Wir lesen: Seit dieser Woche ist die s. g. „Abnehmspritze“ mit dem Wirkstoff Semaglutid auch in Deutschland erhältlich. Für manche „werde ein Traum wahr“, schreibt die BILD. Die muss es wissen.
GLP1: So wirkt die „Abnehmspritze“
Semaglutid ist ein s. g. GLP1-Rezeptor-Agonist. Denn Semaglutid ist ein nachgebautes GLP1 – ein Darmhormon –, das an zwei Stellen modifiziert wurde, um eine längere Halbwertszeit im Blut zu haben.
GLP1 kennen edubily-Leser bereits. Entdeckt wurde GLP1, als man feststellte, dass infundierte Glukose nur eine sehr niedrige Insulinausschüttung hervorruft. Oral zugeführte Glukose hingegen lässt Insulin stark ansteigen (s. Abb.).
Und das ist gut. Insulin ist kein böses Hormon, wie wir wissen. Insulin aktiviert uns den anabolen Signalweg (Insulinrezeptor/PI3K/Akt/mTOR), was z. B. wichtig ist, um Glukose in die Zellen zu bekommen, Muskeln aufzubauen oder Gewebe gesund zu halten.
Führen wir Nahrung zu, wird im Darm u. a. GLP1 gebildet und in den Blutstrom abgegeben. Damals konnten Forscher feststellen, dass GLP1 als Folge die Insulinausschüttung in der Bauchspeicheldrüse ankurbelt. Man nannte das:
den Inkretin-Effekt.
Der Inkretin-Effekt – via GLP1 – potenziert also die Wirkung der Glukose auf die Insulinausschüttung. GLP1 spricht in Zielzellen selbst teilweise ganz ähnliche Ziele wie Insulin an, aktiviert z. B. auch den anabolen Signalweg.
Darüber hinaus steigert es den Energieverbrauch und den Glukoseumsatz, hemmt die Glukosefreigabe aus der Leber, wirkt sättigend bzw. appetithemmend und es verzögert die Magenentleerung.
Semaglutid könnte also so wirken, dass es dem Körper hilft, Signalwege, die durch Nahrung aktiviert werden sollen, robuster zu aktivieren. Offenbar mit der Folge, dass man eine langanhaltende Sättigung verspürt – zuerst den Appetit … und dann Körpergewicht verliert.
In einem Interview erklärt ein „Urvater“ der GLP1-Forschung und Mitentwickler von Wegovy – Jens Juul Holst – die entscheidende Wirkung: Man verliere den Appetit und damit die Freude am Essen. Das sei der Preis, der gezahlt würde.
Die Semaglutid-Spritze ist für besonders übergewichtige Erwachsene und Jugendliche ab 12 Jahren gedacht. In Studien sorgte das einmal wöchentlich injizierte Semaglutid für einen Gewichtsverlust von rund 15 % in einem Jahr. Ziemlich viel – so ohne großes Zutun.
Und danach … kommt das Gewicht wieder
GLP1-Spezialist Jens Juul Holst deutet im genannten Interview auch an, dass Semaglutid für die meisten schon auf Basis der primären Wirkung keine Dauertherapie sein wird:
Wenn man das Medikament ein oder zwei Jahre genommen hat, ist das Leben so elend langweilig, dass man es nicht mehr aushält und zu seinem alten Leben zurückkehren muss.
Jeder, der ein bisschen denken kann, wird sich ohnehin schnell fragen, ob man dieses Medikament auf Lebzeit einnehmen soll oder ob es irgendwann auch wieder abgesetzt wird. Fragt sich denn niemand, was danach passiert?
Vielleicht glauben die Forscher und Ärzte auch, Übergewicht sei ein schnell umkehrbarer Zustand. Muss ja so sein, wenn man sich schlicht fett gefressen hat – so die häufige Denke der „Experten“. Dass das ein bisschen komplexer ist, zeigt eine im vergangenen Jahr publizierte Studie.
Dort haben über 300 Probanden ca. 17 % Körpergewicht in etwas über einem Jahr verloren. Nach dem Absetzen der Spritze passierte aber, was passieren musste. Man höre und staune:
Ein Jahr nach Absetzen des einmal wöchentlich subkutan verabreichten Semaglutids (2,4 mg) und der Lebensstilintervention hatten die Teilnehmer zwei Drittel ihres früheren Gewichtsverlusts eingebüßt, wobei sich die kardiometabolischen Variablen ähnlich entwickelten.
Die Ergebnisse bestätigen die Chronizität der Adipositas und legen nahe, dass eine kontinuierliche Behandlung erforderlich ist, um Verbesserungen bei Gewicht und Gesundheit zu erhalten.
Hier stehen drei interessante Feststellungen:
- Nach dem Absetzen kommt das Gewicht zurück – und damit die Risikofaktoren
- Übergewicht ist eine „chronische Erkrankung“
- Eine „kontinuierliche Behandlung“ sei nötig
Ich finde, nichts könnte das falsche Bild der Medizin besser widerspiegeln als diese Zeilen. Denn es zeigt den grundsätzlichen Irrglauben auf, dass man Krankheit X einfach durch irgendein Medikament therapieren könnte, um Gesundheit auch langfristig wiederherzustellen.
Das klappt aber nicht, wenn man sich selbst, den Körper, nicht nachhaltig mit Lebensstilinterventionen – also Sport, Ernährung usw. – epigenetisch umprogrammiert.
Genau so denke ich übrigens auch über Krebs. Wieso soll ein Tumor nach einer Behandlung langfristig aus einem Körper verschwinden, der vorher ein idealer Nährboden war? Das ganze System krankt doch.
Whey hilft auch, GLP1 zu stimulieren
Schon vor vielen, vielen Jahren – 2015 genau genommen – gab es hier auf dieser Plattform einen Artikel mit dem Titel, Schlank werden durch die „GLP-1-Diät. Die Wirkung von GLP1 war also schon damals bekannt.
Wir haben jedoch Möglichkeiten aufgezeigt, die du im Alltag ganz ohne Medikamente für dich ausschöpfen kannst, um GLP1 natürlicherweise zu stimulieren.
Ein Wundermittel in der Hinsicht ist ein Whey-Protein. Das hat man z. B. 2014 in einer RCT-Studie an Diabetikern gezeigt. Ein Whey-„pre load“, also ein Shake vor einer kohlenhydratreichen Mahlzeit …
- verdoppelte die Insulinausschüttung und
- ließ das biolgisch aktive GLP1 um 300 % (also Faktor 3) ansteigen.
Bei Diabetikern. Allerdings zeigt sich in vielen Studien, auch an Gesunden, dass Whey den Blutzucker senkt, indem es die Insulinausschüttung – wohl über GLP1 – forciert.
Übrigens: Manche bekommen von dieser Wirkung Sodbrennen. Denn ein gutes Whey-Isolat, das GLP1 stimuliert, hemmt – wie oben dargelegt – auch die Magenentleerung. Und bei manchen macht das Sodbrennen.
Ganz neu ist, dass sogar ein (hydrophobes) Eiklar-Peptid beschrieben wurde, das über „potente GLP1-freisetzende Wirkung verfügt“. Also morgens ein Whey-Shake, mittags einen mit Eiklar? (vgl. Hira et al. 2021)
Abschließende Worte
Es gibt viele Gründe, warum jemand übergewichtig ist. Das leuchtet auch ein: Der ganze Energiestoffwechsel steht auf Beinen Hunderter Enzyme und Signalwege. Beim einen ist vielleicht die Sättigung etwas fehlreguliert, der andere oxidiert vielleicht weniger Fett.
Diese Liste lässt sich mit einer endlosen Zahl an Gründen fortsetzen, weshalb die Forschung auch in 10, 20, 50 Jahren keine eindeutige Antwort darauf haben wird, warum es Übergewicht gibt oder wie man es idealerweise behandelt.
Genau deshalb gibt es auch nicht den einen Weg. Gleichwohl führt jeder Weg, der erfolgreich ist, über ein … Kaloriendefizit. Denn das Ziel ist, eigenes Körperfett als Energiequelle zu nutzen. Und das geht nur, wenn man Teile des eigenen Energieverbrauchs darüber deckt.
Mehr Eiweiß, viel mehr Sport, eine bessere Kohlenhydratqualität, keine Süßigkeiten, Junk oder unnötige Fettquellen (Bratwürste!), helfen bei sehr, sehr vielen Menschen ja schon sehr, sehr gut.
Operative oder medikamentöse Eingriffe mögen kurzzeitig helfen. Wer aber nicht lernt, die eigene Biochemie zu verstehen und einen Weg für sich zu finden, der wird auf Dauer eben keinen Erfolg haben. Und das zeigt diese Studie hier par excellence.
Und genau deshalb wird für viele auch kein „Traum wahr“. Eher im Gegenteil. Der Albtraum wird beginnen, wenn man realisiert, dass man sich zu früh gefreut hat, weil die „Abnehmspritze“ eben nicht nachhaltig wirkt.
11 comments On „Abnehmspritze“ – zu früh gefreut
Ich bin hier wohl einer der älteren und dickeren Mitleser ;-)
Bin nachdenklich, weil ich mir folgende Frage stelle: Ich habe seit der Pubertät mit Übergewicht zu kämpfen, war der dickste Kampfpilot, den die Luftwaffe je hatte, als Lufthansapilot später auch immer an der oberen Grenze, trotzdem im Beruf immer ein Top Mann, jetzt mit mehreren Firmen super erfolgreich – aber trotzdem fett. Und das, obwohl ich schon 4 mal über 30 kg abgenommen habe und das Problem als zentral für mein gesamtes Leben empfinde.
Ich leiste im Rest meines Lebens deutlich mehr als der Durchschnitt und wenn ich was erreichen will, schaffe ich das regelmäßig. Als Familienvater, Unternehmer und Visionär top, als auf-seine-Gesundheit-Achtender der volle fail.
Es muss nicht bei jedem so sein, aber ich für mich betrachte mein Gewichtsproblem als eine Geisteskrankheit bzw. als einen „blank spot“ im Hirn, wo eigentlich Einsicht sein müsste. (Und ich hatte Jahre, wo ich mit HIT-Training top in Form war und jeden Tag irgendwelchen Adrenalin-Kram machen konnte, der gut war für mein craniales Gleichgewicht ;-)
Seit einigen Monaten nehme ich nun Semaglutid und kann plötzlich erahnen, wie sich Menschen voller Leichtigkeit mit normalem Sättigungsgefühl fühlen mögen. Die schon auf „satt“ und nicht erst auf „voll“ reagieren. Himmlisch.
Und ich nehme das ja nicht leichtfertig, sondern mit BMI > 40 (und bekackten Begleiterscheinungen aus dem Lehrbuch) als letzten Strohhalm vor verkrüppelnden bariatrischen OPs. Bei mir fehlt nur noch Diabetes um das metabolische Syndrom zu vervollkommnen und die habe ich wahrscheinlich nur nicht, weil ich wenigstens die notwendigen NEMs dagegen nehme und mich in großen Teilen gesund und demeter-like ernähre. Nutzt aber nur partiell, wenn es einfach immer zu viel ist…
Was will ich damit sagen? Ich habe alles durch, was mir nach 35+ Jahren (notgedrungener) Beschäftigung mit dem Thema begegnet ist, ich coache sogar einige meiner Mitarbeiter sehr erfolgreich (diejenigen, die Vertrauen in mich und die Tatsache haben, dass die besten Trainer nicht die besten Spieler sind), aber ich selber bleibe langfristig erfolglos. Abnehmen ist easy, aber Gewicht halten eben für 95% der Fetten nicht so sehr, und dann gibts da noch die Typen wie mich, die wirklich wollen, aber den Dreh partout nicht hinkriegen. Jahrzehntelang.
Und wenn die bessere der beiden schlechten Optionen eine lebenslange wöchentliche Spritze ist (die andere wäre irgendeine Form des verfetteten Todes) – then be my guest!
Mit Dir, Chris, habe ich schon vor 10 Jahren Emails zu dem Thema ausgetauscht, da war ich aber schon 20 + Jahre mit dem Problem beschäftigt. Jetzt, 2 überlebte plötzliche Herztode, Adipositas, Gicht, Hypertonie Grad 3 und CPAP (und trotzdem der Burner im Alltag, wohlgemerkt) später bin ich ehrlich gesagt ganz froh eine Spritze zu haben, die mich bzgl. Nahrungskonsum ein bisschen wie ein Normalo fühlen lässt…
Klar – der Kampf ist erst vorbei, wenns vorbei ist, aber wenn ich´s nicht selber doch noch irgendwann auf die Kette kriegen sollte, bin ich lieber ein charakterschwacher Spritzen-Dude als tot.
Danke für deine Perspektive, die ich auch zu 100 % nachvollziehen kann, verstehe und akzeptiere. Jedenfalls spannend auch mal so eine Sicht zu hören.
Zwei Fragen kamen mir dabei in den Sinn:
1. Trainierst du nicht mehr? Lt. deiner Angabe warst du bei HIT „top in Form“ – was spricht dagegen, es weiter zu tun?
2. Was gedenkst du zu tun, wenn du nach 1, 2, 3, 4 Jahren der Nutzung große Nebenwirkungen feststellst, die Wissenschaft eine erhöhte Krebsneigung attestiert oder sonstige Unannehmlichkeiten im Weg stehen?
Wie gesagt, das meine ich nicht provokativ oder so, ich schätze und verstehe deine Ansicht! Btw: Respekt vor deinem Werdegang und deinem Lebenswerk!
Guter Artikel. Vielleicht hätte noch erwähnt werden sollen, dass GLP-1 Agonisten nicht primär zum Abnehmen entwickelt wurden, sondern als Diabetes- Medikament. Hier wirken sie ganz hervorragend- klasseneffekt Reduktion des kardiovaskulären Risikos eingeschlossen. Leider führte der Hype der Medien um die ‚Nebenwirkung’ der Gewichtsabnahme und die Fehlverschreibungen diverser Ärzte dazu, dass aktuell Semaglutid (in der Diabeteszulassung Ozempic) starke Lieferengpässe hat und einige Patienten mit echter Indikation, ihre Medikation nicht bekommen. Mal schauen wie sich das ganze mit der Verfügbarkeit von Wegovy entwickelt. Goldgräberstimmung bei Novo Nordisc aber auch Eli Lilly, die mit dem demnächst verfügbaren dualen GIP-/GLP-1 Agonisten (Tirzepatid) noch mehr Gewichtsabnahme versprechen und zudem einen Triple Agonisten (GLP-1, Glucagon und GIP) (Retatrutid) in der pipe haben, der ersten Daten zufolge noch mehr Gewichtsabnahme verspricht (24%) Das schafft eigentlich nur die bariatrische Chirurgie. Eine Optimierungslösung für den sowieso gut informierten, Sport treibenden und gesund essenden Edubily Leser? Sicher nicht! Eine Option für den übergewichtigen Typ 2 Diabetiker? Aber hallo!! Spannend!!
Danke für den Input!
Ich finde es ehrlich gesagt immer unterhaltsam, wenn die Wissenschaft nach den Ursachen von Übergewicht & Adipositas sucht, obwohl das Problem für Jedermann ersichtlich vor unserer aller Nasen baumelt.
„Genau so denke ich übrigens auch über Krebs. Wieso soll ein Tumor nach einer Behandlung langfristig aus einem Körper verschwinden, der vorher ein idealer Nährboden war? Das ganze System krankt doch.“
Danke Chris, das beobachte ich leider im Bekanntenkreis auch. Tumor raus, Bestrahlung erfolgreich usw, es wird gejubelt, zum Glück haben wir die tolle Medizin, die ein paar Schnitte macht und zurück ins alte Leben. Da kommt keiner auf die Idee, dass der Lebensstil inkl Ernährung mit ursächlich war, nein dann wird weiter groß Party gemacht, Fastfood verzehrt, dauerhaft Netflix konsumiert und Sport gemieden usw.
Und ein paar Monate oder Jahre später kommt dann die Todesnachricht. Inzwischen zucke ich da nur noch mit den Achseln, auch wenn es mir eigentlich schon ans Herz geht, man kannte sich ja, aber das war nicht nur das böse Schicksal… Auch viel Eigenverantwortung!
Klingt abgedroschen, aber ich will das dann nicht an mich ran lassen. Passiert natürlich trotzdem, aber zeigt mir jedes Mal, wie sehr ich die Verantwortung für mein Leben habe.
Hi, ja, es ist total menschlich und gut, dass es dir ans Herz geht. Dass man es trotzdem selbst irgendwie nicht zu nah an sich rankommen lassen möchte, ist genauso richtig. Das ist ein typisches psychologisches Spannungsfeld bei solchen schlimmen Nachrichten. Leider kommt das mittlerweile sehr häufig vor. Menschen werden heute sehr schnell und heftig krank. U. a. aus den genannten Gründen.
Schlank sein schon und gut. Aber warum wird man dick? Doch nicht weil man sich von nährstoffreicher Kost ernährt hat. Dann wäre man doch früher satt gewesen und der Körper hätte nicht immer mehr Quellen – in der Hoffnung endlich die benötigten Nährstoffe zu bekommen – verlangt. Die Leute werden per Spritze schlank, aber nicht gesund! Mikrobiom bleibt bestehen, Vitamin- und Nährstoffmangel ebenso. Muskuläre Defizite verändern sich nicht, das geht nur mit harten Training. Auch der Stoffwechsel bleibt im Kern doch gleich, deshalb ja Rückfall. Und die ganze überschüssige Haut tut ihr übrigens (bei OP weitere Zusatzkosten für die Allgemeinheit, eventuell noch Psychotherapie). Das ist wieder typisch Medizin halt, Symptombekämpfung!
Im Podcast von Dr Simone Koch gab es dazu auch mal eine ganz interessante Folge. Das Zeug hat wie jedes Medikament nämlich auch ausgeprägte Begleiterscheinungen. Von denen hört man ja eher selten etwas…
Es freut doch den Aktionär, wenn der Patient/Kunde das lebenslang nehmen muss. Nach 30 Jahren ein 6-stelliger Betrag.
Für die meisten Betroffenen ist es eh normal Dauer Medikamente zu nehmen: Blutdrucksenker, Statine, Metformin, etc. Das wird auch nie mehr abgesetzt. Halt ein Ding mehr. Nur 1x pro Woche, ist doch cool.
In meinem Bekannten und Kollegenkreis nehmen das schon einige, ohne sich auch nur im geringsten mit Ernährung und Bewegung auseinander zu setzen.
Man hat weniger Hunger, nimmt dadurch ab. Die meisten haben mittlerweile ein Plateau erreicht, jetzt müssten weitere Maßnahmen einsetzen, vermutlich wird es aber nur eine Erhöhung der Dosis.
Schaun wa mal.