Jeder, der mal einer leichten, ich möchte es nennen, „Kaffee-Sucht“ verfallen ist, kennt zwei Dinge genau:
- Wir erleben das „Kaffeetrinker-High“ (analog zum „Runner’s High“) nach circa fünf Tassen Kaffee
- Wir brauchen immer mehr Kaffee, um die gleiche Wirkung entstehen zu lassen
Zwei alltägliche Rauschzustände, die wir gerne anstreben
Im menschlichen Gehirn gibt es genau zwei physiologische Zustände, die uns genial werden lassen.
Einmal, wenn wir in einem quasi-hypnotischen, getakteten Zustand die Autobahn entlang fahren, während wir elektronische Musik hören, die sich anhört wie eine vom Schamanen geschlagene Buschtrommel. Dabei verlangsamen sich die Gehirnwellen und Genialität sprudelt aus uns heraus. Das sind dann die Momente, in denen man eins mit der Welt ist. Plötzlich Dinge klar sieht, die sonst im Alltagsbewusstsein verloren gehen. Das ist nahe am höchsten Ich. Dieser Zustand erzeugt nicht nur unsere besten Momente. Uns durchfährt auch ein Gefühl der Reinheit, der Klarheit und der unendlichen inneren Ruhe.
Ein anderes Mal, wenn wir extrem stimuliert werden und die Stimulation uns in einen Quasi-Rausch katapultiert. Dabei vibriert es in unserem Gehirn derart stark, dass geniale Ideen, kreative Momente ans Tageslicht geschossen werden. In diesem Zustand, so glauben wir, sind wir auf dem Höhepunkt des möglichen Schaffens, des Erreichens, der unfassbaren Kraft. Gepaart mit unserer Kreativität, kann dieser Zustand ganze Werke, ja beste Abhandlungen entstehen lassen. Meistens irgendwo zwischen Genialität und Wahnsinn. Manchmal so, dass wir uns danach schämen.
Instinktiv suchen wir beide Zustände. Letzteren eigentlich konstant in unserem Arbeitsleben. Der Grund ist simpel: Wir wissen instinktiv sehr genau, dass wir mehr leisten in diesen Zuständen. Ich darf anmerken: Leistung definieren wir, umgangsprachlich, als Arbeit pro Zeiteinheit. Kleine Verbesserung: Qualitativ hochwertige Arbeit pro Zeiteinheit.
Von Amphetaminen zu Katecholaminen
So wundert es uns nicht, dass eine ganze Szene existiert, die dieser „Droge“ (wörtlich, als auch sinngemäß) verfallen ist. Die Stoffgruppe dieser Drogen heißt: Amphetamin.
Das, was da im Gehirn wirkt, heißt Dopamin, Noradrenalin, Adrenalin (zusammengefasst: Katecholamine) und Serotonin. Amphetamine stimulieren die Freisetzung genau dieser Neurotransmitter. Frei nach dem Motto: Alles muss raus. Dabei werden die Nervenzellen extrem stimuliert und veranlasst, die maximal mögliche Konzentration an Katecholaminen und Serotonin freizusetzen. Ohne Rücksicht auf Verluste.
Im Handbuch findest du folgende Grafik:
Der Körper hat eine sogenannte Stressachse entwickelt, die uns vor Gefahren (und somit potenziellen Todesursachen) schützen soll. Wird diese Achse befeuert, werden massiv mehr Katecholamine freigesetzt. Diese Achse springt allerdings nicht nur bei lebensgefährlichen Situationen an, sondern auch ganz alltäglich bei Situationen, die uns zwar herausfordern, aber eigentlich nicht direkt schädlich sind.
Wie du der Grafik entnehmen kannst, werden die Katecholamine Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin aus einer Aminosäure namens Tyrosin synthetisiert.
Bei positivem Stress verlagert sich die Stressachse auf die Bildung von Dopamin und Noradrenalin.
Dopamin: Die Triebfeder des Lebens und der Katastrophe
Dopamin verleiht uns den Antrieb. Denn geht die Dopamin-Lampe im Gehirn an, signalisiert uns das: Lust. Die Dopamin-Lampe geht an, wenn wir an Sex, an Essen, an den Partner/die Partnerin (hoffentlich!) denken oder an Dinge, die wir generell mögen (z. B. Fußball, Autos) oder schön finden (z. B. schöne Menschen). Dopamin ist, meiner Meinung nach, verantwortlich für alle Sünden, für viele Katastrophen, für Sucht und so weiter. Dopamin ist das, was uns am Leben hält, aber gleichzeitig das, was uns oftmals (manchmal schwerer, manchmal milder) ins Verderben stürzt.
Das menschliche Gehirn ist extrem stark auf Dopamin ausgerichtet. Eigentlich dreht sich unser ganzes Leben nur um Dopamin. Wir sind konstant damit beschäftigt, den Dopamin-Haushalt am Laufen zu halten. Wir meiden Situationen, die uns Dopamin rauben. Bei Schülern ist das die Hausaufgabe. Bei uns Älteren der Job. Dopamins hässliche Seite ist auch, dass die Dopamin-Konzentration sinkt, wenn wir unschöne Menschen sehen.
Die Evolution hatte allen Grund, das Dopamin-System im Menschen zu pushen: Ohne Dopamin hätten unsere Vorfahren in diesen vielen ausweglosen Situationen wohl eher an Selbstmord, als an Überleben gedacht. Ich darf anmerken, weil aktuell: Was ist gerade im Kopf der Flüchtlinge aktiv? Dopamin. „Dort, in Europa, ist es besser.“
Dopamin hat die erfolgreichsten, heute lebenden Individuen hervorgebracht. Denn Dopamin macht süchtig. Auch nach der Arbeit – sofern wir die richtige Arbeit für uns gewählt haben. Schießt Dopamin nun also ins Gehirn, werden wir blind und verhalten uns wie Sklaven. Der Gedanke, der eine Dopamin-Ausschüttung im Gehirn provoziert, soll in die Tat umgesetzt werden. Von der Theorie zur Praxis, quasi. Den Porsche, an den du gerade denkst und der dir Dopamin-Flügel verleiht, möchtest du gerne haben. Also muss man arbeiten. Solange Dopamin in der Birne ist, scheint uns kein Weg zu weit. Dieses Gefühl wird wiederum vermittelt durch Noradrenalin.
Noradrenalin vermittelt den Rausch
Noradrenalin lässt uns stunden-, tage-, ja wochenlang durch die Gegend fliegen. Es betäubt uns, nimmt uns den Schmerz, es versetzt uns in einen Rausch, in dem wir nur noch funktionieren, aber scheinbar die höchsten, echtesten Momente unseres Lebens wahrnehmen dürfen.
Noradrenalin setzt massig Fettsäuren frei, erhöht den Blutzucker, zentriert unsere Gedanken und kickt uns somit in eine andere Schaffenswelt. Wir haben schier unerschöpfliche Energie und Kraftreserven.
So. Dieses Gefühl erreicht uns also nach der fünften (für manche: zehnten) Tasse Kaffee.
Fehlen dir „körpereigene Drogen“?
Der eigentliche Grund, warum ich hier so lange referiert habe, ist, dass ich glaube, dass einige meiner Leser genau mit dieser (positiven) Stressachse ein Problem haben. Sie funktioniert anscheinend nicht so, wie sie soll.
Das kann man studieren.
Zum einen kann man das studieren an Menschen, die Amphetamine geschluckt und gerade den 24-stündigen Rausch beenden. Zum anderen kann man das studieren an Menschen, die nach monatelangem Kaffee-Abusus aufhören müssen oder sollen, Kaffee zu trinken.
Nach dem Amphetamin-Kick kommt für gewöhnlich ein massives Tief. Ein mentales Loch. Diese Menschen verlieren kurzerhand ihren kompletten Lebenstrieb und werden für ein paar Tage depressiv. Das Leben hat in diesem Loch keinen Sinn mehr – so scheint es.
Das Gleiche erfährt der Kaffeetrinker, der nun plötzlich keinen Kaffee mehr trinken darf.
Beide Zustände haben gemein, dass die eigentliche Droge, Dopamin und Noradrenalin, wegfällt.
Bei Drogenkonsumenten wird halt nichts mehr ausgeschüttet (weil nichts mehr da ist) und beim Kaffee-Entzug werden zwar immer noch die normalen, nicht stimulierten Mengen produziert, aber der Körper erwartet deutlich mehr. Dabei entsteht ein tiefes, leeres mentales und körperliches Loch.
In beiden Fällen sind wir nahezu nicht mehr in der Lage, kreativ, optimistisch, angetrieben, willensstark und körperlich höchst leistend zu agieren.
Tatsächlich finden wir genau diese Zustände auch im Gehirn von Depressiven. Nicht bei allen. Aber eine organische (!) Störung zeigt sich sehr häufig anhand veränderter Neurochemie – z. B. Abfall von Katecholaminen und/oder Serotonin.
Die Körperchemie checken und optimieren
Ich möchte in keinster Weise dazu auffordern, Drogen zu konsumieren oder mit Hilfe von Stimulanzien, unnatürliche physiologische Zustände zu generieren.
Allerdings möchte ich sehr deutlich zum Ausdruck bringen, dass eine grundlegende Lethargie, „fehlende Energie“, Zurückhaltung, Pessimismus und fehlender Aktionismus, durchaus und gerade verursacht werden können durch Dysbalancen im Neurotransmitter-Haushalt.
Schon vor über 50 Jahren hat man festgestellt, dass ein Tyrosin- und/oder Phenylalanin-Mangel zu den beschriebenen Symptomen führt – schon bei Kindern! Typisches Erscheinungsbild war: Wenig Wachstum, Gewichtsverlust, Lethargie und Hypotonie (z. B. niedriger Blutdruck, wenig Muskelspannung. Geistige Ebene: Wenig Antrieb, wenig Motivation).
Dopamin und Noradrenalin erzeugen ins uns eine Spannung. Wie ein Seil, das man spannen muss. Die Frage ist: Hängt das Seil bei dir durch? Fehlt die Spannung des Seils? Auch der umgekehrte Fall ist möglich. Überspannen sollte man auch nicht.
Tyrosin und Phenylalanin kann man ebenso im Blut messen wie die anderen Mikronährstoffe, die die Reaktion katalysieren.
Zu guter Letzt weise ich darauf hin, dass es sich bei diesem Post um eine biochemische Analyse handelt. Wenn du keine mentale Disziplin an den Tag legst und deine Gedanken (nicht) bewusst lenkst, sind die besten Tipps wertlos. Du kannst nicht erwarten, mehr Dopamin und mehr Noradrenalin im Kopf zu haben, wenn du konstant an Dinge denkst, die die Dopamin-Spiegel nach unten drücken. Ich glaube, das wird ein neuer Post.
13 comments On Körpereigene Drogen – Die Macht deiner Neurotransmitter
Da ja ab und zu noch jemand hier die Kommentare lesen wird möchte ich auf ein Buch hinweisen (falls ich das hier darf), das ich zur Thematik auch sehr interessant fand. „Im Teufelskreis der Lust“ von Ingo Schymanski.
Hi Alex,
grundsätzlich würde ich erst einmal schauen, ob meine Enzyme richtig funktionieren, bevor ich direkt zu Aminosäuren greifen.
Heißt: Wie sieht der Methyl-Haushalt, der B6-Haushalt etc. aus.
L-Tryptophan — hier würde ich direkt zu 5-HTP greifen und auch mit vorgeschrieben Dosen probieren.
L-Tyrosin: zum Test, 1/2 bis 1 g.
LG, Chris
Hallo Chris,
Wie hoch sollte die tägliche Dosierung von L-Tryptophan und L-Tyrosin sein?
Gruß Alex
Top Artikel!
Ich bemerke von Tyrosin/ Acetyl-Tyrosin Supplementierung keinen wirklichen Effekt. Woran könnte das liegen? Vitmamin C, Eisen und Metyhlfolat nehme ich regelmäßig, Folat allerdings erst seit ca. 3Wochen.
Hi Chris,
vielen Dank!
Hast du mal probiert, größere Mengen zu nehmen? Was passiert dann?
Beste Grüße,
Chris
Definiere größere Mengen :D
Normalerweise nehm ich immer so 2 groß gehäufte Teelöffel, denk mal so 10-15 Gramm. Hab die Tage mit 3 experimentiert, fand meine Verdauung weniger lustig ;)
10 g Tyrosin? Im Leben nicht!
Normalerweise sollten 1-3 g schon „einschlagen“.
War nur ne grobe Schätzung ausgehend vom Teelöffel als Maß. Hab hier leider keine Feinwaage, werd morgen mal in der Arbeit nachwiegen.
Hm komisch, Kommentar verschwunden
Is nur ne Schätzung, ausgehend vom Teelöffel als Maß. Kann morgen in der Arbeit mal genau wiegen.
N Acetyl L Tyrosin sollte ja auch eigentlich deutlich besser Wirken, kann da aber keinen Unterschied feststellen.
Wir müssen die Kommentare freischalten.
Also wenn Tyrosin nicht „wirkt“, dann hast du ein ernsthaftes Problem. Es muss „wirken“.
Danke für diesen Bericht. Ich bin laut Neurostresstest mit allen o.g. Werten im Mangel. Seit drei Monaten nehme ich Mucuna und Serotonin, aber der Durchbruch will nicht kommen. Gut möglich, dass meine mentale Disziplin noch zu wünschen übrig lässt… Ich hoffe auf die Fortsetzung des Post :)
Hi Doris,
skippe mal die Mucuna und versuche, „echte Aminosäuren“ zu nehmen.
LG, Chris
Leider kann man auch nicht immer alles mit dem Experimentieren von Aminosäuren oder anderen Supplements hinbekommen.
Wenn es nicht wirklich klappt – vllt. einmal einen Arzt aufsuchen und es ggf. medikamentös probieren.
Nichts ist schlimmer, als monate- oder gar jahrelang mit unbehandelten Depressionen herumzulaufen, an denen man selber erfolglos herumdoktort, die sich aber effektiv behandeln liessen.
Grüsse
Btw: Wie nimmst du denn Serotonin ein? Du meinst sicher die Vorläufer L-Tryptophan und / oder 5-HTP? Ansonsten enthalten einige Früchte grössere Mengen Serotonin, was den Blutspiegel erhöht und durchaus positive Effekte auch im enterischen Nervensystem haben kann, auch wenn es zentrale nicht durch die BHS ins Gehirn eindringt.