Ja, wir reiten diese Welle der Empörung mal ganz bewusst mit. Das folgende Video wurde – ja, man muss schon sagen – zum viralen „Hit“. Wohlgemerkt: Dieses Mal sogar zunächst gänzlich ohne Clickbait-Artikel, sondern nur durch die Verbreitung in den sozialen Netzwerken des Gesundheitsinternets.
https://www.youtube.com/watch?v=Mnc_aoN7lMM&t=
Die Kurzfassung dieses 50 Minuten langen Vortrags: Hier räumt eine deutsche „Harvard-Professorin“ mit „Ernährungsirrtümern“ auf – und zwar auf ihre ganz eigene Art und Weise. Sie kommt nämlich ganz ohne Studien aus und wirkt speziell beim Kokosöl so, als ob sie einer ganzen Industrie mal so richtig eine reinhauen möchte. Etwas verbittert wirkt sie, sehr abgehoben und schießt sich mit Aussagen wie „Kohlensäure im Trinkwasser führt zu Bluthochdruck und übersäuert den Körper“ meines Erachtens ins eigene Knie.
Don’t fuck with the Gesundheitsinternet
Nun gut: Womit diese Frau allerdings nicht gerechnet hat, war die Welle der Empörung, die ihr jetzt entgegenschlägt. Die Macht des Gesundheitsinternets. Don’t fuck with the Gesundheitsinternet. Schon gar nicht, wenn man selbst von sich glaubt, „Auf dem hohen Podest da oben kann mir sowieso keiner was“ – und das „gemeine Volk“ sich als solches fühlen lässt.
Jetzt tauchen viele, viele YouTube-Videos, Internet-Artikel und so weiter auf, die mindestens ebenso polemisch zurückschießen. In vielen Fällen genau das tun, was diese Frau da macht.
Stellungnahme: Schon etwas weniger Polemik
Auf die einzelnen „Irrtümer“ bzw. auf die einzelnen Irrtümer der Irrtümer, möchte ich hier gar nicht mehr eingehen. Als bezeichnendes Merkmal des Vortrags, möchte ich allerdings noch kurz auf einen Ausschnitt eines mir zugesandten BILD-Artikels hinweisen (Lustig: sogar in die BILD hat sie’s geschaft!):
Für ihre Schlussthese „Kokosöl ist das reine Gift“ erntet Michel im Hörsaal allerdings ein deutliches Raunen und leises Gelächter. Wohl auch, weil ihre Ansage an einer Stelle hinkt: Sie belegt ihre These nicht mit Fakten oder gar einer Studie, bleibt also schließlich selbst den Beweis schuldig, den sie von den Kokos-Fans eingangs eingefordert hatte.
Damit dürfte alles gesagt sein. Zur Verteidigung dieser Frau will ich ergänzen, dass es Dieser Link existiert nicht zum Thema „Kokosöl und gesättigte Fette“ gibt. Zitat:
Kokosöl hat 92 % gesättigte Fettsäuren, wovon in der Regel etwa die Hälfte auf die mittelkettige Fettsäure Laurinsäure entfällt, der Rest auf Myristinsäure, Palmitinsäure und Ölsäure. Der Konsum dieser Fettsäuren erhöht die Spiegel des schlechten LDL Cholesterins im Blut, was zum Herzinfarkt führen kann. Laurinsäure erhöht aber auch das gute HDL.
Studien, die zu diesem Thema durchgeführt wurden, verwendeten oft speziell hergestellt Öle aus 100 % mittelkettigen Fettsäuren, nicht das kommerziell erhältliche Kokosöl – also ein völlig anderes Produkt.
Kokosöl enthält keine Ballaststoffe, kein Cholesterin und nur Spuren von Vitaminen, Mineralien und Pflanzenstoffen – zu gering, um einen positiven Effekt auf die Gesundheit zu haben.
Hinterhergeschoben werden – ganz in Evidence-based-Manier– ein paar Meta-Analysen, die auf die Problematik der gesättigten Fette eingehen. Auffallend ist, dass diese Stellungnahme schon einen etwas anderen Ton an den Tag legt.
Was bei mir hängen bleibt
Mal ganz ehrlich: Es gibt Professoren und Doktoren, die Blödsinn erzählen, wie Sand am Meer. In dieser Hinsicht reiht sich Frau Michels einfach nur ein – mit dem Unterschied, dass sie hier von einem ordentlich Shitstorm getroffen wird. Ich bin mir sicher, das Mailfach des Sekretariats ist ordentlich gefüllt mit bisweilen hässlichen Mails. Man kann’s natürlich auch übertreiben.
Nein, mich beschäftigt etwas ganz anders. Vor einigen Jahren durfte ich mal drei Monate lang Krankenhäuser etc. von innen kennenlernen. Und mit dazu das dort arbeitende Personal. Mir ist damals schon aufgefallen, dass ein Großteil der Ärzte und Professoren (wohlgemerkt: nicht alle!) kein Gespür für den Menschen haben. Sie verstehen Medizin nicht als „Menschbehandeln“, sondern als Behandeln eines kranken Körpers – bzw. seinen einzelnen Bestandteilen.
Und oft genug wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen, ohne dabei zu sehen, dass der Mensch – und damit seine komplette Biologie – nicht nur aus „Herz“, „Bein“ oder „Herzkranzgefäßen“ besteht, die mal eben krank sind.
Vielen dieser Ärzte fehlte es an Bezug zur Realität und „Lebenspraxis“. So bekam ich zum Beispiel mal 15 Minuten lang den Ultraschallkopf über meinen Brustkorb gerieben, der Arzt schaut mich verdutzt an und fragt: „Haben Sie mal Steroide genommen?“ Nein – ich war einfach Leistungssportler. Und ich weiß aus Studien, dass meine Herzmaße nicht ungewöhnlich waren für einen Sportler. Der kam gar nicht auf die Idee, dass so etwas auch „ganz normal“ entstehen kann.
Dieses Video von Frau Michels zeigt in welchen Sphären sich auch Ernährungswissenschaftler oder andere Wissenschaftler bewegen. Frau Michels sieht Kokosöl nicht als Lebensmittel, als Teil eines echten Nahrungsmittels an und beachtet in keinster Weise die Menge und den Kontext, in dem dieses Nahrungsmittel für gewöhnlich verwendet wird.
Stattdessen bezieht sie sich in erster Linie auf die Eigenschaften einzelner enthaltener Fettsäuren – und auf die daraus hervorgehende, direkte Wirkung, ohne Kontext. Also, völlig ohne dabei darauf zu achten, dass auch Herzkreislauferkrankungen multifaktoriell bedingte, systemische Erkrankungen sind, die nicht einfach dadurch entstehen, dass jemand Kokosöl isst. Viel mehr noch: Sie degradiert Kokosöl zu „einem Gift“ und legt ganz aktiv nahe, dass man sich durch den Konsum von Kokosöl die Herzkranzgefäße verstopft – Realitätsverlust! Keine Verbindung mehr zum echten Leben!
Der Kontext zählt – nicht die Mikroanalyse
Bevor „das Volk mit den gesündesten Herzen„, die Tsimane, entdeckt wurden, galten die Bewohner der Insel Kitava lange Zeit als DAS gesündeste Volk überhaupt. Völlig frei von „westlichen Erkrankungen“ – also auch Herzkreislauferkrankungen. Bezeichnend: 20 % Fett verspeisten diese Menschen, ein Großteil davon waren gesättigte Fette aus der Kokosnuss.
Wohlgemerkt:
2.250 Menschen leben auf Kitava. Sie sind traditionelle Bauern. Ihre Grundnahrungsmittel sind Knollen (Yamswurzel, Süßkartoffel und Taro), Obst, Fisch und Kokosnuss. Sie verwenden keine Milchprodukte, Alkohol, Kaffee oder Tee. Ihre Aufnahme von Ölen, Margarine, Getreide und Zucker ist vernachlässigbar. Westliche Lebensmittel machen weniger als 1% ihrer Ernährung aus.
Traditionelle Bauern (Bewegung, frische Luft, Sonne – Kontext!). Keine westlichen Lebensmittel – also keine Süßigkeiten und Co. Kontext!
Dieses Video bzw. dieser Vortrag ist, wenn überhaupt, ein Beispiel für die sterile, realitätsfremde Welt, in der sich viele Professoren und andere Wissenschaftler bewegen. Sie wissen über die vermeintlich schlechte Wirkung einer jeden Fettsäure Bescheid, ohne dabei zu sehen oder zu erkennen, dass es diese Mikroanalyse von Nahrungsbestandteilen nicht besser wird, mehr Gültigkeit oder gar Beweiskraft erhält, wenn man sie mit Ergebnissen aus Meta-Analysen oder anderen epidemiologischen Studien „untermauert“ – hier nämlich fehlt völlig der Kontext und die Tatsache, dass ein Kokosöl oder eine Kokosnuss nicht nur aus einzelnen Fettsäuren besteht!
Thema abgehakt
Sei’s drum.
PS: Übrigens … Bei uns gibt’s viele Artikel zu diesen Themen, unter anderem diesen hier.
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14 comments On Was uns der Vortrag von Prof. Michels über Ernährungswissenschaften lehrt
Bei einer besonders seriösen Meta-Studie aus den USA ist herausgekommen, dass Shitstorms im Internet pures Gift sind. Im Vergleich zu gesättigten Fettsäuren, aber auch besonders sättigenden Kohlenhydratquellen wie gezuckerter Butterschmalz, erhöht der Konsum von sogenannten viralen Beiträgen nachweislich das Risiko von eines Hirnaneurysma garantiert um 451%.
:)
1. kokosöl macht satt/hält lange vor und verhindert so den heißhunger/sucht auf die deutsche hausmannskost/geldschneiderei
2. rapsöl/deutsche bauern leidet exorbitant unter absatzschwierigkeiten
Gut gesagt! Der Wissenschaft fehlte und fehlt immer wieder der Bezug zum
Wesentlichen.
Aber auch die Grundaussagen von Prof.Dr. Michels sind so eine Sache !
Die „Dr. Feil-Leutchen“ haben sich da mal etwas ausführlicher an die Analyse gemacht,
und sind recht gründlich gewesen :
https://www.dr-feil.com/blog/wp-content/uploads/2018/08/prof-michels-aussagen.pdf
Noch besser als Kokosöl sind Kokosflocken, gibt es in jedem Supermarkt in der Abteilung für Kuchenback-Artikel. Kokosflocken enthalten nämlich nicht nur das Öl sondern auch mehr Selen. Und Selen hat positiven Einfluss auf die Schilddrüse. Wenn die
gut funktioniert, ist man vital und hat Power.
Jap, guter Punkt: Whole Foods First :-)
Warum nicht gleich mal eine richtige, naturbelassene frische Kokosnuss?
Shitstorm? Der Beitrag hat 14000 Likes, also mehr Likes als negative Bewertungen. Ansonsten haben Professoren natürlich ein grundsätzliches Problem. Sollten sie einen Vortrag abliefern mit 1000 Literaturverweisen, sieht den keiner freiwillig an und er wird nicht verbreitet. Machen sie einen Laienvortrag nach dem Motto „Den Rest könnt interessierte bei mir Nachlesen“ beschweren sich auch wieder welche das nicht tausend Nachweise da sind. Ihre Kritik beruht zum großen Teil darauf, das die Behaupteten positiven (auch gegensätzliche) Wirkungen von Kokosöl nicht bewiesen sind. Also mal ehrlich, soll sie jetzt. Soll sie jetzt sämtliche Literatur der Welt aufzählen zum Beweis das keine Nachweise vorhanden sind? Altes Beispiel: Ich kann nicht beweisen das der Weihnachtsmann nicht vorhanden ist. Kann man googeln. Kein ernstzunehmender Wissenschaftler würde behaupten „Beweise mir, das Kokosöl nicht irgendwie, irgendwo wirkt, wirken könnte etc.“ und das macht der größte Teil dieses „Shitstorms“. Sie beweisen nicht, das sie unrecht hat. Sie beweisen nicht, das Kokosöl sinnvoll ist. Sie machen halt einen Shitstorm, mehr nicht. Das lässt mich eher an der Qualität des Shitstorms zweifeln.
Das ganze Social Media spottet oder echauffiert sich über diesen Vortrag bzw. über die Aussagen zum Kokosöl – ob das sei per se gerechtfertigt ist, sei mal dahingestellt.
Aber Peter, mal ganz ehrlich: Das ist doch genau der Punkt. Sie sagt, es gebe „keine einzige Studie, die eine positive Wirkung von Kokosöl am Menschen zeigt“ – das ist eine absolute und gleichzeitig falsche Aussage. Das kann jeder innerhalb weniger Minuten via PubMed selber rausfinden. Sie behauptet, Kokosöl verstopfe die Herzkranzgefäße. Wie kann man eine solche absolute Aussage ohne jegliche Kontextabhängigkeit tätigen? Sie fordert – in Linie mit den Empfehlungen entsprechender Gesellschaften – eine Reduktion der gesättigten Fette zugunsten einer Steigerung der (mehrfach) ungesättigten Fette. In einer randomisierten Studie, als Beispiel, wurde Kokosöl direkt mit Sonnenblumenöl verglichen. Letzteres sollte nach dieser Logik positive Einflüsse haben. Es gab aber zumindest in dieser Studie keinerlei Unterschiede (https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0019483215008299). Kontext eben. Auch wird hier wieder die klassische Lipid-These runtergebetet – obwohl mittlerweile klar sein dürfte, dass es einen systemischen Ansatz braucht. Ein Kokosöl für Herzkreislauferkrankungen verantwortlich zu machen, ist schlicht aberwitzig! Zeitgleich schließt sie ab mit den Worten „Kokosöl ist Gift“. Es geht nicht darum, dass sie einen Standpunkt vertritt. Sie muss auch nicht jede Aussage mit Studien belegen. Fachlich betrachtet aber, erfüllt dieser Vortrag nicht mal den Mindeststandard an Wissenschaftlichkeit. Wer sich aber als ‚wissend‘, weil als Prof. Dr. Dr. in der Ernährungswissenschaft, eindeutig positioniert, der hat eine andere Bringschuld als jene, die Kokosöl auf täglicher Basis und in den meisten Fälle sinnvoll nutzen (z. B. kleine Mengen zum Braten usw.). Letztere haben nämlich gar keine Bringschuld, erwarten aber, dass ein Prof. Dr. Dr. der Ernährungswissenschaften nicht mit Polemik, sondern mit Fachlichkeit begeistert. Leute sind nicht dumm und fühlen ganz genau, wenn etwas zum Argumentum ad verecundiam wird.
Die Dame hat anscheinend auch vergessen, dass neben den zirka 50 % Laurinsäure noch andere MCT-Fette wie Caprylsäure und Caprinsäure in Kokosfett enthalten sind. Der Anteil der langkettigen Fettsäuren Palmitinsäure und Myristinsäure ist also geringer als von ihr angegeben.
Gut zusammengefasst Chris – ich analysiere gerade, was ich an Studien bzgl. Kokosöl und gesättigten Fettsäuren finden kann. Was mir auffällt ist, dass in den Studien, die von Kokosgegnern zitiert werden, Palmöl oder prozessiertes Kokosöl verwendet wird, nicht aber kaltgepresstes, Extra-Virgin Kokosöl. Und, dass der Zusammenhang, dass gesättigte Fette zwar manchmal (nicht immer) LDL-C erhöhen, aber auch HDL-C. Auch von öffentlicher Seite wird gerne Cherrypicking betrieben :-)
Jap, das ist auch ein großes Problem, da hast du recht!
Soso, Kokosöl erhöht also das Cholesterin…. War die Erhöhung des Cholesterins nicht eher etwas Gutes?
Prof. Dr. Hartenbach jedenfalls hat Studien parat, die einem „erhöhtem“ Cholesterinspiegel ein längeres Leben attestieren.
Pikanterweise genau die Studien die Pharmafirmen für ihre Statine in Auftrag gegeben haben.
Und ja, ich kenne die Auffassung von bösen LDL und guten HDL Cholesterintransportern.
Vielen Dank an edubily für diesen Interessanten Artikel.
Hi, danke für diesen sehr menschlichen Artikel. Ich bin ganz deiner Meinung. Es hilft ab und zu einfach mal den gesunden Menschenverstand zu benutzen. Leider sind wir es heute gewohnt unseren eigenen Kopf auszuschalten. Gesundheit ist immer ein Produkt aus Verhalten und Verhältnisen,also dem Kontext in dem wir uns bewegen. Der systemische Ansatz wird bei den Zivilisationskrankheiten leider noch zu wenig bekannt gemacht. Aber dafür gibt es ja uns Therapeuten und Coaches. Viel Erfolg weiterhin!
Ist das nicht schön? Bei edubily kann man lesen, sich zurücklehnen, Gedanken machen und Freude haben, ja vielleicht etwas schelmisch Schmunzeln.
Anderorts werden nur rote Köpfe produziert…