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Wer braucht „Extra-Vitamine“?

Wenn es nach den hiesigen Medien geht, braucht niemand „Extra-Vitamine“. Im Gegenteil, Extra-Vitamine – so scheint es – lassen eher früher ableben.

Eigentlich völlig Banane der Gedanke, nicht wahr? Also es gibt im Alltag ungefähr 1239812308 Dinge, die wirklich früher ableben lassen könnten. Alleine wenn der hippe Kommunikationswissenschaftler aus Berlin die 400 m Luftlinie zum Büro durch die Stadt geht, hat er ja schon mehr Feinstaub und gesundheitsschädliche Kleinstteilchen eingeamtet als ein Landei im ganzen Jahr. Achtung, Überspitzung!

Inhaltlich kein Witz. Die WHO hat das lange unterschätzt. Erst neulich kam ein WHO-Report zum Schluss, dass schon die als vormals ungefährlich geltendenen Werte der Luftverschmutzung nun doch sehr krank machen und so jedes Jahr weltweit bis zu 1,5 Millionen zusätzliche Todesfälle verursachen. Oh! Da lohnt sich die FFP2-Maske sogar im Freien.

Vitamine aber, die also in normalen Mengen – was das sein soll, dazu gleich mehr – ja überhaupt erst Gesundheit erlauben, sollen dann in etwas höheren Dosen krank machen. Wohlgemerkt: In Deutschland. Wo also die Grünen hart daran arbeiten, erlaubte Dosen in NEM noch weiter zu senken. Weil ja das BfR nicht konservativ genug ist. Alle anderen EU-Länder sind weitaus lieberaler – sogar mit gesetzlich festgeschrieben Höchstmengen.

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Einführung: Das Beispiel Selen

Wie dem auch sei. In Deutschland haben wir eine völlig falsche Vorstellung davon, was „Extra-Vitamine“ sind und was sie im Körper bewirken. Denn quasi alle Empfehlungen, die uns von deutschen Institutionen angeboten werden, leiten sich nicht etwa von Messungen im Blut ab, sondern an Schätzungen bzw. Interviews und Fragebögen – das beste Beispiel ist die Nationale Verzehrsstudie II. Auch schon wieder uralt inzwischen.

Deutschland fällt mit Blick auf Statistiken und Messungen immer negativ auf. Vielleicht tun wir Deutschen uns schwer beim Rechnen, man weiß es nicht. Doch genauso mangelhaft wie die Datenerfassung im Zuge der Pandemie war, so schlecht ist auch die Datenerfassung bei der Versorgungssituationen der eigenen Bevölkerung mit Mikronährstoffen. Hier gilt: Schätzen geht über Wissen. 

Was das konkret bedeutet und wieso es zu immensen Diskrepanzen zwischen Theorie und Praxis kommen kann, will ich hier mal beispielhaft am Selen erläutern. Selen. Dazu brauchen wir zunächst einmal Kennzahlen:

  • In Deutschland liegt der durchschnittliche Selenspiegel im Serum bei 60-80 µg/L. (Q)
  • Die tägliche Zufuhr beläuft sich bei Erwachsenen – schätzungsweise! – auf 30 bis ca. 70 µg pro Tag. Die DGE stellt selbst klar, dass es „zur Selenzufuhr in Deutschland keine aktuellen Daten gibt“. Drum bedienen die sich bei der EFSA.
  • Seit quasi Jahrzehnten ist klar, dass der Optimalspiegel von Selen bei ca. 100-130 µg/L liegt. Erst in diesem Bereich funktionieren alle Selenoproteine im Optimum. (Q, Q)
  • Unsere Ernährung bräuchte etwa 50-100 µg pro Tag oben drauf, um in diese Bereiche zu kommen. (Q)
  • Vom BfR zusätzlich in NEM „erlaubt“ sind in Deutschland jedoch lediglich 45 µg. (Q)

Also, alleine auf Basis dieser einfachen Feststellungen, würde man ja sofort erkennen, dass „Extra-Selen“, wie es unsere Medien süffisant betiteln würden, ja kein „Extra“ macht, sondern normalste Spiegel überhaupt erst ermöglicht. Oh!

Wie das Bundesinstitut für Risikobewertung rechnet

Rechnen ist so eine Sache. Habe ich in einem Jahr Mathe-Biostatistik an der Uni lernen dürfen. Ich hab’s immerhin auf eine 1,0 geschafft – ich würde sagen, der Durchschnitt liegt bei Naturwissenschaftlern so bei 3,5. Durchfallquote enorm. Heißt, um die Denklandschaft ist es in Deutschland seitens der Naturwissenschaftler nicht besonders gut bestellt. Wie soll’s dann in der Allgemeinheit aussehen?

Also schauen wir uns doch mal die Kalkulationen vom BfR an, das uns dann vorschreibt, was wir einnehmen dürfen und was nicht. Und das BfR berechnet die erlaubte zusätzliche Selenmenge, die uns also normale Spiegel besorgen würde, wie folgt.

Dazu erst einmal zwei Feststellungen:

  1. Die EFSA lässt verlauten, dass 300 µg Selen täglich insgesamt für die Gesundheit okay sind (UL). Bei Jugendlichen zwischen 15 und 19 Jahren sind es immerhin 250 µg. Was ist der UL? Zitat: „Die tolerierbare Höchstmenge ist die höchste tägliche Nährstoffzufuhr, die bei fast allen Personen kein Risiko für gesundheitliche Beeinträchtigungen birgt.“ Aussagekräftig genug.
  2. Wie angemerkt: Die tägliche Zufuhr beträgt bei Erwachsenen schätzungsweise zwischen 33 und 66 µg pro Tag. Beim Median im höchsten Perzentil liegen männliche Jugendliche auch etwa bei 67 µg täglich.

So, und jetzt rechnet das BfR los, und zwar so:

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Das BfR nimmt jetzt also den UL-Wert für Jugendliche (250 µg), nicht etwa für Erwachsene (300 µg). Und zieht davon den Schätzwert für die höchste Zufuhrperzentile (67 µg) ab – natürlich aufgerundet ;-). Und das darf dann die Restmenge für die Allgemeinbevölkerung sein. 

Man senkt also den UL in der Rechnung gekonnt dadurch, dass man den UL-Wert für Jugendliche nimmt, der schon mal 50 µg drunter liegt. Und zieht davon dann auch noch den höchsten Wert ab, den eine Person in Deutschland schätzungsweise im Mittel erreicht. Bravo.

Übrig würden 180 µg bleiben. Diese Restmenge wird jetzt aber einfach durch 2 geteilt, unter der Berücksichtigung, dass sich der Wert dann schön auf Lebensmittel des allgemeinen Verzehrs und NEM aufteilt. Macht Sinn … oder auch nicht.

Übrig bleiben 90 µg. Das dürfen wir doch jetzt für uns nutzen in NEM, oder? Oder? Weit gefehlt. So einfach lässt uns das fürsorgliche BfR nicht davon kommen. Denn die kalkulieren bei allen Empfehlungen mit einem völlig willkürlich gewählten Sicherheitsfaktor von 2, „da wissenschaftliche Unsicherheiten bezüglich einer möglichen Mehrfacheinnahme von NEM mit Selen bestehen“.

Resultat unterm Strich also: 45 µg darf man als NEM-Hersteller seinen Kunden anbieten. 

Das BfR empfiehlt für den Zusatz von Selen zu NEM eine Höchstmenge von 45 μg pro Tagesdosis eines NEM-Produkts.

Für angereichte Lebensmittel rechnet das BfR weiter wild durch die Gegend, immer unter der Prämisse, dass das Maximum ausgereizt wird, was umgekehrt bedeutet, dass sich normale Menschen immer mit ein bisschen weniger zufrieden geben dürfen. Das Credo der Behörde, der Name ist Programm, ist also: safety first, science last. Kennen wir aus den letzten drei Jahren bestens.

Das Weltbild: Mikronährstoffe in der hiesigen Debatte

Und so kommt es, dass dein normaler Deutscher zeitlebens unterversorgt sein muss mit Selen. Weil es anders gar nicht geht. Denn eine normale Versorgung, unter der Annahme, dass BfR-basiert ergänzt wird, könnte optimale Selenspiegel gar nicht erzeugen. Dafür bräuchte es, wie oben schon erwähnt, nämlich mindestens 50, eher 100 µg Selen on top!

In hiesigen Debatten wird das alles immer gerne verdreht. Hier in Deutschland wäre alles über 45 µg dann schwer gefährlich, hochgradig toxisch, unnötig und lebensverkürzend. Können wir 1:1 auf sämtliche Mikronährstoffe, einschließlich dem besten Beispiel: Vitamin D, übertragen.

Die Wahrheit ist, dass wir hier von Minimaldosen sprechen, die im EU-Vergleich lächerlich gering ausfallen, und ja sowohl von der EFSA mit großzügigen Sicherheitsfaktoren versehen sind als auch vom BfR dann nochmal großzügig … „besteuert“ wurden, wie man es von Deutschland eben gewohnt ist.

Das bringt uns zum nächsten, zum entscheidenden Punkt. In Deutschland herrscht offensichtlich folgende Vorstellung zum Thema „Extra-Vitamine“:

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Offenbar glauben viele Menschen in Deutschland an den Vater Staat und daran, dass im Essen schon alles drin ist. Das wird ja auch überall suggeriert. Drum hat man hier den Eindruck „Vitamine und Co. brauchen wir nicht“. Und wenn man dann mal was nimmt, steht man direkt vor der Klippe des Todes – mit schlimmen, gar tödlichen Folgen. Die Spannbreite ist daher insgesamt relativ schmal.

Wie es wirklich ist:

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Zunächst einmal verstehen viele Menschen nicht, wieso sie überhaupt Mikronährstoffe brauchen. Kurz gefasst: Damit die Enzyme des Körpers, der nun einmal ein Chemiebaukasten ist, normal funktionieren. Und hier gibt es eine Bandbreite. Die funktionieren nicht einfach so am Anschlag und in der Menge. Es gibt ein breites Kontinuum.

Unterschreitet man die optimale Zufuhrmenge, arbeiten Enzyme im Körper langsamer oder werden gar nicht mehr bedient. Diese Verarmung ist aber schleichend und macht sich eben nicht direkt in Form von klinischen Symptomen bemerkbar, bestes Beispiel: Eisen via Anämie, sondern in Form von allgemeinen Funktionsstörungen, z. B. schlechteres Wachstum, schlechtere Immunität und eingeschränkter Fertilität. Wer nicht ganz blind durchs Leben läuft, wird schon sehen, dass genau das auf die meisten von uns zutrifft.

Verharmlosen braucht man hohe Dosen jedoch nicht. Hier stellt sich dann irgendwann eine schleichende Toxizität ein, die im Ernstfall dann auch mal sehr krank machen kann. Doch davon sind wir, dank der EFSA und dem BfR, meilenweit entfernt. Und die meisten werden weder in optimale noch in toxische Bereiche jemals kommen, weil das Weltbild … siehe oben.

Triage nach Ames

So und das bringt uns zum letzten Kapitel dieses Artikels. Und damit zu Bruce Ames, einem der bekanntesten Biochemiker weltweit. Früher Chef-Toxikologe in den USA. Super schlauer Mann. Der ist der Erfinder vom berühmten Ames-Test. Wurde ihm irgendwann mal alles zu langweilig, drum hat er sich mit Ernährung und Mikronährstoffen befasst.

Weltbekannt seine Studie mit Carnitin und Liponsäure. Hat er seinen alten Ratten verfüttert, und die sprangen auf, „und tanzten den Macarena“. Erzählte er vor 20 Jahren mal in einem Interview. Und er hat damit bewiesen, dass sich Alterung auf Zellebene eben nicht durch Energieabfall zeigen muss.

Jedenfalls hat der dann damals prompt seine Triage Theory aufgestellt, die besagt, dass der Körper seine Enzymsysteme hierarchisch mit Mikronährstoffen versorgt. So, dass Enzymsysteme, die dem kurzfristigen Überleben dienen, bedient werden, während Enzymsysteme, die eher der langfristigen Gesundheit dienen, gezielt unterversorgt sind. (Q)

Die Triage-Theorie besagt, dass das Spektrum der Funktionen eines bestimmten Vitamins oder Mineralstoffs (V/M) vom Organismus so gesteuert wird, dass bei begrenzter Verfügbarkeit von Mikronährstoffen die für das kurzfristige Überleben erforderlichen Funktionen Vorrang vor Funktionen haben, deren Verlust kurzfristig besser toleriert werden kann.

Ames schlug vor, dass eine Folge dieser evolutionären Anpassung ein erhöhtes Risiko für chronische Alterskrankheiten ist, wenn die Verfügbarkeit von V/M begrenzt ist.

Dass die Natur ein solches System entwickelt haben könnte, steht logisch im Einklang mit einer wichtigen evolutionären Theorie, wonach die natürliche Selektion das kurzfristige Überleben zur Fortpflanzung gegenüber der langfristigen Gesundheit bevorzugt.

Bewiesen hat er das schon vor einem Jahrzehnt z. B. an Vitamin K und … Selen. Mit Blick auf Ersteres erhärtet sich die Datenlage zunehmend.

  • Denn für das kurzfristige Überleben ist Vitamin K wichtig für die Blutgerinnung – dazu reichen super-niedrige K-Mengen, die quasi jeder, der irgendwas am Tag isst, zu sich nimmt.
  • Langfristig spielen höhere K-Mengen aber eine große Rolle z. B. bei der Gesunderhaltung der Gefäße, der Knochengesundheit, der hormonellen Gesundheit. Tatsächlich nehmen wir Deutsche im Schnitt schätzungsweise zwischen zwischen 30 und 100 µg Vitamin K1 und K2 zu uns – die Aktivität der K-Proteine nimmt jedoch über die doppelte oder gar dreifache dieser Menge an Vitamin K zu.

Enzyme bzw. Proteine, die nicht voll mit Mikronährstoffen versorgt werden, schwimmen im Körper dann funktionslos durch die Gegegend oder werden erst gar nicht gebildet und sinken in ihrer Konzentration.

Genau das hat er in einer Arbeit später auch für Selen bestätigt:

Bei mäßigem Selenmangel gehen die nicht essentiellen Selenoprotein-Aktivitäten und -Konzentrationen bevorzugt verloren.

Dazu zählen z. B. diverse Antioxidantien-Enzyme der Glutathionperoxidase-Reihe und dazu zählt die Dio2 (ein Enzym, das das aktive Schilddrüsenhormon T3 in den Geweben bildet). Bei ungenügender Selenzufuhr hat man also weniger Schilddrüsenaktivität und eine eingeschränkte Fähigkeit zum Entgiften von oxidativem Stress.

Dieselbe Reihe von altersbedingten Krankheiten und Zuständen, einschließlich Krebs, Herzkrankheiten und Immunstörungen, werden prospektiv mit mäßigem Se-Mangel und auch mit genetischen Funktionsstörungen nicht essentieller Selenoproteine in Verbindung gebracht, was darauf hindeutet, dass Se-Mangel ein kausaler Faktor sein könnte, eine Möglichkeit, die durch mechanistische Beweise gestärkt wird.

Ein leichter Se-Mangel ist in vielen Teilen der Welt verbreitet, auch in Europa; eine optimale Zufuhr könnte künftige Krankheiten verhindern.

Für Deutschland ist das jedoch kein wissenschaftlicher Fakt. Natürlich nicht, denn von Wissenschaft hält man im Zweifel nicht viel hier. Im Zweifel lieber alles verbieten. Getreu dem Motto, wer nicht lebt, kann nicht sterben.

Aktuelle Studien

— Achtung, diesen Teil kannst du gerne überspringen, falls es dich nicht interessiert. — 

Natürlich darf jeder auch mal Google benutzen und nach aktuellen, ggf. größeren Studien suchen, die Zusammenhänge z. B. zwischen Krankheit und/oder Sterblichkeit und den Selenspiegeln untersuchen. Hier mal eine aktuelle Auswahl (keine Angst, kein cherry picking):

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Diese US-Studie hier mit 3200 Teilnehmern und einem Beobachtungszeitraum von knapp 13 Jahren untersucht den Zusammenhang zwischen den Selenspiegeln und der Gesamtsterblichkeit bzw. Sterblichkeit durch Herzkrankheiten bei Diabetikern.

Resultat: Je höher der Selenspiegel, umso besser. Jene mit dem höchsten Spiegeln (bis ca. 180 µg/L) hatten eine um 30 % gesenkte Gesamtsterblichkeit und eine 34 % gesenkte Sterblichkeit durch Herzerkrankungen. Wohlgemerkt: Hier lagen die Spiegel im Medien schon im optimalen Bereich (Median 130 µg/L) – in den USA ist sehr viel mehr Selen in den Böden – und trotzdem hatten höhere Spiegel eine Schutzwirkung.

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In dieser aktuellen Meta-Analyse (= Auswertung der Studienlage) wird untersucht, wie sich das Risiko für Herzkreislauferkrankungen in Relation zum Selenspiegel verhält.

Resultat: „Physiologisch hohe Selenspiegel“ im Vergleich zu einem niedrigen Selenstatus des Körpers sind mit einem um 34 % gesenkten Risiko für Herzkreislauferkrankungen und einer um 31 % gesenkten Sterblichkeit assoziiert. 

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In dieser europäischen Studie mit rund 1000 Teilnehmern, die an Darmkrebs erkrankt waren und die im Mittel fast 10 Jahre verfolgt wurden, wurde untersucht, inwieweit der Selenspiegel mit der Krebs- und Gesamtsterblichkeit zusammenhängt.

Resultat: Die krebsassoziierte Sterblichkeit von Teilnehmern mit höheren Spiegeln (≥100 µg/L) war um 30 % gesenkt und die Sterblichkeit gesamt in dieser Gruppe um 23 % gesenkt, im Vergleich zu Menschen mit niedrigem Selenstatus (≤67.5 µg/L), der in Deutschland aber nicht selten ist.

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In dieser großen US-Studie mit über 30.000 Probanden, die an nichtalkoholischer Fettleber (NAFLD) erkrankt waren, wurde der Zusammenhang zwischen den Selenspiegeln und der Ausprägung der Leberfibrose untersucht.

Resultat: Je höher der Selenspiegel, umso schwächer war die Fibrose ausgeprägt (-50 %). Die Ergebnisse waren unabhängig gültig auch im Kontext z. B. vom BMI. Die Gesamtsterblichkeit war auch um 30 % gesenkt. Wohlgemerkt: Studie aus US, wo Selenspiegel generell wesentlich höher sind als bei uns.

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In dieser Studie mit rund 1000 älteren Teilnehmern, die Bluthochdruck aufweisen, wurde auf Basis von US-Daten untersucht, wie sich Selenspiegel auf die Gesamtsterblichkeit und die Sterblichkeit in Verbindung mit Herzkreislauferkrankungen auswirken.

Resultat: Die Gesamtsterblichkeit sank um 40 % und die Sterblichkeit im Zusammenhang mit Herzkreislauferkrankungen sogar um knapp 70 %, wenn der Spiegel im Bereich von 130-140 µg/L lag. Sowohl niedrigere als auch höhere Spiegel zeigen wieder höhere Sterblichkeiten, weshalb hier ein klassischer U-Verlauf im Dosis-Wirkungs-Verhältnis vorliegt.

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Zu guter Letzt noch eine deutsche Studie an 30 sicher schwer erkrankten Covid-Patienten aus 2020.

Resultat: „Im Vergleich zu Referenzdaten aus einer europäischen Querschnittsanalyse wiesen die Patienten ein starkes Defizit an Serum-Selen auf.“ Ein Selenstatus von unter 45,7 µg/L lag bei 43,4 % der COVID-Proben vor. Der Selenstatus war in Proben von überlebenden COVID-Patienten im Vergleich zu Nicht-Überlebenden signifikant höher mit 53 vs. 41 µg/L. Die Autoren folgern, „die Ergebnisse unterstützen die Diskussion über eine ergänzende Se-Supplementierung bei schwer erkrankten Patienten mit Se-Mangel.“ Aha.

Fazit

Es ist ein bisschen schwierig heutzutage, Debatten zu ertragen. Wir haben in Deutschland die seltsame Angewohnheit, Moral, „gute Absichten“ und ideologische Verblendungen über Fakten und wissenschaftliche Tatsachen zu stellen, und letztere gerne zu verdrehen, damit sie ins Weltbild passen.

Und das ist der banale Grund dafür, dass Deutschland den hiesigen subklinischen Selenmangel nicht in den Griff bekommt und sich auch für die daraus resultierenden Störungen auf längere Sicht nicht interessiert. Jedenfalls kann ein normaler Deutscher nur in Ausnahme – sprich eigenwillig, und wenn er zufällig an der Küste lebt und gerne Hering isst – normale Selenspiegel erreichen.

Dies gilt mit hoher Wahrscheinlichkeit für etliche Mikronährstoffe, die in Deutschland prinzipiell als nichtig abgetan werden. Stattdessen wird behauptet, Extra-Vitamine würden schaden. Die Wahrheit ist, dass „Extra-Vitamine“ in vielen Fällen überhaupt erst normale Spiegel und damit normale Enzymfunktionen – und als Folge Vitalität und Gesundheit – gewährleisten würden.

Schade.

 

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

24 comments On Wer braucht „Extra-Vitamine“?

  • Ich habe erst letztens eine Übersicht gesehen, wie sich in verschiedenen Obst- und Gemüsesorten in Deutschland der Gehalt von Mikronährstoffen (Vitamine, Zink, Magnesium, Calzium, Selen, usw.) zwischen den 1980er Jahren bis Mitte 2000er Jahre entwickelt hat.
    Es ist absolut erschreckend. Keine Seltenheit, dass der Gehalt von Mikronährstoffen bis zu 70 / 80% von den 80er Jahren zu den 2000er Jahren abgenommen hat.
    Leider machen wir unsere Böden (und noch vieles andere) kaputt und schädigen uns damit am Ende selbst. Ein Umdenken ist hier dringend geboten, aber wird kaum als Thema behandelt. Stattdessen wird sich nur auf das kontroverse Thema CO2 fokusiert. Wohl mit einer gewissen Absicht.

  • Moin… und danke für den tollen Artikel!
    Als Feedback meine eigene Laborerfahrung: Unter nahezu konstant täglichen 200mcg(LEF Selen Mix) hatte ich mal einen Selenspiegel von 107 µg/L erreicht. Zum Zeitpunkt der Messung lag eine ca. isokalorische Ernährung, hoher Sportumfang und einiges an Belastung durch „Stress/Lebensstil“ vor.

  • Wenn ich solche Ausführungen lese, kommt mir die große Lust, den Staat in allen seinen Formen zu liquidieren.

  • Aber wenn man eigentlich 50-100 µg bräuchte und nur 45 µg erlaubt sind, warum sind im Multi dann sogar nur 25 µg Selen drin?

    • Das hat den einfachen Hintergrund, dass wir natürlich erstens Mal von einer Zielgruppe ausgehen, die gesundheitlich schon etwas aufgeklärter ist und den Selenanteil nicht nur zu größeren Teilen mit dem Multi ergänzen wollen. Der Hauptgrund war und ist nach wie vor aber, dass sich Leute beschweren, weil Selenverbindungen zu stark riechen. Wir gingen zunächst davon aus, dass nur Selenhefe in NEM erlaubt ist, die ziemlich erdig riecht und mit der Zeit an Geruch zunimmt. Und das alleine verleiht dem Multi den Hauptgeruch. Wir werden in Zukunft aber die Verbindung wechseln und dann an die Grenze des Machbaren gehen, mit dem Risiko, dass sich Leute dann beschweren, dass es zwieblig riechen wird (Selenmethionin). Es geht als Anbieter also auch immer darum, einen Kompromiss aus vielen Vorstellungen der Kunden zu finden und nicht immer nur darum, bestimmte Dosen anzupassen. Als Kunde oder Beobachter sieht das immer etwas leichter aus als des dann im Endeffekt als Produktplaner ist.

      • Ist Selenmethionin von der Absorption gleich wie Selenhefe?

        Ich finde es eigentlich absolut nicht nachteilig, wenn in einem Multi die Dosierung eher niedrig angesetzt ist. Denn wie heißt es so schön: NEMs sind kein Ersatz für eine gute Ernährung und Lebensweise. :)

        • Selenhefe enthält hauptsächlich Selenmethionin.

          Na ja, also wie du dem Beitrag oben entnehmen kannst, sind 45 mcg jetzt wahrlich nicht sonderlich viel. 👍

  • Warum gebt ihr die erlaubten 45 mcg nicht ins Multi? Wenn selbst das eigentlich viel zu wenig ist.

    • Wird nachgebessert.

      • Hallo Chris, ich möchte an dieser Stelle nur einmal „Danke!“ sagen, dass ihr eure Produkte (insbesondere „Das Multi“) stets weiterentwickelt. Neben dem Qualitätsversprechen (mein persönliches Hauptkriterium) und eurer kritischen und stets aktuellen Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Datenlage ist das der Grund, warum ich auf eure Produkte vertraue und diese gerne kaufe. Bitte weiter so! LG Dominik

  • Donnerwetter, ich wusste zwar, dass das BfR bei der Sicherheitsbewertung sehr „vorsichtige“ Dosierungen vorschlägt, aber dass die Berechnung derartig krass ist, hätte ich nicht gedacht.

    Ist die Berechnung bei zum Beispiel den B-Vitaminen auch so? Oder gibt es bei den Berechnungen der einzelnen Vitaminen/Mineralstoffen/Spurenelementen/etc. Unterschiede?

  • Hallo Chris,
    das ist ja mal ein sehr guter und mutiger Artikel. Danke dafür.
    Wann gibts denn bei euch Selen?? :-))

  • Sehr geehrter Herr Michalk,
    Seit längerer Zeit lesen wir regelmäßig Ihre Aufsätze.
    Dankeschön für den hervorragend recherchierten o.g.Text, der die tägliche Arbeit und Diskussionen in der Arztpraxis hoffentlich erleichtern wird..
    Weiter so.
    Praxis Dr. C. Wojte

  • Also mein Selenspiegel liegt bei 186,6 µg/L, der Referenzbereich des Labor geht bis 171,9, also leicht darüber. Allerdings muss ich auch sagen das ich seit mindestens drei Jahren mindestens 200mcg zusätzlich pro Tag einnehme. Meine Ernährung ist sicherlich auch selenreicher als die des Durchschnitts, da ich auch mal Paranüsse gegessen habe und auch reichlich Fisch, außerdem noch Kokosnuss, welche ja auch relativ viel Selen enthalten soll.

    Ich habe jetzt auf 100mcg täglich angepasst, dann sollte das vermutlich ungefähr passen.

    Bei Vitamin D3 nehme ich im Schnitt über das ganze Jahr gerechnet auf ~5000-6000iu täglich und meine Spiegel liegt bei 41,9pg/ml, also zwar ein ganz ordentlicher Wert, aber nicht besonders hoch. Die letzten Jahre war ich durchaus oft draußen, insofern eigentlich meines Erachtens eher ein geringer Wert. Was entweder auf eine schlechte Aufnahme, ein hohen Verbrauch oder eine schlechte Bildung trotz Sonnenexposition schließen lässt. Ergänzen tue ich schon mindestens ~8 Jahre meist so im Bereich ~4000-6000iu täglich.

    Bei Eisen hingen scheint mein Körper sehr gut zu haushalten, bzw. ist die Aufnahme sehr gut und vermutlich auch der Verbrauch nicht sehr hoch, da meine Zufuhr durch die Nahrung als moderat einstufen würde. Esse meist Geflügel oder Fisch 200-400g pro Tag. Keine Ergänzung, außer Vitamin C was die Aufnahme sicher verbessert. Feritin liegt bei 190ng/ml.

    Schon alleine an meinen eigenen Blutwerten kann ich erkennen, dass das ganze äußerst individuell ist, was du ja auch so schreibst.

    • Hallo Dave,
      bezüglich Vitamin D habe ich folgende Anmerkung: lassen Sie doch einmal sowohl den Calcidiol (25-OH) Wert und auch Calcitriol (1,25-OH) Wert bestimmen. Im Optimalfall sollte der Quotient aus Calcitriol (in pg/dl) und Calcidiol (in μg/dl) bestenfalls unter 1,0 liegen. Ist er jedoch über 2,0 dann dürfte ein Umwandlungsproblem beim Vitamin D und ggf. ein Mangel an Vitamin-D-Bindeprotein (VDBP) vorliegen (z.B. durch einen genetischen SNP). Außerdem sollte der Calcitriol-Wert idealerweise nicht über 46pg/dl liegen,. Liegt der Wert darüber, könnte das auf entzündliche Prozesse hindeuten – entweder im Ergebnis des höheren Calcitriol-Wertes, oder umgekehrt.
      Insofern bitte mal die beiden Vitamin-D-Werte messen lassen und ggf. Vitamin-D-Bindeprotein zuführen.
      (siehe auch: https://deutsche-gesellschaft-fuer-naturstoffmedizin-und-epigenetik.de/wp-content/uploads/DGName_VDR_Artikel_dt.pdf)

      • Ja danke das wäre eine Möglichkeit.

        @Andrea Knöpfle
        Magnesium kann ich ausschließen, da es mitgemessen wurde und bei 0,86 lag.

        • Also ich habe das ganze mittels des edubily D3 Rechner nochmals nachgerechnet. Und da komme ich ungefähr auf gemessenen Wert von 41,9pg/ml bei angenommener Zufuhr von ~4800iu pro Tag.

    • Es gibt noch eine Möglichkeit, wenn ein Vitamin D-Spiegel nicht hochgeht – wenn zu wenig Magnesium da ist. Die beiden brauchen sich gegenseitig. Herzliche Grüße Andrea Knöpfle

  • Super Artikel, wenn auch die Gesamtsituation um Vitamine und Mineralien bei uns bescheuert beurteilt wird.

    • Hallo und erst mal vielen Dank für die tollen Informationen. Verstehe ich das richtig, dass vom BfR lediglich Empfehlungen kommen und man als NEG- Hersteller sehr wohl mehr als 45 Mikrogramm Selen anbieten darf? Ich selbst nehme jeden zweiten Tag eine Kapsel mit u.a. 55 Mikrogramm Se (=100% NRV laut Packung) und kauf die Dinger im Drogeriemarkt. Ein Bekannter von mir besorgt sich Vitamin D aus GB, weil die Konzentration (ich meine>25k) in D nicht frei erhältlich ist. Also muss es doch einen Unterschied zwischen „Empfehlung“ und frei verkäuflicher Erlaubnis geben. Oder hat man in D nur eine Art „common sense“ was man in Verkehr bringt?

      • Hi, nein, eigentlich wäre alles über 45 mcg nicht verkehrsfähig. Würde die Lebensmittelüberwachung ihrer Aufgabe nachkommen, müssten sämtliche Produkte eigentlich aus dem Verkehr gezogen werden. NEM-Inverkehrbringer haben zwar im Grunde keine Höchstmengen-„Gesetze“, an die sie sich halten müssen, aber die Empfehlungen vom BfR sind ja nicht aus Spaß an der Freude da. Vor Gericht würden alle Anbieter, die über diese Mengen gehen, sicher scheitern. Insofern sind viele Produkte bei DM eben nicht verkehrsfähig, und stellen mindestens eine Ordnungswidrigkeit dar.
        Gilt übrigens auch für CBD-haltige Produkte, die man aktuell überall kaufen kann, obwohl sie nicht verkehrsfähig sind: https://www.bvl.bund.de/SharedDocs/FAQ/DE/02_Unternehmer/01_Lebensmittel/03_FAQ_Hanf_THC_CBD/00_FAQ_Cannabidiol_CBD.html

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