Kohlenhydrate über die Jahre

Studien über Ernährung verstehen – Beachte immer die Relation

Relation, Relation, Relation …  Was ist eigentlich damit gemeint?

Wunderversprechungen kommen oft „einfach so“ daher – völlig ohne, na ja, Relation.

Es läuft oft nach folgendem Schema ab: Es wird einen Zustand X gezeigt. Das sei 100 %. Durch Intervention Y, so die Versprechung, könne man 200 % erreichen, also eine Verdopplung herbeiführen.

Relation 100 % - 200 %

Jeder, der das liest, denkt sich: Oh, wow, Verdopplung? 100 % mehr? Das klingt toll, muss ich haben. 

Auch Wissenschaftler wollen des Öfteren Ergebnisse wichtiger erscheinen lassen, als sie tatsächlich sind. Sie stellen die Ergebnisse so dar, wie in der Grafik gezeigt. Also so, dass es auf den ersten Blick aussieht, als läge 100 % mehr von irgendeiner Sache vor. In Wahrheit aber können das oben auch nur wenige Prozentpunkte sein, ungefähr so, wie wenn der eine Balken 100 % „wert“ wäre und der anderen 101 % (also plus 1-Prozentpunkt). Je nachdem, wie die Y-Skala gewählt wird, kann man das Ergebnis bedeutender aussehen lassen, als es eigentlich ist. Daher muss man als Leser schon ganz genau gucken. Natürlich machen das seriöse Wissenschaftler nur, um den Unterschied besser darzustellen … :-)

Kohlenhydrate Menge Relation

Ein Beispiel für solch eine Verzerrung siehst du hier. Die obere Grafik suggeriert einen dramatischen Anstieg der zugeführten Kohlenhydratmenge seit 1960 – einhergehend mit einer zunehmenden Verfettung der Bevölkerung (das heißt: Korrelation). Der Graph oben sieht gewaltig aus. Der Kernpunkt allerdings ist, dass es sich dabei um eine (bewusste) Verzerrung der Wahrnehmung handelt, da anhand des unteren Graphen die Gesamtsituation sehr schön zu erkennen ist – und dann müsste die Frage lauten: Gilt die Korrelation Kohlenhydrat<->Fettleibigkeit auch noch für die Jahre 1909 bis 1933?

Also: 100 % mehr klingt gut? Will ich haben!

Aufgewacht wird dann – oder auch nicht – wenn die Relation zum Tragen kommt …

Deutlich Unterschiede

Die Relation wird hier dargestellt in Form eines dritten Balkens, der die ersten beiden Balken (s. o.) mickrig erscheinen lässt, die tatsächliche Effektivität einer Intervention erahnen lässt.

Ein ganz klassisches Beispiel hierfür sind Interventionen zur Erhöhung des Kalorienumsatzes. Da wird literweise Grüntee getrunken, um mehr Kalorien zu verbrennen („Thermogenese“ etc.) – selbst wenn 100 Kalorien am Tag mehr verbrannt werden … das ist nur ein Mini-Bruchteil von dem, was der menschliche Körper tatsächlich umsetzt und was man pro Tag während einer stinknormalen Diät umsetzen könnte.

Ein anderes klassisches Beispiel sind Testosteron-Modulatoren. Da wird geschrieben, dass sich der Testosteron-Wert ver-x-facht. Ja klar, klingt gut, aber wenn jemand mit niedrigen T-Werten seinen Wert verdoppelt, dann ist das – bezogen auf die Gesamtsituation – mickrig. Der Spaß wäre beeindruckend, würde jemand seinen T-Wert verdoppeln, der bereits im oberen Mittelfeld liegt.

Auch ein nettes Beispiel sind HGH-Releasing-Agents. Oh wow, man kann seinen HGH-Wert einfach verdoppeln … Ja, Moment! Die basalen HGH-Werte sind so niedrig, dass eine Verdopplung nichts wert ist, im Vergleich zu dem, was nachts passiert. Nachts kann, je nach Ausgangslage, eine Ver-36-fachung entstehen. Und dann heilt der Körper auch. Das heißt, hier muss unbedingt auf den Basal-Wert geguckt werden und wie der in Relation zum Maximalwert (z. B. in der Nacht) steht – nur dann sind valide Aussagen möglich.

Natürlich kann diese Spielerei auch auf andere Gebiete übertragen werden. Da gab es mal eine Studie an Aborigines. Die haben – sage und schreibe – fast 60 % ihrer Kalorien in Form von Protein aufgenommen. Schnell muss man sich fragen, wie das möglich ist. Denn 60 %? Das sind bei 3000 Kalorien (Verbrauch pro Person pro Tag) ja 450 g Protein. Die Wahrheit ist: Die 60 % bezogen sich auf die Kalorienaufnahme von 1200 Kalorien pro Tag. Dass wir uns richtig verstehen: Das ist immer noch viel Protein, aber lange keine unrealistisch, krankmachende hohe Menge.

Also: Wir müssen immer nach der Relation zu fragen. Wie viel Gewicht hat das, was wir mit Intervention Y erreichen wollen?

(Was wir hier gar nicht besprochen haben, sind die unterschiedlichen Basal-Werte oder andere Interventionen, die auch den Ausgang unserer Intervention Y beeinflussen.)

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

4 comments On Studien über Ernährung verstehen – Beachte immer die Relation

  • Naja, wenn ich mich an das Handbuch korrekt erinnere, war der Autor hier mit prozentualen Steigerungspotentialen aber auch nicht gerade zurückhaltend ;o)

    • Hat ja auch keiner gesagt, dass es ab sofort nicht mehr erlaubt ist, über generelle Steigerungspotentiale zu sprechen ;-)

      Dazu kommen zwei Aspekte: 1. Ein Buch für Einsteiger soll und muss motivieren, sonst wird sich keiner vertiefend damit befassen und 2. würde ich, nach jetzt zwei Jahren Erfahrung, einige Dinge sicher anders formulieren.

  • Ihr reitet hier schön auf den Relationen der Graphen herum. Dabei fällt ein viel größerer Fehler des bunten doch viel mehr ins Auge: Die Beschriftung „grams per Person per YEAR“ kann offensichtlich nur falsch Sein!

    • Na und?

      Da hat halt jemand den Graphen nicht 100 % verständlich beschriftet. Er meinte vielleicht: Grams per person (per day) per year. Schlimm!

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