Antioxidantien wie NAC und Vitamin E sollen Krebs fördern

Antioxidantien und Krebs – Bewahre einen kühlen Kopf

Nachdem am Samstag die Vitamin-D-Mail unser Postfach verließ, erhielt ich einige Stunden später eine Antwortmail.

Diese enthielt einen Link und das Statement:

„Wenn ich so etwas lese, komme ich schon ins Grübeln“.

Der Link führte mich zu einem Artikel, der titelte, dass Antioxidantien die Metastasenbildung eines Melanoms (schwarzer Hautkrebs) fördern.

Welche Antioxidantien waren da gemeint? N-Acetyl-Cystein und Vitamin E.

Freilich war ich schon stark verwundert, denn ich weiß – offen gesagt – nicht, wie man, gedanklich, von Calcitriol auf NAC und Vitamin E kommen kann.

Aber genau hier liegt das Problem: Viele Leser (und Biologie-Einsteiger) tun sich schwer, Sachverhalte adäquat zu beurteilen, sind stark verunsichert.

Nur die Klicks zählen

Grundsätzlich scheinen mir einige noch nicht zu verstehen, dass man sich nicht bilden kann, alleine dadurch, dass man die Gesundheitsabteilung der Bildzeitung oder anderen „Wissensportalen“ studiert. Es sollte klar sein, dass Medien in erster Linie Geld verdienen wollen und genau in die Kerbe hauen werden, die die meisten Klicks beschert. Und, pardon, dopamingesteuerte Individuen, also wir, klicken auch noch drauf und bekommen Angst. Toll gemacht: Schlecht informiert und dann auch noch Angst.

Ich weiß nicht warum, aber manche Journalisten finden es anscheinend besonders reizend, immer wieder diese Antioxidantien-Nummer zu fahren und dabei, sogleich, auf alle Vitamine zu schließen.

Bei genauerer Betrachtung sind diese Herangehensweisen und Suggestionen ziemlich daneben und stark undifferenziert.

Aber genau dieses Denken finden wir in den Köpfen der Leser wieder. Ich habe ein paar Foren zu diesem Thema studiert. Ganz besonders amüsant fand ich die Verschwörungstheorien („Propaganda gegen Vitamine“) und geniale Gedankenkonstrukte wie, „Es fehlen die einheitlichen Ergebnisse in der Medizin und der Wissenschaft“.

Insbesondere der letzte Satz impliziert genau das große Problem, nämlich, dass viele Menschen fest davon ausgehen, dass ein Sachverhalt zu jedem Zeitpunkt und in jeder Situation gleich ist. 

Das ist freilich nicht der Fall. Aber genau an dieser Feststellung scheitern viele gut gemeinte Ratschläge.

Von Antioxidantien über freie Radikale zum Krebs

Das kannten wir ja schon von Antioxidantien im Zusammenhang mit Ausdauersport. Dort haben wir gelernt, dass freie Radikale wichtige Signalmoleküle sind, die man am besten nicht klaut, sonst kann der Muskel nicht adäquat auf das Training reagieren. Umgekehrt ist uns allen klar, dass man chronisch erhöhten Radikal-Werten entgegen wirken muss.

Drum passiert bei älteren Individuen oft das genaue Gegenteil. Erst das Absenken der Radikal-Werte führt dazu, dass der Körper erneut auf diese trainingsinduzierten Radikal-Spritzen reagieren kann.

Gleicher Sachverhalt, zwei unterschiedliche Hintergründe.

So ist das auch mit dem Krebs.

Krebs ist nicht gleich Krebs

Hier in der Studie hat man mal getestet, was NAC und Vitamin E für oder gegen das Melanom tun.

Lustig finde ich ja zunächst, dass es sich hierbei um eine Maus-Studie handelt. Poste ich hier Maus-Studien ist das Geschrei immer groß, aber werden solche Maus-Studien veröffentlicht, schluckt jeder die Pille und glaubt fest daran. Seltsam, oder nicht?

Melanom ist eine Art von Krebs. Es gibt Krebsarten wie Sand am Meer. Insofern ist das Melanom in keinster Weise repräsentativ, um auf alle Krebsarten zu schließen. Es gibt mehrere Melanom-Subtypen und von allen Krebserkrankungen ist Melanom mit 2-3 % tatsächlich eher das kleinere Übel.

(Die Sache mit der Krebsart gilt im Übrigen auch für Spielereien wie ketogene Diäten und so weiter. Bei der einen Art funktioniert es, bei einer anderen nicht mehr.)

NAC und Vitamin E beschleunigten nicht die Vermehrung, sondern die Verteilung des Tumors. Soll heißen, wie in der Überschrift der Studie angedeutet, dass es zwar die Metastasen-Verbreitung fördert, nicht aber die Teilungsrate ebendieser.

Grundsätzlich sollte man bedenken, dass der Krebs unterschiedliche Phasen durchläuft und eine Intervention zu Beginn absolut förderlich sein kann, während sie im Spätstadium eben nicht mehr so toll ist. Klar, das wollen wir nicht hören, weil wir gerne eine Lösung für unser Problem hätten und nicht einen konstanten Denkvorgang zwischen den Ohren.

Darüber hinaus sollte man auch bedenken, dass Tumorzellen sehr häufig freie Radikale nutzen, um die Vermehrung zu beschleunigen. Drum gibt es auch Studien, die zeigen, dass man diese Radikale hemmen kann und der Tumor breitet sich danach langsamer aus. (Den Reverse-Warburg-Effekt kann man mit Antioxidantien sogar komplett verhindern.) Gleichzeitig aber kommt es erneut auf den Kontext an, denn auch die Antikrebs- und Antioxidans-Gene in der Zelle, wenn sie überhaupt noch funktionieren, reagieren auf diese Radikale. Daher wäre es oft schlicht weise, beispielsweise die körpereigenen antioxidativen Regulationsmechanismen zu unterstützen anstatt von außen, völlig unkontrolliert, Antioxidantien zuzuführen.

Anmerkung: Sehr hohe Radikalen-Werte treiben die Krebszelle ins Selbstmordprogramm. Das machen sich beispielsweise Chemotherapeutika zunutze. Wäre es jetzt ganz toll, die restlichen, gesunden Zellen mit dieser Radikalen-Menge zu bombardieren? Wohl kaum. Denn diese Radikale würden gesunde Zellen zu malignen Zellen transformieren. Bekannt ist, dass „antioxidativ wirkende Substanzen“, wie beispielsweise Vitamin C aber auch Ingwer, auf die Krebszelle überhaupt nicht antioxidativ wirken, sondern zur extremen Tumorzell-spezifischen Radikalen-Anreicherung beitragen. Dadurch sterben diese Krebszellen. Umgekehrt wurde mehrfach gezeigt, dass die Tumor-Initiation, also der Prozess bei dem die normale Zelle zur Tumorzelle wird, durch Antioxidantien potent blockiert werden kann (siehe oben). Kontext!

Der Kontext ist entscheidend

Viel wichtiger aber ist mir, dass Leser das Gleichgewicht kennenlernen und erfahren, dass die Medien sehr einseitig berichten.

Denn von den Journalisten kann der Großteil ja selbst keine Studien lesen und … die werden einem auch nicht sagen, dass man 5 Sekunden in der PubMed-Datenbank suchen muss und zehn Ergebnisse erhält, die eine andere Sprache sprechen.

Im Falle von NAC zum Beispiel hier:

  • Inhibition of invasion, gelatinase activity, tumor take and metastasis of malignant cells by N-acetylcysteine.
  • Synergism between N-acetylcysteine and doxorubicin in the prevention of tumorigenicity and metastasis in murine models.
  • Inhibition by oral N-acetylcysteine of doxorubicin-induced clastogenicity and alopecia, and prevention of primary tumors and lung micrometastases in mice.
  • The role of the thiol N-acetylcysteine in the prevention of tumor invasion and angiogenesis.
  • N-acetylcysteine inhibits endothelial cell invasion and angiogenesis.
  • Allyl isothiocyanate and its N-acetylcysteine conjugate suppress metastasis via inhibition of invasion, migration, and matrix metalloproteinase-2/-9 activities in SK-Hep 1 human hepatoma cells.
  • Antimetastatic potential of N-acetylcysteine on human prostate cancer cells.
  • N-acetylcysteine inhibits proliferation, adhesion, migration and invasion of human bladder cancer cells.
  • N-acetyl-cysteine promotes angiostatin production and vascular collapse in an orthotopic model of breast cancer.
  • Inhibitory effect of N-acetylcysteine on invasion and MMP-9 production of T24 human bladder cancer cells.
  • N-acetylcysteine improves antitumoural response of Interferon alpha by NF-kB downregulation in liver cancer cells.

Das Thema „Tumor/Krebs“ ist doch ein wenig komplexer als die journalistische Reduktion auf „Antioxidantien“ vermuten lässt.

Umgekehrt solltest du dich vom Glauben verabschieden, den Krebs durch deine eigenen Methoden kontrollieren zu können.

Dann lesen sich solche Überschriften vielleicht auch etwas entspannter.

By the way: Calcitriol, das aktive Vitamin D, hat nichts mit klassischen Antioxidantien am Hut.

Zusammengefasst:

  • Man kann nicht von „Antioxidantien“ auf „Vitamine“ auf „alle (essentiellen) Substanzen, die wir normalerweise zuführen“ schließen
  • Medien wollen nicht die Wahrheit oder ein Gleichgewicht, sondern Geld durch Klicks
  • Wir alle sollten das Differenzieren lernen – Dinge können sich je nach Situation komplett anders verhalten
  • Ein Melanom ist nicht repräsentativ für alle Krebsarten
  • Tumore durchlaufen verschiedene Stadien, es gibt nicht das Stadium (und somit nicht die Behandlung)
  • Tumore gedeihen normalerweise sehr gut in einem hochkonzentrierten Radikalen-Sumpf
  • Auch hier gilt: Gleichgewichte und Tumorstadien sind entscheidend
  • NAC zeigt ganz offensichtlich auch hoch potente antikanzerogene Eigenschaften, von denen wir normalerweise nix hören

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

4 comments On Antioxidantien und Krebs – Bewahre einen kühlen Kopf

  • Mal ein paar Fragen zu NAC.

    Ist das das Gleiche, was bei z.B. ACC Brusetabletten als Schleimlöser eingesetzt wird (Acetylcystein), oder gibt es da unterschiedliche Erscheinungsformen?

    Wie unterscheiden sich NAC und L-Cystein bezüglich ihrer Wirkung im Körper (Acetylcystein wird zu L-Cystein deacetyliert. Und dann? Ist die Acetylgruppe noch „für irgendwas sinnvoll“?)?

    LG,
    Thorsten

  • Super Artikel, danke für die Info. Ich hatte die Überschrift mit „Antioxidantien fördern die Metastasenbildung“ auch gelesen. Biochemie ist ein komplexes Thema, von dem die wenigsten auch nur einen Hauch Ahnung haben.

    Im Moment heißt „der Krebs“ Riesenzelltumor und liegt 500 km entfernt im Krankenhaus.

  • Hi Chris!
    Also ich muss nun auch einmal kommentieren. Sehr gelungene Beiträge immer wieder wenn ich hier lese. Wissenschaftlich fundiert, sachlich in deiner eigenen Art und Weise (die mich keineswegs stört wie vl manch anderen) und auch soweit verständlich, dass man kein Biologe etc. zu sein braucht. Ich werde mir voraussichtlich bald euer „Handbuch“ besorgen müssen. :-) Weiter so. LG Christoph

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