Cold Thermogenesis im Jahr 2018: Brandneue Erkenntnisse

Dieser Artikel setzt ein paar Verständnis-Basics voraus. Solltest du dich mit dem Thema „cold thermogenesis“ noch nicht befasst haben, lies vielleicht zunächst diesen Artikel.


Vor wenigen Wochen wurde es zum ersten Mal wieder etwas frischer – das machte sich vor allem bei der morgendlichen Runde mit dem Hund bemerkbar. Kurzum: Man friert (ein bisschen). Doch statt mich in den Pulli und die Jacke zu packen, entschied ich mich für das T-Shirt.

Installiert man sich diese Routine, fällt einem ein paar Tage oder Wochen später auf, dass es kein Frieren mehr gibt. Stattdessen wird es im Fettgewebe unter der Haut angenehm warm. Zufall?

Braunes Fettgewebe reloaded

Wir erinnern uns: Wir Menschen haben im Nacken- und Schulterbereich ein Spezialfett, das sogenannte „braune Fettgewebe“. Dieses Fettgewebe hat die gleichen Vorgängerzellen wie Muskeln. Sogar die Stoffwechseleigenschaften sind ähnlich: Braunes Fettgewebe enthält mehr Mitochondrien (sieht wegen der enthaltenen Eisenproteine unterm Mikroskop rostig-braun aus), verbrennt mehr Fett und fischt wie ein Muskel Zucker (Glukose) aus dem Blut.

Sinn und Zweck dieses Fettgewebe ist es, Wärme zu produzieren. Zum Beispiel wenn’s kalt wird.

 

Braunes Fettgewebe galt lange als die „Wunderpille“, wenn es um die Behandlung von Fettleibigkeit etc. ging. Die Idee: Man aktiviert dieses braune Fettgewebe künstlich, es verbrennt mehr Energie und … man wird schlanker. Leider gab es da ein paar Probleme: Lassen sich die Resultate aus Ratten- bzw. Nagetier-Studien im Allgemeinen überhaupt auf den Menschen übertragen? Heißt: Ist unser braunes Fettgewebe genauso aktiv? Haben wir überhaupt genug? Sind die aktivierenden Signalwege die gleichen?

Halten wir zunächst einmal fest: „Cold exposure“, das heißt, den Körper so abkühlen, dass er zusätzlich heizen muss, aktiviert auch im Menschen das braunen Fettgewebe:

In Bild B sieht man, dunkel, dass sich nach Kälteexposition sehr wohl braunes Fettgewebe im Menschen finden lässt – und davon nicht zu wenig. Abgesehen davon, dass es sehr deutlich im Schulter- und Nackenbereich präsent ist, sieht man auch, dass im ganzen Körper zunehmend dunklere Punkte erscheinen – was nicht zuletzt einem stärkeren Kontrastieren geschuldet ist.

Beiges Fettgewebe macht den Stoffwechsel gesund

Unabhängig davon fand man in den letzten Jahren heraus, dass es nicht nur braunes, also metabolisch aktives Fettgewebe, und weißes, also Speicherfettgewebe gibt – sondern noch eine dritte Form, das sogenannte „beige Fett“. Der ersten, oben angeführten Abbildung lässt sich entnehmen, dass diese „beigen Fettzellen“ zunächst einmal aus den gleichen Vorläuferzellen hervorgehen, aus denen auch weiße Fettzellen hervorgehen. Der Unterschied ist allerdings, dass sich diese beigen Fettzellen eher wie braune Fettzellen verhalten.

Jetzt kommt der Punkt: Ein gesundes Fettgewebe besteht nicht, wie früher oft angenommen, nur aus „weißen Fettzellen“. Viel mehr zeigt sich, dass ein Fettgewebe umso gesünder ist, je „beiger“ es wird. Und umgekehrt zeigt sich, dass ein Organismus aus Sicht des Energiestoffwechsels umso gesünder ist, je beiger bzw. brauner das Fettgewebe. So gesehen bewegen wir uns entlang eines Spektrums, wobei Fettleibigkeit und Inaktivität das Profil hin zu weißen, metabolisch faulen Fettzellen verschiebt und Aktivität und Kälte, sprich Kalorienumsatz, dafür sorgen, dass das Fettgewebe „gebräunt“ wird.

 

Nager, zum Beispiel Mäuse, kann man genetisch so manipulieren, dass sie dieses beige, nennen wir es mal: normale Fettgewebe nicht bilden können. Es zeigten sich deutliche Auswirkungen auf die Stoffwechselgesundheit:

Im Vergleich zu Kontrolltieren entwickeln diese Mäuse bei einer fettreichen Ernährung eine leichte Fettleibigkeit. Diese Fettleibigkeit zeichnet sich vor allem durch einen Überschuss an Unterhautfettgewebe aus, was ein eher ungewöhnlicher Befund ist. Diese Tiere haben eine schwere Insulinresistenz in der Leber und weisen Fettlebern auf, was darauf hindeutet, dass das beige Fett die Leber schützt; ob dies nun durch Oxidation von zirkulierenden Fetten oder durch die Produktion eines ausgeschütteten Hormons geschieht, das die Leber vor Fettansammlungen schützt, ist nicht bekannt.

Die Funktion bzw. das Profil der Fettzellen steht also im engen oder sogar direkten Verhältnis zur Stoffwechselgesundheit des Körpers (s. Abbildung). Unterm Strich befassen wir uns mit einem sehr, sehr dynamischen Gewebe, das sich ebenso dynamisch auf die Stoffwechselfunktion des Körpers auswirkt.

Biochemie: Warum beiges Fettgewebe (stoffwechsel-)gesund macht

Wie schon mehrfach angedeutet, gibt es zwei wesentliche Faktoren, mit Hilfe derer man die Gesundheit des Fettgewebes (= Grad der Bräunung) beeinflussen kann:

  • Sport
  • Kälteexposition

Es zeigt sich beispielsweise, dass Kälte einen bestimmten Zellschalter (SIRT6) in Fettzellen aktiviert, der das Fettgewebe bräunt – dies wird gänzlich oder teilweise durch ausgeschüttetes Adrenalin bzw. Noradrenalin (ß-Adrenozeptor-Agonisten) hervorgerufen, denn die Gabe eines ß-Adrenozeptor-Agonisten reicht aus, um die gleichen Effekte hervorzurufen.

Randnotiz: Natürlich heißt „bräunen“ nicht anderes als: mehr Mitochondrien. Und dafür nötig ist der uns bekannte Mitochondrien-Masterregulator PGC-1alpha. Wer unsere Veröffentlichungen kennt, weiß um die Bedeutung dieses PGC-1alpha.

Jetzt das Spannende: Hemmt man dieses SIRT6, werden die braunen oder beigen Fettzellen weiß. Sie verbrennen weniger Kohlenhydrate und Fette, die Tiere werden dicker, die Kerntemperatur nimmt ab, sie werden kälteempfindlicher, der Blutzucker steigt, eine starke Insulinresistenz stellt sich ein und eine Fettleber entwickelt sich. Wohlgemerkt: Nur durch das Ausschalten eines Schalters im Fettgewebe, nicht im Ganzkörper.

Heißt: Dieses beige Fettgewebe „kommuniziert“ auf eine Weise mit anderen Geweben im Körper – und andere Gewebe im Körper kommunizieren mit diesem Gewebe. Der Verlust der Bräune der Fettzellen sorgt dafür, dass das Fettgewebe ungesünder wird und damit zeitgleich der ganze Körper – inklusive der Leber.

Es gibt mehrere Beispiele dafür, warum dies der Fall ist. Das Jahr 2018 war bezüglich der Erkenntnisse ein wahres Füllhorn:

Hier zeigen wir, dass das Lipid 12,13-DiHOME die Aktivität des braunen Fettgewebe stimuliert, und, dass seine Werte negativ mit dem Body Mass Index und der Insulinresistenz korreliert sind. Mit Hilfe einer Analyse fanden wir heraus, dass 12,13-diHOME im Blut von Menschen und Mäusen, die Kälte ausgesetzt sind, erhöht ist. Darüber hinaus fanden wir heraus, dass die Enzyme, die 12,13-diHOME produzieren, nur im braunen Fettgewebe bei Kältestimulation aktiv sind. Die Injektion von 12,13-diHOME erhöht die akute Aktivität des braunen Fettgewebes und erhöht die Toleranz gegenüber Kälte, was zu einem verminderten Gehalt an Triglyceriden im Blut führte. 12,13-diHOME erhöht die Aufnahme von Fettsäuren (FA) in braune Fettzellen (…). Diese Daten deuten darauf hin, dass 12,13-diHOME, oder ein funktionelles Analogon, zur Behandlung von Stoffwechselstörungen eingesetzt werden könnte.

Später wurde gezeigt, dass dieses 12,13-DiHOME nicht nur den Fettstoffwechsel von Fettzellen, sondern auch den des Muskels anheizt. Zusätzlich zeigte sich, dass dieser Stoff nicht nur bei Kälteexposition vom braunen Fettgewebe ausgeschüttet wird, sondern auch beim Sport.

Acetylcarnitine … was ist das? Davon gibt es bei uns bereits einen Artikel. Kurz gefasst: Carnitin bindet „Energieüberfluss“ (z. B. in Form von Fettsäuren). Diese können verbrannt werden oder die Zelle verlassen und zu anderen Geweben transportiert werden.

Die aktuelle Arbeit zeigt, dass diese Acetylcarnitine bei Kälteexposition im Blut ansteigen. In diesem Falle kommen sie aus der Leber – und verfrachten „Energie“ damit von der Leber in andere Zellen. Unterm Strich wird die Leber also entfettet – und das braune Fettgewebe heizt mit genau dieser Energie.

Dort angekommen, baute das Fettgewebe die Lipide ab und verstoffwechselt sie, was darauf hindeutet, dass sie zum Brennstoff für die Hauptfunktion dieser spezialisierten Zellen geworden waren: die Wärmeerzeugung. Um dies zu bestätigen, senkte man den Acetylcarnitin-Gehalt im Blut – das Resultat war, dass sogar junge Mäuse ihre Fähigkeit verloren, sich in der Kälte ausreichend aufzuwärmen.

Diese Erkenntnisse sind deshalb so cool, weil sie uns mehr und mehr verstehen lassen, dass wir uns vom Mittelstufen-Bio-Unterricht lösen müssen! Es ist alles um einiges dynamischer und komplexer.

Weitere Erkenntnisse am Menschen

Beim Menschen zeigt sich, dass bei Kälteexposition zunächst der Energiestoffwechsel des Muskels aktiv wird. Doch nicht nur, wie früher angenommen, durch „Zittern“, das heißt durch Erhöhung des Energieumsatzes via Kontraktion, sondern auch dadurch, dass die enthaltenen Mitochondrien „entkoppeln“ – sie verheizen dann Energie nur der Wärmeproduktion wegen, nicht, um ATP sprich Energie zu produzieren.

Die Wärmeerzeugung (Thermogenese) erfolgt also zunächst über den Muskel, bis nach und nach das braune bzw. beige Fettgewebe dazugeschaltet wird und die Funktion übernimmt:

We conclude that muscle-derived thermogenesis during acute cold exposure in humans is not only limited to shivering, but also includes cold-induced increases in proton leak. The efficiency of muscle oxidative phosphorylation improves with cold acclimation, suggesting that reduced muscle thermogenesis occurs through decreased proton leak, in addition to decreased shivering intensity as BAT capacity and activity increase.

Diese Ergebnisse decken sich mit den Resultaten einer weiteren Studie, die …

clearly shows that the protein expression of UCP1 and TMEM26 is induced in human s.c. WAT by cold and a selective β3 agonist.

Wobei UCP1 ein Marker dafür ist, wie „braun“ ein Fettgewebe ist – heißt, wie oben erwähnt, dass durch Kälteexposition ein Bräunen weißer Fettzellen des Unterhautfettgewebs herbeigeführt wird, was mit hoher Wahrscheinlichkeit durch das sympathische Nervensystem via Noradrenalin und Adrenalin vermittelt wird.

Kälte wirkt auch im Muskel

Weil es so schön war, gibt’s zum Abschluss noch die Info zu einem weiteren Botenstoff, der bei Kälte entsteht – und dieses Mal im Muskel. Wir haben soeben gelernt, dass zunächst der Muskel die Aufgabe des Körperwärmens übernimmt. Hierbei – oder beim Sport – produziert er einen Stoff namens Sarcolipin. Was macht dieses Sarcolipin?

„Wenn wir Mäuse bei einer fettreiche Ernährung mit mehr Sarkolipin füttern, sammelt sich kein Fett in ihren Muskeln an, sie entwickeln keine Insulinresistenz und keinen Typ-2-Diabetes“, sagt Dr. Santosh Maurya, Erstautor der Arbeit und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am SBP Lake Nona.

Ab in die Kälte

Ist das nicht herrlich?

Ab in die Kälte – „Cold Thermogenesis“ ist kein Marketing-Gag! 

 

 

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

10 comments On Cold Thermogenesis im Jahr 2018: Brandneue Erkenntnisse

  • Ich habe mal irgendwo gelesen, daß Kältereize das Muskelwachstum hemmen. Daraufhin habe ich das kalt Duschen gelassen.

    • @ Lutz: Und was schliesst Du daraus?

      • Viele Wege führen halt nach Rom.
        Vielleicht spielt hier die genetisch vorgegebe Kälteanpassung eine wichtige Rolle (Thema Crural-Index), ob man seien Körper lieber durch Kälte oder Wärme stresst?

        • Finde auch, dass man sich nicht quälen, sondern das tun sollte, was einem liegt. Aber man sollte vielleicht auch beachten: Man muss nicht im Eis baden, um Effekte zu bekommen. Es reicht ja schon, wenn man sich beim Winterspaziergang halt nicht drei Pullis und zwei Jacken anzieht :-P

          • Da gebe ich Dir recht. Bis zu einem gewissen Grad sollte man sich schon immer mal wieder der Kälte aussetzen u. sollte sie auch zulassen (gelassen bleiben und bibbern vermeiden). Ab dem Punkt, wo’s Quälerei wird, schadet man voraussichtlich seinem Körper mehr.
            Wenn ich sehe, wie lange manche bei uns hier im Gebirge bei für mich schon „Polarkälte“ im Sommer abends im T-Shirt draußen sitzen können – da werde ich nie hinkommen.

  • Ja unglaublich! Und endlich der Freibrief für alle Kinder, die immer behaupten sie frieren nicht. Ich habe das immer mit Erstaunen bei den Kindern beobachtet. Sie gewöhnen sich langsam an die Kälte und empfinden diese nicht als so unangenehm. Sie haben eine hohe Toleranz gegenüber Kälte. Mehr als die Kinder, die immer in zig Schichten gehüllt sind. Letztes Jahr hatten wir kopfschüttelnde Großeltern und 3 Kinder nackt im Schnee. ✌️

  • >Ist das nicht herrlich?

    Ja, echt cool! :)
    Und anschließend vielleicht noch eine heiße Tasse Magnesiumcitrat (mein Winterspecial, besser als Glühwein)

    LG

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