Zen im Alltag

Das größte Problem unserer Zeit ist das Vorausschauen. Think big. Wir setzen uns große Ziele und arbeiten hart – in vielen Motivationsbüchern kann ich noch heute lesen, dass die eigentliche Kunst zum Erreichen deiner Träume darin besteht, dass du dein „Erfolgsbild“ so lange im Kopf halten sollst, bist du dein Ziel erreicht hast.

Dieser „Ziel-Erreichungs-Mechanismus“, wie ich ihn nenne, war ein selektiver Vorteil: Wenn du Dopamin-Naturen in deinem Stamm hattest, die endlos der Beute hinterher konnten, dann war das für das Überleben der Stamm-Mitglieder essentiell. Und das ist in unserem Gehirn fest verankert. Das weiß jeder, der mal an irgendwelchen Wettkämpfen teilgenommen hat: Ich jedenfalls sehe nur das Ziel und habe auch nur das Ziel im Kopf. Dazwischen wird gerannt.

So läuft das auch im wahren Leben ab – man ist so lange auf sein Ziel fokussiert, bis man es erreicht.

Daraus ergeben sich aber einige Probleme: Der Verstand kann sich nur auf eine Sache gleichzeitig konzentrieren. Wenn man ein ehrgeiziger Mensch ist, dann verliert alles andere an Wert, denn man nimmt die Umwelt nicht mehr so richtig wahr. Alles tritt in den Hintergrund und man ist nur noch ziel-fixiert – egal ob man sich jetzt gerade damit beschäftigt (… im Job) oder daheim vorm Fernseher liegt. Die Gedanken kreisen nur noch darum.

Also können wir festhalten, dass unter diesem chronisch benutzten „Ziel-Erreichungs-Mechanismus“ auch ein Umfeld leiden kann.

Das geht aber noch weiter: Wer besonders besessen ist (ich), der wird dann auch – unbemerkt – seine Gesundheit zerstören, denn: Was einmal in dieses Unterbewusstsein einprogrammiert wurde („Ich muss XY erreichen“), wird gnadenlos verfolgt. Gnadenlos deshalb, weil dein Unterbewusstsein keine Rücksicht auf dich nimmt. Wenn der Stein ins Rollen kommt, dann ist alles… zu spät?

Jedenfalls kann man sich mit falsch einprogrammierten Zielen das Leben zur Hölle machen – das habe ich gelernt. Falsch einprogrammiert deshalb, weil du ja deine Ziele mit deinem limitierten Verstand bestimmt hast. Und der hängt ab von Hormonen, vom Wetter, von der Laune der Frau … etc. :-) Heißt: In der Pubertät könnten deine Ziele ganz anders sein, als im Erwachsenenalter – doch was ist, wenn du in deiner Jugend aufgrund dieses Mechanismus bereits viel kaputt gemacht hast? Dich bereits in etwas verrannt hast?

Naja – das Leben gibt viele Chancen.

Was wir nicht können ist das, was Zen-Buddhisten täglich trainieren, stundenlang. Lebe im Hier und Jetzt. Wir können das deshalb nicht, weil wir chronisch abgelenkt werden von allen möglichen Impulsen.

Mein Hund hat auch Dopamin im Gehirn. Auch wenn das 12 Wochen alte Welpe eigentlich schlafen will… Wenn ich weglaufe, dann läuft sie mir hinterher.

Hast du diese Diskrepanz gerade verstanden? Du musst/willst eigentlich XY machen, aber da draußen passiert AB, worauf du reagierst. Tausend Verpflichtungen, dann das Gewissen anderen gegenüber, dann auch noch dein Ego, du willst ja auch einen Mercedes fahren, deshalb musst du befördert werden, was ja aber auch wieder mehr Arbeit mit sich bringt und dann die dummen Kollegen… Wir verstehen uns.

Die eigentliche Kunst ist, folgendes zu erkennen:

Du stellst dich hin und sagst: „Ich werde hier einen riesigen, wunderschönen Wald anpflanzen“ und hast natürlich das Bild des Waldes im Kopf.

Du solltest aber eigentlich sagen: „Ich setze ein Baum so gut es geht neben den anderen, bis ein wunderschöner großer Wald entstanden ist“.

Punkt 1 ist produktorientiert.

Punkt 2 ist prozessorientiert.

Denn… „Der Weg ist das Ziel“ – jetzt haben wir diesen Spruch auch endlich mal verstanden.

Daraus ergibt sich auch, dass wir immer an unserem genetischen Maximum operieren – niemals darüber. Wir werden so auch keinen burn out erleben, weil wir diesen „Ziel-Erreichungs-Mechanismus“ im Gehirn nicht so stark benutzen.

Aber viel wichtiger: Wir werden wahrscheinlich eine viel schönere Kunst kreieren, denn wir sind konzentriert. Wir wollen nicht konstant das große, fertige Bild erreichen, sondern wissen, dass wir durch den perfekten Prozess, früher oder später auch zum perfekten Bild kommen.

Das, das ist die größte Kunst des Lebens – du solltest nicht von einer „perfekten Familie“ aus der TV-Werbung träumen, sondern dein maximal Bestes geben – mit dem Wissen, dass du nur so auch so eine Familie „entwerfen“ kannst.

Das ist ein fundamentaler Unterschied: Du wirst dich niemals unter Druck setzen müssen, du musst keinem Idealbild gerecht werden, denn du hast ja immer dein Maximum gelebt. Das erspart Stress – und du wirst womöglich viel häufiger einen Flow erleben, die Höhepunkt deines Seins.

Flow setzt nämlich voraus, dass du total im Prozess aufgehst. 

Jetzt eine Frage an dich: Wie oft gehst du in deinem „Ziel-Wahn“ im Prozess auf? Ich kenne dich, mein lieber Sportsfreund.

Ich beende das jetzt mit einem Satz:

ICH MUSS UNBEDINGT DEN MARATHON IN 3:00 LAUFEN

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

7 comments On Zen im Alltag

  • Produktorientiert Vs. Prozessorientiert… Da spricht spontan eine Stimme aus mir, die da sagt: Hast du ausschließlich den Gipfel im Blick, so wirst du stolpern und fallen, konzentrierst du dich hingegen auf jede einzelne Stufe, erlebst jeden einzelnen Schritt im Flow, so wirst du den Gipfel erreichen und dabei noch wachsen.

  • Chris, „Burnout“ biochemisch gesehen, wäre auch ein schönes Thema.

  • Hi Chris, da bin ich ganz bei dir!
    Wenn du mal viel Zeit hast google mal „Eckhart Tolle“ auch auf YT

    Tolle:Viele Menschen sehen in dem JETZT, in dem gegenwärtigen Moment, nur einen Stolperstein. Sie glauben, dass sie in einem zukünftigen Moment glücklicher sein werden als im JETZT. Dabei handelt es sich bei der Zukunft nur um eine Gedankenform, denn keiner hat die Zukunft jemals getroffen. Wenn sie kommt, dann ist sie wieder der gegenwärtige Moment. Aber das realisieren die meisten Menschen nicht, egal in welchen Lebensumständen sie sich befinden.

    Gruß Michael

  • Hallo Michael,

    ja – beides ist ok.
    Es ist auch nicht die Sache an sich, sondern – wie du sagst – die Bewertung dergleichen. Es ist nur ein riesen Unterschied ob ich krampfhaft verbissen ein Ziel erreichen muss oder ob ich mich zum Ziel tragen lassen kann von meinen eigenen Fähigkeit. Das ist der springende Punkt und der Unterschied zwischen prozess – und produkorientiert. Viele können ihre eigenen Grenzen einfach nicht ertragen.

    LG, Chris

  • Zen-Buddhisten üben Zazen (warum?). Sportler laufen ua. Marathon (warum?), andere machen Krafttraining (warum?). Der Zen-Mensch will Erleuchtung, der Marathonmensch unter 3 Stunden laufen.Beides ist Ok und entspringt unserer Ego-Struktur. Nur die Bewertung macht den Unterschied! No brain-no pain!
    Ein Zen-Mönch schrieb in einem langen Text ua.
    Der Konflikt zwischen Neigung und Abneigung
    Ist eine Krankheit des Geistes.
    Wird diese tiefe Wahrheit nicht verstanden,
    Versuchst du deine Gedanken vergeblich zu beruhigen.
    Der Weg ist vollkommen wie leerer Raum,
    Ohne Mangel und ohne Überfluß.
    Nur wenn du wählst und zurückweist,
    Geht das So-sein verloren.
    Jage nicht äußeren Erscheinungen nach.
    Verharre auch nicht in der Erfahrung der Leerheit.
    Bleibe gelassen im Einen,
    Und alle Verwirrung verschwindet von selbst.!!!!
    Es grüßt
    Michael

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