träumerei

Getting real: Aufwachen aus der Träumerei

Im Gesundheitsinternet haben wir ein paar große Probleme. Das liegt in erster Linie daran, dass wir auf der einen Seite Gurus haben, die quasi das Blaue vom Himmel versprechen, und auf der anderen Seite viele, viele illusionierte Menschen, die gerne träumen.

Beide haben gemeinsam, dass sie das, was man erwarten kann, überspitzen. Heißt: Der Guru mag grundsätzlich nicht vollkommen falsch liegen, genauso wenig wie der Mensch, der gerne von Besserem träumt. Leider ändert es nichts daran, dass überspitzte Darstellungen meistens falsche Darstellungen sind und falsche Erwartungen wecken.

Doch nicht nur das.

Überspitzte Darstellungen sorgen schnell dafür, dass der geneigte Leser glaubt, er gehöre jetzt zur besonderen Garde der Auserwählten mit Geheimwissen. Dabei wissen sie in Wirklichkeit nicht mehr als andere.

Die Amerikaner haben dafür einen sehr passenden Ausdruck:

Get real! 

Sagen wir mal so: Überspitzte Darstellungen von Gurus können motivieren. Alles klar. Träumereien auf der Leser-Seite können auch motivieren. Auch gut. Insgesamt aber wird es mittelfristig massive Probleme mit sich bringen. Zum Beispiel Enttäuschungen.

Wer von leichten Abkürzungen träumt, wird irgendwann enttäuscht.
Wer von leichten Abkürzungen träumt, wird irgendwann enttäuscht.

Wer Gesundheit will, der muss vor allem eines mitbringen: Mentale Härte. Auf der einen Seite, weil es weh tun kann, die Wahrheit zu hören. Auf der anderen Seite, weil das Tun selbst pain in the ass ist.

Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen das — so lange es geht — irgendwie umgehen wollen. Mit dem „Ernährungsplan, der dir in zwei Wochen 10 kg Gewichtsverlust beschert“, dem „Super-Supp, das dich auf Anhieb viel stärker macht“ oder dem „hochdosierten Vitamin X, das dir — völlig nebenwirkungsfrei deine Krankheit heilt“.

1. Kein Ernährungsplan der Welt wird dir 10 Kilogramm reinen Fettverlust pro Woche bescheren.

Bitte. Das geht physiologisch nicht. OK? Das wollen wir leider schon deshalb nicht glauben, weil wir ja gelernt haben, dass es Kalorien nicht gibt und der Körper in dieser Welt anscheinend nicht den Gesetzen der Thermodynamik gehorcht. Was fehlt also? Basiswissen über Gesetzmäßigkeiten und Realismus. Jeder, der mal die Grundschule besucht hat, kann sich innerhalb weniger Sekunde errechnen, dass 1-2 Kilogramm Fettverlust (!) pro Woche möglich ist. Dass das Planung und Konzentration voraussetzt.

Was machen Menschen, die nicht hören wollen? Die setzen vielleicht noch eine Schippe drauf. Fangen an, zu fasten. Und merken dann nach zwei Wochen, dass es nicht die beste Idee war. Das geht dann die nächsten Wochen und Monate so weiter, immer auf der Suche nach der besseren Ernährungs- bzw. Diätmethode, bis dann irgendwann die jähe Einsicht kommt, dass man sich ggf. mal mit den Grundlagen auseinandersetzen sollte, bevor man sich den „Quanten-Diäten“ widmet.

2. An hartem Training führt kein, wirklich kein Weg vorbei. 

Das gilt für alles im Leben. Ein Meister ist noch nicht vom Himmel gefallen, alles braucht Übung. Fortschritt setzt in der Sportwissenschaft zwei Dinge voraus: Man muss es regelmäßig tun und man muss sich konstant steigern, z. B. in Form von schwereren Gewichten oder längeren Läufen. Raketenwissenschaft, nicht wahr?

Eine weitere Wahrheit der Sportwissenschaft: Wer trainiert, braucht Regeneration, denn nur Regeneration ermöglicht Fortschritt. Das gilt vor allem für blutige Anfänger. Denn die kennen ihren Körper noch nicht gut genug und haben vor allem noch keine ausreichend ausgebildete Basis.

Anfänger können also genau einen großen Fehler machen: Sie trainieren zu oft, zu lang, zu hart. Das sorgt dafür, dass das Training mit der Zeit zu schlapp wird und keine neuen Reize gesetzt werden — eben, weil dem Körper die das Wachstum nötige Pause nicht gewährt wurde.

Die meisten von uns sind keine Profisportler. Entweder wir trainieren ordentlich (= wir setzen Reize) und regenerieren im Anschluss oder wir tun so als seien wir ganz tolle Profi-Sportler, hecheln jeden Tag einmal um den See und haben minimalste Fortschritte. Wohlgemerkt: Mit wachsender (Trainings-)Erfahrung nehmen auch die Möglichkeiten zu. Dennoch: Grundregeln der Sportwissenschaft gibt es und wird es immer geben.

Wenn ich also lese, „Ich muss mehr Sport machen. Gestern waren es sogar schon zwei Stunden!“, dann weiß ich Bescheid. So wird das ganz sicher nichts.

3. Alles hat Nebenwirkungen. Immer. 

Das wird so oft einfach nicht verstanden. Es gibt ein paar grundlegende Unterschiede zwischen „Mikronährstoff X gleicht meine Mängel aus“ und „Mikronährstoff X soll meine Krankheit heilen“. Manchmal, vor allem bei leichten Erkrankungen, kann Letzteres mal mit Ersterem verwechselt werden. Das ist aber nicht die Regel.

Neulich las ich ein bisschen zum Thema Lithium. Dort stand dann, dass eine Frau ihre Depressionen mit 600 mg Lithium (sic!) „geheilt“ hat (normale Dosen: 1-2 mg). Das brauche sie eben. Ja, ist klar. So etwas wird niemals funktionieren. Denn erstens macht das massive Nebenwirkungen: Die Frau erzählte u. a. von ihren massiven Zuckungen (Tremore).  Und zweitens muss endlich mal klar werden, dass der Körper ein System ist. Riesige Dosen eines Stoffes in einem nicht-optimierten System? Was soll das?

Viel realistischer und besser wäre es, das komplette Leben umzukrempeln, regelmäßig zu sporteln, ordentlich zu essen, sich mehr Zeit an der Luft mit Sonne und Wasser zu gönnen, am Stressmanagement zu arbeiten und den Mikronährstoffhaushalt in der Breite zu optimieren.

Wenn es dann nicht besser wird, dann macht 600 mg Lithium fast keinen Unterschied mehr zu normalen Medikamenten. Denn beides wird Probleme machen. Der feine Unterschied ist, dass wir mit Lithium Positives assoziieren, während Medikamente böse sind.

Auch das ist falsch. Das bringt uns nämlich zu ganz komplexen Debatten. Kaffee-Koffein ist super, würden wir aber Koffein (eine chemische Substanz!!) verpacken und Roche draufschreiben, hätten die Gesundheitsaspostel ein Problem damit. Und überhaupt: Schon mal aufgefallen, dass alles, was wir am Tag so in den Mund schieben, irgendeinen Effekt im Körper hat?

Fakt ist, so könnten wir uns den ganzen Tag unterhalten. Thema Med-Carb vs. No-Carb ist so eine Sache. Vor allem mit Blick auf den Gewichtsverlust. Genau aus dem Grund bleibe ich meiner Biochemie verschrieben. Denn Ernährungswissenschaften sind verseucht. Oftmals hat das eher weniger zu tun mit Wissenschaft. Meines Erachtens sind Ernährungswissenschaften besonders anfällig für Bias.

Da gab es in den USA gerade wieder einen netten Vorfall, wo sich gezeigt hat, dass ein editor-in-chief eines Journals der Low-Carb-High-Fat-Szene zugewandt ist. Das erlaubt freilich neutrale Berichterstattung — nicht. Genau deshalb sind vor allem die Ernährungswissenschaften so anfällig: Es fehlt die nötige Distanz. Jeder muss täglich essen. Und jeder hat mehr oder weniger bewusst einen Ernährungsplan im Kopf. Wer will schon hören, dass der Butter-Kaffee durch einen Vollkorn-Toast ersetzt werden kann?

Was wir verstehen könnten:

  • Ohne hartes Training, kein Fortschritt.
  • KH-Quellen wie Haferflocken, Reis und Co. gehören dazu.
  • Genauso undogmatisch können ketogenen Phasen eingebaut werden, z. B. während einer Diät. Easy.
  • Kalorien zählen. Der Diäterfolg geht aus einer Kalorienreduktion hervor. Immer. Punkt.
  • Es wird Protein fokussiert.
  • Ergänzungsmittel gehören dazu, etwa Fischöl, Magnesium, Taurin und Co.
  • Es sollte aber klar sein, dass die einen Lifestyle abrunden und ergänzen — keine Allheilmittel sind.

Und so weiter.

Wer lebt so? Genau. Die meisten Kraftsportler. Was man nicht im Kopf hat, hat man … im Bizeps? Das würde immerhin bestätigen, dass einfache Wahrheiten einfach sind.

Ich bin Phil Böhm, Mitgründer von edubily.de. Ich absolvierte mein Bachelor-Studium im Fach Sportmanagement und –journalismus an der Hochschule Mittweida. Wegen einer Darmerkrankung musste ich mich schon früh intensiv mit gesunder Ernährung und verschiedenen Diät-Formen auseinandersetzen. Bei edubily kümmere ich mich vor allem um die organisatorischen Abläufe.

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