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„Hier schau mal, was ich entdeckt habe…“

Leute. Es kommt nicht selten vor, dass wir Nachrichten bekommen, die wie in der Überschrift des Artikels beginnen.

Ich habe da was gesehen…

Gemeint ist dann meistens irgendein Post oder ein Beitrag, der „verwirrt“. Auch ein Klassiker: „Ich bin verwirrt“. Wieso lässt sich jeder immer von allem schnell „verwirren“? Das muss man nicht verstehen. Daran merkt man einfach, wie sehr Menschen aufgrund der modernen Info-Flut überfordert sind – und wie wenig Vertrauen sie ins eigene Denken haben.

Verwirrt? Streng dein Köpfchen an

Dabei braucht man gerade in der heutigen Zeit mentale Tools, um mit dieser Wucht an Information zurechtzukommen:

  • Ein, vielleicht das wichtigste Tool überhaupt ist … „whataboutism“, äh sorry, ich meinte, Kontextualisieren. Tolles Wort. Man nimmt also nicht ein Puzzle-Stück und versucht anhand dieses einen Teilchens auf das Ganze zu schließen (Wie soll das gehen?) – man versucht sich eine Übersicht zu erarbeiten, eine mentale Landkarte, also ein hoffentlich möglichst vollständiges Puzzle, in das man dann das neue Puzzle-Teil setzen kann. Dazu gehört auch, Vergleiche bzw. die Relationen zu sehen.
  • Das andere Tool ist das Abstrahieren. Im weiteren Sinne bedeutet für mich Abstrahieren genau das, was ich bei Punkt 1 genannt habe. Bewusst den größeren Zusammenhang suchen. Bewusst nicht bei Einzelteilen und Bruchstücken hängen bleiben. Kernelemente, Prinzipien erkennen. Und diese dann in einen… Kontext setzen. Vielleicht in den eigenen Lebenskontext.

Freilich, wird man mir jetzt entgegnen:

Woher soll ich denn wissen, was richtig und was falsch ist? Woher soll ich wissen, ob ich das Puzzle-Teil überhaupt richtig einordne oder komplett falsch liege? Andere sind sicher viel kompetenter als ich…

Dazu zwei Dinge:

  1. Kein Tier auf dieser Welt muss ein Biochemie-Buch gelesen haben, um ordentlich und gesund zu leben. Kein Tier der Welt braucht irgendeinen Berater. Schon gar keine Influencer, die irgendeinen Quark(s) erzählen. Woher wissen die denn, wie das geht?
  2. Die allerallermeisten Menschen wissen so viel wie du – oder weniger. Wer glaubt denn wirklich, dass die „Science Cops“ (kein Witz!) von Quarks.de irgendwie mehr Bio-Kompetenz haben als du und ich? Also ich kann ja gucken, was die studiert haben und wer die Nasen sind, die uns Geschichten aus dem Paulanergarten erzählen. Bei der DGE und beim RKI nachlesen und blöd alles wiedergeben, kannst du auch.
quarks science cops
Doch, doch, die nennen sich wirklich so. Die Wissenschaftspolizei. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Risitas freut das

Das heißt: Du kannst dich belesen. Zum Beispiel hier. Und auf vielen anderen Seiten. Vielleicht sogar auf Seiten, die deinen Glaubenssätzen oder deinem Wissen widersprechen. Noch besser. Und dann hast du einen Kompass in dir, der Millionen von Jahren alt ist. Du kannst dich also ruhig mal trauen, deinem klugen Köpfchen und deinem uralten System Körper ein bisschen, wenigstens ein bisschen zu vertrauen. Das, was dann dabei rauskommt, ist in den meisten Fällen gar nicht so weit weg von deinem persönlichen Ideal. Übrigens scheitert es meistens eben nicht daran, sondern daran, dass du einem Guru mehr vertraust als dir selbst. 

Du bist näher dran als du denkst

In den allermeisten Fällen gilt auch im Internet: Es wird heißer gekocht als gegessen. Leider verbreiten sich Informationen, vor allem jene, die besonders verwirren – und was der menschliche Geist nicht gleich zuordnen kann, muss besonders neu, toll, interessant, wichtig sein –, besonders schnell. Und wieder wird man verunsichert, und wieder wird man „verwirrt“.

Dazu eine Weisheit von Onkel Chris: Niemand von uns kennt „die Wahrheit“. Alles, was wir machen, ist eine Näherung dazu zu suchen. Und egal, wer was wie wann wo sagt, meistens sind wir alle sehr viel näher an der Wahrheit als uns klar ist. Und auch, wenn es augenscheinlich nicht so aussieht, „verwirrende Infos“ sind meistens gar nicht so weit weg von dem, was wir eh schon wissen. Drei Beispiele:

  • Wenn die „Science Cops“ von Quarks.de mal wieder meinen, den Leuten beibringen zu müssen, dass Vitamin D total unnötig ist und keiner Vitamin D im Winter braucht, dann sollte man sich vor Augen führen: Stimmt. Menschen, die adäquat mit Vitamin D versorgt sind, brauchen kein Vitamin D. Toller Konsens. Und Leute, die nicht mangelversorgt sind, können ihre Immunfunktion auch nicht mit einer zusätzlichen Gabe Vitamin D unterstützen. Jedenfalls nicht so durchschlagend wie jemand, der eben einen Mangel hat. Wissenschaftlicher Konsens ist: Jeder braucht im Winter ein paar tausend Einheiten Vitamin D, um gesund zu bleiben. Einfach. Nix verwirrend.
  • Wenn mal wieder irgendein Arzt in seinem Newsletter und auf seinem Youtube-Kanale erzählt, dass die aktivierte B6-Form jetzt doch nicht so toll ist, obwohl aktivierte B-Vitamine immer als ganz besonders toll galten… Lass dir gesagt sein: Es macht am Ende des Tages 0,0031238123 % Unterschied, ob du eine aktivierte B6-Form oder eine normale B6-Form nimmst. Entscheidend ist, dass du deinem Körper B6 überhaupt anbietest. Regelmäßig. Den Tagesbedarf deckend. So, wie wenn du deinen Hund füttern würdest. Da studierst du doch auch nicht erst mal jedes Vitamin der Welt, oder? Und in der Zwischenzeit geht es dem Tier besser als dir.
  • Wenn der Veganer mal wieder erklärt, warum Veganismus so toll ist und dass alle Tierprodukte töten, oder wir Mischköstler schonungslos die Welt verpesten: Ruhig Blut. Wer gesund isst, also möglichst das, was keine Zutatenliste hat… wer frisch und regional isst… wer sich also allgemein für gesunde Ernährung interessiert und das auch so lebt, wird ziemlich ähnlich essen. Wer den Ratschlag beherzigt, Fleisch in Maßen von gesunden, vielleicht wildlebenden Tieren zu essen, isst am Ende vielleicht „getreidefrei vegan, ergänzt mit gutem Fleisch“ – oh wow, und schon sieht die Welt wieder anders aus, und schon merkt man, dass die Daily Dozen von Dr. Greger ja auch auf meinem Speiseplan stehen und ich ganz bestimmt nicht jeden Tag drei Schweine schlachten muss.
daily dozen greger
Wow, sieh an. Auch ich lebe „vegan“, okay ohne Punkt 10 – und ab und an ist ein bisschen bestes Fleisch dabei ;-)

Ein kleines Fazit

Die Welt ist komplex. Und dann irgendwie doch nicht. Das ist die seltsame Eigenheit unseres Seins. Alles ist kompliziert, schwierig und lässt sich mit für den Laien nicht verständlichen Mathe-Gleichungen berechnen. Und zeitgleich lebt jeder Regenwurm … einfach so. Sei doch auch ein Regenwürmchen und befasse dich mit der Raketenwissenschaft des Lebens zum Spaß – zum Beispiel, indem du unser Buch liest. Vielleicht ist das ein netter Perspektivenwechsel. Reframing soll ja der Shit sein. Ach ja, und schalte halt mal Instagram ab.

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

6 comments On „Hier schau mal, was ich entdeckt habe…“

  • ist HPU eigentlich wirklich ein Ding?
    eine Krankheit?
    anerkannt?

    • Keine Krankheit, sondern eine Stoffwechselstörung. Wollen wir uns überhaupt daran orientieren, was die Schulmedizin anerkennt (ich nenne mal bspw. ADHS) und was nicht (was also angeblich eingebildet sein soll)??
      VG

  • Hallo Chris, vielen Dank für den coolen Artikel. Das ist richtig wohltuend, wenn die Dinge vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Nix gegen den Kopf, denn es gibt genug Leute, deren Kopf erst einmal registrieren könnte, wofür die Füße da sind.

  • Zum B6: Aber wie ist das mit Leuten, die an der Stoffwechselstörung HPU (Hämopyrrollaktamurie) leiden. Die können, so liest man häufig, die inaktive Form von Vitamin B6 (Pyridoxin) deutlich schlechter verwerten bzw. nicht umwandeln und sollten deshalb die aktive Form (P5P) supplementieren. Was ist da dran?

    • Nicht viel, weil B6 auf dem Weg zur Zelle sowieso mehrfach umgewandelt wird.

      • ich beobachte selbst einen signifikanten Unterschied zwischen dem Effekt bei einer Supplimentierung von Pyridoxin HCL zu Pyridoxin-5-Phospat.

        Bei der passiven Variante kommt es innerhalb von 24h immer zu starken Hautentzündungen, vorzugsweise an den gleichen Stellen.
        Bei P5P ist das nicht der Fall.

        Supplimentiert dabei immer zusammen mit allen anderen B-Vitaminen.

        Hast Du da eine Idee, warum das so sein könnte, Chris?

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