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Vitamin D: Der nächste Hammer

Wir erinnern uns:

Vor zwei Jahren sagt das Deutsche Krebsforschungszentrum Heidelberg, also die vielleicht renommierteste Forschungseinrichtung zum Thema Krebs in diesem Land, dass sich durch tägliche Vitamin-D-Einnahme ab 50 möglicherweise etwa 30.000 Krebstodesfälle jährlich verhindern ließen.

weniger krebstote vitamin d

Veröffentlicht haben die ihre Kalkulationen in einer im Fachmagazin publizierten Arbeit, in der sie darlegen, dass Studien höchster Güte (Meta-Analysen mit RCTs) zeigen, dass Vitamin D täglich das Risiko an Krebs zu sterben um etwa 13 % senkt.

Das macht dann schlappe 254 Millionen Euro Kosteneinsparung jährlich, weil man eben statt teurer Therapie nur günstiges Vitamin D bezahlt. So die Autoren damals – besprochen war das hier im Blog.

Bestätigt: Vitamin D senkt die Krebssterblichkeit

Ganz aktuell wird nachgelegt. Wieder hat die Gruppe um Prof. Hermann Brenner – kommissarischer Leiter der präventiven Onkologie beim DKFZ – eine „systematische Überprüfung und Meta-Analyse von randomisierten kontrollierten Studien mit individuellen Patientendaten“ rausgehauen (Q). Also wieder mit den hochwertigsten Studien.

Hier scheint die Ernüchterung zu folgen:

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Vitamin D3 in der Hauptmetaanalyse aller RCTs die Krebssterblichkeit nicht reduzierte, da die beobachtete Risikoreduktion um 6 % statistisch nicht signifikant war.

Also leider keine statistisch signifikante Reduktion. Oder?

Doch nicht so schnell: Klug wie sie sind, haben die mal geschaut, ob es vielleicht einen Unterschied zwischen Leuten gibt, die ihr Vitamin D täglich schlucken und jenen, die größere Mengen z. B. alle 2 Wochen einnehmen („Bolus“).

Rechnete man also die selten verabreichten Einzelhochdosen raus und betrachtete nur die Daten von Studien, in denen täglich zwischen 400-4000 IE eingesetzt wurden, „ermittelten die Forscher dagegen eine statistisch signifikante Verringerung der Krebssterblichkeit um zwölf Prozent“. 

12 % also – passt zu den bereits ermittelten etwa 13 % aus der vorigen Studie. Da in den Studien Vitamin D auch dann verabreicht wurde, wenn gar kein Mangel vorlag, schätzen die Autoren die tatsächliche Reduktion der Krebssterblichkeit erheblich höher, wenn ein Mangel vorliegt.

Wir können daher davon ausgehen, dass der Effekt für diejenigen Menschen, die tatsächlich einen Vitamin-D-Mangel aufweisen, erheblich höher ist.

Vitamin D muss regelmäßig zugeführt werden

Die Autoren begründen diese offenbar bessere Wirkung bei täglicher Vitamin-D-Einnahme u. a. mit der „regelmäßigeren Bioverfügbarkeit des aktiven Wirkstoffs, dem Hormon 1,25-Dihydroxyvitamin D (Calcitriol), das erst durch Reaktionen des Vitamin D im Körper entsteht und vermutlich das Tumorwachstum hemmen kann.“

Stimmt. Dass Vitamin D und Calcitriol das Tumorwachstum direkt hemmen könnten, war auch schon Thema hier im Blog. Das darf man sich gerne mal angucken.

Doch die DKFZ-Forscher gehen einen Schritt weiter und legen hier nahe, dass tägliches, niedrig dosiertes Vitamin D offenbar besser wirkt als größere Dosen in weiteren Intervallen. Neu ist das nicht.

Seit Jahren zeigen Veröffentlichungen, dass Vitamin D, zumindest mit Blick auf den „Vitamin-D-Spiegel“ (eigentlich: Calcidiol-Spiegel, s. Verlauf), (wesentlich) besser wirkt, wenn man es täglich niedrig dosiert nimmt statt in größeren Intervallen in höherer Dosis (Q). Ein Grund: Vitamin D wird weniger stark den Vitamin-D-abbauenden Pfaden zugeführt, wenn man es regelmäßig aber niedriger dosiert nimmt (Q).

Doch da gibt es mehr… Schon vor zehn Jahren können wir in einer Veröffentlichung folgendes lesen:

Vitamin D, die Ausgangssubstanz für die Hormonwirkung über das daraus gebildete Hormon Calcitriol im Gewebe, spielt wahrscheinlich eine wichtige direkte physiologische Rolle (…).

Auf der Grundlage neuer Daten aus dem Labor und aus klinischen Studien sowie der verfügbaren Kenntnisse über den Vitamin-D-Stoffwechsel scheint es wahrscheinlich, dass für einen optimalen Nutzen einer Vitamin-D-Supplementierung täglich genügend Vitamin D zugeführt werden sollte, um sicherzustellen, dass die zirkulierenden Konzentrationen über einen längeren Zeitraum stabil bleiben.

Hier geht es also um die Wirkung, die vom Vitamin D – das man gerade geschluckt hat – selbst ausgeht. Wie ist das zu verstehen?

Warum Vitamin D selbst wirkt

Generell geht man davon aus, dass Vitamin D zuerst zur bekannten Speicherform 25(OH)D (Calcidiol) – die man beim Arzt misst – umgewandelt wird (via 25-Hydroxylase) – und zwar in der Leber. Das wiederum soll über die Blutzirkulation zu den Zellen gelangen, die sich daraus ihr aktives Hormon, das Calcitrol bauen (via 1α-Hydroxylase).

Selbst das ist relativ neues Wissen, denn lange Zeit ging man davon aus, dass Calcitriol hauptsächlich in der Niere gebildet wird. Dass sich jede Zelle mit Calcitriol selbst versorgen kann, ist immer noch ein relativ aktuelles Wissen.

Doch auch das scheint zu kurz gedacht: Denn wie der Proteinatlas zeigt, bilden alle Gewebe teils auch hohe Mengen des Enzyms (25-Hydroxylase), das es erlaubt, aus dem Vitamin D, das wir schlucken, 25(OH)D lokal und direkt selbst zu bilden und dann auf sozusagen kurzem Wege das aktive Hormon, Calcitriol.

Konkret mit Blick auf Tumore finden sich Daten (z. B. diese), die zu den aktuellen DKFZ-Erkenntnissen passen:

Vitamin D könnte also vor dem Fortschreiten der Tumorprogression schützen, indem es die intratumorale 25(OH)D-Produktion durch (…) 25-Hydroxylase erhöht und so die autokrine/parakrine Wirkung der antiproliferativen Wirkung von Calcitriol verstärkt.

Hier steht also in Laiensprache: Vitamin D muss nicht über Leber und sonst wo umgewandelt werden, z. B. in das zirkulierende Calcidiol. Nein, das passiert vor Ort, hier im Tumorgewebe direkt („intratumoral“), was dann über das gebildete Hormon Calcitriol tumorhemmend („antiproliferativ“) wirkt.

Schon fast zehn Jahre davor, also 2006, konnte Vitamin-D-Entdecker und der vermutlich renommierteste Vitamin-D-Forscher weltweit, Michael Holick, eine ähnliche Beobachtung an Prostatakrebszellen machen. Die Autoren schrieben damals:

Die selbstständige Synthese von Calcitriol aus Vitamin D3 deutet darauf hin, dass die Aufrechterhaltung eines angemessenen Vitamin-D-Serumspiegels eine sichere und wirksame chemopräventive Maßnahme zur Verringerung des Prostatakrebsrisikos darstellen könnte.

Oh! Ein völlig neuer Gedanke, nicht wahr? Denn das würde bedeuten, dass vielleicht nicht das, was man im Blut misst (Calcidiol; 25(OH)D) die Hauptwirkung macht, sondern das, was man … akut zuführt. Was eine weitere Ebene der Komplexität mit Blick auf das Verständnis um den Vitamin-D-Stoffwechsel addieren würde.

Einfach zusammengefasst könnte das so aussehen:

Altes Modell: Vitamin D (oral zugeführt) → 25(OH)D (Leber) → Calcitriol (Niere) → Systemische Versorgung der Zellen

Aktualisiertes Modell: Vitamin D (oral zugeführt) → 25(OH)D (alle Zellen) → Calcitriol (alle Zellen)

Schlusswort

Ja, ja, ich weiß. In manchen Kreisen „hat man das schon immer gesagt“. Ich denke, es ist vielleicht wichtig, so eine Differenzierung an der Stelle nochmal anzubringen, vor allem im Zuge der aktuell vorherrschenden „Vitamin-D-Skepsis“ bei manchen.

Je mehr ich von Vitamin D weiß, umso weniger Verständnis habe ich für Menschen, die die Bedeutung dieses Prohormons für jeden Menschen in Abrede stellen wollen. Wir können gerne über Dosierungen diskutieren, aber nicht darüber, ob Menschen es überhaupt zuführen sollten – ich glaube, jeder sollte täglich eine gute Vitamin-D-Quelle haben.

Ich persönlich freue mich auf den Sommer. Dann bleiben uns immerhin diese unnötigen Diskussionen und desinformierenden Beiträge zur Vitamin-D-Ergänzung bis zum Spätjahr erspart. Sofern man sich regelmäßig in die Sonne setzt. Wer das nicht tut, dem ist sowieso nicht mehr zu helfen.

PS: Ja, man könnte es auch einfach Fehlinformation nennen. Für mich sind schlampig recherchierte Beiträge, die nur darauf abzielen, Menschen davon abzuhalten, Vitamin D einzunehmen, keine Fehlinformationen mehr, sondern … Desinformation. Mit offenbar riesigem Schaden, der an der Bevölkerung angerichtet wird. Siehe Artikel.

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

3 comments On Vitamin D: Der nächste Hammer

  • Das alle Wirkungen von Vitamin D, die nicht den Calzium-Haushalt betreffen, nur bei täglicher Einnahme auftreten, ist nichts neues.
    Dieses Interview von Dr. Hollis ist schon seit Jahren im Netz:
    https://www.vitamind.net/interviews/dr-hollis-vitamin-d-taeglich/

    • Die Studie ist übrigens von 2013, also jetzt 10 Jahre alt:
      Hollis, B. W., & Wagner, C. L. (2013). The role of the parent compound vitamin D with respect to metabolism and function: why clinical dose intervals can affect clinical outcomes. The Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism, 98(12), 4619-4628.

      • Das ist exakt die Studie, die im Artikel referenziert ist :-)

        EDIT: Sehe gerade, dass ich die Beschriftung (des Zitats unter ‚Vitamin D muss regelmäßig zugeführt werden‘) bei einer Artikelumgliederung aus Versehen rausgeschmissen habe. Also danke ;-) Habe ich jetzt wieder reingepackt mit einem kleinen Satz.

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