere genetische Ausstattung diktiert, wie gut wir mit verschiedenen Ernährungsformen klarkommen. Wer sich als Europäer dafür entscheidet, sich hauptsächlich pflanzlich zu ernähren, sollte über einige Eigenheiten der Europäer-Genetik Bescheid wissen. Auf solche Eigenheiten gehen wir im Folgenden mal knapp ein.

Gene, die möglicherweise den Nährstoffbedarf beeinflussen

PEMT (Cholin-Bedarf)

Ist für die Synthese von Cholin zuständig. Cholin kommt hauptsächlich in Eiern, Fleisch und Innereien vor. Bei pflanzlichen Quellen sieht das bis auf wenige Ausnahmen mau aus. Wer aber eine schlechte körpereigene Synthese-Leistung hat und wenig über die Nahrung zuführt, der kriegt Probleme. Das hatten wir hier schon ausführlich thematisiert. Mit einem Cholin-Mangel spaßt man nicht.

Es gibt den klassischen PEMT-Polymorphismus mit dem Namen rs7946. Da man Gene von Papa und Mama bekommt, kann man diese Version entweder einmal oder doppelt tragen. Dieser Polymorphismus verringert die Bildung von Cholin der Leber – bei Menschen, die es doppelt tragen, natürlich stärker. Wichtig:

  • 90 % der Europäer tragen diesen Polymorphismus einfach oder doppelt.
  • Bei Afrikanern sind es lediglich 50 %.
  • Bei Ostasiaten nur ca. 30 %.

Heißt: Ein Europäer hat möglicherweise von Haus aus einen höheren Cholinbedarf. Man kann die Ernährung spielend leicht auch mit Cholin ergänzen.

Cholin sollte wirklich jeder, der sich pflanzlich ernährt, auf dem Schirm haben, speziell Frauen. Denn das PEMT-Gen hat einen Östrogen-abhängigen Promoter. Es konnte bereits gezeigt werden, dass ein weiterer Polymorphismus mit dem Namen rs12325817, der offensichtlich in dieser Promotor-Region des Gens liegt, bei Cholin-Mangel zu Organfunktionsstörungen führt. Es ist daher zu erwarten, dass dieser sehr weit verbreitete Polymorphismus (90 % aller Europäer tragen ihn min. einmal) vor allem bei Frauen problematisch wirkt. Ein Cholin-Mangel allgemein kann extreme gesundheitliche Folgen haben. 

BCMO1 (Vitamin-A-Bedarf)

Ist für die Synthese von Vitamin A aus der pflanzlichen Vorstufe ß-Carotin verantwortlich. Vitamin A an sich – genannt Retinol – kommt ausschließlich in Leber oder Lebertran vor. Wer schlecht bei der Umwandlung von ß-Carotin zu Vitamin A ist, ist auf Vitamin A aus der Nahrung angewiesen. Heißt: Mit veganer Ernährung könnte es massive Probleme geben. Denn leider sagt der Vitamin-A-Spiegel im Blut überhaupt nichts aus. Wenn der fällt, sind die Speicher längst massiv verarmt. Der „Goldstandard“ beim Erfassen des Vitamin-A-Status ist nach wie vor die Leberbiopsie. Übrigens verifiziert von der WHO.

Es gibt einige Polymorphismen in diesem Gen. Die prominenteste Polymorphismen-Kombination, die die Enzymfunktion offensichtlich drastisch verringert (-70 %) ist die aus rs7501331 und rs12934922. Wichtig: Diese Gen-Kombination zeigt eine viel, viel höhere Prävalenz in europäischen im Vergleich zu afrikanischen- oder asiatischen Populationen. Das schließt zwar nicht aus, dass es noch weitere Polymorphismen gibt, die modulatorisch wirken – allerdings liegt der Schluss nahe, dass es Gründe hat, warum sich solche durchschlagenden Loss-of-function-Mutationen in einer Population derart verbreiten können.

Heißt: Ein Europäer hat möglicherweise einen höheren Bedarf am s. g. „preformed“ Vitamin A. Auch Vitamin A lässt sich gut ergänzen.

OCTN2/SLC22A5 (Carnitin-Bedarf)

OCTN2 bzw. SLC22A5 ist der Carnitin-Transporter. Der sorgt nicht nur für die Aufnahme von Carnitin im Darm, sondern schaufelt es auch in die Zellen und ist maßgeblich für die Rückresorption in der Niere verantwortlich. Heißt: Dieser Transporter entscheidet indirekt darüber, wie hoch der Carnitin-Bedarf ist. 

Zur Erinnerung: Endogen synthetisiert der Körper nur eine Mini-mini-Menge Carnitin, so etwa bis 20 mg. Den weitaus größten Teil nehmen wir mit der Nahrung auf, vornehmlich über rotes Fleisch, das auch mal 100 mg pro 100 g Fleisch liefern kann. Carnitin hat eine unfassbar breite physiologische Wirkung im Körper – es reguliert viele Aspekte des Energiestoffwechsels.

Auch hier gibt es prominente Polymorphismen im Gen. Ich trage einen solchen und weiß aus jahrelanger Erfahrung, dass ich in regelmäßigen Abständen ne gute Ladung Carnitin brauche, um normal zu funktionieren. Ein Polymorphismus nennt sich rs2631367 – der ist Teil der berühmten Genregion IBD5 (Inflammatory Bowl Disease 5, also Entzündliche Darmerkrankung 5), die mit den bei uns Europäern besonders häufig vorkommenden entzündlichen Darmerkrankungen assoziiert ist.

Forscher denken, dass im Zuge der Anpassungen an unsere Umwelt hier in Europa förderliche Gen-Varianten durchgewunken wurden, die leider auch die eine oder andere nicht so tolle Eigenschaft mitgezogen haben. Das Phänomen nennt sich genetic hitchhiking. Blöde Genvarianten, die neben guten Varianten liegen, können sich dann gleichermaßen verbreiten.

Wie dem auch sei: rs2631367 sorgt dafür, dass der Carnitin-Transporter ein bisschen fauler ist. Und wenn man den Polymorphismus von Mama und Papa geerbt hat, arbeitet das Protein besonders faul. Forscher geben uns auch Zahlen an die Hand: Trägt man diese Genvariante doppelt, wird ca. 40 % weniger Carnitin in die Zellen aufgenommen. Das Problem dürfte dabei nicht die Aufnahme in die Zelle an sich sein, sondern die Tatsache, dass durch diesen Polymorphismus mehr Carnitin im Urin verloren geht, weil die Rückresorption zu schwach ist.

207GC carnitin resorptionsdefekt
 In ClinVar ist zumindest einmal die Rede vom „Carnitin-Transport-Defekt in der Niere“. Allerdings gilt dieser Polymorphismus nicht als „bösartig“ (sondern benign), d. h. man wird deshalb nicht sterben. Gott sei Dank.

70 % aller Europäer tragen diesen Polymorphismus einfach oder doppelt. Ähnliche Zahlen finden sich bei Afrikanern, bei Asiaten ist dieser Polymorphismus aber vergleichsweise non-existent. Aus diesem Polymorphismus resultiert sehr wahrscheinlich ein höherer oder zumindest regelmäßiger Bedarf an Nahrungscarnitin. Leute, die diesen Polymorphismus doppelt tragen, dürften bei veganen Ernährungsformen arge Probleme bekommen.

Heißt: Ein Europäer hat möglicherweise einen höheren Bedarf an Nahrungscarnitin. Auch das lässt sich gut ergänzen.

Ein Schlusswort

Nun darf man nicht den Fehler machen und sich nur auf einige wenige Polymorphismen bei einigen wenigen Genen fokussieren. Denn der Körper ist ein System und wir sprechen immer von Reaktionsketten, bei denen mehrere Gene beteiligt sind. Heißt: Selbst wenn ein Gen (bzw. das daraus gebildete Protein) schwächelt, kann es ganz einfach sein, dass das in der Reaktionskette dahinterstehende Gen bzw. Protein fitter ist.

Allerdings kann man auf die hier im Blog dargelegte Weise schnell ein Gefühl dafür bekommen, um was es geht, wie man selbst ausgestattet ist – und kann durch Ausprobieren schnell herausfinden, ob was dran ist oder nicht. Über die Jahrmillionen unserer Entwicklung hat kein Vorfahre von uns je vegan bzw. rein pflanzlich gelebt. Es ist daher sehr naheliegend, dass wir auch einen höheren Bedarf an Stoffen haben, die man nur über tierische Produkte bekommen kann.

Die hier im Blog thematisierten Gene geben jedenfalls einen Einblick – viele Menschen könnten von solchen Erkenntnissen profitieren.

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

12 comments On Genetik: Drei wichtige Nährstoffe für Veganer

  • Hi Chris,
    kannst Du die Quellen zum Carnitin Teil posten. Ich finde leider nichts zum Anteil von 70% in der Bevölkerung mit entsprechendem Polymorphismus. Und auch nicht, dass er eine 40%ige Reduzierung bewirkt.
    Grüße

  • Und dann können sich die Veganer in der Praxis immer nicht erklären warum sie träge sind und ungewollt zunehmen, obwohl die Schilddrüse, die es ja sein muss, aber längst substituiert ist und eher hochtourig läuft, als Buhmann ausgeschlossen werden kann. Kein Fleisch kann ja gar nicht schuld dran sein. Ist ja gesund ohne tierische Lebensmittel.

  • Hi Chris,

    wie Du schreibst muss man viele SNPs im Zusammenhang sehen, was die Sache komplex macht. Aber wir sind auch extrem komplex…biochemisch gesehen.
    Bei PEMT kann ich feststellen, dass mir dort die Auswertung wirklich sehr geholfen hat. Bei anderen SNPs ist die ganze Kette wichtig, wie zB COMT, MTHFR und diverse CYP P450ziger. PEMT spielt da auch noch mit rein…das macht es wirklich …schwierig. Zumal ich für das langsame COMT auch nix gefunden habe, was man da groß an NEM nehmen kann, um das zu verbessern.

    LG,
    Robert

  • Wie kann diese Polymorphismen bei mir bestimmen lassen?

  • Da bekommt die Therapie mit Eigenurin trinken eine ganz neue Bedeutung

  • Sehr interessant! Werde ich sicherlich mal gebrauchen wenn ich mit einem Veganer ins Gespräch komme :)
    Was mich noch interessieren würde, gibt es eigentlich auch Gen Polymophismen, welche Einfluss darauf haben wie gut man Kohlenhydrate verträgt? Wenn ich mich richtig erinnere, gibt es Unterschiede wieviel Amylase man produziert.

  • Klasse Artikel!
    Deckt sich mit meinen Erfahrungen.

  • Nicht nur für Veganer ein sehr interessanter Artikel!

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