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Vitamin D: Eine knackige Beweisführung

Newsletter vom 14.02.21


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Weil es so wichtig ist und weil es sicher nicht wenige Leser interessiert, wollen wir heute nochmal kurz eine Instagram-Story im Newsletter wiedergeben. Thema: Vitamin D.

Denn „täglich grüßt das Murmeltier“ gilt auch und gerade für Vitamin D im Winter. Jedes Jahr ab Herbst kommt es diesbezüglich zur exponentiellen Verbreitung von Unsinn. Jeder Experte hat dann was zu sagen, jeder Influencer sowieso.

Und meistens wird am Thema vorbeigeredet. Das Resultat ist, dass Leser „verunsichert“ sind. Wir bekommen dann immer wieder – und jedes Jahr die gleichen – Zuschriften von „verunsicherten“ Menschen.

Dabei ist das Thema doch einfach zu verstehen – eine Beweisführung. Kleiner Tipp: Am besten für den nächsten Winter abspeichern, damit man die Inhalte nicht vergisst – und jedem Freund weiterleiten, damit die noch was lernen können.

1. Die wohl größte Meta-Analyse zu Vitamin D

… mit Blick auf Infektionserkrankungen der Atemwege kommt zum Schluss:

Insgesamt war die durch Vitamin D induzierte Verringerung des Risikos einer akuten Atemwegsinfektion vergleichbar mit der Schutzwirkung eines injizierbaren Grippeimpfstoffs gegen grippeähnliche Erkrankungen.

Aha. Besonders ausgeprägt ist diese Schutzwirkung, wenn Menschen tiefe Vitamin-D-Spiegel (kleiner als 25 nmol/L) auf ein höheres Niveau heben. Das sollte man sich merken. Denn …

2. Der Deutsche ist im Winter mangelversorgt

Bestätigt das RKI. Die entsprechende hauseigene Studie aus 2015 zeigt, dass Frauen mit ca. 35 nmol/L und Männer mit 31 nmol/L im Winter durch die Gegend laufen. Also nicht weit weg von diesen ominösen 25 nmol/L aus der obigen Studie. Im Sommer schaffen es deutsche Frauen und Männer immerhin auf knapp 60 nmol/L. Ist das alles optimal versorgt? Fragen wir doch mal beim RKI nach.

In der Deutschen Gesundheitsbefragung und -untersuchung für Erwachsene (DEGS1) betrug der mittlere Serum 25(OH)D-Spiegel 45,6 nmol/l ohne signifikante Geschlechtsunterschiede (Frauen: 45,9 nmol/l; Männer: 45,3 nmol/l). Mehr als die Hälfte der Bevölkerung (61,6 %) hatte Serum 25(OH)D-Werte <50 nmol/l, 30,2 % hatten Werte <30 nmol/l und 11,8 % hatten Werte > =75 nmol/l.

Da steht:

  • Im Schnitt haben wir Deutschen ganzjährig einen Wert von 45 nmol/L.
  • Ca. 60 %, also die Hälfte der Bevölkerung, erreicht 50 nmol/L nicht, ein Drittel hat Werte unter 30 nmol/L.
  • Und lediglich 12 % der Bevölkerung hat mehr als 75 nmol/L.

Das sind die Fakten zur Versorgungslage in Deutschland. Gut merken, denn:

3. Ab wann spricht man von Mangel?   

Beim RKI lässt sich nachlesen, dass man bei unter 30 nmol/L von einem echten Mangel spricht. Das sei, so das RKI, eine „mangelhafte Versorgung mit einem erhöhten Risiko für Krankheiten wie Rachitis, Osteomalazie und Osteoporose.“ Schön wär’s, wenn’s nur um den Knochen ginge.

Optimale Werte erreiche man erst ab 50 nmol/L. Entsprechend weist das RKI alles zwischen 30 nmol/L und 50 nmol/L als suboptimale Versorgung aus. So weit, so gut. Allerdings wird international darüber diskutiert, ob das überhaupt reicht. Bei den NIH (National Institutes of Health), „nur“ die wohl größte Gesundheitsbehörde weltweit, und die wichtigste in den USA, liest sich:

Werte von 50 nmol/L (20 ng/mL) oder mehr sind für die meisten Menschen ausreichend. Im Gegensatz dazu erklärte die Endocrine Society, dass für die klinische Praxis eine Serum 25(OH)D-Konzentration von mehr als 75 nmol/L (30 ng/mL) notwendig ist, um die Wirkung von Vitamin D auf den Kalzium-, Knochen- und Muskelstoffwechsel zu maximieren

Wichtig: Eine der größten medizinischen/endokrinologischen Fachgesellschaften weltweit, die Endocrine Society, empfiehlt also sogar 75 nmol/L. Das sind Werte, die der deutsche Durchschnitt weder im Sommer noch im Winter erreicht.

4. Welche Zufuhr braucht man denn für gute Werte?

Man sollte sich als Nächstes fragen, welche Zufuhrmengen man täglich braucht, um diese Zielwerte überhaupt zu erreichen. Hier geht es in erster Linie immer noch um Erreichen adäquater Werte! Also darum, keinen Mangel zu haben. 

Diese Frage beantwortet uns eine bei Nature im European Journal of Clinical Nutr erschienene Meta-Analyse, die weltweit Ergebnisse von Goldstandard-Studien (RCTs) ausgewertet hat:

Um eine ausreichende 25(OH)D-Konzentration (75 nmol/L) zu erreichen, lag die empfohlene VitD-Zufuhr bei 1340 und 2250 IE/Tag für Kinder und Schwangere, 2519 und 797 IE/Tag für europäische Erwachsene im Alter von 18-64 und 65-85 Jahren (…)

Die legen sich also direkt fest, und sagen: ausreichend erst ab 75 nmol/L. Und wie erreicht man das sehr wahrscheinlich?

  • Kinder mit 1340 IE pro Tag
  • Schwangere mit 2250 IE pro Tag
  • Europäische Erwachsene unter 65 brauchen 2519 IE pro Tag
  • und alten Menschen wird immerhin noch knapp 800 IE erlaubt.

Dahinter könnte man jetzt einen Punkt machen … und handeln. So wie das beispielsweise die „Polnische Gesellschaft für pädiatrische Endokrinologie und Diabetes und das Expertengremium unter Beteiligung von nationalen Fachärzten und Vertretern wissenschaftlicher Gesellschaften“ getan haben. In Polen hat man 2018 einfach neue Empfehlungen rausgehauen.

Doch wir leben in Deutschland …   

5. Was unsere „Experten“ empfehlen 

Damit das Ganze noch eine Prise Witz-Charakter bekommt, darf an dieser Stelle die Meinung von deutschen „Experten“ und Behörden nicht fehlen. Da liest man beispielsweise im Spiegel:

Die DGE-Experten hatten Dutzende Studien und Beobachtungen aus verschiedenen Ländern begutachtet. Zwar lasse sich tatsächlich ein Zusammenhang zwischen einem niedrigen Vitamin-D-Spiegel und einem erhöhten Risiko für eine Sars-CoV-2-Infektion mit einem schweren Krankheitsverlauf vermuten, heißt es in der aktuellen DGE-Fachinformation zum Thema (Stand: 11. Januar 2021). Dennoch ist das Fazit der Ernährungswissenschaftler: »Derzeit liegen keine Argumente vor, die eine Supplementation von Vitamin D bei Personen mit adäquatem Vitamin-D-Status mit dem Ziel der Prävention einer Sars-CoV-2-Infektion oder der Verringerung des Schweregrades einer Covid-19-Erkrankung begründen können.«

Halten wir fest: Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Schwere eines Covid19-Verlaufs und schlechten Vitamin-D-Werten. Aber Handlungsbedarf sieht man offensichtlich nicht, denn „Supplementation von Vitamin D bei Personen mit adäquatem Vitamin-D-Status“ lässt sich nicht begründen.

Leider trifft genau das aber nicht zu. Denn in Deutschland hat im Winter gar niemand adäquate Vitamin-D-Spiegel. Ist das noch Wissenschaft, was die machen? Oder macht man aus Science lieber Fiction?

Noch viel schlimmer ist allerdings das BfR, also das Bundesinstitut für Risikobewertung. Die schreiben nämlich sogar in einer aktuellen Stellungnahme:

Das Fazit: Die Einnahme hochdosierter Nahrungsergänzungsmittel (= mehr als 2000 IE pro Tag) sei für die Allgemeinbevölkerung unnötig und kann sich sogar nachteilig auf die Gesundheit auswirken.

Ein kleines Schlusswort 

Was bleibt da zu sagen? Da fällt mir nur eine Sache ein:

So ein Schmarrn, so ein Scheiß, ehrlich!

Ich hab lange überlegt zuhause, ob ich überhaupt hier reinkomme oder ob ich überhaupt was dazu sage. Aber ich bin der Meinung, da sollte man schon mal Stellung zu nehmen und dazu was sagen.

Es ist für mich nicht nachzuvollziehen, ehrlich. 

Freunde der Sonne.

Spaß beiseite. Denn eigentlich ist das gar nicht witzig. Hier gibt es eine unglaubliche Lücke zwischen wissenschaftlicher Realität und Kommunikation an die Allgemeinheit seitens Behörden und Experten. Man kommt zwangsläufig zum Schluss: Wir Deutschen wollen leiden. Wir wollen das Opfer sein. Wir wollen alles schlecht reden. Und wir akzeptieren in Wahrheit selbst wissenschaftlich bewiesene Tatsachen nicht. 

Da stellt sich die Frage: Wenn wir sowas schon nicht akzeptieren und kommunizieren, wie will man in den nächsten Jahren und Jahrzehnten präventiv tätig werden und das Gesundheitssystem entlasten? Achtung, rhetorische Frage. Antwort nämlich: Gar nicht.


Vitamin D könnte Tausende Menschenleben retten

… und Millionen von Euros sparen. Weil es thematisch gut zu diesem Newsletter passt, sollte diese Ergänzung hier nicht fehlen. Denn …

Schon länger ist bekannt, dass niedrige Vitamin-D-Spiegel bei Patienten mit einem höheren Mortalitätsrisiko in Verbindung stehen. Forscher um Prof. Dr. Hermann Brenner vom Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg haben jetzt 3 große Metaanalysen randomisierter klinischer Studien ausgewertet und Zahlen auf Deutschland übertragen [1]. Das Ergebnis: Durch eine bundesweite Vitamin-D-Supplementierung aller Menschen über 50 könnte die Zahl an Todesfällen durch Krebs um 30.000 pro Jahr vermindert, und es könnten 300.000 Lebensjahre gewonnen werden – bei Einsparungen von 254 Millionen Euro durch weniger Krebstherapien.

Diese aufsehenerregende Studie macht grade die Runde. Aber wir wissen ja, dass das so oder so auf taube Ohren stößt und diese Meldung freilich untergehen wird. Denn wir handeln stets nach dem Motto, „Warum einfach, wenn’s auch kompliziert und schwer geht?“.

Wir wissen ja, wie das läuft:

Vitamin D Hype

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

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