Gastartikel von Frank-Holger Acker
Veganismus ist, entgegen des Eindrucks, den man in den letzten Jahren über die Medien bekommen könnte, keinesfalls eine neuartige Erfindung hipper Geschäftsleute, die ihren Ursprung erst nach der Jahrtausendwende erfahren hätte. Dennoch werden Personen, die einer veganen Ernährung nachgehen, immer noch (zurecht?) kritisch beäugt, während medial präsente Veganer unermüdlich den Kampf gegen den Konsum tierischer Produkte ausfechten.
Vermutlich jeder Leser wird entweder bereits selbst einmal das vegane Experiment gewagt haben oder zumindest einen Bekannten, Arbeitskollegen oder Ex-Partner haben, der dem Konsum von Fleisch, Eiern und Milchprodukten abschwor und zum veganen Erbsenzähler wurde. Manche sind gescheitert, manche brachen vielleicht frustriert ab, als die erhofften Veränderungen nicht eintrafen, aber so manch Beginner-Veganer wird zum überzeugten „Pflanzenfresser“.
Und das Bemerkenswerteste: Es funktioniert für diese Leute tatsächlich!
Ist der menschliche Körper für Veganismus geschaffen?
Die Diskussionen, ob der Mensch zum Veganismus geschaffen wäre, sind zum Teil hochemotional und nicht selten mischen sich Geschäftsinteressen, biologische Argumente und emotionale Polemik auf beiden Seiten des schon endlos lang ausgefochtenen Grabenkampfes.
Der Anspruch dieses Artikels ist es nicht, dem Ganzen ein Ende zu machen, aber zumindest einen analytischen Blick auf die ganze Diskussion zu werfen – von einem überzeugten Nicht-Veganer!
Denn ein Punkt lässt sich nicht wegdiskutieren: Es gibt Menschen, die nach der dauerhaften Umstellung auf eine vegane Ernährung entweder spürbare gesundheitliche Verbesserungen erlangen, oder, wenn beispielsweise ethische Gründe als Motivation dienten, keine negativen Veränderungen wahrnehmen.
Kann das alles nur durch eine mögliche Placebowirkung erklärt werden? Schauen wir uns die einzelnen Punkte an, die Einfluss darauf haben, wie sich die Umstellung auf eine vegane Ernährung auswirkt.
Der Blick auf den Teller: Du bist, was du isst?
Bevor wir auf die einzelnen Aspekte des Körpers eingehen, ein naheliegender und genereller Punkt: Viele Menschen beginnen sich mit der Umstellung auf eine vegane Ernährung erstmals bewusst und reflektierend mit ihrer eigenen Ernährung auseinanderzusetzen.
Wer zuvor lediglich mikronährstoffarmen Mist in zu großen Mengen auf seinen Teller packte und im Zuge der Umstellung erstmals auf die Nährwertangaben seiner Lebensmittel blickt, oder überhaupt Lebensmittel ohne aufgedruckte Nährwerte kauft, wird ohne Frage vieles besser machen als zuvor.
Dieser Punkt ist naheliegend, offensichtlich und oftmals das Hauptargument von Nicht-Veganern, wenn es darum geht, dem veganen Ernährungsstil etwas Gutes zuzusprechen.
Eine kluge Planung ist dabei genauso wichtig, um möglichen Mängeln vorzubeugen, wie auch die Soja-Frage: Wer anfällig für im Soja enthaltene Phytoöstrogene ist und dieses als bevorzugte Eiweißquelle integriert, wird eher Probleme bekommen, als ein Veganer ohne entsprechende Sensibilität, oder jemand, der (große Mengen von) Soja vermeidet.
Was die Proteinversorgung betrifft, sorgt der Aminosäurenpool mitsamt verschiedenen Umbau- und Recyclingmöglichkeiten des Körpers zu geringeren Problemen, als im Einzelfall oftmals befürchtet wird.
Doch von der konkreten Umsetzung der veganen Ernährung abgesehen, gibt es einige körperliche Individualitäten, die dazu führen können, dass eine Person mehr oder weniger gut mit einer veganen Ernährung klarkommt.
SNPs: Mehrbedarf an bestimmten Vitaminen?
Von optischen Offensichtlichkeiten abgesehen, sind wir Menschen keinesfalls genetisch so identisch, wie manch einer es vermuten könnte. Veränderungen eines einzelnen Nucleotids in Genen bezeichnet man als SNP (single nucleotide polymorphismus), von denen jeder Mensch knapp 50.000 besitzt.
Insgesamt sind 1 Million solcher SNPs bekannt, wobei natürlich nicht alle dieser SNPs spürbare Auswirkungen auf unseren Stoffwechsel haben. Hat das SNP jedoch Einfluss auf einen Bereich, indem ein bestimmtes Protein abgelesen wird, kann dies zu mehr oder weniger starken Funktionseinschränkungen führen.
So gibt es beispielsweise SNPs, die zu einem Mehrbedarf an Vitamin C oder Folsäure führen. Vor allem letztere wird gemäß Nationaler Verzehrstudie in Deutschland deutlich zu wenig konsumiert, wobei die Aussagekraft der Ergebnisse durchaus kritisch betrachtet werden darf, wie ich an anderer Stelle bereits anmerkte.
Werden diese beiden Mikronährstoffe (unbewusst) im Rahmen der Ernährungsumstellung vermehrt zugeführt, kann dies beim Betroffenen tatsächlich zu spürbaren Verbesserungen führen, wobei dies natürlich auch von den weiteren Punkten abhängig ist.
Der Magen: So individuell wie ein Fingerabdruck?
Seinem Sammelband Biochemical Individuality fügte Roger Williams einen Beitrag hinzu, der unter anderem die deutlich individuellen Magenformen des Menschen thematisierte und mittels einiger Beispiele grafisch veranschaulichte.
Der Magen ist der Bereich des Verdauungstrakts, indem mittels Pepsin-Enzymen Proteinstrukturen aufgebrochen werden (müssen), damit die Aminosäuren oder Peptide im weiteren Verlauf im Dünndarm aufgenommen werden können.
Menschen, die aufgrund ihrer Magenform bzw. dem -volumen eine tendenziell kürzere Verweildauer darin aufweisen und / oder eine geringere Pepsin-Produktion besitzen, laufen Gefahr durch proteinreiche Mahlzeiten Verdauungsprobleme zu erfahren.
Wenn die Ernährung nun auf vegan umgestellt wird, ist dies vor allem bei Nicht-Sportlern häufig mit einer tendenziell proteinärmeren Ernährung (im Vergleich zur Situation davor) verbunden, die dennoch ausreichend für die körperlichen Funktionen ist.
Der Dünndarm: Kurz oder lang?
Neben einer Analyse des Gebisses wird bei der Argumentation bezüglich einer optimalen Ernährung vor allem das Dickdarm-Dünndarm-Verhältnis verschiedener Lebewesen herangezogen.
Während reine Carnivore, also Fleischfresser, wie Katzen ein Dünndarm-Dickdarm-Verhältnis von 3:1 aufweisen, liegt das Verhältnis bei reinen Pflanzenfressern wie Schafen bei 24:1. Der Mensch, mit einem Verhältnis verhältnismäßig langen Dünndarm, wäre demnach auf weniger verdauungsintensive Kost eingestellt und damit ein Allesfresser mit Tendenzen zum Fleischkonsum.
Nun ist dem zum einen sicherlich entgegenzuhalten, dass vegane Lebensmittel nicht zwangsläufig mit der üblichen Kost eines Schafes vergleichbar wären. Darüber hinaus ist die tatsächliche Länge des Dünndarms gemäß Literatur sehr unterschiedlich und kann in Einzelfällen von 3, in der Regel von 4,5 bis 6 Meter variieren.
Verglichen zu einem etwa durchschnittlich 1,5 Meter langen Dickdarm zeigt das, dass das Darmverhältnis im Einzelfall stärker in Richtung Carnivore gehen kann. Wer davon entsprechend betroffen ist, könnte stärkere Probleme mit der Umstellung auf eine vegane Ernährung haben, als Menschen mit einem längeren Dünndarm.
Glutenunverträglichkeiten und allgemeine Darmgesundheit sind weitere Faktoren, die die Waagschalen auf der einen oder anderen Seite beschweren können.
Der Dickdarm: Wer sind deine Mitbewohner?
In unserem Dickdarm leben schätzungsweise über 100 Billionen Bakterien, was nicht nur eine unvorstellbar große Anzahl ist, sondern auch viel Platz für eine individuelle Zusammensetzung bietet.
Dass die Bakterien im Dickdarm Ballaststoffe verdauen und daraus unter anderem kurzkettige Fettsäuren aber auch Vitamine entwickeln, die dem Körper zur Energiegewinnung zugeführt werden, wird den Lesern von edubily sicherlich bekannt sein.
Auf der für Veganismus positiven Seite steht die tendenziell vermehrte Zufuhr von Ballaststoffen, die bei entsprechender Bakterienkultur die genannte Produktion verbessern kann. Darüber hinaus wird Laktose vollständig vermieden. Diese muss im Dünndarm mithilfe des Enzyms Laktase gespalten werden, wobei die Produktionsleistungsfähigkeit hierfür individuell ist und ebenfalls durch SNPs beeinflusst wird.
Gerät zu viel Laktose in den Dickdarm, kann dies zu Unwohlsein oder sogar Durchfall führen. Wer hierfür also eine erhöhte Anfälligkeit hat, wird ebenfalls von einer veganen Ernährungsumstellung profitieren.
In der Regel verdauen die Bakterien in erster Linie wasserlösliche Ballaststoffe, wohingegen unlösliche wie Zellulose kaum verdaut werden. Es sind jedoch beispielsweise afrikanische Stämme bekannt, deren Bakterienkulturen auch wasserunlösliche Ballaststoffe vermehrt verdauen können.
Je nach individueller Bakterienzusammensetzung und Gestaltung der veganen Ernährung kann dies also Einfluss auf den letztendlichen Erfolg der Ernährungsumstellung haben.
Ob dein Körper (k)ein Veganer ist …
… oder zumindest die Umstellung auf eine vegane Ernährung gut vertragen würde, hängt also von einer Vielzahl an Faktoren ab, die eine allgemeingültige Vorhersage nicht möglich machen.
Heißt das, Darstellungen, dass der Mensch ein Allesfresser mit Hang vom Fleischkonsum sei, wären nicht korrekt? Nein.
Vielmehr sind die aufgeführten Punkte so zu verstehen, dass es eine Vielzahl an Einflüssen gibt, die im Einzelfall dazu führen können, dass die Umstellung (aus ethischen Gründen) auch dauerhaft erfolgreich sein kann – oder eben auch nicht.
Der Autor
Der Autor dieses Artikels betreibt die letzten 18 Jahre diverse Sportarten und nahm erfolgreich unter anderem an Wettkämpfen im Kraftdreikampf, Bodybuilding und Strongman teil.
Auf seiner Homepage www.become-fit.de bietet er individuelle Trainings- und Ernährungsberatung und -betreuung an. Darüber hinaus veröffentlichte er 2016 sein Buch „Ernährung für (Kraft-)Sportler: Intermittent Fasting 2.0“, das evidenzbasiert aktuellste Sportliteratur zusammenfasst. Das Buch gibt es hier bei amazon.
7 comments On Warum dein Körper (k)ein Veganer ist!
Wow, ein sehr fachlicher Artikel über Veganismus. Finde ich klasse
Fehlt im Text nicht das Dünndarm-Dickdarm-Verhältnis des Menschen?
Hiho, jain. Also ja, das wird immer wieder im Zusammenhang mit der Thematik erwähnt, aber nein, es fehlt hier nicht im Sinne von vergessen. :)
Das Verhältnis wird in erster Linie (meines Wissens nach) im Zusammenhang mit Verbesserung der Effektivität der Verdauung (und dadurch Energiesparen) herangezogen, was wiederum weg vom „Pflanzenfresserverhältnis“ führte. Das kann sicherlich als generelles Argument herangezogen werden, dass der Mensch ein „Allesfresser“ und kein reiner „Pflanzenfresser“ ist (ähnliches gilt ja auch für den Aufbau des Gebiß).
Der Artikel hier sollte aber in erster Linie darstellen, warum manche Menschen tatsächlich mit einer veganen Ernährung klar kommen (könnten), während andere gefühlt dahinsiechen (etwas übertrieben dargestellt). – Das macht die vegane Ernährung weiterhin (physiologisch) nicht optimal, aber verträglich (und für manchen eben ethisch besser vertretbar). Wiskas ist für Katzen auch nicht optimal, klappt bei den meisten Tieren aber auch. :)
Aus diesem Grund wurde das Gebiss beispielsweise auch gar nicht angesprochen. Hoffe, das hat die Frage beantwortet? :)
Es gibt ziemlich viele Menschen auch in meiner direkten Umgebung die sich vegan DEUTLICH besser fühlen.Über Jahre/Jahrzehnte.Blutbilder untermauern dieses Gefühl.
ich dachte das, weil sich der Satz
„Der Mensch, mit einem Verhältnis verhältnismäßig langen Dünndarm, wäre demnach auf weniger verdauungsintensive Kost eingestellt und damit ein Allesfresser mit Tendenzen zum Fleischkonsum.“
so liest als fehle da das Verhältnis. Ansonsten Bedarf er wohl anderweitig einer Korrektur.
Und im Abschnitt
„In der Regel verdauen die Bakterien in erster Linie wasserlösliche
Ballaststoffe, wohingegen unlösliche wie Zellulose kaum verdaut werden.
Es sind jedoch beispielsweise afrikanische Stämme bekannt, deren
Bakterienkulturen auch wasserlösliche Ballaststoffe vermehrt verdauen
können.“
hat sich ein Fehler eingeschlichen bezüglich wasserlöslich/unlöslich.
Was haltet ihr von Dr Michael Greger?ich finde seine Erklärungen und Studiensichtung zum Thema Ernährung ziemlich eindeutig und plausibel von der Grundtendenz n’est ce pas?!?
Ein klassischer „cherry picker“ der Studien sucht die seine Empfehlungen untermauern. Dr Greger hat zwar gute Ansätze aber er bewegt sich seit Jahren im Kreis, indem er die Seite der Wissenschaft ignoriert, die mit seinen Ideen und Überzeugungen nicht konform ist.
Sein dürres Erscheinungsbild sollte auch zu Denken geben ob diese Ernährungsform dem „Optimum“ entspricht. Sie mag zwar (zu Beginn) positive Effekte liefern (vollwertige Kost+ Kalorienreduktion), eine reine Pflanzenkost hat auf Dauer jedoch ihren Preis. Und hier muss jeder für sich selbst entscheiden ob es das Wert ist.
…und ja mir ist klar dass nicht jeder Mensch Kraftsportler ist oder durchtrainiert sein möchte (zumindest redet man sich das gerne ein). Mir geht es hier auch nicht um die Frage nach der Ästhetik sondern um die Frage nach der optimalen Ernährungsform des Homo Sapiens.