Hat der Michalk im letzten Beitrag dummes Zeug erzählt? Stimmt alles gar nicht? Werden wir gar nicht immun(er), sondern immer kränker bei weiteren Infektionen?
Du merkst schon: Ein bisschen Sarkasmus ist direkt mit dabei. Denn natürlich zeigt eine aktuelle, große, viel zitierte US-Studie wieder einmal (vermeintlich) genau das Gegenteil von dem, was aus biologischer Sicht einleuchtend ist.
Das Fazit des letzten Beitrags (bitte noch einmal lesen, falls noch nicht getan) war nämlich:
Infektionen schützen vor Infektionen – und zwar sowohl vorm gleichen als auch vor anderen Erregern.
Jetzt kommt doch tatsächlich eine neue Studie um die Ecke, auf die ich im letzten Beitrag schon eingehen wollte, da sie mir als Preprint schon bekannt war – das hätte allerdings den Rahmen gesprengt und den Beitrag inhaltlich unnötigerweise maximal aufgeblasen.
Lauterbach fantasiert
Doch soeben lese ich tatsächlich wieder einen Tweet, dieses Mal nicht von Drosten, sondern von unserem Gesundheitsminister. Man höre und staune:
Also. Dass wir uns richtig verstehen:
Hier steht schwarz auf weiß, dass es Immunität nach Infektionen nicht gibt.
Diese Aussage stellt nicht nur die komplette Immunologie infrage und alles, was man über Immunität nach Infektionen und Imfpungen weiß. Es widerspricht ja auch zahlreichen Publikationen – sogar aktuell wieder vom RKI – die ja zeigen, dass Symptomstärke und Infektanfälligkeit sinken, nachdem man mal geimpft oder genesen oder – noch besser – beides war.
Eine solche Aussage tätigt Lauterbach indirekt schon seit vielen Monaten. Das liegt daran, dass man „Immunität“ in seinem Kosmos offenbar nur via Antikörperspiegel und -neutralisation misst – und die fällt bekanntermaßen sehr variabel aus, unabhängig von Infektion. Drum muss er zum Schluss kommen, dass „Immunität“ nicht zwangsläufig klappt.
Vor dem Hintergrund, dass das Immunsystem bis heute als eines der komplexesten Organe angesehen wird, ist eine solche Vereinfachung nicht nur unzulässig, sondern gar … maximal unterkomplex. Aber egal. Fakt ist, mit diesem Post muss er zwangsweise auch zugeben, dass Impfungen leider nicht so wirklich schützen.
Doch darum soll es gar nicht gehen. Es soll konkret um die hier angeführte Studie gehen, aus der abgeleitet werden soll, dass uns jede (weitere) Coronainfektion nur noch kränker macht. Und genau das ist das Gegenteil von dem, was ich neulich in meinem Beitrag geschrieben habe.
Was die Studie tatsächlich zeigt
Wie geht das zusammen? Zunächst einmal muss man mit einem kleinen Missverständnis aufräumen: Die Studie sagt nicht, dass zum Beispiel jede weitere Infektion und Outcomes an sich schlimmer werden. Sie sagt, dass die Outcomes in einem definierten Zeitraum zwischen einer Person, die einmal infiziert ist und einer zweiten Person, die nach – sagen wir – 60 Tagen erneut infiziert ist, schlechter sind als die einer Person, die nicht erneut infiziert ist.
So weit, so gut. Die Autoren führen an:
Die Risiken waren in der akuten Phase am stärksten ausgeprägt, blieben aber auch in der postakuten Phase nach 6 Monaten bestehen. Im Vergleich zu nicht infizierten Kontrollen stiegen das kumulative Risiko und die Belastung durch eine erneute Infektion mit der Anzahl der Infektionen.
Die Forscher haben über den definierten Zeitraum dann die gesundheitlichen Risiken bestimmt, die sich verändern. Dabei haben sie beispielsweise rausgefunden, dass Menschen, die sich zweimal oder öfter infizieren, im Vergleich zu Menschen, die sich nicht mehr infizieren, akut ein höheres Risiko haben, z. B. ins Krankenhaus zu kommen (dreimal so häufig), zu sterben (doppelt so häufig), Probleme mit einem entgleisten Diabetes, Probleme mit dem Herzkreislaufsystem, mit Müdigkeit oder Depressionen und anderen Gesundheitsmarkern zu bekommen.
Das Risiko war für diese Marker allerdings nur rund einen Monat lang deutlicher erhöht, danach normalisiersten sich die Risiken recht schnell wieder, was man beispielsweise hier gut erkennen kann:
Dass wir uns richtig verstehen: Hier steht nur, dass Reinfektion mit erhöhten gesundheitlichen Risiken verbunden ist im Vergleich zu keiner Reinfektion. Die Autoren schreiben in ihrer Arbeit selbst:
Unsere Analysen sollten nicht als Bewertung des Schweregrads einer Zweitinfektion im Vergleich zu einer Erstinfektion interpretiert werden, und sie sollten auch nicht als Untersuchung des Risikos nachteiliger Gesundheitsfolgen nach einer Zweitinfektion im Vergleich zu den Risiken nach einer Erstinfektion interpretiert werden.
Drum ist die Aussage von Lauterbach falsch. Denn die Risiken addieren sich nicht, wie von ihm suggeriert. Vielmehr zeigt die Studie, dass jemand, der zweimal vom Fahrrad fällt, und sich zweimal den Kopf aufschlägt, eben auch zweimal, statt nur einmal ins Krankenhaus muss. Bitte, bitte gut merken: Lauterbach hat die Studienergebnisse völlig falsch wiedergegeben.
Die Kernaussage der Autoren ist lediglich, dass eine Erstinfektion offenbar nicht gut vor den Folgen einer Zweit- oder Mehrfachinfektion schützt – jedoch ohne die Folgen einer Erst- vs. einer Zweit- oder Mehrfachinfektion tatsächlich zu untersuchen. Das sieht dann bildlich so aus:
Darum schützen Infektionen und Impfungen scheinbar nicht
Doch auch darum soll es gar nicht gehen. Denn man verliert sonst den Blick fürs Wesentliche. Das Wesentliche steht natürlich wieder einmal nur im Kleingedruckten – und muss man suchen. Freilich sollte man sich nämlich darüber Gedanken machen, welche Personengruppe hier eigentlich betroffen ist – denn das könnte die Frage erklären, warum Infektionen und Impfungen offenbar nicht vor möglichen Folgen einer weiteren Infektion schützen.
Die Studie nutzt zur Auswertung nämlich die elektronische Gesundheitsdatenbank des US Department of Veterans Affairs – medizinische Einrichtungen für Veteranen. Forscher, die nicht an der Studie beteiligt waren, werden mit Blick auf die Auswertung der Studie bei Reuters (Repeat COVID is riskier than first infection, study finds) wie folgt zitiert:
Experten, die nicht an der Studie beteiligt waren, sagten, dass die Veterans Affairs-Population nicht die allgemeine Bevölkerung widerspiegelt.
Patienten in Veterans Affairs-Gesundheitseinrichtungen sind in der Regel älter, kränker und oft Männer, eine Gruppe, die in der Regel mehr als normale gesundheitliche Komplikationen haben würde, sagte John Moore, ein Professor für Mikrobiologie und Immunologie am Weill Cornell Medical College in New York.
Ach so. Oh! Da geht es also gar nicht um dich und mich, sondern um teils stark vorerkrankte, oft ältere Männer, die ja offenbar regelmäßig Kontakt zu diesen medizinischen Einrichtungen haben, sonst würden sie ja nicht in der Datenbank da auftauchen. Das muss Karl Lauterbach überlesen haben.
Jetzt zur Pointe des ganzen Beitrags. Die entsprechende Excel-Tabelle (Supplementary Data 1) muss man lange suchen. Und die dort aufgelisteten demographischen und gesundheitlichen Kernmerkmale der Personengruppen werden in der Studie selbst mit keinem Wort erwähnt:
Personen, die dreimal oder mehr infiziert waren (im Vergleich zu Kontrollpersonen ohne Reinfektion) …
- … waren rund doppelt so häufig schwarze Personen – es wurde bereits gezeigt, dass die schwarze Bevölkerung in den USA sich häufiger infiziert. Dies könnte genetische oder soziale Gründe haben.
- … waren 20x(!) häufiger in gesundheitlicher Langzeitbehandlung.
- … waren über 6x häufiger diagnostoziert mit Immunschwäche.
- … waren mehr als dreimal häufiger Krebspatienten.
- … hatten mehr als doppelt so häufig Vorerkrankungen des Herzkreislaufsystems.
- … waren rund fünfmal häufiger dement.
- … hatten rund dreimal häufiger Depressionen.
- … hatten fast doppelt so häufig Diabetes.
- …. und fast viermal häufiger Gefäßerkrankungen.
Und so weiter. Heißt, hier gibt es eine klare Korrelation zwischen Anzahl der Infektionen und Häufigkeit bereits vorhandener Erkrankungen.
- Aus: Je kränker Menschen bereits sind, umso wahrscheinlicher infizieren sie sich erneut und umso wahrscheinlicher ist es, dass daraus akute gesundheitliche Probleme erwachsen.
- Wird: „Mit jeder Infektion steigt das Risiko für Langzeitschäden.“ (Zitat Lauterbach)
Unfassbar. Die Studie komplett falsch wiedergegeben.
Keine Lust mehr
Anscheinend erscheint es nur mir logisch, dass jemand, der bereits vorerkrankt ist, Infektionen eher anzieht und ganz anders darauf reagiert als jemand, der gesund ist und eine natürliche, robuste Immunität ausbildet.
Man weiß einfach nicht, was man dazu noch sagen soll. Mein Bio-Statistikprof würde sich vor Bauchschmerzen wohl krümmen. Und auf dieser Basis wird Politik gemacht und Angst geschürt. Und auf dieser Basis machen unsere Medien Schlagzeilen.
Ich schließe den Beitrag ab, wie ich den vorigen begonnen habe:
Da könnte ich kotzen.
3 comments On Studie: Infektionen schützen doch nicht vor Infektionen
Danke das du dir das antust! Um ehrlich zu sein hatte ich schon in der Mitte deines Textes die Gedanken im Kopf: „Keine Lust mehr auf dieses kleinkarierte aufpolieren völlig normaler Zusammenhänge.“ Mein Gott nervt das: Was die Welt jetzt mit Corona meint herauszufinden ist so alt wie die zivilisierte Mensch selbst.
Hallo Chris,
zu Deinem hervorragenden Artikel darf ich noch einen bestätigenden und veranschaulichenden link als Ergänzung liefern, der auch einen Verweis auf ein Buch des Autors enthält.
https://reitschuster.de/post/angstmache-minister-wirbt-fuer-bessere-covid-impfstoffe/
LG, Albrecht ( 14.11.2022 )
Hi Chris,
ich kotze mit. Im ganz großen Strahl. Immer wieder das gleiche Thema. Angst schüren, um einen noch besseren Impfstoff zu vermarkten. Diese scheiß Lobbyisten müssen konsequent ignoriert werden. Kein Wort darüber wie man sich präventiv schützt, den Lebenstil konkret verbessert etc…..alles basiert auf Angstmacherei und Pharmaindustriepolitik. Wie gesagt: Im Strahl!!!!
Danke Chris, für einen weiteren Eyeopener.