Das Gehirn ist eines der beeindrucksten Organe, die wir kennen. Durch das Gehirn können wir denken, schmecken, riechen, aber vor allem fühlen. Wenn dieses feine Instrument nicht mehr gut funktioniert, nehmen wir die Welt völlig anders wahr.
Diese Tatsache wird von erstaunlich vielen Menschen völlig verkannt. Man ist nicht, wie man ist. Man ist, wie das Gehirn einen sein lässt. Fehlt einem der Teil des Gehirns, der einen empathisch sein lässt … fehlt es einem halt an Empathie. Die kann man sich nur mühsam selbst erdenken.
Gleichwohl ist das Gehirn erstaunlich robust, sodass es ihm gelingt, uns nahezu über eine ganze Lebensspanne die perfekte Matrix zu projizieren. Merkt man aber erst dann, wenn das Gehirn Schäden nimmt oder eben, wenn es Funktionsverlust zeigt. Glücklicherweise sorgt die neuronale Plastizität für einen unglaublichen Erhaltungsspielraum.
Das können wir nutzen. Zu unserem Vor- oder Nachteil. Finde ich genial.
Dopamin und das kleine Glück
Das beste Beispiel dafür ist das „kleine Glück“ des Alltags. Das wird hauptsächlich vermittelt durch Dopamin, ein Neurotransmitter, der vorrangig im präfrontalen Kortex, also im Bereich hinter der Stirn vorkommt. Es ist der Gehirnbereich, der für unser Handeln verantwortlich ist, durch den wir also wollen oder nicht wollen. Dopamin erzeugt das Gefühl dahinter.
Beispiel: Sonntagsabends denkst du ans frühe Aufstehen und deinen unliebsamen Chef am nächsten Tag … Dopamin niedrig. Die geplante Pizza zum Mittag gleicht das aus, macht Dopamin hoch.
Den meisten von uns ist nicht klar, wie weitreichend Dopamin – hoch, niedrig, mittel, abgestumpft (dazu gleich mehr) – unser Leben bestimmt. Ich bewundere hier immer zwei Personengruppen:
- Kinder
Für die ist jede Blume ein Abenteuer. Der Traktor mit seinen Geräuschen entlockt ein langes „Wooow!“.
- Die Boomer
Heute eine absichtlich negativ besetzte Begrifflichkeit. Meine Elterngeneration. Die schafften es noch, Spaß am einfachen Leben zu haben. Die Depressionsrate war damals deutlich verringert. Obwohl diese Menschen 15-50 % (70er- bis 90er-Jahre) pro Kopf mehr arbeiteten als heute, war das Burnoutaufkommen um den Faktor 10 niedriger (Q, Q).
Das Kaffee trinken mit den Verwandten war ausreichend fürs Lebensglück. Daneben sammelten viele Menschen dieser Generation Briefmarken, Hifi-Systeme, die hatten Spaß an Aquarien, an Motorrädern, am Auto reparieren und dergleichen. Kurz: Die lebten ihr oft einfaches aber erfüllendes Leben.
Wohlgemerkt: So war das davor auch. Und davor auch.
Dopamin wirkt nicht mehr
Und dann sind wir im Heute angekommen. Depressionsraten gehen durch die Decke. Das Leben macht sehr vielen Menschen keinen Spaß mehr. Schuld sind natürlich immer andere, sich selbst sieht man grundsätzlich als Opfer der Umstände.
Für meine Begriffe: Das Lebensgefühl vieler junger Menschen heutzutage. Doch das betrifft freilich nicht nur die.
Ein Zugang zu diesem Thema könnte einfacher nicht sein. Würde man die Tragweite einer Sache verstehen:
Wir sind Dopamin-desensitisiert.
Das lässt sich an kleinen Kindern wirklich eindrücklich studieren. Lässt man die eine Weile im Dopamin baden, also in Süßigkeiten, in Fastfood, in den „Kindervideos“ auf dem Ipad und so weiter … verlieren die den Zugriff auf ihr noch so junges Leben.
Die beschäftigen sich nicht mehr mit ihren „einfachen“ Büchern, Spielzeugen und sich selbst, mögen „gesundes Essen“ nicht mehr, reden nur noch von ihrem Dopaminstimulatoren, während zeitgleich jede Form der noch so schwach ausgebildeten Selbstregulation den Bach runtergeht.
Kurzum: Die Kleinen haben keinen Bock mehr auf das normale Leben. Der „Witz“ an der Geschichte:
Das bist du. Also auch du!
Das sind wir als Gesellschaft.
Auch das ist ja längst bewiesen. In einem anderen, höchst dopaminrelevanten Feld: Wer oft genug Pornos guckt, hat’s halt schwieriger, die eigene Frau zu ertragen (ganz hervorragend populärwissenschaftlich hier erklärt). Durch die regelmäßige Dopaminexplosion im präfrontalen Kortex stumpfen die Dopamin-Rezeptoren ab. Daraus resultieren zwei Dinge:
- Man braucht immer noch mehr Dopamin, das heißt noch stärkere Reize
- Das normale Leben wird maximal öde, unschön, ja enttäuschend und traurig
Wie bei den Ratten, die von Olds und Milner 1954 untersucht wurden: Die konnten sich dank einer Elektrode im Gehirn „per Knopfdruck“ selbst mit Dopamin stimulieren. Das Resultat: Das normale Leben (Sex, Essen etc.) verlor für die Ratten komplett seinen Reiz, bis sie starben, zumeist an Hunger bzw. Überanstrengung. (Hatten wir hier schon mal.)
Eine große Chance fürs Lebensglück
Dieser wirklich einfache Zusammenhang bietet eine große Chance: Das Leben kann wieder schön werden. Der Alltag kann wieder ertragbar werden. Wenn nur das Gehirn in den kleinen Dingen wieder etwas sieht.
Dann würden auch wir Erwachsene vielleicht verstehen, warum der Alte seine Fische liebte und das Kind zuhause eigentlich die pure Lebensfreude ist. Wie übrigens jedes andere Lebewesen auch.
Wir sind vielleicht die erste Generation… anders ausgedrückt: wir sind das erste Zipfelchen Menschheit, das konstant im Dopamin badet und auch genau deshalb (!) Lebenslust, Spaß und Lebensfreude verliert.
Das ist leider ein wichtiger Grund, warum die Jugend heute – so wie ich das in meinem nahen Umfeld beobachte – so große Anpassungsschwierigkeiten hat. Das Leben spielt sich leider oft am süchtig machenden Smartphone ab (Dopamin!), während man Probleme hat, im normalen und für viele offenbar zu banalen Leben mit Beruf, Freizeitaktivitäten wie Sport und Ausbildung anzukommen. Pervertiert in Form des „neuen Trends“ Bed Rotting.
Eine andere Realität hat diese Generation aber noch nie erlebt, weil die quasi mit der modernen Dopaminflut, maßgeblich auch durch soziale Medien und Co. getriggert, aufgewachsen und groß geworden sind. Die kennen einfach gar keinen anderen Zustand.
Gleichzeitig, und das ist eine weitere Tragik, infantilisieren wir dadurch unser Gehirn. Wir sind mehr und mehr impulsgesteuert, also affektlabil, und schaffen es immer weniger, die psychische Kontrolle und damit den emotionalen Abstand auch zu Weltproblemen zu halten, die es aber schon immer gab. Kurzum: Wir machen uns das Leben zur Hölle – im Innen.
Die jungen Leute brauchen mehr Medienkompetenz: Wie bewege ich mich in sozialen Medien, was sind verlässliche Quellen. Und dann noch ganz banale Dinge: regelmäßiger Sport, regelmäßig draußen sein. Und es braucht gute Zukunftsperspektiven. Gerade da finde ich persönlich, dass der Begriff „Work-Life-Balance“ auch kontraproduktiv verstanden werden kann. Denn er impliziert, dass die Arbeit nicht zum Leben gehört. Das ist doch keine schöne Perspektive, wenn die eigene Arbeit keinen Sinn hat oder keinen Spaß macht. (Q)
Noch nie mussten so viele junge Menschen im Südwesten in psychotherapeutischen Einrichtungen behandelt werden. Besonders von der Diagnose Depression betroffen sind die 11- bis 17-Jährigen. Experten versuchen die Gründe zu klären. (Q)
Dopamin auf „evolutiv normal“
Das Dopamin wieder auf „evolutiv normal“ zu polen, das heißt, auch wieder in der Lage zu sein, sich an einfachen Dingen zu erfreuen – ohne dass man es explizit merkt –, ist eine großartige Möglichkeit die neuronale Plastizität für uns zu nutzen.
Außerdem haben wir hiermit ein mächtiges Tool an der Hand, auch unsere Essgewohnheiten für immer zu verändern. Wer jetzt gerade glaubt, er braucht unbedingt die Schokolade, die Pizza und den Burger, um zu leben, dem sei gesagt:
Das ist eine Illusion!
Erzeugt durch ein falsch gepoltes Gehirn. Auch das ist wissenschaftlich gesichert (Q). Du kannst es umkehren. Wer eine Zeit lang „äh, igitt, gesund“ isst, wird sich selbst neuronal neu verschalten. Auch, weil die Dopamin-Rezeptoren wieder normal funktionieren.
Jedes Kind, jedes Tier und die allermeisten Erwachsenen bis vor wenigen Jahrzehnten leben und lebten uns das eindrücklich vor. Das Wunderbare: Das kann jeder von uns.
PS: Soeben lese ich von einem Professor, die Gesellschaft wandle sich „von der Leistungs- zur Freizeitgesellschaft“. Die SchülerInnen seien kaum noch leistungsbereit und die Gesellschaft inkl. Lehrer würden das so mittragen. Es gebe immer weniger sehr gute, aber immer mehr sehr schlechte Schüler. Das erinnert mich spontan an diesen Artikel aus dem Profisport. Hat miteinander natürlich… nix zu tun. Vielleicht mindestens so viel: Die Dopamin-Power, die man im Smartphone lässt, fehlt im echten Leben.
9 comments On Wenn das Leben wieder schön wird
Vielen Dank für den eindrücklichen Artikel. Ich kann allen, die sich für das Thema interessieren und vielleicht etwas für sich und ihre Liebsten ändern wollen, folgendes Buch empfehlen:
„Im Teufelskreis der Lust – Raus aus der Belohnungsfalle“ von Ingo Schymanski
Die Folgen abgestumpfter Dopaminrezeptoren werden hier in ein einem schlüssigen Modell mit verschiedenen psychischen Effekten bzw. Erkrankungen miteinander verbunden. Hoch spannend! (Ich hoffe, dass ich euer Dopamin damit ein bisschen triggern konnte. Falls nicht, lest euch gern die Rezensionen durch… ;D)
Interessante Korrelation auch in der Grafik mit dem iPhone Release 2007. Generell denke ich haben Smartphones so krasse Auswirkungen dass es Jahrzehnte dauern wird alle Folgen herauszuarbeiten. Kinder langweilen sich nicht mehr, man ist ständig auf Empfang anstatt auf spirituelle Weise zu hoffen dass es jemandem gerade gut geht, dass er etwas gut hinter sich gebracht hat oder eine gute Reise hat. Die Fantasiewelt löst sich auf und wird ersetzt durch vorgekaute Propaganda, die bestimmte emotionale Trigger auslösen soll. Keine leichte Zeit. Wenigstens unseren Kindern sollten wir noch etwas mehr gedankliche Freiheit lassen.
Genau richtig! Sehe ich zu 100 % auch so mittlerweile.
Perfekt- das , was jeder eigentlich spürt( wenn er denn auf der Suche nach der Ursache für dysfunktionles Verhalten ist) wissenschaftlich erklärt! Ich schätze eure Beiträge ( und eure Produkte 😉) sehr!!!
DANKE dafür!
Danke ;-)
Wirklich empfehlenswert zu diesem Thema ist das Buch: „Dopamin Nation“ von Dr. Anna Lembke. Neben einer fundierten und auch für Laien verständlich dargestellten Analyse der Problematik zeigt sie praktikable Wege auf, wie ein normaler Dopaminlevel wiederhergestellt werden kann. Das Buch war für mich ein Augenöffner.
Danke für den sinnvollen Input! LG
Klasse Beitrag. Danke.
In meiner Kindheit vor 50 Jahren (ich bin also ein Boomer) war eine Stunde Sesamstraße am Sonntagmorgen das Medien-Highlight der Woche. Ansonsten wurde draußen herumgetobt.
Seit mittlerweile 9 Jahren ist mein persönliches Highlight ein Marathon pro Jahr. Der macht genügend Dopamin, um sich auf das nächste Mal zu freuen. Das Training dazwischen hält den Spiegel so ungefähr aufrecht. :)
Und ja, ich denke, dass heute zu oft und zu stark ‚weichgespült‘ wird. Bloß kein Sport mit Wettbewerb: Die Kinder könnten sich ja sonst wie fühlen. Das die Politik derartiges forciert ist mir schon klar: ‚Weicheier‘ lassen sich nun mal leichter regieren.
Danke für diesen guten Input. Ja, viele verstehen nicht, an was das Gehirn evolutiv adaptiert ist. An Dauer-Dopamin jedenfalls nicht.