„Lügen durch Weglassen“, habe ich mal bei Dr. Strunz gelesen und fand ich ganz sympathisch.
Ebendort hat der Kollege Robert Krug, den ich grundsätzlich sehr mag, einen Artikel mit dem Titel „Warum Sie 10 Stunden kein Fett verbrennen!“ veröffentlicht, dessen Botschaft ich nicht richtig finde. Und der Grund dafür basiert in Teilen auf „Lügen durch Weglassen“, leider.
Der Artikel
Im Artikel führt Robert im Kern Abbildungen an, die zeigen, was …
- mit der Blutglukose
- mit Insulin
- mit den freien Fettsäuren
- und folglich mit dem respiratorischen Quotient (RQ) passiert
… WENN sechs junge, männliche Probanden 2000 Kalorien in Form von Kohlenhydraten zuführen.
Ohne konkret auf die Abbildungen (s. Originalartikel) einzugehen, lassen sich die Erkenntnisse wie folgt beschreiben:
- Die Blutglukose steigt zunächst relativ spitz, erreicht dann ein Maximum bei ca. 120 mg/dl (mäßig stark erhöht) und fällt dann über zehn Stunden wieder auf den Ausgangswert
- Insulin zeigt ein ganz ähnliches Profil (Form und Länge), steigt in der Spitze aber einen Wert von bis zu ca. 135 mU/L, was sehr hoch ist!
- Freie Fettsäuren fallen paradoxerweise gar nicht allzu viel, sollten sich aber normalerweise diametral zum Insulinspiegel verhalten (Insulin hoch = freie Fettsäuren niedrig)
Man erahnt es: Der respiratorische Quotient, der relativ zuverlässig bestimmt, ob jemand gerade viele Kohlenhydrate (RQ = 1), viele Fette (RQ = 0,7) oder beides gemischt (RQ = 0,85) verbrennt, steigt relativ konstant auf deutlich über 0,9, was einer dominanten Kohlenhydratoxidation entspricht.
So weit, so verständlich.
Die (falsche) Folgerung
Robert folgert nun:
Eine kohlenhydratlastige Mahlzeit erhöht den Insulinspiegel viel länger als Sie das durch eine Blutzuckermessung feststellen könnten. (…) Senken können Sie einen zu hohen Insulinwert, indem Sie die Kohlenhydrate dauerhaft unter 120 Gramm am Tag senken.
Und kommt dann, ausgedrückt durch die Überschrift, zum Schluss, dass man halt 10 Stunden kein Fett verbrennt, wenn man gerade viele Kohlenhydrate isst. Mir persönlich sind die argumentativen Sprünge zu groß, denn der geneigte Leser wird am Ende des Artikels vielleicht glauben, dass man nur mit unter 120 g Kohlenhydraten pro Tag Fette verbrennen kann.
Ich formuliere es mal so: Jeder von uns weiß, dass es schmerzhaft wird, wenn wir vom ersten 1. OG aus dem Fenster springen. Das liegt bekanntermaßen an der Erdanziehungskraft. Um das zu wissen, muss man weder Newton kennen noch Einsteins Relativitätstheorie, obwohl beide erklären, warum die Erde eine Anziehung hat.
In unserem konkreten Beispiel: Wer morgens 2000 (!) Kalorien nahezu vollständig aus Kohlenhydraten isst, verbrennt logischerweise wenig Fett, Körperfett schon gar nicht.
- … weil es für einen Körper ganz normal ist, dass er das verbrennt, was man isst (hoffentlich, nennt sich metabolische Flexibilität).
- … weil 2000 Kalorien halt auch für junge, selbst sportliche Männer schätzungsweise 2/3 des ganzen Kalorientagesbedarfs sind, natürlich muss der Körper dann zehn Stunden kein (Körper-)Fett verbrennen, warum auch?
Dafür braucht man eigentlich nix über Glukose, Insulin und RQ zu wissen. Das weiß eigentlich jedes Kind. Und fühlt es in der Regel auch (Sättigung). Da muss ich zwangsläufig an den weisen Spruch meines Profs damals denken:
Don’t separate, it’s part of the result.
Vergessen zu erwähnen?
In derselben Arbeit, die Robert referenziert und aus denen er die Abbildungen hat (Flatt, 1995), tauchen noch weitere Abbildungen auf. Die werden seltsamerweise aber gar nicht berücksichtigt, vielleicht absichtlich ignoriert, ich weiß es nicht.
Dort essen sieben junge Männer mal nicht 2000 Kalorien, sondern ein mehr oder weniger normales, kohlenhydratreiches Frühstück, das aus 466 kcal für 73 g Kohlenhydrate, 6 g Fett und 30 g Protein besteht. Könnte ein Bagel mit einer dicken Schicht Schinken oder so sein.
Und plötzlich sieht man eine aus Stoffwechselsicht sehr vorbildliche Reaktion (schwarze Punkte beachten):
- Die Blutglukose steigt kurz 150 mg/dl, ist aber nach drei Stunden wieder auf dem Basalniveau => check
- Insulin steigt „nur“ bis 100 mU/L, hat sich aber nach drei bis vier Stunden quasi normalisiert, ist nach 3 Stunden wieder dort, wo er beim obigen Versuch nach fast zehn Stunden noch nicht war => check
- Die freien Fettsäuren verhalten sich genau invers zum Insulin, nach ca. 4 Stunden schüttet das Fettgewebe wieder die Ursprungsmenge an Fettsäuren aus, die dann auch verbrannt werden können – nach 5-6 Stunden sogar etwas mehr (nennt man Spillover) => check
- Der RQ steigt nicht über 0,9 und liegt nach vier Stunden wieder bei 0,8, also 70 % Fettverbrennung quasi => check
Das heißt, wenn du ein kalorisch ganz normales, aber kohlenhydratreiches Frühstück isst, dann verbrennst du das logischerweise erst mal. Hast aber nach spätestens vier bis fünf Stunden wieder die Wahl, dein Körper- oder halt Nahrungsfett zu verbrennen. Eben weil dann die Kalorien dieser Mahlzeit „aufgebraucht“ sind.
Nach Adam Riese: 24 (Stunden) geteilt durch, sagen wir, 4 (Stunden) … macht 6. 6 mal 470 (kcal) sind ca. 2800 Kalorien. Ein Kalorientagesbedarf eines jungen Mannes. Das Leben ergibt wieder Sinn, nicht wahr?
Das ist „perfectly healthy“, weil es metabolische Flexibilität anzeigt. Hätten die Probanden irgendwie 400 Kalorien aus Rührei gegessen, dann hätten die halt mehr Fette, aber eben nicht automatisch mehr Körperfett verbrannt. Metabolische Flexibilität.
Irreführung ist nicht gut
Ich verstehe, dass man auf einer Plattform, die als einen Themenschwerpunkt Low- oder „No-carb“ hat, auch irgendwie dafür wirbt und dahingehend aufklären will. Auch ich bin ein Freund von (temporärer) Carbreduktion, ganz klar.
Man kann aber Daten nicht so verzerren, vielleicht durch absichtliches Weglassen, dass es ein Weltbild skizziert, das nicht existiert und das einer genauen Prüfung auch gar nicht standhält.
Die meisten von uns wären gut beraten, einfach mal ein Gefühl davon zu bekommen, wie der Energiestoffwechsel funktioniert. Meistens relativ logisch und nachvollziehbar. Man muss weder weniger als 120 g Kohlenhydrate am Tag essen, um Fette zu verbrennen, noch muss man unter 120 g Kohlenhydrate am Tag gehen, um Körperfett zu verbrennen.
Die Arbeit, die Robert referenziert und quasi als Werbeplakat für Low-carb heranzieht, folgert lustigerweise auch noch:
Die hier dargelegten Argumente deuten darauf hin, dass eine VERRINGERUNG DER FETTZUFUHR, sofern sie ERHEBLICH ist, eine langfristige Maßnahme darstellen kann, die den Bedarf an einer größeren Fettmasse zur Erreichung eines stabilen Zustands der sponaten Gewichtsaufrechterhaltung verringern kann.
1995. Das Low-Fat-Zeitalter.
Addendum: Ausflug in die Welt der freien Fettsäuren
In diesem Artikel haben wir die Welt um Insulin und Fettoxidation genauer erklärt. Falls es dich interessiert…
In Kurzfassung: Was wir in den Abbildungen oben schön sehen können ist, wie die Blutglukose im Zuge einer Mahlzeit ansteigt und gut korreliert aber zeitlich minimal versetzt Insulin hinterher kommt.
Insulin hat die Aufgabe, unsere metabolische Flexibilität zu wahren, das heißt, dafür zu sorgen, dass wir das verbrennen, was wir zuführen. Insulin schleust nicht nur die Blutglukose in die Zellen („Türöffner an den Zellen“), sondern sperrt auch die freien Fettsäuren weg. Das sind die Fettsäuren, die als Energieträger konstant vom Fettgewebe freigesetzt werden und z. B. im Muskel verbrannt werden.
Durch den Insulinanstieg wird ein großer Teil der Fettsäuren kurzzeitig im Fettgewebe zurückgehalten, dadurch sinkt ihre Konzentration im Blut. Natürlich kommen die dann auch nicht im Muskel und in anderen Geweben an, sodass die Zelle nun die ankommende Glukose oxidieren kann. Das wiederum wurde vom Forscher Sir Philip Randle beschrieben, nennt sich Randle-Zyklus.
Genau das sehen wir dann am respiratorischen Quotienten, der stark mit den freien Fettsäuren im Blut korreliert – und zwar umgekehrt (s. Abb.). Die freien Fettsäuren im Blut sinken (durch Insulin) und die Glukoseoxidation wird dominant (RQ ≥ 0,9). Sobald die Kohlenhydrate aus der Nahrung oxidiert oder gespeichert (Glykogen) wurden, kehrt alles auf den Ursprungszustand zurück.
Metabolische Flexibilität!
7 comments On 10 Stunden kein Fett verbrennen
Danke für den Blog! Ich lese eigentlich auch ganz gerne die News von Robert Krug. Sicherlich muss man immer die „ideologische Färbung“ aus vielen News etwas ausdifferenzieren, was auch generell schade ist, aber bei dem Thema war mir seine Schlussfolgerung auch ein wenig zu krass, fast schon plump.(-> …dauerhaft unter 120g KH…)
Also gerne mehr solche Reaktions-Beiträge. Ich denke das sorgt auch ein wenig für eine Kurskorrektur.(Steile These: Ich glaube nämlich, dass sich Dr. Strunz pers. von Edubily-Inhalten ab und an schon sein Meinungsextrem hat etwas harmonisieren lassen… ;) )
Big Ron isst jeden Tag 500g Carbse ^^
Mal wieder tausend Dank für eure Arbeit und besonders diesen Artikel.
Es wird so viel Unsicherheit durch Artikel verbreitet, die nur die halbe Wahrheit aufzeigen.
Danke, dass ihr das unermüdlich immer wieder klarstellt.
Wirklich ein toller Beitrag von euch.
Ja, das ist mir auch negativ aufgefallen. Vor allem: 2.000 kcal aus 500 g Kohlenhydraten. Zitat: „üppiges Kohlenhydrat-Frühstück serviert mit 2000 kcal an Kohlenhydraten (500 Gramm). Das Frühstück bestand aus Brot und Marmelade wie auch Orangensaft bzw. Fruchtsaft. Zugegeben, eine ziemlich große Menge, aber schaffbar.“
Kurz nachrechen. Für 500 g Kohlenhydrate bräuchte man z.B. über 5 Liter Orangensaft. Oder 800 g Marmelade, direkt aus dem Eimer gelöffelt. Schaffbar? Bei einem Fresswettbewerb vielleicht.
Gelegentlich genehmige ich mir ein High-Carb-Frühstück bestehend aus 250g Reis. Allein das ergibt gekocht deutlich über ein Kilogramm (!!!) Reisbrei, den ich foglich aus einer Schüssel esse. Ok, ich drücke da auch noch 100g Honig aus der Flasche rein. Plus Magerquark. Macht in Summe runde 260g Kohlenhydrate. Selbst wenn ich jetzt noch einen Liter O-Saft dazu nähme, wäre ich erst bei 350 g KH und die Menge würde das Fassungsvermögen meines Magens bereits weit übersteigen. Normal bzw. üblich ist das sicher nicht.
Also bitte – 500g Kohlenhydrate in einer Mahlzeit, das möchte ich erstmal sehen. Aus einem solchen völlig praxisfremden Beispiel für Low-Carb zu argumentieren, das ist für mich dogmatisches Denken.
Genau. Das ist an mehreren Punkten fishy.
Dass 500 g Kohlenhydrate als Mahlzeit ein völlig unrealistisches Szenario ist, ist genauso entscheidend wie die Folge, dass 2000 Kalorien aus Kohlenhydraten *natürlich* die Fettoxidation stark bremsen werden, und zwar für sehr lange Zeit.
LG
Super Beitrag!
Genau so ist es
Danke!