Die zwei Regeln für ein besseres Biologie-Verständnis

 

Wieso gibt es Flacherdler? Also Menschen, die glauben, die Erde sei eine Scheibe und keine Kugel. Einer dieser Menschen bringt es auf den Punkt, sinngemäß:

Ich verstehe nichts von alle dem – ich weiß aber, was ich sehe und kann meinen gesunden Menschenverstand benutzen, um herauszufinden.

Mit „nichts von alle dem“ meint er die komplizierte Wissenschaft und alles, was sich um dieses Themengebiet ansiedelt. Und seiner Auffassung nach, reicht es als Beweis für sein Weltbild, dass er die Krümmung der Erde ja sehen müsste.

Das lässt sich sehr gut auf das Gesundheitsinternet übertragen. „Ich verstehe nichts, aber ich weiß alles, weil ich meinen gesunden Menschenverstand benutzen kann.“ Woher kommt das?

Die zwei Regeln

  1. Du musst davon ausgehen, dass alles, viel, viel komplizierter ist als du dir vorstellen kannst.

Das ist oft so im Leben. Wenn ich zum Beispiel jemanden höre, der über Studenten ablästert („Studium ist eh keine Leistung mehr“), weiß ich, dass derjenige selbst nie im Leben studiert haben kann. Sonst würde er solch einen Käse nicht von sich geben. Er kann sich schlicht nicht vorstellen, welch eine Belastung so ein Studium sein kann. Egal, welches.

Wie „viel, viel komplizierter“ alleine Physik ist, versteht jeder, der mal eine Physik-Vorlesung besucht hat. Diese „Einführung in die Physik“ alleine würde man sich nie so kompliziert vorstellen.

Genau das Gleiche in der Biologie: Alleine die Biochemie eines kleinen Hefepilzes ist unfassbar komplex und übersteigt unser Vorstellungsvermögen bei Weitem.

Der erste große Fehler ist also schon, zu glauben, man selbst sei imstande komplexe Hypothesen aufzustellen oder gar erklären zu können. 

Wenn man stattdessen gleich davon ausgeht, dass alles viel, viel komplizierter ist als ich mir vorstellen kann, wird man ein bisschen demütiger, zurückhaltender und erkennt die Begrenzungen des eigenen Horizonts an. Und kommt dann erst gar nicht auf die Idee, sich selber erklären zu wollen, wieso die Erde eine Scheibe und keine Kugel ist. Jedenfalls nicht ohne fundiertes Fachwissen.

Durch Regel Nummer 1 vermeiden wir, Opfer vom Dunniger-Kruger-Effekt zu werden, indem es den hohen Peak („Ich war blind, nun bin ich sehend.“), erst gar nicht entstehen lässt:

2. Es gibt einen einfachen Zugang.

Bezogen auf unser Themengebiet ist das beispielsweise der Sport. Der einfache und richtige Zugang ist: Ich bewege mich – und das ist gesund. Dafür muss man nicht mehr wissen. Oder: ich höre auf Nahrungsmittel X zu verzehren und als Folge geht es mir besser.

Speziell, was Biologie betrifft, vor allem die Gesundheit, ist die Komplexität für uns kaum gegeben, denn unsere Aufgabe als Lebewesen ist, Nahrung zuzuführen. Dafür muss man sich bewegen. Damit ist Nahrungszufuhr und Bewegung gekoppelt – und das seit es Leben überhaupt gibt.

Der Rest, also das, was wir durch Ernährung und Bewegung speisen (den Chemiebaukasten Mensch), funktioniert im Normalfall von alleine. Der Zugang ist also oft einfach. Darüber hinaus tritt Regel Nummer 1 wieder inkraft: Das, was dahinter steht, ist sehr, sehr kompliziert.

Als Analogie gilt deshalb: Die Uhr kann jedes Schulkind lesen – das Uhrwerk kann kompliziert sein. 

Zwei vermeintliche Gegensätze

Zwei vermeintliche Gegensätze. Ein Problem entsteht daraus, wenn ein (normaler) Mensch, der den einfachen Zugang bewusst nutzt, um sein Leben zu verändern, ein bisschen übermütig wird und gegen Regel Nummer 1 verstößt.

Auf eigene Faust nach Erklärungen zu suchen, ist das eine – dabei aber das Kerngebiet, mit dem ich mich befasse, in seinem Wesen („Es ist extrem kompliziert und für mich wahrscheinlich nur bedingt greifbar“) nicht zu verstehen, das andere. Daraus erwächst früher oder später Ideologie … und „Fake News“.

Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Triebfedern, die dem Ganzen Aufwind verpassen:

  1. Leute „vom Fach“, die den Menschen eintrichtern, dass der gesunde Menschenverstand in den meisten Fälle ausreichen würde, um sich Sachverhalte hinreichend zu erklären.
  2. Der Informationsüberfluss im Internet, der uns glauben lässt, wir könnten uns Ausbildungen sparen, wenn wir uns bei der Ausbildungsakademie Internet selber ausbilden.

„Übersteuerte Emanzipation“

Für mich ist das ein bisschen wie eine etwas übersteuerte Emanzipation. Es ist gut und wichtig, sich selber zu bilden (Bildung: sich in die Lage zu versetzen, eigene Entscheidungen zu treffen) – falsch ist es hingegen, es derart zu überspitzen, dass daraus Fehlgeleitetes, also z. B. Ideologien, Vermessenheit oder schlicht Unwahrheit, entsteht.

Ein Beispiel?

Ich glaube, das Bild ist selbsterklärend.

Was man dazu nicht erzählt: Erstens ist ein Gorilla anatomisch darauf ausgelegt Unmengen an Pflanzen zu essen. Zweitens: Aus gutem Grund, denn das Kerlchen kriegt sein Protein dadurch, dass er rund 18 kg Pflanzen am Tag frisst. Selbst mit proteinarmen Pflanzen erreicht dieser Gorilla damit spielend leicht eine Proteinzufuhr, die unsere bei weitem übersteigt. Mal abgesehen davon, dass auf diesen 18 kg Blättern und Co. sicher nicht wenige Käfer, Raupen und andere Tierchen sitzen, die er sicher genüsslich verzehrt.

Wir sind Menschen. Punkt. Keine Gorillas, keine Pferde … kein anderes Säugetier der Welt, aber Menschen – mit ganz eigenen Eigen- und Besonderheiten. Einfach zu verstehen – auf molekularer oder anatomischer Ebene möglicherweise (sehr) kompliziert.

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

12 comments On Die zwei Regeln für ein besseres Biologie-Verständnis

  • Cyrill hat recht. Ich vermisse eure Archiv-Seite auch sehr. Bisher konnte man ganz einfach mit Ctrl+F nach bestimmten Begriffen suchen. Doch leider ist das Archiv nicht mehr da.

    Ist das nur vorübergehend während eines Umbaus der Seite oder habt ihr das Archiv dauerhaft entfernt?

    Als begeisterter edubily-Leser muss ich heute leider ein negatives Feedback zum neuen Seiten-Design geben. Die Kategorien geben keine direkte Übersicht mehr über die wichtigsten Artikel zum Einstieg in ein bestimmtes Themengebiet. Stattdessen gibt es jetzt zu jedem Themenbereich ein Hochglanz-Foto aus einer Stockfotodatenbank.
    Das sieht zwar chick und modern à la Instagram aus, doch die Funktionalität und Übersichtlichkeit sind dadurch schlechter geworden.
    Alles in allem leider eine Verschlimmbesserung.

    Für so eine Instagram-Anbiederung ist euere Seite aber viel zu wertvoll. Die Fülle an Informationen ist über die Jahre schon zu einer kleinen Wikipedia mit hochwertigem Fachwissen angewachsen.

    Die neuen Änderungen sind im Grunde noch verschmerzbar, solange die Archiv-Seite wieder kommt.

    Naja, vielleicht ist das ja auch nur vorübergehend und ich male zu schnell den Teufel an die Wand.

    • Ruhig Blut :-) Wir schrauben ja überall noch. Insofern sind wir auch dran, das Archiv besser zu machen und auch eine Suchfunktion einzurichten.

  • waaaa! wo kann ich jetzt Artikel suchen??

  • Mir reicht es die Uhr zu lesen. Habe ich Erfolg mit meiner Diät, war es wohl richtig. Alles wird irgendwo simplifiziert. Auch die Biochemie ist voller Modelle, die auch wieder nur Annahmen sind oder für gewisse Anwendungen brauchbar sind. Wer z.B. glaubt, es gibt Atomkerne um die Elektronen fliegen und das als letzte Wahrheit bezeichnet, ist genauso naiv und unwissend wie eine Bakterie auf einem Hund.

  • Hallo Chris,

    genauso ist es. Wir sollten eben zur Kenntnis nehmen, das wir nur Bruchteile des Wunders Natur bisher überhaupt verstehen.
    Aber immerhin bemühen wir uns. Im dem Sinne habe ich mal eine Frage an den Biochemiker:
    4D-Doc hatte zum letzten Artikeln Folgendes kommentiert:
    „Da Kohlenhydrate, wie im Artikel dargelegt , auf der Ebene der Genregulation die Codierung von Enzymen und Rezeptoren des Fettstoffwechsels dämpfen, zeigen sich die entsprechend beobachtbaren Effekte der ansteigenden Fettsäuren bei hoher KH-Last.“

    Ist das so, das die KH die Enzyme der Fettverbrennung durch Genregulation dämpfen?
    Das wäre, so finde ich, ein schon sehr interessanter Aspekt.

    Ich kann das aber so in keinem gängigen Buch (Stryer, Löffler u.a.) finden, weiß aber auch, das da natürlich längst nicht Alles drinsteht.

    Danke Dir für eine kurze Antwort. Viele Grüße!

    • Hallo Ralf,

      ja, das ist so. Die (Muskel-)Zelle reagiert natürlich auch auf Gen-Ebene auf die jeweilige Substratpräferenz. Bei hohem Fettkonsum werden andere Enzyme aktiv als bei hohem KH-Konsum. Ist ja klar: die Zelle will ja das verarbeiten können, was man ihr gibt. Man sollte nur daran denken, dass sich hier Verhältnisse verschieben, angepasst an das, was man zuführt. Es wird also nicht an- oder ausgeschaltet.

      LG

      PS: In den normalen Biochemie-Büchern findet man selten solche Infos. In solchen Büchern geht es ja darum, einen Überblick über wesentliche Abläufe zu bekommen …

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