Biologen dieser Welt müssen in diesen Tagen die Krise bekommen. So wie ich die vergangenen zwei Jahren. Grund ist, dass es mir völlig unerklärlich ist, wie augenscheinlich die komplette medial vertretene Wissenschaft … das komplette Immunsystem auf „neutralisierende Antikörper“ reduziert.
Was „neutralisierende Antikörper“ können … und was nicht
Nur, dass wir uns richtig verstehen: Neutralisierende Antikörper können … nur sehr wenig! Mit denen alleine gewinnt man keinen Krieg. Sie dienen höchstens als Marker für die Immunreaktion „dahinter“. Sie sind mehr die Spitze des Eisbergs. Der Grund ist simpel: Antikörper binden beispielsweise an Oberflächenproteine von Pathogenen und sorgen so dafür, dass die – wie im Falle von Sars-Cov-2 – nicht mehr mit Körperzellen interagieren können. In diesem Zusammenhang spricht man von neutralisierenden Antikörpern, deren Aktivität man in sogenannten Neutralisationstests messen kann – bestimmt schon mal bei Lauterbach gelesen.
Folge: Infektion bleibt aus. Das erzeugt dann, wenn’s super läuft, sterile Immunität.
So weit, so gut. So etwas klappt aber nur in einem kleinen Fenster der Möglichkeit. Das wissen wir ja mittlerweile alleine deshalb, weil neutralisierende Antikörper im Falle von Corona eben keine sterile Immunität erzeugen. Proof of concept: Neutralisierende Antikörper schützen im Falle von Corona eben doch nicht so gut.
Der Grund ist einfach: Die Antikörper-Menge, die ein Körper ausspuckt, ist endlich. Eine Virusmenge im Körper kann … mehr oder weniger unendlich sein. Hinzu kommt, dass Viren auch Körperteile und -gewebe infizieren können, die für Proteine auf Schleimhäuten oder im Blut quasi nicht zugänglich sind. Man denke nur mal an Knochen, an tiefe Muskulatur, an tiefe Schichten der Lunge, im Fettgewebe oder ähnliche Strukturen (Gehirn?). Zu guter Letzt bekommen Antikörper nicht mit, wenn ein Virus von Zelle zu Zelle springt.
Heißt: Neutralisierende Antikörper wirken dann am besten, wenn man sie ständig bis an den Anschlag hochhält (was beispielsweise per Impfung seine Grenzen hat) … und sie idealerweise nur mit einer relativ kleinen Virusmenge zu tun bekommen. Wenn aber mal ein größeres Areal infiziert ist und diese erste Barriere, also das Fenster der Möglichkeit, übergangen ist, muss etwas „dahinter“ kommen … nicht wahr?
T-Zellen sind Spezialeinheiten – mit begrenzten Möglichkeiten
Leider werden viele Menschen nie mitbekommen, wie wunderbar komplex und wunderbar schlagkräftig so ein Immunsystem ist. Nachdem gefühlt 98 % der Studien (und Twitter-Accounts und Artikel in den Medien) den Begriff „neutralisierende Antikörper“ bis zum Geht-nicht-mehr abgenutzt haben, trat in irgendwann ein neuer Begriff zum Vorschein, die s. g. T-Zellimmunität.
Nun: Sowohl T-Zellen als auch Antikörper-sezernierende B-Zellen sind nicht Teil des großen, primitiven Immunsystems, sondern des s. g. spezifischen oder adaptiven Immunsystems. Erst, wenn der Körper gelernt hat, was für ein Angreifer da ist, bildet er spezifisch gegen ebendiesen Antikörper und … T-Zellen. Die wichtigsten T-Zellklassen sind T-Killerzellen, T-Helferzellen und T-Gedächtniszellen.
T-Killerzellen sind diejenigen T-Zellen die die Aufgabe verrichten. Allerdings sind diese hochspezialisierten T-Killerzellen … Spezialeinheiten. Eher das KSK oder GSG-9 des Immunsystems. Nicht etwa die Infanterie oder das Heer. Und genau hier setzt der Denkfehler an. Moderne Wissenschaftler glauben nämlich offensichtlich, dass nur diese tollen Zellen und „neutralisierende Antikörper“ des adaptiven Immunsystems irgendwas taugen.
Die T-Zellen können gar nicht die Drecksarbeit machen, also mit großen Virusmengen klarkommen oder irgendwie besonders toll tätig werden, wenn man mal wieder mit von einem Virus-Mutterschiff in der Fußgängerzone mit Viren bombardiert wird. Diese T-Zellen wären bei großen Virusbefall oder auch bei langfristigem Virusleiden massiv überfordert, weil sie in ihrer Leistungsfähigkeit nicht so einfach skalierbar sind. Die Waffen, die sie tragen, sind hochspezialisiert und schlagkraftig – das Repertoire ist aber erschöpfbar. Schon alleine, weil es sich um eine zelluläre Immunantwort handelt – und Immunzellen können nicht unendlich nachproduziert werden im Knochenmark.
Neutrophile Granulozyten sind es
Daher hat sich die Natur etwas ganz anderes einfallen lassen, etwas, was heutzutage offenbar weggelächelt oder gänzlich ignoriert wird. Schaut man nämlich mal auf einen Laborbogen, fällt einem möglicherweise auf, dass über die Hälfte (oft sogar zwei Drittel) des „Immunsystems“ (Leukozyten) aus neutrophilen Granulozyten besteht. Mehr als die Hälfte! Vielleicht sollte man sich mal um genau diese Zellen kümmern.
Das ist die eigentliche Wunderwaffe des Immunsystems. Diese unfassbar klugen Helflerlein…
- kommen – im Gegensatz zu T-Zellen oder Antikörpern – quasi überall im Körper hin,
- haben ein riesiges Arsenal an mächtigsten Waffen und …
- sind in ihrer Leistungsfähigkeit nahezu unerschöpflich, weil relativ einfach zu skalieren.
Wenn es darum geht, großen, tief eingebrannten Schaden zu bereinigen oder erst gar nicht entstehen zu lassen … sind neutrophile Granulozyten von größter Bedeutung.
Einzigartig macht Neutrophile folgendes:
- Sie können alles fressen, was ihnen in den Weg kommt, auch virusbefallene Zellen. Die „Zähne“ sind dabei Sauerstoffradikale, die bewusst produziert und mit denen Viren und Co. bombardiert werden. Dieser Vorgang nennt sich oxidativer Burst.
- Sie können – unglaublich aber wahr – eine Art Spinnennetz (NET, Neutrophil extracellular traps) auswerfen, mit denen sie Pathogene auffangen und zerstören können. Das hilft freilich auch, die Pathogenausbreitung zu hemmen. Wie oben erwähnt, wenn dysfunktional, leider auch schädlich.
- Und sie verfügen über die namensgebenden Granula – Einlagerungen von meistens Enzymen –, die am oder zum Ort der Infektion ausgeschüttet werden. Dadurch können neutrophile Granulozyten nicht nur quasi zu jedem Infektionsort gelangen (dafür muss Gewebe enzymatisch „weggeschnitten“ werden) sondern auch quasi jede Art von Pathogen töten.
Die besondere, ja die lebensentscheidende Rolle dieser Immunzellen zeigt sich an der seltenen Erbkrankheit septische Granulomatose. Bei dieser Erkrankung funktioniert das Hauptenzym zur Bildung von Sauerstoffradikalen, NADPH-Oxidase („oxidativer Burst“, s. o.), nicht mehr.
Die neutrophilen Granulozyten werden dadurch „entwaffnet“. Die Folgen sind gravierend. Diese Menschen sind im Grunde auf eine lebenslange Medikamentengabe angewiesen, da selbst harmloseste Erreger schwerste, systemische Entzündungen bis hin zum Tod erzeugen.
Spannender Exkurs: Viele Menschen bekommen sehr starken Appetit auf Zucker und Süßes in den Frühphasen einer Infektion. Das Hauptenzym zur Bildung dieser Sauerstoffradikale nutzt NADPH als Elektronenlieferant. NADPH wiederum wird im s. g. Pentose-Phosphat-Weg gebildet, der Glukose (Zucker) als „Treibstoff“ hat. Zucker wird also nicht nur genutzt, damit sich Immunzellen schnell teilen und „vermehren“ können, sondern auch dafür, Pathogene mit Sauerstoffradikalen kaputtzuschießen.
Wohlgemerkt: Geht der Schuss nach hinten los, können genau diese neutrophilen Granulozyten natürlich auch selbst großen Schaden anrichten. Tatsächlich zeigen sämtliche Studien – unter anderem diese hier –, dass Neutrophile bei Covid dysfunktional sind, was der Körper wohl durch eine Überproduktion kompensieren zu wollen scheint. Neutrophile Granulocyten von schwer kranken Covid-Patienten zeigen ein komplett anderes metabolisches Profil im Vergleich zu Patienten, die weniger stark erkranken. So zeigen sich Massen an unreifen Neutrophilen und eine stark gesteigerte Produktion von NETs, was (auch) verantwortlich für Gewebeschäden und (Mikro-)Thromben sein könnte. Dass natürlich Fettleibigkeit und Diabetes genau zu solchen Neutrophilen-Dysfunktionen führt, dürfte nicht verwundern.
Womit Neutrophile am Liebsten arbeiten
Besonders wichtig mit Blick auf die normale Funktion der Neutrophilen sind Spurenelemente, also Eisen, Kupfer oder Zink.
Eisen ist wichtiger Bestandteil der vielleicht zwei wichtigsten Proteine bzw. Enzyme, die Neutrophile bilden und ausschütten: Die eben besprochene NAPDH-Oxidase und die Myeloperoxidase. Beide nutzen Eisen, um aktiv zu sein. Letztere sorgt für die typisch grüne Verfärbung bei bakteriellen Infektionen der Schleimhäute. Dieses Enzym bildet dank Eisen hypochlorige Säure, die als als Bleichmittel bekannt ist und eine stark oxidierende Wirkung hat. Ja, du hast richtig gelesen. Dein Immunsystem zerstört Erreger durch die Bildung von Säure. Drum weiß man schon lange, dass Eisenmangel zur Funktionsstörung von Neutrophilen führt.
Die Forschung um Kupfer ist vergleichsweise arm an Daten. Aber: Kupfer an sich wirkt stark antimikrobiell. Es gibt gute Hinweise darauf, dass Neutrophile Kupfer nicht nur zum Funktionieren brauchen – Kupfer-Mangel induziert eine Neutrophilen-Funktionsstörung und klassischerweise eine Neutropenie, was als ein frühes klinisches Anzeichen für Kupfermangel gilt –, sondern Kupfer aktiv in den Raum um Bakterien, Viren und Co. abgeben, und sie damit bombardieren. Es zeigt sich nämlich, dass Kupfer angereichert um Orte der Infektion im Körper vorkommt, was daran liegt, dass diese Zellen Kupfer anreichern und Pathogene damit vergiften.
Zink wird nicht nur für die Aktivität von Neutrophilen gebraucht und scheint den oxidative Burst deutlich zu steigern. Zink ist auch essentieller Bestandteil von Superoxiddismutasen, was dafür sorgt, dass sich der Schaden, den Neutrophile via Produktion von Sauerstoffradikalen, in Grenzen hält und zielgerichtet bleibt. Dadurch müssen Neutrophile offenbar weniger „Netze auswerfen“, denn Zink hemmt in Studien die Ausbildung von NETs und hemmt zeitgleich ihre Hyperaktivität, was vor infektionsbedingten Lungenschäden schützt. Heißt für uns: Zink sorgt dafür, dass Neutrophile normal funktionieren.
Genau diese Substanzen machen neutrophile Granulozyten stark, ohne dabei exzessiv gewebeschädigend oder krankmachend zu sein. Wie so häufig, scheint es auch bei den Neutrophilen so zu sein, dass sie überreagieren, wenn sie eigentlich zu schwach bzw. dysfunktional sind. Eine Studie aus China zeigt, dass Patienten mit schweren Verläufen u. a. erniedrige Eisen-, Zink-, und Selen-Spiegel aufweisen, was die Neutrophilen-Dysfunktion teilweise erklären könnte. Tatsächlich steigt bei massiver Entzündung auch Ferritin an, was Eisen bindet und unbrauchbar macht – und umgekehrt auch Neutrophile entwaffnen könnte.
Long story short
Viele Leute haben keinen blassen Schimmer, wie fachlich arm die Corona-Diskussionen um’s Immunsystem, Impfwirkungen und vieles mehr sind. Es ist ein unfassbarer Graus, was von einigen Experten dieser Welt so verbreitet wird. Und das erkenne ich, als kleines Licht in der Wissenschaftswelt. „Wie selektiv willst du forschen und Daten auslegen?“ – unsere Politiker und Wissenschaftler: „Ja!“
Neutrophile Granulozyten sind auch bei Covid leider untererforscht. Warum? Weil man damit kein Geld verdienen kann. Weil das Thema zu komplex ist. Stattdessen rückt man neutralisierende Antikörper krampfhaft und überprominent in den Fokus – was zu einer massiven Verzerrung führt und letztlich zu völlig hanebüchenen Entscheidungen, die eine ganze Gesellschaft betreffen. Denn: Es gibt seit Jahrzehnten den einfachsten medizinischen Zusammenhang zwischen Impfung, Schutz vor einer jeweiligen Infektionserkrankung und Antikörpern. Impfung = Antikörper = Schutz. Jedenfalls bis zu einem gewissen Grad.
Man sollte sich immer wieder vor Augen führen, dass es eine Tatsache ist, dass Menschen, die an bestimmten Virenproteinen forschen, ebenda Experten sind. Der Grad des Expertenwissens nimmt dann stark exponentiell ab – so, dass bei diesen „Experten“ das allgemeine Biologie-Verständnis schlimmstenfalls auf dem Niveau eines Oberstufen-Schülers ist. Es wundert mich doch immer wieder sehr, wie obrigkeitshörig viele Menschen sind.
5 comments On Wo die Leistung des Immunsystems wirklich steigt und fällt
Den Punkt verstehe ich nicht: „Tatsächlich steigt bei massiver Entzündung auch Ferritin an, was Eisen bindet und unbrauchbar macht – und umgekehrt auch Neutrophile entwaffnen könnte.“
Ferritin ist doch der Eisenspeicher des Körpers, freies Eisen, was toxisch wäre, wird im Ferritin gebunden, bis es aus diesem Speicher wieder freigesetzt wird um das Serumeisen zu erhöhen, damit Hämoglobin nicht zu niedrig wird.
Das Ferritin auch ein Entzündungsmarker ist, war mir bekannt, deshalb ist die Aussagekraft über den Füllstand des Eisenspeichers mit dem Ferritinwert auch nur bedingt möglich und bedarf immer weiterer Parameter. Das Entzündungen Eisen, Zink und Selen verbrauchen hab ich auch schon gelesen bzw selbst festgestellt, aber warum wird das Ferritin, also das Speichereisen, denn bei Entzündungen jetzt unbrauchbar gemacht? Und in welcher Menge des Speichers? Ist dieser Vorgang reversibel?
Ich wäre euch für eure Hilfe dankbar!
Na ja, es ist alles ein „Trade-off“. Der Eisenentzug durch Ferritin wirkt anti entzündlich und entzieht Pathogenen Eisen. Aber wenn das Eisen im Ferritin gebunden ist, ist es auch nicht zugänglich für Enzyme die Eisen nutzen. Daher ergibt sich ein Trade off.
Danke für den Artikel! Ich hatte zu Beginn meiner Coronainfektion einen unglaublichen Heißhunger auf Süßes und habe bei meiner Recherche dazu nichts gefunden. Jetzt habe ich eine Erklärung dafür.
Danke für den Artikel!
Leber galt früher nicht umsonst als stärkende Krankenkost, denn Leber enthält reichlich Kupfer, Zink und Eisen, also genau jene Mikronährstoffe, die wichtig für die Neutrophilen Granulozyten sind. Manche Naturvölker machen es soweit ich weiß heute noch so, dass bei Jagderfolg vorrangig Kranke und Schwangere Leber und andere Innereien bekommen.
Super Artikel der die Physiologie der Immunabwehr hervorragend zusammenfasst. Leider ist die Relevanz unseres Immunsystems völlig aus dem Fokus der beratenden Immunologen verschwunden. Dass Politiker davon meist null Ahnung haben ist eh nicht überraschend .
Eigenverantwortung für das eigene Immunsystem wurde weitgehend eliminiert.
Umso dankbarer bin ich für Eure/ Deine Arbeit