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Den Steinzeitmenschen in uns (re-)aktivieren

Newsletter vom 15.11.20


Vorsicht, heute wird’s ein bisschen bio-philosophisch ;-)

Nur eine Richtung: vorwärts

„Stillstand ist Rückschritt“ – mit diesem Motto wächst der eine oder andere von uns vielleicht auf, weil es eine Erziehungstugend der Eltern ist. Ich, Chris, mag es manchmal ein bisschen härter, man könnte es dann auch so formulieren:

Wer liegen bleibt, stirbt. 

Das mag für manche Menschen irgendwie (zu) hart und „darwinistisch“ klingen, aber im Wesentlichen beschreibt es genau das, was man sieht, wenn ein Mensch oder ein Tier von uns geht. Das betrifft sowohl den geliebten Verwandten als auch das Reh im Wald oder die Vogelspinne im Terrarium.

Nun muss man ein bisschen unterscheiden: Am Ende des Lebens geht der Körper eines Organismus augenscheinlich in einen „Sterbemodus“ über. Das Lebewesen zieht sich zurück, der körperliche Verfall erfolgt rapide. In diesen Fällen hat das Lebewesen offensichtlich gar keine andere Wahl mehr als das Schicksal anzunehmen und aus dem Leben zu gleiten.

Auf der anderen Seite könnte man sich das Reh mit gebrochenem Bein vorstellen. Bleibt es – warum auch immer – liegen, wird es gewiss sterben.

Das Leben kennt daher im Grunde nur eine Richtung, und das ist vorwärts. Wer sich aufgrund seines eigenen Verhaltens oder aufgrund der eigenen Biochemie nicht daran hält oder daran halten kann … wird immer ein bisschen kränker oder stirbt letztlich sogar.

Wer sich keine Mühe gibt, wird krank

Natürlich sind wir heute so privilegiert und können diese molekularen Effekte genau studieren. Sitzenbleiber und „Lebensverweigerer“ sind ungesünder, werden früher krank. Die Wissenschaft muss uns das – mal wieder – zuerst erklären, damit wir es auch glauben. Heute gilt Sport beispielsweise als „the real polypill“ gegen sämtliche (Zivilisations-)Erkrankungen.

Umgekehrt könnte man schlussfolgern: Menschen, die bis an ihr Lebensende voll von Visionen sind, die Lust haben zu partizipieren, die mit dem Fluss des Lebens gehen und aktiv bleiben, haben nicht nur ganz oft bis ins hohe Alter das bekannte Leuchten in den wachen Augen, sondern bleiben ggf. länger gesund.

Solche Mechanismen findet man verklausuliert beispielsweise in den „Gesetzen der Alten“ – wenn man die Blauen Zonen studiert – also geographische Regionen auf der Welt, wo besonders viele Menschen besonders alt werden –, sieht man, dass diesen Menschen ganz oft gar keine andere Wahl bleibt, als bis zuletzt beispielsweise ein Selbstversorger zu sein. Diese Menschen werden vom Leben quasi gezwungen weiter mitzuspielen.

Auf der anderen Seite findet man ganz moderne und neue Therapieansätze von Gebietskoryphäen, die auf eigenverantwortliches, proaktives Handeln zielen und das Individuum (in-)direkt auffordern, selbst etwas für die Gesundung und Gesunderhaltung zu tun – so ein Ansatz verfolgt beispielsweise das s. g. Bredesen-Protokoll zur „Umkehr des kognitiven Verfalls“. Ein völlig anderer Ansatz als der, mit dem wir aufgewachsen sind und der sich hartnäckig in den Köpfen der Menschen hält.

Nicht immer „rückwärts denken“

Daher sollte man immer vorsichtig überlegen, ob es gut ist, von Verboten und Restriktionen zu leben, oder den Leuten einzutrichtern, dass es okay ist, wie ein abhängiges, leider oft atrophiertes Zootier zu leben. Man könnte sich stattdessen überlegen, wie es vorwärts gehen könnte: 

  • Wer Angst vor den negativen gesundheitlichen Folgen von Eisen im Körper hat, der könnte natürlich beispielsweise ein bisschen weniger rotes Fleisch essen – oder ganz einfach mehr trainieren, sich mehr bewegen, damit das Eisen an den richtigen Stellen im Muskel und im Blut verbaut wird.
  • Wer Angst vorm bösen Zucker oder Kohlenhydraten hat, der könnte beispielsweise dafür sorgen, dass der Körper sehr viel besser mit Kohlenhydraten umgehen kann. Auch das erfordert natürlich wieder ein proaktives Verhalten.
  • Und wer Angst vor dem bösen Virus, dem Schnupfen, der Grippe oder vor dem Schreckgespenst C hat, könnte sich maximal viel Mühe geben, über eine kompetente Immunfunktion zu verfügen. 

Der letzte Punkt ist ein tolles Beispiel. Im Leben in der Wildbahn bleibt einem Tier gar nichts anderes übrig als ständig in Kontakt mit Mikroben zu kommen. Alleine im Apfel sind über 100 Mio. Bakterien enthalten.

Natürlich kann ein Mensch diese Mikroben nicht sehen. Als die Wissenschaft dann zunehmend entdeckt hat, dass Mikroben krankmachen können, schlussfolgerte man instinktiv: Am besten desinfizieren wir die komplette Welt. Kinder, die steriler aufwachsen – weil die Eltern sich viel Mühe beim Desinfizieren geben –, haben mehr Autoimmunerkrankungen, mehr Allergien, ein grundsätzlich fehlgesteuertes Immunsystem.

Hier stecken zwei Weisheiten drin:

  1. Die Medizin und die Wissenschaft halten sich oft für besonders schlau und wichtig. Und natürlich: Beiden Disziplinen haben wir sehr viel zu verdanken. Aber sie beschreiben immer nur einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit. Das sollte man nicht aus dem Kontext reißen, aufblasen und zur eigenen Lebenswirklichkeit werden lassen – weil diese dann immer genau so groß (oder klein ;-) ist, wie das, was man gesichert weiß. Und gewiss: In 100 Jahren weiß man ganz bestimmt sehr viel mehr als heute. Aber das Leben eines Menschen ist das gleiche.
  2. Für ein gesundes, fittes, schlagkräftiges Immunsystem darf man Viren, Bakterien und Co. nicht aus dem Weg gehen. Wer mutig ist, und wer es sich zutraut, sollte aktiv den Kontakt zu Mikroben suchen. Auch hier gilt wieder: Derjenige, der nicht resigniert und stattdessen etwas proaktiv tut, wird belohnt.

Es dürfte daher nicht verwundern, dass zum wiederholten Male in einer Studie gezeigt wurde, dass wir vor dem neuen C-Virus besser geschützt sind, wenn wir bereits mit anderen, herkömmlichen Erkältungs-Coronaviren in Kontakt kamen. Oder mit anderen Worten: Ein trainiertes Immunsystem kommt besser mit auch „neuen“ Viren zurecht – in der Wissenschaft nennt sich das Phänomen Kreuzimmunität. Und dadurch schützen wir freilich wiederum unsere Mitmenschen.

Deine Biologie ist Gesetz

Die Gesetze des Lebens (oder: der Evolution) sind seit Tausenden von Generationen in uns verankert. Wir brauchen die frische Luft, den Kontakt zu anderen Menschen, wir brauchen frisches Essen, wir brauchen Kälte, Hitze, intensiven Sport und andere natürliche Stressoren, um gesund zu bleiben. Wenn wir das Wilde in uns „herauszüchten“, werden wir krank.

Daher sollten wir ab und zu proaktiv den Steinzeitmenschen in uns (re-)aktivieren – nicht nur die eigene (Epi-)Genetik und die eigene körperliche Gesundheit, sondern auch die eigene psychische Gesundheit und vor allem die Gesundheit der Gesellschaft wird es uns danken. Zu diesem Thema gibt’s seit 2014 ein Buch von uns, das letztes Jahr quasi in Neuauflage ging ;-)

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

2 comments On Den Steinzeitmenschen in uns (re-)aktivieren

  • Das hast Du gut geschrieben, Chris. Weiter so.

  • Wunderbarer Text.
    Dazu habe ich eine konkrete Frage (weiter unten).
    Ich habe seit meiner Kindheit allergisches Asthma (Heuschnupfenbedingt bekommen, d.h. „empfindliche Bronchien“ wie der Lungenfacharzt es nennt, mit einem um ca. 11 % reduzierten Lungenvolumen), muss aber i.d.R. auch in der Pollen-Saison nichts einnehmen (außer einem Standard Antihistamin bei starken Symptomen) oder sprayen, sondern habe einfach die typischen ekligen Symptome und bin etwas Kurzatmiger.
    Ansonsten bin ich zwar sehr schmal gebaut (schon immer), aber durchaus aktiv: 2 x pro Woche Krafttraining, im Sommer häufiger wandern, ab und an schwimmen, im Winter gerne mal in der Sauna, ab und an leichter Trampolin-Sport auf dem Bellicon zuhause. Bin zwar übler Hardgainer, aber generell recht fit.
    Ich habe definitiv eine gute Ernähung. NEM = Whey, Multi und Vitamin D3/K2. Von wem wohl? ;-)

    Jetzt frage ich mich aber, ob ich „Corona“ trotz meiner Vorerkrankung einigermaßen gelassen sehen kann oder ob ich dennoch zur Risikogruppe gehöre. Meine Leukozyt Werte sind seit Jahren aber relativ niedrig (knapp unter 4000) und ich weiß nicht wieso. Mein Hausarzt (halte ich generell für kompetent) sagte aber, dass er damit zufrieden sei. Der Wert soll ja ein Indikator für die Immunabwehr sein…

    Und welche Möglichkeiten gibt es, den Wert ggfs. zu verbessern?

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