In unserer (vormals: Leistungs-)Gesellschaft haben wir viele Ideen und Konzepte, die bei genauerer Untersuchung … nix bringen. Oft genug machen Menschen irgendwas, ohne zu wissen, warum.
Das geht uns in vielen Bereichen so. Beim Sport ist das besonders gravierend. Die meisten Menschen haben von Trainingsplanung – basierend auf: Trainingsprinzipien – oder allgemeiner Trainingszielsetzung keinen blassen Schimmer.
Kein Vorwurf: Wer jahre- oder jahrzehntelang im Amateur- oder sogar Profisport unterwegs war, der weiß genau, dass selbst viele Trainer nicht wirklich wissen, was sie da eigentlich treiben.
Und ein banaler Grund dafür ist, dass Sport – glücklicherweise nach wie vor – etwas mit Leistung zu tun hat. Und wenn etwas mit Leistungs zu tun hat, werden Menschen neurotisch.
Trainingsplanung, anyone?
Man könnte also etwas überspitzt formulieren:
Trainingsplanung ist bei den meisten mehr Neurotik als Wissenschaft.
Lieber noch eine Stunde schnell um den Block rennen. Nach dem Motto: Mehr schadet nicht, weniger aber schon. Die Wahrheit ist, dass es ja genau umgekehrt ist. Das hatten wir hier genauer erklärt.
Besser als 10 % unter- als 1 % übertrainiert.
Gilt im Sport wie im normalen Leben. Denn wer drüber ist, braucht unter Umständen länger, um auf das Basis-Leistungslevel zurückzukommen, als jemand, der eigentlich drunter liegt.
Im ausgeruhteren Zustand sind wir hormonell und energetisch noch nicht ausgelaugt, das heißt die Schutzmechanismen des Körpers, die Höchstleistung blockieren, sind auf dem basalen Level. Das gibt uns jugendliche Frische ;-)
Natürlich kollidieren hier auch Weltbilder. Wir haben alle den in unseren Augen abgemagerten, schmalen und kleinen Kenianer (Durchschnittsgröße: 165 cm, ca. 60 kg) im Kopf, der den Marathon dominiert. Und wir glauben zu wissen, wie viele Kilometer diese Marathon-Aliens in ihrem Heimatland so abspulen.
Wer also überzeugt davon ist, so sein zu wollen – wohlgemerkt: als Europäer – wird ohnehin nicht merken, wenn er längst katastrophal aussieht und außerhalb seiner Laufrunde sportlich nix mehr auf die Kette bekommt.
Auch hier sind wir wieder beim Thema Neurotik: „Laufen bis der Arzt kommt“, ist paradoxerweise viel weiter verbreitet als die meisten annehmen. Denn dieser exzessive (Ausdauer-)Sport ist nicht gesund (s. Link oben).
Wie „trainiert“ man in der Natur?
Stattdessen sollte man sich einfach mal fragen, was ein natürliches Bewegungsmuster für einen Menschen sein könnte. Ein Blick zu unseren Jäger-und-Sammler-Vorfahren und -Verwandten hilft da gewiss.
Anthropologen bestätigen jedenfalls:
Die sind sehr trainiert. Aber eben keine (übertrainierten) Spitzenathleten.
Was meinen die damit? Herkömmliche (afrikanische) Jäger und Sammler – z. B. San-Völker oder Aché – werden uns allen davon laufen. Aber die werden eher keinen Marathon in zwei oder drei Stunden abreißen.
Warum?
Weil das kein in uns genetisch verankertes Bewegungsmuster ist.
Wer wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. Q1, Q2) dazu liest oder schlicht seine Fantasie bemüht, wird schnell verstehen, warum:
- Ein Mensch trabt entweder (stundenlang) durch die Gegend …
- oder er sprintet (kurz).
- Dazwischen hebt er schwer, klettert auf Bäume, baut Häuser oder wirft Speere auf Tiere.
Die Quintessenz ist also, dass Jäger oft in guter Form sind und auch so aussehen. Sie sprinten, joggen, klettern, tragen, springen usw. den ganzen Tag lang, sind aber keine Spezialisten. – vgl. Q1, Q2
Was macht ein Mensch in der Wildbahn gerade nicht? Stundenlanges Laufen an oder im Bereich direkt unter der anaeroben Schwelle.
Dieser Schwellenbereich ist die schnellstmögliche Laufgeschwindigkeit, die wir über einen längeren Zeitraum gerade noch durchhalten können – das ist möglicherweise der intensivste Belastungsbereich, den wir kennen und der Bereich, in dem wir uns bei leistungsbezogenem Ausdauersport naturgemäß oft bewegen.
Das ist das aber das Blackhole unserer Physiologie. Genau deshalb mögen viele Menschen das Laufen nicht. Weil die Laufen mit Laufen an der anaeroben Schwelle verbinden (Stichwort Bundesjugendspiele ;-)) – das keinen Spaß macht.
Das macht deshalb keinen Spaß, weil es nicht gesund ist. Da will ein menschlicher Körper eigentlich gar nicht hin.
Prinzipien des artgerechten Trainings
Okay. Stimmt so nicht ganz. Laufen an der anaeroben Schwelle bzw. im Bereich direkt darunter kann Spaß machen. Wenn man es zeitlich richtig timt.
Und um Timing unserer Belastungen besser verstehen zu können, stellen wir uns mal vor, dass Belastungsdauer sich immer invers zur Belastungsintensität verhalten sollte.
Und das sieht so aus:
Wenn wir also vereinfacht mal davon ausgehen, dass die Belastungsintensität dem Prozentanteil unserer maximalen Herzfrequenz entspricht, wird klar, dass es aus gesundheitlicher Sicht eher nicht so optimal ist, stundenlang mit einem 160er Puls (80 %) durch die Gegend zu laufen – wie etwa beim Marathon.
Das Paradoxon: Das ist nicht neu. Genau das lehrt die Sportwissenschaft. Wir – Amateursportler – hören halt nur nicht hin. Genau deshalb laufen viele Menschen völlig kopflos durch die Gegend und wundern sich, dass sie nicht fitter werden.
Oder es dann so wie hier aussieht.
Im Artikel zu sehen ist dieselbe Person: Ryan Hall, der wohl einer der besten Marathonläufer der USA war. Über die Person links im Bild sagt er: „Ich war schwach, mager und hatte einen niedrigen Testosteronspiegel. Ich war die ganze Zeit über müde. (…) Ich war den ganzen Tag über ein Zombie.“
Vereinfacht können wir anhand des gezeigten Verlaufs Prinzipien eines artgerechten Trainings ableiten:
- Anfänger bewegen sich noch viel stärker in den Extremen – hochintensive Einheiten müssen sehr kurz sein, längere Einheiten müssen sehr viel lockerer ausfallen und dazwischen – also an der Schwelle – gibt es nicht viel Spielraum.
- Umgekehrt verhält es sich mit zunehmendem Trainingszustand: Wir können uns auch hochintensiv etwas länger belasten und längere Einheiten können intensiver gestaltet sein. Auch die „Zeit an der Schwelle“ öffnet sich etwas – dieser Bogen lässt sich aber schnell deutlich überspannen (Abb., rote Kurve)
Dieses Muster entspricht vom Wesen her eher nicht klassischen Crossfit-Einheiten (hochintensive Belastungen zu lang) oder einem herkömmlichen Amateur-Marathontraining (lange Einheiten zu intensiv).
Besser trainieren
Es kann sein, dass dieses Training viele Amateursportler zu wesentlich besseren Athleten mit wesentlich besseren … z. B. Marathonzeiten machen würde. Einfach, weil wir mehr im Einklang mit sportwissenschaftlichen Prinzipien und unserer genetischen Ausstattung trainieren.
Fakt ist aber, dass Marathon an sich nicht gesund ist – jedenfalls nicht so, wie wir ihn in der Regel absolvieren (siehe oben).
Der Mensch ist zwar ein geborener Sportler. Aber eben nicht so, wie wir das heutzutage oft genug leben. Mit teilweise sehr paradoxen Resultaten – und dem einfachen Schluss:
Dein genetisches Maximum ist die Limitation.
Nicht das Training. Damit kriegst du den Bogen nur krankhaft überspannt, wenn du das willst. Am Ende des Tages ist Trainingsplanung, aber vor allem Zielsetzung alles. Du solltest dir über beides mehr als klar sein.
9 comments On Warum du vermutlich falsch trainierst
Ich erinnere mich an eine Ironman Reportage aus Hawaii von vor vielen Jahren. Da hat Teilnehmer den abschließenden Marathon sogar mit einem gebrochenen Wadenbein absolviert. Ja, beeindruckend, dass so was (mental) möglich ist. Aber gesund geht in meinen Augen anders.
Und dann die vielen, vielen ambitionierten Hobbysportler, die sich von einem Defekt zum nächsten trainieren. Aber sie machen ja Sport (sogar höchst Intensiv), supplementieren (manche substituieren sogar) und wähnen sich mit einem „kompetenten“ Immunsystem ausgestattet (was immer man in diesem Zusammenhang „kompetent“ nennen möchte).
Regelmäßiger, leistungsorientierter Sport ist ein Stressfaktor; und zwar keiner im positiven Sinne. Das Prinzip, dass es zur Leistungssteigerung nicht nur Belastungsreize, sondern auch Erholung/Regeneration bedarf, haben die meisten zwar schon mal gehört, aber nicht verstanden/verinnerlicht. Lieber knapp under der Max.-Schwelle bleiben und schneller regenerieren, als in den Roten Bereich drehen und wegen mangelnder Regeneration („ich muss“, „ich muss“, „ich muss“) in Übertraining und die Leistungsdegression rutschen.
Hallo Chris, vielen Dank für den Artikel, ich drucke das aus und zeige es den Leuten, die müde darüber lächeln, weil ich so langsam bin.
Durch Deine Arbeit verstehe ich immer besser, warum der Trainingserfolg bei mir jahrelang ausblieb. Jetzt wird es langsam, dauert halt.
Ein bisschen frustriert bin ich trotzdem, gehe gerne in die Berge und so eine Bergtour geht halt mal über 4,5 oder 6 Stunden. Im Aufstieg so Ultra langsam zu gehen ist eine Herausforderung (for allem für die Anderen).
Hey, danke fürs Feedback.
Nur zur Korrektur: Ich würde nie behaupten, dass Wandern(!), auch in den Bergen, doof ist, im Gegenteil. Gleichwohl muss man sich dann auch eine ausreichende Erholungszeit zugestehen. Bergtouren können genau dem exponentiellen Charakter der gezeigten Belastungsmuster entsprechen: Viel im niedrigen Belastungsbereich und stoßweise in höhere. Das hängt auch vom Trainingszustand ab, natürlich.
Also: Der Blog war gewiss nicht „gegen Bergwandern“. Mit Bergläufe meinte ich eher… Lauf… ;-)
Beste Grüße
Aktuell setzt sich passend dazu in der Ausdauerwelt wieder vermehrt „Zone 2“ durch, fast schon ein Hype. Inigo San-Millan forscht dazu, insbesondere auch bezüglich Mitochondrien.
Grundtenor: 80-90% des Trainings unterhalb/an der AEROBEN Schwelle. Nur selektiv Intervalle, als Anfänger gar nicht.
Wenn man so 5-8 Stunden pro Woche trainiert, könnte das gesund sein?
Hi Julian,
ja die Entwicklung ist mir auch aufgefallen, auch per Studien aktuell.
Finde ich prinzipiell gut. Problem ist halt trotzdem, dass viele dann 10-20 Stunden pro Woche so trainieren… aber na ja, das ist ein anderes Thema.
Prinzipiell können 5-8 Stunden gesund sein, wenn man wirklich darauf achtet, dass das Tempo kaum
schneller als ein Traben ist.
Beste Grüße
Hi Chris,
Super Artikel!!
Habe aber noch paar Fragen:
Wie haben denn deine langen Läufe ausgesehen als du noch vermehrt Ausdauersport fokussiert hast?
Nach was hast du die Intensität orientiert, nach Gefühl, Pace, Herzfrequenz oder Atmung?
Wie oft hast du lange Läufe gemacht?
Was würdest du heute anders machen?
Hi Markus,
danke fürs nette Feedback! Ja, die Fragen beantworte ich dir gerne.
Ich denke, ich habe zu denen gehört, die stets intuitiv zum Limit tendierten. Wenn man jahrelang Sport macht bzw. läuft, weiß man ja irgendwann, wie sich „die Schwelle“ bzw. das Näher kommen daran anfühlt. Ich denke das subjektive Empfinden deckt sich allgemein sehr gut mit biologischen/physiologischen Messwerten, die bei mir im Laufe der Jahre auch bestimmt wurden.
Ich habe die Bedeutung dieser Tempoläufe überschätzt, Basisarbeit (also z. B. Traben) eher unterschätzt (obwohl ich das auch gerne gemacht habe) und Intervalle bzw. harte Einheiten oft zu stark gemischt mit normalen Läufen (was in der Summe wieder zu viel ist). Allgemein habe ich zu viel trainiert und zu wenig regeneriert (man muss aber dazu sagen, dass ich da auch teilweise mitten im Sportstudium mit sowieso relativ viel Sport war). Ich war also das Paradebeispiel für denjenigen, den ich da beschreibe im Text.
Man muss wirklich einen klaren Blick auf die Gesetzmäßigkeiten und Trainingsprinzipien bekommen, sonst verrennt man sich wörtlich jedes Mal in der eigenen psychischen Struktur bzw. Einstellung. Was würde ich mir heute sagen? Mach weniger. Man steuert sehr viel Fettstoffwechsel und oxidative Kapazität über Ernährung. Mach mehr Basisarbeit, das heißt gemütliche Läufe mit „viel Sauerstoff“ – aber dafür braucht es nicht 120 Minuten oder irgendwie 15-20 km. Das heißt, lauf weniger gesamt. Die langen Läufe bringen nix mehr zusätzlich, gewöhnen den Körper höchstens aus struktureller/ökonomischer Sicht an lange Läufe beim Wettkampf (wer’s mag…).
Kurzum; Ich würde mich sehr viel stärker an die dargestellte Exponentialfunktion halten :-) (Übrigens: Ob ich vermehrt moderne Devices nutzen würde, um meine Messwerte besser zu erfassen, weiß ich nicht. Ich bin kein Freund davon und glaube, dass man anfällig dafür wird, den Blick aufs Wesentliche zu verlieren – Übertraining hat z. B. sehr viele Facetten, nicht nur erhöhte Herzfrequenz oder veränderte HRV.)
Beste Grüße
Hallo Chris,
Wieder mal ein starker Artikel. Vielen Dank dafür!
Allerdings mal eine Fachfrage zu deinem angeführten Beispiel Ryan Hall: sind solche Transformationen denn wirklich „natural“ machbar oder hat der Kollege vielleicht mit ein paar Supplements nachgeholfen die nicht auf der Kölner Liste stehen…!? ;)
Hi Paul,
Besten Dank für das Feedback!
Zu deiner Frage… 😂 Natürlich ist es rein von einem Bild aus schwer zu beurteilen, dazu kenne ich den Athleten auch nicht gut genug. Mich würde aber nicht wundern, wenn er in „beide Richtungen“ (also damals und heute) „etwas“ nachhilft mit Dingen, die der Kölner Liste eher nicht gefallen. Aber das weiß ich nicht genau. Es liegt im Bereich der Möglichkeit!
Edit: Allgemein sollte man aber sehen, dass das hier ganz extrem sein Spektrum seiner Physiologie ist. Er war damals für seine Verhältnisse ggf extrem abgemagert und liegt jetzt bei vielleicht 90-100 kg, was jetzt auch nicht soo off ist. Daher wirkt die „Trafo“ vermutlich krasser als sie realistisch betrachtet ist.
Beste Grüße