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Dein Immunsystem verstehen

Hast du dir mal vorgestellt, wie die Welt aussehen würde oder überhaupt funktionieren könnte, wenn es keine Polizei, keine Müllabfuhr, kein THW, keine Feuerwehr, keine Ärzte bzw. Krankenschwestern, Sozialarbeiter bzw. Mediatoren und keine Reinigungskräfte gäbe? Genau: Die Welt wäre ein einziges Chaos. Das, was wir auf Makroebene, also in der Welt finden, gibt es auch auf Mikroebene.

Was kaum einer weiß 

Wenn wir an unser Immunsystem denken, denken wir häufig an Pathogenabwehr. Wenn jemand „ein gutes Immunsystem“ hat, wird er selten(er) krank, da dieses potente Immunsystem offenbar rasch und kraftvoll Viren, Bakterien und Co. vernichten kann. An was die meisten Menschen dabei nicht denken, ist, dass das Immunsystem all die o. g. Faktoren (Feuerwehr, Polizei und Co.) in einem ist. Ohne das Immunsystem wären wir nicht nur nicht lebensfähig, weil uns die harmlosesten Pilze umbringen würden. Unser Immunsystem ist die ultimative Reinigungskraft des Körpers, die uns in jeglicher Hinsicht sauber und funktionsfähig hält.

  • Das Gehirn genießt einen immunologischen Sonderstatus im Körper, da Gehirnzellen prinzipiell empfindlich sind. Drum können da nicht so einfach Antikörper und andere Immunzellen aus dem Blut einwandern. Die Natur hat dafür die höchst besonderen und beeindruckenden Zellen namens Mikroglia entwickelt. Werden sie aktiv, wandern sie in der Gestalt einer Amöbe durch das Nervengewebe und töten dort beispielsweise Erreger. Noch wichtiger ist, dass sie Zellschrott, die von Nervenzellen „vor die Tür gestellt“ werden einfach schlucken und damit beseitigen. Nur deshalb können wir „klar denken“.
  • Was kaum jemand weiß: Der Muskel kann nur wachsen und funktionieren, weil Immunzellen dies koordinieren: Nach dem Training entsorgen Makrophagen – Fresszellen des Immunsystems – den entstandenen Zellschrott. Sie aktivieren zeitgleich Stammzellen des Muskels, der ja heilen und wachsen muss. Als Folge reichern sich T-Zellen im Muskel an, was zeitgleich eine Änderung der Gestalt und Funktion von Makrophagen anstößt, die zu s. g. M2-Makrophagen werden. Sie hemmen Entzündungen, lindern Schmerz und fördern damit Heilung. Zudem wird damit die Differenzierung der Muskelstammzellen und Aufbau von Bindegewebe angestoßen. All das wird zusätzlich dadurch angekurbelt, dass Makrophagen auch noch das Wachstumshormon IGF1 ausschütten. (Vgl. aktuelle Arbeit Uni Heidenheim)

Reguliert das Immunsystem die Partnerwahl? 

Ist das nicht beeindruckend? Auf diese oder ähnliche Weise sorgt das Immunsystem in quasi allen Geweben des Körpers für Funktionserhalt – und was ist mit Arterhalt? Das Immunsystem könnte sogar für den Funktionserhalt der ganzen Gesellschaft verantwortlich sein. Zellen des Körpers weisen sich gegenüber des eigenen Immunsystems nämlich mit s. g. MHC-Proteinen aus. Sie funktionieren wie ein Personalausweis, der spezifische Informationen über das Zellinnere enthält. Dadurch weiß das Immunsystem immer, was in der Zelle passiert: Gehört die Zelle zu mir oder enthält sie Pathogenmaterial?

Forscher glauben zu wissen, dass unser Gegenüber diese Information „riechen“ kann. Auf diese Weise soll die Partnerwahl beeinflusst werden, um die Wahrscheinlichkeit eines gesunden Nachkommens zu erhöhen. Denn klar ist, ein fittes Immunsystem ist der Schlüssel zu einem gesunden Leben. Man stellt sich die Frage: Wenn wir jemanden „nicht riechen können“, hat da vielleicht unser Immunsystem ein Wörtchen mitgesprochen?

„Schwächen“ des Immunsystems 

Wie neulich angedeutet, hat auch das beste System der Welt seine Schwächen. Denn auch das Immunsystem, wie alles in der Biologie, muss Kompromisse eingehen und den Spagat schaffen – mit Blick auf das Immunsystem wäre das, die perfekte Balance zwischen Zerstören bzw. Vernichten und Heilung. Abweichungen oder Störungen in dieser Balance sorgen dafür, dass das Immunsystem zum Beispiel Autoimmunität aufweist oder Allergien entstehen lässt. Beispiel Antikörper. Woher kommt es, dass viele Menschen plötzlich Autoantikörper im Blut haben, während oder nachdem sie an Covid erkrankt waren?

Wir haben eine ganze Reihe an unterschiedlichsten Antikörpern in uns. Manche wirken extrem spezifisch, andere wiederum eher breitflächig. Letzteres erhöht die Wahrscheinlichkeit einer s. g. Kreuzimmunität. Das passiert, wenn ein Antikörper nicht nur an ein Ziel binden kann, sondern ähnliche Sequenzen erkennt und damit auch an andere Ziele binden kann. Was viele nicht wissen: Die meisten von uns haben in ihrem Leben auch mal Autoantikörper entwickelt, also Antikörper, die auch gegen körpereigenes Gewebe reagieren.

Während einer Infektion mit einem Pathogen, das der Körper noch nicht so gut kennt – wie bei Sars-Cov-2 –, steigen massiv Antikörper an, die mit dem Erreger kreuzreagieren, das heißt viele mögliche Bindungsstellen erkennen. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Antikörper dann dummerweise auch gegen „selbst“, also gegen eigene Gewebe reagieren, ist hoch. An dieser Stelle zeigt sich ein Grundsatz der Biologie: Überleben first, Gesundheit second. Klingt nach einem Widerspruch, aber beim Überleben geht es darum, das Virus abzuwehren – bei der Gesundheit eher darum, keine Autoimmunität zu entwickeln, was ja langfristig krank machen würde.

Die gute Nachricht: Kommt das Immunsystem wieder in Balance, also bildet es z. B. spezifische Antikörper gegen das Virus, wird der Bedarf an kreuzreagierenden Antikörpern obsolet, sie fallen also wieder ab und wir kriegen möglicherweise nichts mehr mit davon.

Kann man das Immunsystem trainieren? 

Der Mensch kommt täglich und seit vielen Millionen Jahren mit unzähligen Mikroben in Kontakt. Dazu gehören Pilze, Bakterien, andere Einzeller und Viren. Wir werden sogar von einer immensen Zahl ebendieser Mikroben besiedelt – vor allem in Kontakt mit Schleimhäuten, also zum Beispiel im Mund, aber vor allem im Darm, muss eine feine Balance gewahrt werden, zwischen „Abwehr“ und „Toleranz“; es entsteht eine weitestgehend perfekte Symbiose, die für beide Seiten Vorteile bereithält. Mittlerweile ist hinlänglich bekannt, dass unser Immunsystem diesen Kontakt zu den Mikroorganismen braucht, um sich überhaupt ordentlich zu justieren.

Hinzu kommt, dass wir uns in Kontakt mit anderen Menschen konstant mit kleinen Mengen von z. B. Viren infizieren. Es gibt Zeiten im Jahr, da würde man bei vielleicht 80, 90 oder sogar 99 % der Menschen Schnupfen- oder herkömmliche Coronaviren auf der Schleimhaut feststellen – freilich ohne, dass wir tatsächlich erkranken und beispielsweise Symptome wie ein Schnupfen entwickeln. Vielen Menschen ist nicht klar, dass „Infektion“ nicht gleichbedeutend mit „Erkrankung“ ist. Tatsächlich kann man davon ausgehen, dass der konstante Kontakt zu herkömmlich, endemischen Viren notwendig ist, um überhaupt ein normal oder gut funktionierendes Immunsystem zu haben:

  • Das Immunsystem wird nach Kontakt mit Viren und Co. derart „trainiert“, dass es danach viel schlagkräftiger und aggressiver auf zukünftige Infektionen reagieren kann: „Wie ein Soldat oder ein Sportler können angeborene Immunzellen durch frühere Erfahrungen so trainiert werden, dass sie Infektionen besser bekämpfen können„, sagte die Hauptautorin Quen Cheng, eine stellvertretende klinische Professorin für Infektionskrankheiten an der David Geffen School of Medicine der UCLA. (Q)
  • Es entwickeln sich Kreuzimmunitäten, wobei der Körper nach Kontakt mit z. B. einer bestimmten Virussorte auch andere, ähnliche Viren besser erkennt und schneller unschädlich machen kann: „Bestimmte Immunzellen, die Menschen in der Vergangenheit gegen Erkältungscoronaviren gebildet haben, stärken die Immunreaktion gegen SARS-CoV-2 – sowohl während der natürlichen Infektion als auch nach einer Impfung.“ (QQ)
  • Akute, wenn auch leichte Infektionen der Schleimhäute lassen eine systemische Immunantwort folgen, die vor weiteren Infektionen, auch durch andere Erreger, schützen. Der konstante Kontakt mit Erregern aktiviert also das Immunsystem und macht es „wacher“ – möglicherweise ein Grund, warum Kinder beispielsweise Sars-Cov-2 deutlich besser wegstecken als Erwachsene.
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Verschiedene Gründe, warum Kinder besser vor Covid geschützt sind. Ein Grund: Coronaviren, die mit gewöhnlichen Erkältungen bei Kindern in Verbindung gebracht werden, bieten möglicherweise einen gewissen Schutz aufgrund einer kreuzreaktiven T-Zellen-Immunität und einer kreuzreaktiven Antikörper-Immunität zwischen gewöhnlichen Coronaviren und SARS-CoV-2.

Wie gut so ein „Training“ funktioniert, zeigt sich auch an der „Superimmunität“, die man bei Menschen festgestellt hat, die sich zunächst gegen Sars-Cov-2 impfen ließen und danach infiziert waren (Impfdurchbruch). Nicht nur erhöhte sich die Zahl die Antikörpern – diese waren auch noch deutlich schlagkräftiger, um bis zu 1000 % wirksamer. (Q) Was natürlich keineswegs bedeutet, dass wir ein absichtliches Infizieren gut heißen.

Der entscheidende Unterschied in der Denkweise vieler Menschen ist: Die einen sehen in einer Infektion den Tod oder eine schwere Erkrankung. Stimmt für Tollwut. Stimmt teils auch für Covid, aber auch für schwere Grippe. Kann je nach Immunsystem bzw. Immunlage – z. B. bei Krebskranken – aber auch für die harmlosesten Erreger gelten. Die anderen Menschen sehen im täglichen Kontakt zu Viren und Co., gerade in Verbreitung durch andere Menschen, den wichtigsten Weg, um das Immunsystem „zu stärken“, zu trainieren und schlagbereit zu halten – siehe oben.

Fakt ist: Man sollte sich immer einen biologischen Grundsatz vor Augen halten, der da heißt: Use it or lose it. Das gilt nicht nur für einen atrophierten oder hypertrophierten Muskel, das gilt auch für das Gehirn („Gehirnjogging“), für den Knochen und … genau … für das Immunsystem. Trainere es! Es wird es dir danken.

Mächtige Immunregulation via Milch 

In jedem Fall scheint das Immunsystem mehr zu steuern als uns klar ist. Übrigens: Wir weisen immer wieder darauf hin, dass in Milch und MIlchprodukten kleinste Fettkügelchen, s. g. Exosomen vorkommen, die zum Beispiel mRNA, miRNA, Proteine, Enzyme und DNA bzw. Nukleinsäuren transportieren. Forscher meinen, dass diese Exosomen die raffinierteste Erfindung der Natur sei. Denn diese Exosomen sind resistent gegen Verdauung, erreichen Zellen im Gegenüber und sind dort bioaktiv. Drum will man diese Milchexosomen nutzen, um in Zukunft Medikamente und Co. in den Körper zu schleusen.

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Milch und Milchprodukte regulieren auf diese Weise auch das Immunsystem des Nachwuchses. Ganz aktuelle Forschungen geben uns Einblick, wie sich sowas auswirken könnte:

  • „Es wurde berichtet, dass Milch-Exosomen die durch Bakterienbestandteile ausgelöste Entzündungsreaktion wirksam abschwächen.
  • Milch-Exosomen können Allergien bei Säuglingen wirksam vorbeugen und sind entscheidend für die Reifung des Immunsystems im frühen Kindesalter.
  • Naqvi et al. zeigten, dass ein höherer Exosomen-Gehalt an miRNA-30b die Fressfähigkeit (Phagozytose) in bestimmten Immunzellen hemmen kann.“

Wenn es also ein mächtiges Werkzeug gibt, das massiv auf das Immunsystem einwirken könnte, dann ist das die Milch bzw. die daraus hergestellten Produkte. Inwieweit es sinnvoll ist, als erwachsenes Säugetier die Milch einer anderen Spezies zu trinken, muss sich zeigen. Fakt ist, in manchen Situationen könnte es sehr förderlich sein, in anderen ggf. weniger. Milch bzw. seine Faktoren scheinen jedenfalls eher immunosuppressiv bzw. anti-entzündlich zu wirken. (Vgl. Latest Trend of Milk Derived Exosomes: Cargos, Functions, and Applications) 

Normales Immunsystem 1×1

Das Immunsystem ist ein Wunder und es wird noch viele, viele Facetten zu entdecken geben. Neben der Insulinresistenz (letzter Newsletter), sollten wir uns im neuen Jahr also auch wieder mehr um unser Immunsystem kümmern. Das ist wahrlich gar nicht so schwer:

  • Weglassen, was das Immunsystem verwirrt – zum Beispiel zu viel Weizen (und ggf. Milch?)
  • Eine Fülle an Proteinen und Aminosäuren zuführen, damit der Körper seine unzähligen Antikörper (bestehend aus Protein) bilden kann und damit die vielen verschiedenen Immunzellen genug Treibstoff zur Vermehrung haben.
  • Eine Fülle an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen zuführen – das Immunsystem braucht diese Grundsubstanzen, um überhaupt zu funktionieren.
  • Richtige Impulse setzen, damit das Immunsystem wohljustiert ist: An die frische (Wald-)Luft gehen (Waldbaden erhöht die Zahl der Killerzellen), sich dort bewegen (der bewegte Muskel macht das Immunsystem stark), im Winter Kälte und im Sommer Hitze spüren (beides stimuliert das Immunsystem) und nicht nur viel essen (bringt Baustoffe und Energie), sondern auch mal wenig (tötet kaputte/falsch programmierte Immunzellen ab).
  • Viel frische, unverarbeitete Lebensmittel zuführen. Dort sind Faktoren enthalten, die wir ggf. noch gar nicht kennen, aber die unser Immunsystem braucht.
  • Geh raus! Komm in Kontakt mit anderen Menschen! Du bekommst ganz sicher immer eine kleine Ladung Viren und Co. ab, die – wie oben dargelegt – das Immunsystem trainieren und aktiv machen. Es wird sich freuen.
  • Unser aktuelles Buch lesen (kein Witz!) – denn das macht metabolische, sprich Stoffwechsel-Gesundheit und das ist – das wissen wir seit Corona – vielleicht der mächtigste Zugang zum funktionierenden Immunsystem.

Steht unser Immunsystem auf diesem Fundament, ist es tolerant (wenig Autoimmunität, wenig Allergie) und schützt uns rechtzeitig (!) vor Infektion. Denn wenn wir erst mal schwer infiziert sind, ist es zu spät. Wir müssen uns vorher kümmern. Ach ja: Und ggf. lernen wir dann auch noch den richtigen Partner kennen. Gute Aussichten fürs neue Jahr.

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

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