Mehr Körpergefühl bitte!

In vielen Dingen sind wir zu verkopft.

Sollen wir morgens frühstücken oder doch lieber IF machen? Sollen wir Zucker meiden oder ist die eine Banane noch ok? Soll ich 300 g Eiweiß am Tag schaufeln, oder reichen ggf. sogar 50 g? Oder, im Training: Soll ich die Stange beim Bankdrücken jetzt übers Manubrium sterni heben oder doch eher über den Corpus sterni?

Zu Letzterem soll Markus Rühl ja gesagt haben:

Leg dich hin und drück das scheiß Gewicht. 

Oder so ähnlich.

Als ich das zum ersten Mal gelesen habe, dachte ich: Oh man, Markus. Sowas kannst du noch nicht sagen. All die Chaoten, die jetzt mit miesester Technik die 100 kg drücken. Hauptsache hoch damit.

ABER kaum später dachte ich: eigentlich hat er recht. Der Praktiker. Denn der Punkt ist, dass jeder (okay, nicht alle) Trottel nach einigen Wochen oder Monaten merkt, wie er die Stange bewegen muss. Man entwickelt eben ein Gefühl dafür.

Und vielleicht merkt man dann auch, dass Bankdrücken mit genau einer Technik und mit genau einer Bewegungsausführung gar nicht das Optimum ist — man hat schließlich nicht nur eine Muskelkette. Variation (aha!) wäre da ein Schlüsselbegriff.

  • Gefühl entwickeln
  • Variation

Könnte man auf viele Lebensbereiche übertragen, right?

Genau diesen Ansatz verfolgen wir hier. Wir wollen, dass Leser sich nicht auf die eine Formel stützen, sondern lernen. Ein Gefühl entwickeln, für ihren Körper, für den Umgang mit Essen und so weiter. Klingt in der Theorie einfach. In der Praxis, jedenfalls mein Eindruck, klappt das dann nicht mehr so gut. Wir leben anscheinend im Land der Klammeräffchen, kleinen Autisten.

Also, zurück zum Essen. Noch im Sportstudium hat man gelernt, dass das „Fenster“ nach dem Training die wichtigste Zeitspanne ist, um nachzutanken — damals noch: „um die Kohlenhydratspeicher zu füllen“. Das war immer ganz wichtig.

Heute geht es ja überhaupt nicht mehr um „post-workout“ (danach), sondern um „intra-workout“ (während) und „pre-workout“ (davor) … also um viele Spielereien.

Viele Sportler, die ich kenne, haben nach dem Training aber überhaupt keinen Hunger, die meisten essen auch nichts bzw. essen dann, wenn sich der Körper meldet.

Wenn wir trainieren, werden unweigerlich Aminosäuren freigesetzt, in erster Linie deshalb, weil wir Proteine beschädigen, die dann zum Teil recycelt werden. Um dem entgegenzuwirken, nehmen viele Sportler BCAA zu sich. Dass das BCAA-Thema bei vielen Wissenschaftlern gar kein Thema mehr ist, hat sich bei Hobby-Sportlern noch nicht herumgesprochen.

Könnte man annehmen, dass ein Teil dieser Aminosäuren dann zu einem Teil des freien Aminosäure-Pools werden, der wiederum genutzt werden kann, um die Protein-Synthese akut zu speisen? So etwas Ähnliches formuliert Ori Hofmekler im Buch

Maximum Muscle, Minimum Fat: The Secret Science Behind Physical Transformation. 

Dort meinte er: Man könnte ja eine Art „Umverteilung“ des Körperproteins herbeiführen. Wenn wir nur Arme trainieren, also einen Reiz setzen, aber Beine beispielsweise nicht, dann würde der Körper bei niedriger Proteinzufuhr, schlau wie wer ist, Aminosäuren aus dem Bein holen und in den Arm verfrachten.

Schöne Gedankenspielerei. Wahrscheinlich eher nicht relevant fürs wahre Leben.

Der Punkt ist aber, und das hat der Ori anscheinend verstanden: Der Körper ist ein dynamisches System, keine dumme Maschine, die konstant Nährstoff-Zulauf braucht.

Wenn mein mit Aminosäuren überfrachteter, um nicht zu sagen gemästeter Körper also mal vom Aminosäure-Pool zehren muss, dann schafft er das. Da bin ich mir ganz sicher. Es findet eine banale Umverteilung oder Nutzung überschüssiger Ressourcen statt.

Fühlt mein Körper ein akutes Defizit, dann wird er mir das signalisieren, oder? Dann habe ich nach dem Training Lust auf einen Liter Milch, Steaks, was weiß ich was.

Für die meiste Zeit aber gilt, dass ich nach dem Training zero Hunger verspüre und ich nicht einsehe, „Wissen“ aus dem Lehrbuch an mir anzuwenden, das von statischen Modellen einer Maschine ausgeht. Wissenschaftler in diesen Bereichen, also Sportbiologie, Sportphysiologie etc., verstehen das mittlerweile ganz gut.

Konzepte sind Tools, keine Gesetze, die ich leben muss. 

Ich bin Phil Böhm, Mitgründer von edubily.de. Ich absolvierte mein Bachelor-Studium im Fach Sportmanagement und –journalismus an der Hochschule Mittweida. Wegen einer Darmerkrankung musste ich mich schon früh intensiv mit gesunder Ernährung und verschiedenen Diät-Formen auseinandersetzen. Bei edubily kümmere ich mich vor allem um die organisatorischen Abläufe.

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