Ein Kommentar.
Der neue Artikel kommt in Deutschland an. Es hagelt heftige Kritik.
Low-Carb-Anhänger schreiben Gegenthesen und High-Carb-Anhänger klatschen Applaus?!
Eins vorweg: Es ging nicht um Low-Carb.
Es ging nicht um die Effektivität einer Low-Carb-Diät. Tatsächlich war diese Studie überhaupt nicht konzipiert, verschiedene Diäten-Systeme zu testen.
Die Studie wollte der Frage nachgehen, ob der Kohlenhydratanteil entscheidend für den Diäterfolg ist. In anderen Worten, ob der Kohlenhydratanteil gesenkt werden muss oder ob ein gewisser Kohlenhydratanteil, wenn gegeben, gar den Fettabbau blockiert. Zeitgleich überprüfte man somit die Insulin-Hypothese der Fettleibigkeit.
Und für diese Zwecke reichte das Studiendesign deutlich aus, denn: Physiologische Mechanismen, in diesem Zusammenhang, treten sofort auf. Nicht erst nach drei Wochen.
Abgerundet wurde diese Untersuchung mit einer mathematischen Berechnung. Ich habe dazu ein Bild im Artikel gepostet. Das ist kein Grundschul-Mathematik und Wissenschaftler kalkulierten sogar beispielsweise die De-Novo-Lipogenese mit ein.
Das heißt auch: Kommentare zum Thema „Adaption“ (vor allem an Fett und so weiter) sind nicht zielführend. Es ist auch nicht zielführend, zu glauben, die Low-Carb-Gruppe würde mehr Gewicht verlieren, wenn sie besser „fettadaptiert“ sei. Das ist Esoterik! Wenn der theoretische Maximumwert eines Gewichtsverlusts erreicht ist, dann entscheidet nicht die Fähigkeit darüber, wie gut oder schlecht ich Fett oxidiere. Hierzu siehe auch den Vermerk bezüglich des RQ im letzten Artikel. Auch dieses Thema wurde von den Autoren in der Arbeit angesprochen, beispielsweise mit dem Verweis, dass der Körper versucht, Unterschiede beim Fettverlust so gut es geht zu minimieren. Und wenn es Unterschiede geben sollte, dann sind die zu klein, um tatsächlich auch relevant zu sein – bezogen auf unser Leben und unseren langfristigen Erfolg.
Was wäre denn auch anderes zu erwarten? Der Körper sucht das Gleichgewicht (Homöostase) und zeigt sich daher auch derart anpassungsfähig.
Richtig ist, dass die Autoren beide Diät-Extreme hätten vergleichen müssen. Ultra-Low-Fat (17 g) entsprechend mit einem ketogenen Zustand. Aber auch hier gilt, dass es nicht das Kernthema der Arbeit war. Einmal davon abgesehen, dass wir uns alle darauf einigen können, dass Diät-Extreme selten über einen längeren Zeitraum praktiziert werden und aus evolutiver bzw. soziobiologischer Sicht eher die Unter-, als die Hauptrolle spielen bezüglich menschlicher Ernährungsverhalten. Anders ausgedrückt: Auch mit Mäßigung kommt man ans Ziel.
Homo sapiens kann nur Gewicht verlieren, wenn der Kohlenhydratanteil in der Nahrung gering(er) ist
Die folgende Grafik soll meine Gedanken verbildlichen.
Schauen wir uns die Grafik an. Ich habe sie anhand vorgegebener Studien-Werte erstellt.
Ich habe hier, spaßeshalber, 2400 Kalorien als individuellen Verbrauch definiert.
Heute sind Kalorien „out“. Doch was sind Kalorien eigentlich? Der Körper synthetisiert unablässig den zellulären Energieträger ATP. Jedes Organ im menschlichen Körper hat einen bestimmten ATP-Bedarf, um seine Arbeit verrichten zu können. Daher gibt es so etwas wie einen Grundumsatz. Eine bestimmte Kalorienmenge, aus der der Körper dieses wertvolle ATP (in den Mitochondrien) synthetisieren kann. Das brauchen wir. Da gibt es keine Diskussion. Der Körper verwendet Substrate (also Kalorien) nicht nur, um ATP zu synthetisieren. Er generiert auch Wärme und verschwendet somit „Energie“ (-> Kalorien) via „Entkopplung“. Das kann man so ausdrücken: Die ATP-Synthese in den Mitochondrien „koppelt“ Kalorienverbrauch nicht nur mit ATP-Synthese, sondern entkoppelt auch, sodass Kalorien in Form von Wärme verloren gehen. Diese Mechanismen finden wir vor allem im braunen Fettgewebe, aber auch in der Leber und in der Skelettmuskulatur. Dies nennt sich Thermogenese. Es gibt auch eine Thermogenese aufgrund der Zufuhr von Nahrungsmitteln – ein Energieverbrauch, der für Stoffwechselaktivitäten im Darm verantwortlich ist und sich von Substrat zu Substrat (vor allem KH/Fett vs. Protein) unterscheidet.
Man kann den Kalorienbedarf eines Organismus ganz gut kalkulieren, nicht nur mathematisch, sondern auch in Stoffwechsel-Kammern, wie das hier (in dieser Studie) getan wurde.
Am Ende streitet man sich vielleicht über +/- 50 Kalorien. Das ist nichts wert.
Heißt: Ganz egal, wie viel Real-Life-Relevanz eine bestimmte Kalorienlücke hat, eine negative Energiebalance kann man sich nicht wegdenken und bedeutet, dass auch Kohlenhydrat-Diäten zum Erfolg führen können.
Was ich bei den ganzen Diskussionen zwischen Low-Carb und High-Carb oder gar bei der Frage, ob man mit Kohlenhydraten überhaupt abnehmen kann, vermisse: Wir sehen oben in der Grafik, bei isokalorischen Verhältnissen, eine exakt gleichgroße Kalorienlücke, die der Körper kompensieren muss – durch körpereigenes Fettgewebe.
Daher sollte jede Gruppe, insbesondere im Falle einer Fettleibigkeit, Gewicht verlieren können. Ganz egal, ob ein Kaloriendefizit von 500 kcal nun zu einem Fettverlust von 55 g pro Tag führt … oder doch nur 40 g. Die Frage ist dann nicht, ob es mit „High(er)-Carb, Low(er)-Fat“ funktioniert, sondern ob die Menschen, die das praktizieren (müssen), sich auch an die Vorschriften halten im Sinne einer Adhärenz. Aber das ist und war nicht das Thema der Arbeit.
Das Thema der Arbeit war auch nicht, ob es auch dann noch funktioniert, wenn man bereits sehr schlank ist! Auch hier gilt: Beim Thema bleiben. Nicht abschweifen.
Tatsächlich denken viele (inklusive manche Buchautoren) man könne im linken Falle, also mit 350 g Kohlenhydraten, nicht abnehmen – auch und gerade dann nicht, wenn man über viel Körperfett verfügt.
Dazu ein Szenario: Stelle dir einmal vor, du lebst vor 150.000 Jahren und hast seit drei Tagen nichts zu essen bekommen. Jetzt findest du plötzlich 20 Kartoffeln, die 300 g Kohlenhydrate enthalten und umgerechnet circa 1300 Kalorien enthalten. „Oh wow“, denkst du, „endlich etwas zu futtern“. Du isst diese Kohlenhydrate und kannst (laut der These diverser Vertretern) kein Körperfett mehr anzapfen an diesem Tag. Diese Sache passiert dir in den nächsten drei Wochen immer mal wieder und dann stirbst du. Den Hungertod – mit Körperfettanteil von 25 %.
Wie paradox ist das?
Gleiche Sache: Es gibt seit Wochen mal wieder nichts zu essen, täglich nur 600 g Magerfleisch und insgesamt 130 g Protein. Die Zufuhr des Proteins lässt dein Insulin ansteigen und … du stirbst, weil du kein Körperfett als Energiequelle anzapfen kannst.
Wäre das so gewesen, gäbe es uns heute nicht. Und ein Protein Sparing Modified Fast (PSMF) würde auch nicht funktionieren.
Negative Energiebalance gibt es heute nicht mehr. Stattdessen: Insulin
Dieses Szenario gilt auch für Insulinresistente. Denn die würden im Zuge einer negativen Energiebalance (und somit im Zuge eines Fettverlusts), ihr eigenes System neu justieren und wären nach einiger Zeit wieder insulinsensitiv. Dies gilt zumindest für den Großteil der Insulinresistenten, deren Insulinresistenz durch zu viel (Viszeral-)Fett und daraus folgende Entzündungen hervorgerufen wurde.
Daher vermelden „High-Carb“(-Veganer) bisweilen die gleichen Erfolge, wie Low-Carb-Anhänger.
Tatsächlich gab es vor knapp 50 Jahren schon einen Herren namens Kempner, ein Arzt und Wissenschaftler, der alle seine schwer übergewichtigen Patienten mit einer Reis-Diät behandelte. Eine Restriktionsdiät, bei der die Patienten nur Reis und Zucker verspeisen durften. Er behandelte Tausende damit. Eindringlichst formuliert wurden seine erstaunlichen Ergebnisse in einer Studie, wo 106 Patienten im Schnitt 64 kg Körpergewicht verloren und von nahezu all ihren Beschwerden (inklusive Diabetes) „geheilt“ wurden (Kempner, 1975). Denise Minger hat dazu einen netten Vortrag gehalten.
Solche Ergebnisse müssen von uns nicht reproduziert werden, aber sollten ebenso berücksichtigt werden, wie die vielen Gegenhypothesen.
Die Insulin-Hypothese ist auch deshalb hinfällig, weil wir mittlerweile diverse Mechanismen außerhalb von Insulin kennen, die beispielsweise die Fettsäure-Freisetzung regulieren. Da wäre zum Beispiel zu nennen das Myokin (ein Muskelbotenstoff) IL-6, also das Interleukin-6, das sehr potent die Lipolyse induziert. Völlig unabhängig davon, ob Insulin da ist oder nicht.
Um nicht zu sagen: Diese Streitereien, wie wir sie heute im Internet finden, sind bei aller Wissenschaftlichkeit, bei aller Seriosität und Expertise, überflüssig.
Ich wiederhole mich: Wir von edubily empfehlen keine „Kohlenhydrat-Diäten“, aber … Leute, wacht mal auf!
Ich darf ergänzen, dass die Jungs von Examine zum gleichen Schluss kommen (http://examine.com/blog/really-low-fat-vs-somewhat-lower-carb/?utm_source=fb-aug17&utm_campaign=ourpage).
Referenzen
Hall, Kevin D.; Bemis, Thomas; Brychta, Robert u. a. (2015): „Calorie for Calorie, Dietary Fat Restriction Results in More Body Fat Loss than Carbohydrate Restriction in People with Obesity“. In: Cell Metabolism., DOI: 10.1016/j.cmet.2015.07.021.
Kempner, Walter (1975): „Treatment of Massive Obesity With Rice/Reduction Diet Program“. In: Arch Intern Med. 135 (12), S. 1575, DOI: 10.1001/archinte.1975.00330120053008.