Was uns wirklich von Jägern und Sammlern unterscheidet

Wenn man sich mit natürlich lebenden Menschen, nennen wir sie Jäger und Sammler, befasst und das Leben dieser Menschen wenigstens einmal versucht zu emulieren, dann versteht man schnell, was Sache ist. Wohlgemerkt: In der provinziellen Pfalz waren die noch bis vor wenigen Jahrzehnten „Jäger und Sammler“ …

Jedenfalls: Plötzlich gehen einige Lichter auf. 

Denn über Ernährung zu philosophieren ist das eine. Das Ganze selbst mal durchlebt zu haben … das andere.

Das kann mit banalen Umstellungen beginnen, die letztlich oft viel profunder wirken als uns klar ist. Wir hören also mal eine Zeit auf die klassischen Backprodukte zu verzehren und nutzen in Zukunft Kartoffeln, Süßkartoffeln und Reis als unsere Stärke-Quelle. Teil der Magie beginnt nämlich genau dann. Plötzlich ist man gezwungen, die Kartoffel-Säcke nachhause zu schleppen. Man muss sich dann in die Küche stellen, das Zeug auch noch kochen.

Wer mal nachgerechnet hat: Um auf nennenswerte Mengen Kalorien und Kohlenhydrate zu kommen, muss man sich — zumindest bei Kartoffeln — schon sehr viel Mühe geben. Dann kommt nämlich schon das nächste Problem ins Spiel: Wer kann schon den ganzen Tag Kartoffeln essen?

In der Zwischenzeit hat man — gar nicht gemerkt — ein Energie-Loch erzeugt.

Schon alleine das (gesunde) Kochen kann für viele Menschen bedeuten, dass sie urplötzlich sehr viel weniger essen oder, alternativ, weniger Kalorien zuführen.

Auch die gelebte Praxis: Plötzlich ist abends der Kühlschrank leer. Schlecht geplant. Kein Salat, kein Fleisch, nix … Was tun? Ups. Dann geht man sogar mal hungrig ins Bett und isst morgens wenig bis nichts. Schon ist man in der Ketose, also im „Fastenmodus“. Völlig selbstverständlich, keine Magie. Für „natürlich lebende Menschen“ ganz normale Zustände.

Umgekehrt kreieren die damit ein metabolisches Milieu, das ganz andere Anforderungen hat. Das wissen wir doch: Tiere sind beispielsweise vor Fruktose-induzierten Stoffwechselproblemen geschützt, wenn sie weniger essen müssen oder mal ein bisschen Sport treiben. Physiologisch betrachtet hat das einen ziemlich ähnlichen Hintergrund: Sport und Energielöcher schalten gleichartige oder die gleichen Signalwege innerhalb der Zelle an. Die wird plötzlich aufnahmefähig und aktiv.

Noch mal kurz: Darüber haben wir z. B. im Stoffwechsel-Buch, aber auch im Handbuch sehr ausführlich geschrieben.

Die anderen Menschen, auch bei uns, das sind die Sportler. Die sind einfach anders. Das wird auch Stubenhocker niemals verstehen können. Denn sämtliche Probleme, auch wirklich gravierende, lösen sich plötzlich in Luft auf. Ein Sportler fragt sich selten, ob er den Keks essen darf oder nicht. Viele Sportler fragen sich was ganz anderes. Die fragen sich, wie sie schnellstmöglich genug Energie in den Körper bekommen.

Unser gesellschaftliches Grundproblem ist genau das.

Im Blut staut sich alles. Angefangen bei Cholesterin hin zum Blutzucker und Insulin. Selbst Androgene stauen sich. Sogar zu viele Vitamine im Blut sind heute ein Thema, zumindest bei den Amerikanern.

Das Prinzip dahinter ist einfach zu verstehen: Der Muskel war eigentlich dafür programmiert, belastet zu werden. Wer den Muskel beispielsweise mechanisch belastet, der erhöht massiv den Energieverbrauch, aber auch den Baustoff-Umsatz. Der Muskel muss halt Strukturen aufbauen. Gleichzeitig wird auch der darunter liegende Knochen belastet. Was macht der? Der will auch aufbauen und schüttet (erst dann!) z. B. Osteocalcin aus. Osteocalcin schnappt sich das Calcium aus dem Blut und transportiert es zum Knochen.

Daher: Wir haben vergessen, dass wir Umsätze im Körper kreieren müssen. Dass Gewebe erst dann arbeiten, wenn man sie ein bisschen arbeiten lässt und nicht zumüllt mit Überfluss. Erst dann entsteht eine Sog-Wirkung. Erst dann können Strukturen aufbauen und erst dann entsteht ein Feedforward-Mechanismus, der dafür sorgt, dass das Baumaterial bzw. Energie-Substrat auch aufgenommen wird.

Dann wird das Blut freigeräumt und wir stellen uns fortan ganz andere Fragen.

Diese körperliche Belastung war für alle Menschen, sogar noch für unsere Großeltern, über viele, viele Jahrtausende normal. Wenn wir davon ausgehen, dass der Körper die Belastung braucht, um normale physiologische Abläufe überhaupt zu gewährleisten, körperliche Belastung also braucht wie die Luft zum Atmen, dann ändern sich die Prioritäten. Gerade mit Blick auf die Gesundheit. Viele Probleme lösen sich dann von selbst.

Wir würden uns alle gerne „andere Fragen stellen“, nicht wahr?!

PS: Viele von uns bräuchten einen Trainier oder ein Team, etwa eine Fußballmannschaft. Denn uns ist oft nicht klar, was es bedeutet, den Körper wirklich zu belasten. Lange bevor wir ihn wirklich belasten, glauben wir, es reicht. Ein Trainer kann uns überfordern, er kann uns aber auch — oft sogar spielerisch — zeigen, dass wir einfach nur tierisch faule Wesen sind, die alles tun, um in der körperlichen Sesselsitz-Zone zu bleiben.

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

2 comments On Was uns wirklich von Jägern und Sammlern unterscheidet

  • Ich finde, dass Du hier den Nagel auf den Kopf triffst. Ohne ausreichend Bewegung ist alles nichts und die durch Bewegungsmangel ausgelösten Defizite können durch welche Ernährung auch immer langfristig nicht kompensiert werden. Umgekehrt geht das schon eher.
    Was ich nicht verstehe, ist Deine Vorliebe für angebaute Stärke. Reis jagt man nicht, und man sammelt ihn auch nicht. Jäger und Sammler müssten ihn anbauen und wären dann eben Bauern und keine Jäger und Sammler. Für Kartoffeln gilt ähnliches, wenn man mal von einer Knolle hier und da absieht. Wenn man sich viel bewegt, relativiert sich die Diskussion um Stärke natürlich, weil sie schlicht verbrannt wird. Aber das ist eine Diskssuion über Bewegung, nicht über die Ernährung von Jägern und Sammlern.
    Viele Grüße
    Jörg

    • Hey Jörg,

      wir haben darüber schon ziemlich oft geschrieben. Stärke ist im Vergleich ziemlich unproblematisch. Wir halten auch nichts von dem Denken „Was der Jäger und Sammler nicht kriegen konnte, ist automatisch schlecht für uns heute“.
      Ich weiß auch ehrlich gesagt nicht, warum immer wieder gesagt wird, man müsse Stärke, Glukose oder whatever „wegrennen“. Wieso muss man das? Glaubst du nicht, dass jeder einen Energiebedarf hat, den er stillen muss? Dabei ist es ziemlich egal, ob es aus Glukose oder aus Fett ist. Oder musst du das Fett aus dem Rührei mit Butter morgens auch „verbrennen“, indem du gleich auf die Piste springst?

      Das Problem ist, dass wir Menschen „gezüchtet“ haben, die metabolisch krank sind und mit der Glukose nicht mehr umgehen können. Das hat aber nichts damit zu tun, dass Glukose per se schlecht ist, ganze Völker leben quasi nur davon und die sind auch nicht alle krank und fett (-> z. B. Blue Zones). Man muss es ja nicht gleich übertreiben, aber dieses „Ich muss es wegrennen“, wie ich es häufiger lese, ist ziemlicher Quatsch.

      Ansonsten: Genau, ohne Bewegung ist alles nix! :-)

      LG, Chris

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