nahrungsergänzungsmittel gelten als gut

Gute Chemie — Böse Chemie

Ab und zu wird edubily leider missverstanden.

Uns ist klar, dass keiner das Ernährungsrad neu erfinden wird. Es wird keiner kommen und dir die neue Wunder-Diät erklären, auch wenn es immer noch viele Menschen gibt, die felsenfest davon überzeugt sind. Macht nix, das ist ok.

Edubily gibt es doch aus einem ganz anderen Grund. Dieser Projekt-Name setzt sich zusammen aus den Wörtern education (= Lehre) und biology (= Biologie). Zugegebenermaßen ist „edubily“ einfach nur der bestklingende Buchstaben-Salat von den Möglichkeiten.

Also: Uns geht es darum, Hintergründe an den Mann/die Frau zu bringen, Aspekte zu erklären, biologische Phänomene zu beleuchten, Leser auch für das „Stufe-2-Denken“ oder dem Wissen „behind the scenes“ zu begeistern.

Wir sind also keine weitere Anlaufstelle für das typische Blabla. Du kannst edubily als ein Biologie-Buch im Gesundheitsinternet sehen.

Ich finde es immer so schade, wenn wir komplett missverstanden werden. Wenn ich die Rezensionen bei Amazon lese, über die wir wirklich viel nachdenken. Wir hören uns wirklich alles gerne an, lernen immer gerne dazu. Aber es fühlt sich nicht gut an, wenn die Mission so von Grund auf falsch verstanden wird.

Manchmal denke ich: Es liegt so ein bisschen an der Zeit. Immer die „Peaks“ rauspicken, immer das picken, was einem am besten und einfachsten reinläuft, was am sinnvollsten klingt, was die größten Erfolge verspricht, was am schnellsten geht. Selten wollen wir uns heute noch bemühen, Sachverhalte wirklich zu verstehen. Wir können uns heute kaum noch für ein tiefes Verständnis begeistern, Freude am Komplexen entwickeln, Freude am Entdecken.

Selbstverständlich könnten auch wir hinschreiben: Mein Jung, Calcium ist extrem wichtig für dich. Punkt. Iss 1 Gramm davon täglich. Punkt. Am besten so und so. Punkt.

Wie unbefriedigend. Wir wollen Geschichten rund um die Zellbiologie schreiben. Abhandlungen, ja auch anstrengende Abhandlungen. Fordernde Texte. Aber all das ist einfach nur Spaß an der Biologie, weil Spaß am Leben.

Wer mehr LERNEN (das impliziert Anstrengung, Fleiß, aber auch Freude) will, ist bei uns genau richtig. 

Also, dann machen wir doch genau damit weiter.

Chemie

Was assoziierst du mit Chemie?

Viele Assoziationen sorgen — ganz nebenbei und uns nicht bewusst — für die falschen Handlungen. Denn Assoziationen erzeugen Gefühle und Gefühle leiten uns (auch).

Häufig sind die Assoziationen das größte Problem. Denn das färbt direkt die gedankliche Realität und verzerrt uns das Bild.

Deshalb versuche ich mich so gut es geht von Assoziationen zu lösen. Sie helfen zwar auch. Aber sie verriegeln uns quasi unseren wissenschaftlichen Sachverstand, denn sie verfälschen das Ergebnis noch bevor es überhaupt eins gibt.

In einem der letzten Beiträge habe ich versucht, das klarzumachen. Viele Menschen assoziieren heute viel Gutes mit „NEM“ (Ergänzungsmittel) und viel Schlechtes mit Medikamenten. Direkt. Nur dadurch, dass sie das jeweilige Wort hören oder lesen. (Ging gerade die Alarmglocke in deinem Kopf an? Was denkst du gerade? Denkst du „Aber…“?)

Schon ist der Denkprozess eingeschränkt. 

Würde man sich dieser Thematik ganz sachlich widmen, was etwa ein Chemiker tut (der würde jedem von uns erst mal klarmachen, dass alles chemische Substanzen sind), wären wir ein bisschen unvoreingenommener.

Ein findiger Molekularbiologe würde dann vielleicht ausweiten und sagen: Jeder Stoff kann eine Wirkung auf den Organismus haben. Freilich: Gibt es überhaupt eine Wirkung? Und wenn ja: Gibt es überhaupt positive Wirkungen? Was alle Stoffe eint: Die Dosis macht das Gift.

Nehmen wir mal als Beispiel Acetylsalicylsäure, also ASS oder besser bekannt als Aspirin. Dieses Zeug wurde quasi schon von Schamanen aus Pflanzen gewonnen, es wurden also schon kranke Urmenschen damit behandelt.

Also: Irgendein chemischer Stoff mit irgendeiner Wirkung auf den menschlichen Körper, die, in unserem Fall, recht positiv ausfällt — unterm Strich. Klar ist: Auch Aspirin macht krank in hohen Dosen, ganz klar.

Fakt ist: Wenn ein chemischer Stoff potent wirkt, hat er niemals nur gute Wirkungen. Quasi jeder Stoff hat auch Nebenwirkungen. Jeder.

Die Frage ist, ab wann diese Nebenwirkungen eintreten bzw. wann die schlechten Wirkungen den guten soweit überlegen, dass der Netto-Effekt Schaden ist. 

Eine ähnliche Geschichte schreibt ein weiterer uns bekannter Stoff:

Koffein

Der Biologe Ray Peat geht soweit und meint: Koffein wirkt zum Teil so positiv auf den Körper, dass man davon ausgehen kann, dass es ein Vitamin ist — also essentiell für den Körper ist.

Na ja … Fakt ist aber: Heben wir die Dosis, das ist ganz individuell, überwiegen irgendwann die schädlichen Seiten und der Organismus nimmt Schaden. Völlig selbstverständlich, siehe Verlauf des Artikels.

Wenn wir begreifen, dass jeder chemische Stoff, egal ob Vitamin, pflanzlicher Sekundärstoff oder Pharma-Substanz diese Spektren aufweist, können wir die besseren Entscheidungen treffen.

Manchmal ist das mit den chemischen Substanzen eben so wie im echten Leben. Man weiß, dass die Nebenwirkungen massiv sein werden, aber wir erreichen dadurch auch ein therapeutisches Ziel. Genau um diesen Zwiespalt geht es meistens — vor allem in der Medizin.

Aber nie wieder Koffein zu schlucken oder Aspirin einzuwerfen, weil wir glauben es sei „Chemie“ oder „von den Pharma-Bösewichten“ ist ein bisschen … na ja … vielleicht unaufgeklärt.

Denn meistens wird im gleichen Atemzug NEM-Therapien vorgeschlagen. Die Behandlung von Krankheit mit Ergänzungsmittel-Hochdosen. Uns allen sollte aber klar sein, dass wir — wenn wir wirklich Therapie damit machen wollen — eben mit dem gleichen Feuer spielen wie mit anderen chemischen Stoffen auch.

Denn auch NEM sind letztlich chemische Substanzen und auch NEM unterliegen die denselben Gesetzen.

Hier wird oft abgewunken, Tenor: Der Körper ist auf diese Stoffe angewiesen, deshalb kann er auch mit höheren Dosen perfekt umgehen.

Das ist einfach falsch. 

Der Körper bestimmt die physiologischen Bereiche der Konzentration. Heißt konkret: Der Körper sagt uns, wie viel er von Vitamin XY ohne Probleme vertragen kann, ja sogar zum Überleben braucht („essentiell“).

Gleichzeitig aber impliziert dieser physiologische Bereich, dass es auch Grenzen gibt — eben wie bei jedem anderen chemischen Stoff auch.

Meine größte Kritik ist nicht: Gleiche Mängel aus und behebe die Probleme des Körper-Systems.

Meine größte Kritik ist: Therapeutische NEM-Dosen werden zum Teil massive Nebenwirkungen haben.

Genau das muss jeder lernen, der sich mit lebender Materie befasst:

Nahrungsergänzung Dosis

Genau darum geht es.

Der Körper ist sehr gut darin, Mikronährstoff-Aufnahmen oder -Retentionen zu maximieren, kann aber quasi überhaupt nicht mit Dauer-Hochdosen umgehen — ganz einfach, weil erstere Option in der Zeit der Human-Entwicklung viel häufiger gang und gäbe war als gravierender Überfluss über längere Zeit.

Der große Unterschied zwischen „Mängel-Ausgleich“ und „Therapie“ mit NEM ist, dass die Blume bei der ersten Variante einfach  nur gegossen wird — dem Pflänzchen wird alles Nötige bereitgestellt, damit es funktionieren kann, immer adäquat. Es kann selbstständig leben und auf Umweltreize reagieren.

Bei Therapie bzw. chronischen NEM-Hochdosen drücken wir den Organismus bzw. entsprechende Signalwege (bewusst oder unbewusst) in eine Richtung. Das ist ja das Ziel einer Therapie. Ganz bewusst auf Hebel drücken, die dann ein gewisses Ereignis hervorbringen. Im menschlichen Organismus kann das heißen, dass wir den anabolen Signalweg dauerhaft anspringen lassen, während der Fettstoffwechsel und andere katabolen Signalwege darunter leiden. Das ginge beispielsweise mit supraphysiologischen Zink-Dosen oder Phosphatidsäure. Ein weiteres Beispiel wäre Arginin, das Gold wert sein könnte für unser Endothel bzw. gegen Arteriosklerose, aber gleichzeitig könnte es dafür sorgen, dass Entzündungen schlimmer werden. (Wohlgemerkt: Das sind die einfachsten Zusammenhänge.)

Also: Gedanke beim Mängel-Ausgleichen ist, dem Körper helfen, sich selbst zu helfen, also alles nötige zur Verfügung stellen, damit er funktionieren kann. Therapie und Hochdosen verfolgen den Zweck einer bewussten (oder unbewussten) Manipulation verschiedener Signalwege, mit ggf. gravierenden (aber erst mal nicht spürbaren) Folgen.

Genau deshalb sagen wir: Sieh zu, dass du die Mikronährstoff-reichsten Lebensmittel konsumierst. Dann hast du diese Probleme nicht. Denn „Lebensmittel“ stellen für den Organismus Information dar. Der weiß dann: Ich habe genug.

Dieses U-Kurven-Modell sollte jeder, der sich mit NEM und Pharmakokinetiken irgendwelcher Substanzen befasst unbedingt kennen. Das wird immer wichtiger, vor allem mit Blick auf die immer besser werdenden Bioverfügbarkeiten der jeweiligen NEM. Aber auch, weil die Angst bzw. Scheu vor Hochdosen immer mehr abnimmt und der Schritt zur Therapie bzw. zum Blutwert-Tuning oft klein ist. Wer also mit 15 mg Zink pro Tag zufrieden ist, der traut sich auch schnell an die 50 mg ran.

Ich weiß, ich weiß. Jetzt werde ich wieder Mails oder Kommentare bekommen. „Es ist doch alles nicht so schlimm“, „Mach den Leuten doch keine Angst“, „Du musst positiver darüber berichten“, „Willst du jetzt für Medikamenten-Konsum werben?“ und so weiter.

Nein. Darum geht es keinem. Es geht um banale Prinzipien, ganz frei von Wertung und Assoziationen. Aber vermutlich auch frei von Dopamin-Räuschen. Sorry. 

PS: Bei aller Lobhudelei was NEM, Vitalstoffe etc. angeht: Es kann in zwei Jahren niemand kommen und sagen, wir hätten es nicht erklärt oder angesprochen …

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

4 comments On Gute Chemie — Böse Chemie

  • Gute Chemie vs Böse Chemie?
    Natürlich vs künstlich?

    Ich sehe oft die weit verbreitete Ansicht, „Ist doch alles 100% natürlich. Das kann doch gar nicht schädlich sein“.
    Dummer Weise wird dabei oft ignoriert und verkannt, das Mutter Natur eine ganze Reihe höchst potenter Gifte in ihrem Arsenal hat.

    Schön, dass ihr nicht müde werdet immer wieder zu differenzieren und auf die Kontextabhängigkeiten hinzuweisen..
    Bleibt dran!

    LG,
    Thorsten

  • „Ist doch alles nicht so schlimm!“ ;) I’m Grunde Stimme ich dir zu. Ich glaube auch, man muss den Kontext im Auge behalten. Hier und in ähnlichen Foren/Blogs schreiben Leute, die sich damit auseinander setzen. Du hast vermutlich zu 90% mit „solchen“Leuten zu tun. In meinem Umfeld sind zu 90% Menschen, die damit nichts zu tun haben (wollen). Die rennen bei Husten in die Apotheke, nehmen ihre Cholesterin- und Blutdrucksenker usw. Wenn ich denen was von zB Vitaminen erzähle, schütteln die ungläubig den Kopf. Oder sagen, bei einer Erkältung, „Was? 10x mehr als die DGE vorschreibt???“ Dann benutze ich gern Begriffe wie chemisch und natürlich. Obwohl ich beruflich, komme aus der Chemie, sehr wohl den Unterschied kenne. Anderer Kontext, anderer emotionaler Zugang, um die Person zu erreichen.
    Gibt es die Gefahr, zu übertreiben? Klares Ja! Wenn etwas alltäglich wird, sinkt die Toleranzschwelle. Viel hilft viel… Deswegen finde ich das Projekt Edubily klasse. Ihr differenziert, bietet tolle Erklärungen und tretet auch mal auf die Bremse. Um aber erstmal die Angst vor NEM, Vitaminen, Mineralien, Eiweiß usw so nehmen und den Menschen in eine andere Richtung zu schubsen (weg von dem der Arzt, die Pille wirds schon richten, hin zu SELBSTVERANTWORTUNG), denke ich, man darf übertreiben. Sozusagen als Aktivierungsenergie, um eine Reaktion in Gang zu bringen

    • Bin auch schon sehr lange edubily Leser.
      Und finde das Team von euch einfach genial.
      Und meine Ihr seit der Zeit sehr voraus.
      Jetzt zu einen anderen Thema, habe die Friedreich Ataxie und wollte euch fragen, ob ihr Tipps für mich habt aus biologischer Sicht.
      Vielleicht könnt ihr mir helfen, da ihr das Thema aus Objektiver betrachtet.
      Irgendein NEM was mir zugute kommen würde!

    • Heiko, klasse Kommentar, danke dir.

      Genau. Die meisten unserer Leser sind halt im Grunde keine „Anfänger“ mehr. Sollten wir mal ein Buch schreiben, das in die Buchhandlungen kommt, wird der Ton natürlich auch wieder etwas populistischer, einfach, weil die Zielgruppe eine andere ist. So ähnlich hatten wir das im Handbuch. Folgt man der Chronologie unserer Werke, sieht man im Grunde auch den roten Faden. Manche meinen, wir hätten die Inhalte des Handbuchs relativiert. Das stimmt so aber nicht. Es sind einfach andere Zielgruppen. Leute, die hier lesen, wissen (meistens) schon recht viel. Deshalb ist der Blog auch dazu da, Inhalte zu vertiefen.

      LG, Chris

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