heiße dusche

Lieber Warmduscher: Vergiss „Cold Thermogenesis“

Ja, stimmt. Die Überschrift geht ein bisschen zu weit. Egal ob Kalt- oder Warmduscher, „kalte Duschen“ (bzw. kaltes Wasser im Allgemeinen) können sehr gesund sein.

Doch wie wurde dieses Thema wieder gepusht … Tausende Podcasts, Bücher, Radioshows, Artikel — immer das Gleiche, wenn die Literatur einen neuen Heilsbringer ausspuckt.

Eins haben alle edubily-Leser gelernt: Wenn es um Gesundheit geht, muss man vor allem katabole Signalwege fokussieren, also AMPK/Sirt1/PGC-1alpha. Denn dieses PGC-1alpha steht stellvertretend für metabolische Gesundheit und Langlebigkeit. Es reguliert die mitochondriale Gesundheit und somit den zellulären Energiestoffwechsel. Jeder, der sich mit solchen Sachen befasst, stolpert früher oder später (und immer wieder) über diesen Master-Regulator.

In der Neuauflage des Energie-Guides (bald gibt es die neue Auflage auch als Taschenbuch- und Kindle-Version zu kaufen) haben wir ein paar Interventionen zusammengefasst, die PGC-1alpha regulieren:

PGC1-alpha

Dort steht:

  • Sport
  • Kälte
  • T3
  • NO (Stickoxid)
  • Kalorienrestriktion
  • Stress

… wobei Kälte beispielsweise vor allem via Adrenalin und Noradrenalin, also Stress, „funktioniert“.

Warum ich gerne ein Warmduscher bin

Vor einiger Zeit haben wir im Labor mal untersucht, was passiert, wenn wir eukaryotische Organismen, in dem Fall eine Grünalge, mit Hitze bzw. Wärme stressen. Das interessiert deshalb, weil dieser Hitzestress zu einer Hitzestress-Antwort führt. Dabei schaltet die Zelle auf „Überleben“ und baut vermehrt sogenannte Hitzeschock-Proteine (HSP). Diese HSPs schützen andere Proteine, so, dass sie durch die Hitze nicht zerstört werden. Dies hat Implikationen für gewisse Erkrankungen wie Alzheimer, wo diese Proteinfaltungsmaschinerie defekt ist.

Es handelt sich dabei also um eine Stress-Antwort der Zelle — und Hitze ist dabei logischerweise der Stressor.

Wenn wir kurz nach oben scrollen, fällt auf, dass Stressoren anscheinend den katabolen Signalweg via AMPK/PGC-1alpha aktivieren. Klingt einleuchtend: Die Zelle will sich schützen und fährt Systeme hoch, die Energie erzeugen und Strukturen konservieren.

Drum kamen ein paar findige Wissenschaftler auf die Idee, mal zu testen, ob Wärme nicht auch ein exercise mimetic sein könnte. Wärme, genau wie Kälte, würde dabei Signalwege aktivieren, die auch beim Sport aktiv werden. Auch das klingt logisch: Denn — wie wir alle wissen — Sport erwärmt den Körper und Sport an sich könnte somit eine Hitzeschock-Antwort einleiten. Das hängt also irgendwie zusammen.

Gedacht, getan.

Die Forscher fassen ihre Ergebnisse wie folgt zusammen:

Stressoren

Das Hochregulieren der Hitzeschock-Proteine sorgt also für:

  • weniger systemische Entzündung,
  • ein besseres Insulin-Signaling,
  • eine Vermehrung der Mitochondrien,
  • eine Verringerung der Amyloide (Alzheimer!),
  • längere Telomere (= Schutzkappen der DNA),
  • weniger Körperfett,
  • bessere ß-Zell-Funktion,
  • niedrigere Glukose-Werte,

… und so weiter.

Und diese erstaunlichen Wirkungen stellen sich schon nach kurzen und seltenen Wärmebehandlungen ein. Zum Beispiel durch heiße Bäder, heiße Duschen oder Saunieren — um ein paar praxisrelevante Methoden zu nennen.

Die Liste oben erinnert uns sicher an Cold Thermogenesis. Denn genau aus diesen Gründen stürzen sich Menschen — wie beispielsweise Anja Leitz — in eiskalte Gewässer.

Vielleicht gibt es Menschen, die Wärme lieber mögen, die sich lieber in die 100° warme Sauna setzen als in den eiskalten Fluss. Wäre ab sofort völlig egal, denn beide Interventionen stellen Stressoren dar und beide induzieren eine profunde Stressantwort, die uns hilft, gesund zu bleiben oder gesund zu werden.

So ist das eben.

Gesund scheint der zu sein, der im Winter (Kälte) mit den Hunden übers Feld marschiert (Bewegung), am besten nüchtern (negative Energiebilanz), und danach heiß duscht (Hitzestress-Antwort).

Scheint, als ob die Natur nicht wollte, dass wir krank werden.

Die hochinteressante Arbeit aus dem Jahr 2014, in Cell Stress and Chaperones erschienen, heißt:

The importance of the cellular stress response in the pathogenesis and treatment of type 2 diabetes

Ich seh’s schon kommen. Bald ist das Internet voll mit entsprechenden Ratschlägen :-)

PS: Hitzestress aktiviert allerdings nicht nur katabole Signalwege. Es wurde beispielsweise gezeigt, dass es die Aktivierung von mTOR nach dem Krafttraining verstärkt, fungiert hiermit also als anabolic agent.

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

15 comments On Lieber Warmduscher: Vergiss „Cold Thermogenesis“

  • Das ist korrekt. Danke für den Hinweis.

  • Hallo Kollege,
    „The importance of the cellular stress response in the pathogenesis and treatment of type 2 diabetes.“ wurde in Cell Stress and Chaperones veröffentlicht, nicht in Cell. Die haben sehr unterschiedliche Impact Factors.
    Liebe Grüße
    Caro

  • Na ja, es ist immer noch eine unbewiesene Behauptung, dass die Amyloide Alzheimer hervorrufen sollen. Damit lassen sich natürlich die Medikamente teuer verkaufen und es wird an möglichen Symptomen herumgedoktort.
    Die Menschen, die kein Alzheimer haben, haben im Alter nicht weniger Amyloide im Kopf, als die an Alzheimer erkrankten (Studie im Frauenkloster)
    Die Amyloide sollen z.B. stark anti-entzündlich wirken, usw.

    • Na ja, nur weil sie vergleichsweise auch in anderen Gehirnen zu finden sind, heißt es nicht, dass sie keine Rolle bei der Krankheit spielen. Vielleicht schaffen es die anderen Gehirne, Funktionsverluste zu umgehen? Gibt dazu ziemlich viele Arbeiten. Wäre im Übrigen schön, wenn das „Ich“ einen Namen hätte.

      • Wenn wir hier die Mitos und HSP sprechen, sollte Lithium (orotate) nicht fehlen. Er erhöht Autophagozytose und die Anzahl von Hitzeschock-Proteine, inhibitiert GSK-3 und wirkt dadurch vermutlich auch gegen Diabetes, Krebs und Alzheimer.
        Aber aufpassen: In größerer Dosis als Carbonat über längere Zeit, wird die Ausschüttung von Schilddrüsenhormonen vermindert (vermutlich wenn nicht genug Jod eingenommen wird).
        Lithium wirkt Lebensverlängernd, wie Chrom und Glucosamin.

        Generell wäre Interessant Blogartikel über eher unterschätzte Stoffe wie Lithium oder Silizium zu lesen. Dass Bor, Jod, Mangan und Chrome wichtig sind, ist hier den meisten auch durch eure Arbeit klar.

        • Hi Thomas (danke!), guter Input. Hast natürlich recht. HSPs werden auch von vielen sek. Pflanzenstoffen aktiviert. Auch dem wollen wir in naher Zukunft mal nachgehen mit einem Artikel. Lithium werde ich auch gerne mal aufgreifen! LG, Chris

        • Das Risiko mit Bor, Jod, Mangan oder Chrome schwere Nebenwirkungen zu erzeugen ist bei handelsüblichen Mengen er vernachlässigbar.

          Beim Lithium ist das anders: die therapeutische Breite ist sehr eng, Experimente mit höheren Dosen Li+ können zu erheblichen Problemen hinsichtlich der neuromuskulären Erregbarkeit, auch kardial, führen. Koma, Somnolenz, schwere Nierenschäden, starkes Zittern sind neben der von Dir erwähnten Schilddrüsenaffektion unbedingt zu nennen.

          Grüsse

  • Christian Wittmann

    Da hat der „Praktiker“ Tim Ferris auch schon vor Jahren dran gedacht… ?
    https://www.google.de/amp/tim.blog/2014/04/10/saunas-hyperthermic-conditioning-2/amp/

  • Sehr interessant! Danke für den Artikel.

    Das Hitzeanwedungen speziell auch mTOR stimulieren, finde ich bemerkenswert.
    Kälteanwedungen scheinen ja ggf. Adaptionen vom Training zu reduzieren?
    Quelle: http://suppversity.blogspot.de/2015/07/using-ice-cold-water-immersion-after.html

    Außer dass durch Kälteanwedungen braunes Fettgewebe „gezüchtet“ werden kann, haben Hitzeanwedungen speziell für den Kraftsportler so gesehen mehr Vorteile?
    Könnt ihr dazu eine Anleitung für die Praxis geben? Intensität und Dauer? ;-)

  • Wieder mal ein sehr schönes Beispiel, dass Schwarz-Weiß-Denken nicht ganz funktioniert…Wie immer ist die Balance entscheidend! Ich persönlich habe bei mir festgestellt, dass ich tagsüber nach einer kalten Dusche am Morgen immer müder werde und gestresster bin…Warmes bzw. heißes Duschen hingegen lässt die Energie konstant! Dennoch habe ich lange kalt geduscht, schließlich sei es ja so gesund und gut für die Körperkomposition…

    Letztendlich ist es wieder mal eine Bestätigung für mich, dass ein Hören und richtiges Interpretieren des eigenen Körpergefühls am besten ist!

    • Absolut! Wir müssen wegkommen vom gängigen Konzeptdenken bzw. Ausrichtung der eigenen Handlung nach starren Konzepten.

  • Also doch wieder die Sache mit Kälte im Gleichgewicht zu Hitze sehen. Stress und Entspannung, ying und yang. ..
    Saunieren ist regelmäßig im meinen Alltag eingebaut, die kalte dusche will ich nicht missen.
    Wäre es sinnvoll sich im Sommer Kälte auszusetzen? Oder würde das unsere Mitos eher verwirren? Ich denke da auch an das vermehrte Licht im Sommer.

    LG
    Daniele

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