fettverbrennungsmotor

Entwicklungen

Was wir häufig verkennen, sind Entwicklungen.

Das betrifft sowohl Entwicklungen zu unserem Vor- als auch solche zu unserem Nachteil:

  • Gewichtsverlust merkt man eigentlich nicht – höchstens daran, dass die Hose nicht mehr so eng anliegt und wir uns im Alltag leichter bewegen
  • Arteriosklerose spürt man in der Regel nicht – höchstens daran, dass der Alltag im wahrsten Sinne schwerer wird oder wenn sich die Angina pectoris meldet

Heißt: Natürlich spüren wir was, wenn wir ganz genau hinhören und -gucken würden. Wenn wir ein Tagebuch hätten, wo wir alles genauestens notieren. Auf der anderen Seite können wir zum Beispiel nicht in unseren Körper gucken, die Gefäßgesundheit eher nicht auf täglicher Basis messen.

Dass wir quasi mit den Veränderungen wachsen, liegt an der erst kürzlich besprochenen neuronalen Plastizität. Das Gehirn passt sich in jeder Sekunde an die neuen Umweltgegebenheiten an. In Deutsch heißt das übersetzt:

Man gewöhnt sich an alles.

Solange jedenfalls, bis der Schuh zwickt (oder halt nicht mehr ;-).

Wenn es um Prävention geht, sollte man sich das stets vor Augen halten. Denn, wie kurz angemerkt, kommt der Herzinfarkt zwar unangekündigt, aber die Pathogenese, also die Arterioskleose-Entwicklung, erstreckte sich über Jahre und Jahrzehnte.

Wir alle hatten mal diesen Muskel

Genau so ist es auch mit dem Muskel im Übrigen. Als Kinder sind wir quasi alle Leistungssportler. Obwohl Kinder ein noch nicht voll entwickeltes Herzkreislaufsystem haben, weisen sie super fitte Muskeln auf, die dafür sorgen, dass ihre sportlichen Kapazitäten mit denen von Ausdauersportlern vergleichbar sind (Q).

Unsere Forschung zeigt, dass Kinder einige dieser Einschränkungen durch die Entwicklung von ermüdungsresistenten Muskeln und die Fähigkeit, sich sehr schnell von hochintensiven Belastungen zu erholen, überwunden haben.

Wer mal einen Tag auf dem Kinderspielplatz verbracht hat, weiß auch warum: Die sind konstant am rumrennen, -radeln, -springen und -sprinten. Bewundernswert. Die haben einfach Bock. Viele Erwachsene halten da lange nicht mehr mit.

Aber: Genau so waren wir. In aller Regel. Mehr noch als die Kinder heute. Denn unsere Tage spielten sich naturgemäß im Freien ab. Auch der Sportunterricht verdiente damals noch seinen Namen ;-)

Wir züchten uns krankmachende Muskeln

Bei Erwachsenen sieht das zwischenzeitlich leider anders aus. Denn „fitte Muskeln“ sind unterm Mikroskop rot, also gut durchblutet, voll mit Sauerstoff, voll mit energieverbrennenden Mitochondrien. Das wird für viele Erwachsene irgendwann zu einem Luxusgut.

Denn die haben plötzlich ziemlich viele faule Muskelfasern und weniger Mitochondrien. Kurzum: Diese Muskeln vergären gerne Zucker, aber sind schlecht darin, Fette zu verbrennen.

Jetzt kommt der Punkt: Passiert das über Nacht? Nein, natürlich nicht. Das setzt eine langsame, monate- oder jahrelange Entwicklung voraus. Ganze epigenetische Programme der Muskelzellen stellen sich um. Die Muskelfaserkomposition ändert sich allmählich von hochfit und fettverbrennend zu lasch, träge und stoffwechselkrank.

Bis man dann eines Tages beim Arzt vorstellig wird, der einem die Insulinresistenz diagnostiziert. 40 % der US-Amerikaner im noch frischen Alter von 18-44 sind schon insulinresistent, heißt, die laufen mit unterentwickelten Muskeln durch die Gegend (Q).

Eine neuere Analyse von NHANES-Daten aus dem Jahr 2021 ergab, dass 40 % der US-Erwachsenen zwischen 18 und 44 Jahren auf der Grundlage von HOMA-IR-Messungen insulinresistent sind.

Im Jahr 2003 waren es nur die Hälfte in dieser Alterskohorte.

Wie wir den Muskel metabolisch degenerieren lassen

Schuld? Klar, immer die gleichen Übeltäter:

  • Zu viele Kalorien – klar (hier)
  • Zu viele hoch verarbeiteten Kohlenhydrate (hier)
  • In meinen Augen zu viel Käse (hier und hier)
  • In meinen Augen zu viel Kaffee (hier)
  • Zu wenig Sport bzw. Bewegung

Kurzum: Zu viel Wohlstand, wie immer halt. Denn Wohlstand tut der Seele gut, jedenfalls solange, bis sie unter einem kaputten Körper leiden muss. Großer Trugschluss in unserer Gesellschaft. Das Kaffeekränzchen mundet, bis die Zähne verfault sind.

Jedenfalls: All die genannten Faktoren aktivieren (zusammen) genau solche epigenetischen Zellschalter, die unseren Muskel metabolisch degenerieren lassen. Während man in jungen Jahren noch gut mit den Teigteilchen klarkommt, wird es unter nahezu identischen Bedingungen ein Jahrzehnt später schon ein bisschen schwieriger. Nicht das Alter oder das Älterwerden ist schuld, sondern der degenerierte Muskel.

In Fachsprache heißt es dann:

In mehreren Studien wurde berichtet, dass übergewichtige Personen einen geringeren Anteil an oxidativen Muskelfasern vom Typ I und einen allgemeinen Rückgang der mitochondrialen Enzyme aufweisen, was darauf hindeutet, dass die oxidative Kapazität der Muskeln bei übergewichtigen und fettleibigen Personen beeinträchtigt ist, was wahrscheinlich zu der beeinträchtigten Ganzkörperverwertung von Fettsäuren und den erhöhten Blutfettwerten bei diesen Personen beiträgt.

Außerdem wurde gezeigt, dass die Insulinempfindlichkeit positiv mit dem Anteil der oxidativen Muskelfasern vom Typ I und negativ mit dem Anteil der glykolytischen Muskelfasern vom Typ II korreliert.

Kurz: Der Muskel verbrennt kein Fett mehr. Dumm gelaufen.

Lieblingsstudie zeigt: Es ist wahr!

Dass sich sowas auch umkehren oder bremsen lässt, bewies vor 10 Jahren eine meine Lieblingsstudien damals (hatten wir hier schon mal). Ganz simpel: Ratten, die genetisch anfällig für Übergewicht sind (also du und ich ;-), wurden einmal normal gefüttert und einmal gemästet.

Im letzteren Falle passierte genau das, was bei uns passiert: Der Muskel programmierte sich um, wurde stoffwechselfaul. Doch dann die Abhilfe: Man gab den Ratten täglich eine ordentliche Ladung Carnitin obendrauf – umgerechnet auf den 80-kg-Mensch etwa 2-3 g.

Zur Erinnerung: Carnitin macht auch beim Menschen Epigenetik im Muskel, nämlich zu unserem Vorteil. Mehr dazu hier.

Das Resultat: Trotz Mast behielten die dann fetten Ratten ihr optimiertes Muskelfaserprofil. Mit dem Resultat:

Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse dieser Studie, dass eine Carnitin-Supplementierung bei fettleibigen Zucker-Ratten den Carnitin-Status signifikant verbessert, dem fettleibigkeitsbedingten Wandel der Muskelfasern vom metabolisch aktiven Typ I zum glykolytischen Typ II entgegenwirkt und einen oxidativen metabolischen Phänotyp der Skelettmuskulatur begünstigt, der bevorzugt Fettsäuren als Energiequelle nutzt.

Natürlich dann auch: „Ausgeprägt“ gesenkte Fettspiegel im Blut. Worte, wie Musik in meinen Ohren.

Nutz Entwicklungen endlich zu deinem Vorteil!

Das ist der klassische Proof of Concept oder qed. Denn hier steht schwarz auf weiß, dass wir dafür verantwortlich sind, dass sich der Muskelstoffwechsel zu unseren Ungunsten umprogrammiert. Die glückliche Nachricht: Das lässt sich natürlich ändern. Wichtig hierbei:

  1. Nein, ich würde nicht sagen, dass du als metabolisch Geschädigter jetzt täglich 3 g Carnitin einnehmen sollst – freilich darfst du. Davor solltest du viele andere Lebensstilinterventionen für dich nutzen.
  2. Nein, die Ratten oben wurden deswegen natürlich nicht magischerweise schlank. Aber unter freilebenden Bedingungen hieße das, dass die wieder sehr viel besser Fette verbrennen und sie sehr viel wahrscheinlicher bald schlanker wären. Stoffwechselgesünder waren sie ja schon.

Es zeigt sich nur anhand dieses Beispiels einmal mehr sehr gut, wie sich Dinge entwickeln. Entweder zu unserem Vor- oder zu unserem Nachteil. Im subjektiven Empfinden häufig „schleichend und unbemerkt“.

Bis wir einmal mehr in einer Sackgasse ankommen. Hoffentlich halb so schlimm.

 

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

9 comments On Entwicklungen

  • In hohen Supplementierungs-Dosen (2-3 g/ Tag) kann Carnitin in seltenen Fällen „Fischgeruch“ (Trimethylaminurie) verursachen. Das heimtückische, man riecht es nicht selber, die anderen aber um so mehr. Außer meiner Frau und meiner Tochter hat mich niemand auf den „Gestank“ hingewiesen. Ich musste ewig googlen um so einen Hinweis im Netz zu finden. Nachdem ich ein paar Wochen später die Carnitin-Supplementierung abgesetzt hatte, war der Fischgeruch sofort weg.
    P.S: Kompliment zu den tollen Artikeln

  • Ich belasse es beu Carnitin-Dosen durch regelmäßigen Fleischkonsum. Ich habe bereits eine Schilddrüsenunterfunktion, da muss ich es mir nicht noch schwerer machen… Aber der Ernährungsweg ist im Zweifel eh immer der bessere.
    So ja auch hier: im Kontext mit dem Fleisch, dass ja auch andere Stoffe mit sich bringt ist der durch das Carnitin in den dortigen Dosen vermittelte Effekt ja möglcherweise sogar recht sinnvoll. Evolutionär gedacht: Nun hat der Körper wertvolle Proteine und weitere wertvolle Stoffe – da sollte man die Verbrennung eher runterfahren, für bloße Bedarfsdeckung ist das zu schade. Zumal: direkt nach einer erfolgreichen jagd oder auch nur dem Verspeisen eines aufgefundenen Aas ist ja keine Akrivität=Nahrungssuche angesagt. Da wird verdaut und regeneriert. Ergo sind wir wieder beim Wechselspiel von Aktivität und Regeneration, von aufbauenden und abbauenden Prozessen. Dauerhaftes Leben in Aufbau-Stoffwechsellage inklusive fauler Regeneration ist da nicht vorgesehen.
    Speaking about Wechselwirkung verschiedener Inhaltsstoffe eines Nahrungsmittels: Fiachöl – zugegebener Maßen eigentlich kein Nahrungsmittel, sondern ein Nahrungsergänzungsmittel, also sagen wir lieber: fetter Fisch mag ja mit TMAO einen Stoff haben, der isoliert betrachtet eine problematische Wirkung haben KÖNNTE. Die Vorteile der anderne Inhaltsstoffe könnten diese Nachteile aber überwiegen.
    Aber ich schrieb ja könnte. Dafür müsste man sich ja mal die entsprechenden Studien angucken: waren es Human-Studien? Wie war die Methodik? Wurde hier lediglich eine Korrelation nachgewiesen, aber noch eine Kausalität? Und natürlich die Frage, ob die Effekte Dosisabhängig sind oder von weiteren Co-Faktoren abhängen. Aber das sind halt Fragen, die man immer mitstelllen sollte.

  • Adelbert Grossmann

    Sorry, bin auf der falschen Seite gelandet. Der Kommentar bezieht sich natürlich auf Euren Carnosin-Artikel bzw. das neue Produkt.

  • Adelbert Grossmann

    Ist bei mir auch so. Anserin hemmt den Carnosin-Abbau :
    https://www.rdc.nipponham.co.jp/material_eng/ma_cbex.html
    Wäre statt des Pure-Produktes ausnahmsweise mal eine Kombi sinnvoll?

    • Gibt es leider nicht. Wir haben diesbezüglich auch lange nach einer Alternative gesucht. Wenn dir das (starke) Gribbeln nix ausmacht, kannst du auch ß-Alanin nutzen, das ist die (günstige) Vorstufe von Carnosin und kann dann entsprechend höher dosiert werden. LG

  • Carnitin hat leider die blöde Eigenschaft, das TMAO massiv zu erhöhen (zumindest bei mir). Sobald ich mehr als 500 mg nehme, geht der TMAO-Wert durch die Decke. Und der ist schon ein Risikofaktor für Herz-Kreislauf Erkrankungen.
    Leider.

    • Richtig. Das ist leider so. Daher ist Carnitin in den angesprochenen Dosen nicht die optimale Lösung, um die Stoffwechselgesundheit langfristig zu wahren.

      Inwieweit TMAO aber wirklich die Gefäßgesundheit langfristig beeinflusst, darüber werden sich die Geister noch lange streiten. Schließlich liefert Fisch mit Abstand das meiste TMAO und der Fischkonsum ist aus verschiedenen Gründen invers mit HKE assoziiert.

      LG

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