Wenn Tierstudien (nicht) funktionieren

Wenn man Tierstudien als Referenz nutzt, muss man sich nicht selten den Vorwurf anhören, dass …

… Tierstudien doch nicht einfach so auf den Menschen übertragbar sind.

Das ist schon richtig. Der eigentliche Grund aber, warum Tierstudien nicht so gut auf den Menschen zu übertragen sind, ist nicht etwa, weil es sich um eine andere Spezies handelt und Effekte speziesübergreifend im Nix verpuffen. Das ist zwar prinzipiell ein Grund, die eigentlichen Ursachen sind aber viel trivialer.

Nehmen wir als Beispiel mal eine neue Studie. In dieser Maus-Studie wurde gezeigt, dass Fasten im Darm gewisse Gene aktiviert, die dafür sorgen, dass sich die Regenerationsfähigkeit des Darms verdoppelt. Hintergrund ist wohl, dass der Darm dann von einer Kohlenhydrat- auf eine Fettoxidation umswitcht und dies entsprechende Gene aktiviert. Ohne groß drüber nachzudenken, würde ich behaupten, das ist genau das, was wir im Springer-Buch erläutern. Wer das mal verstanden hat, den wundern solche Ergebnisse nicht mehr.

Ich habe nur ein kleines Problem mit solchen scheinbar sensationellen Studien. Nehmen wir dazu mal eine Analogie:

„Es gibt ein Experiment, bei dem sie Ratten an einen Draht hängen und sehen, wie lange sie sich halten können“, sagt De Vany. „Die Laborratte fällt nach kurzer Zeit zu Boden.“

Und die wilde Ratte? „Sie zieht sich nach oben und verschwindet.“

Übertragen auf unser Experiment: Wir nehmen Ratten (oder Mäuse oder whatever) und setzen sie in ein komplett statisches System. Essen gleich, Tagesrhythmus gleich, Bewegungsmuster gleich – alles gleich. Statisch. Packen wir nun ein bisschen Dynamik obendrauf – z. B. in Form des Fastens hier – hat das augenscheinlich einen ganz tollen Einfluss auf die Tiere.

Nun gut: So etwas würden wir bei frei lebenden Tieren nicht finden, wetten?

Dennoch verbreitet sich so eine News wie ein Lauffeuer – und Menschen, die ohnehin schon „alles“ für ihre Gesundheit tun, denken allen Ernstes, sie könnten hier noch zusätzliche Effekte abbekommen … und beginnen im dümmsten Falle noch genau das gleiche Protokoll, das hier für die Tierstudie genutzt wurde, also z. B. 24-h-Fasten, aufs eigene Leben zu übertragen.

Nun sind viele modernen Menschen einer Laborratte schon ähnlicher als einem wild lebenden Menschen. Nur leider habe ich den Eindruck, dass viele „Gesundheitsbewusste“ so ein ein bisschen falsches Bild von den „Normalen“ haben. Die stellen sich „normale Menschen“ immer auf der Couch liegend mit der Cola in der Hand vor, Diabetes im Anmarsch, kein bisschen Sport und dreimal täglich Nutellabrot auf dem Teller.

Für mich sind „normale Menschen“ eher suboptimal lebende Menschen, deren System aber dennoch dafür sorgen möchte, dass sie gesund bleiben. Deshalb wird auch ein „normaler Mensch“ mal weniger essen, wenn am Tag zuvor viel gegessen wird … und deshalb wird auch ein normaler Mensch oft genug solche „Switch-Phasen“ – wie in der Studie – erleben. Mal abgesehen davon, dass Labornagetiere hauptsächlich von Kohlenhydraten ernährt werden.

Bringt uns zu einem anderen Punkt.

Wenn die Datenlage insgesamt klar ist, sich aber keine sinnvollen Humanstudien ergeben, bleibe ich oft trotzdem beim Eindruck, den ich aus der gesamten Datenlage gewonnen habe. Auch, wenn man sich dann anhören muss, dass „es doch keine passenden Human-Studien gibt“.

Das ist mir ehrlich gesagt ziemlich egal, weil wir Menschen einfach keine guten Versuchsobjekte sind und ein möglicher Effekt in Humanstudien viel deutlicher sein muss, damit er die Heterogenität sozusagen übersteigt und sich eine Signifikanz ergibt. Das lässt sich anhand dieser Abbildung verdeutlichen:

Verändert man hier also eine Variable (z. B.: Man gibt Vitamin D) zeigt sich bei Versuchstieren ein viel klareres und besseres Bild. Da hilft auch eine Kontrollgruppe nichts. Anmerken sollte man natürlich, dass sich Wissenschaftler sehr viel Mühe geben, dem einigermaßen entgegenzuwirken. Meiner Erfahrung nach sind die meisten aber froh, wenn sie überhaupt mal genug geeignete Studienteilnehmer zusammenbekommen. ;-)

Viel problematischer wird dies zudem, wenn gar keine Werte (z. B. der Start-Vitamin-D-Wert und der End-Vitamin-D-Wert) bestimmt werden, sondern lediglich „5000 IE pro Tag“ verabreicht wurden. Dann packen wir nämlich zu diesen vielen „Unterschieden“ zwischen Menschen noch einen Unterschied obendrauf.

Glücklicherweise scheint speziell Vitamin D prinzipiell ganz gut erforscht zu sein. Sogar so gut, dass man in einigen Arbeiten konkrete Werte an die Hand bekommt – ich zitiere aus unserem Buch:

Fakt ist aber, dass Vitamin D großen Einfluss auf den Muskel hat: Es steigert die Muskelproteinsynthese, es erhöht die ATP-­Konzentration, es steigert die Kraft, die Sprungkraft, die Belastbarkeit und körperliche Leistungsfähigkeit. Hierfür bedarf es allerdings 50 ng/ml im Blut (vgl. Shuler et al. 2012).

Ob das so wirklich für genau diesen Wert gilt, sei mal dahingestellt. Interessant ist der Abgleich mit dem Ist-Zustand: Soeben erschien eine Studie aus Deutschland, die untersuchte, ob sich seit den neuen Vitamin-D-Empfehlungen (= die vierfache Erhöhung von 200 auf 800 IE pro Tag; Anmerkung: Lächerlich!) etwas bei den Werten der Menschen getan hat. Resultat:

Die medianen Serum-Vitamin-D-Werte für jedes Jahr von 2009 bis 2014 lagen bei 18,4, 13,0, 20,8, 16,4, 19,4 und 14,9 ng/ml. Die zusammengefassten medianen 25(OH)D Serumkonzentrationen zwischen den beiden Zeiträumen 2009-2012 und 2013-2014 nach Erhöhung der Empfehlungen für die Vitamin-D-Aufnahme zeigten keinen signifikanten Unterschied (17,0 versus 16,8 ng/ml).

Nur, damit es klar wird: Alles unter 20 ng/ml ist Mangel. Keine Unterversorgung, keine „normalen“ oder „guten“ Werte, sondern Mangel. 50 % der Deutschen haben also ganzjährig Mangel-Werte – der Durchschnittswert fällt sicher höher aus, weil einige Gesundheitsfreaks die Werte nach oben treiben ;-). Allgemein aber gilt, dass dies für edubily-Leser nichts Neues ist

Das Geld für solche „Studien“ könnte man sich eigentlich sparen. Und überhaupt, wir könnten ruhig ab und zu ein bisschen wie eine „wilde Ratte“ sein. Mal ein bisschen clever, nicht so auf den Kopf gefallen und naiv. ;-)

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

2 comments On Wenn Tierstudien (nicht) funktionieren

  • Da hier wieder der Vitamin D Mangel angesprochen wird, würde ich doch gerne fragen ob man mit einem einfachen 25(OH)D Test überhaupt einen Mangel attestieren kann? Wenn ich höre das Leute einen Vitamin D Test machen, oder auch in vielen Studien dieser getestet wird ist es immer nur der 25(OH)D Test ohne weitere Werte und ohne Ernährungsanalyse. Der 25(OH)D Spiegel sinkt doch auch durch einen Kalziummangel bzw. Phosphat- Retinolüberschuss und Entzündungen.

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