Wann immer ich nach schönen Abenden mit Freunden nachhause komme, wird mir bewusst, wie wichtig sozialer Kontakt für das Gehirn und letztlich für unsere Gesundheit ist.
Wir als Menschen sind eingebunden in eine riesige Matrix. Wir haben Einfluss auf die Matrix, aber die Matrix selbst wirkt auf uns und ist enorm wichtig dafür, dass es uns gut geht.
Ganz modern heißt das dann: Die Umwelt beeinflusst unsere Genetik. Die Genetik reguliert sich, justiert sich, was wir dann Epigenetik nennen. Daraus entsteht ein — aus unserer Sicht — gesunder oder kranker Phänotyp, also die (äußere) Erscheinung, die daraus hervorgeht.
Sozialer Kontakt ist Teil dieser Umwelt, ist Bestandteil der Matrix. Er wirkt auf uns und sorgt dafür, dass wir uns wiederum gut fühlen. In erster Linie psychisch, aber im Endeffekt auch physisch. Denn wir haben es im Leben immer mit selbstverstärkenden Auf- und Abwärtsspiralen zu tun.
Zellen verhalten sich auch so. Sie kommunizieren miteinander. Zellen, sogar im „Reagenzglas“, organisieren sich. Sie bilden ein eigenes, geregeltes System aus. Sie verhalten sich kollektiv, justieren ihr Verhalten anhand eines Feedback-Kreislaufs. Die einzelne Zelle wäre, ohne die Signale anderer Zellen, hoffnungslos verloren.
Krebszellen entwickeln, so gesehen, ihre eigene Sprache und schotten sich vom normalen kollektiven Dasein ab. In vielen Fällen „versteht“ die Krebszelle die Sprache normaler Zellen nicht mehr, dadurch wird sie vom Rest abgeschottet und das Schicksal nimmt seinen Lauf. Deshalb will man, auch in der Krebstherapie, Zellen immer wieder „responsive“ machen.
Bei uns Menschen ist das ganz ähnlich. „Füttern“ wir den Organismus mit den richtigen Signalen, vorausgesetzt, er darf sie wahrnehmen, dann wird es uns gut gehen und wir werden vermutlich dem Wohle der Gemeinschaft dienen.
Man könnte theoretisch so weit gehen und sagen: Ein, als Beispiel, psychisch kranker Mensch, ist — physiologisch gesehen — vielleicht gar nicht mehr in der Lage, adäquat auf die normalerweise gesund erhaltende Umwelt zu reagieren. Die Folge ist, dass der Mensch keinen Halt mehr findet und sich vielleicht selbst umbringt.
Wir sprechen also immer von Kontextabhängigkeit. Brechen die Signale oder die Signalwahrnehmung weg, verlieren wir ggf. den roten Faden (im Leben). Daraus folgt, dass zwei identische Menschen, vielleicht Zwillinge, unter anderen Umständen zu völlig verschiedenen Individuen heranreifen, trotz gleicher Voraussetzung.
„Ernährung oder life style 2.0“ ist somit kein einzelnes Ernährungs- bzw. Lebenskonzept mehr. Viel mehr ist „Ernährung oder life style 2.0“ ein tiefgreifendes Verständnis. Ein Verständnis davon, dass es nicht per se ein Richtig oder Falsch gibt.
Ein solches Verständnis erlaubt uns mehr Spielraum. Wir werden dadurch verstehen, dass „Fruktose“ nicht per se umbringt, für manche Menschen vielleicht sogar sehr wichtig sein kann. Wir werden dadurch also verstehen, dass wir Szenarien für uns durchspielen müssen und eine gleiche Sache, zwei unterschiedliche, vermeintlich antithetische Eigenschaften aufweist.
Nehmen wir als Beispiel mal eine Low-Carb-Ernährung, die Insulinresistenz heilen soll. Hier ergeben sich leider zu oft Missverständnisse.
Nehmen wir mal einen etwas kräftigeren Herren, der zu viel Körperfett aufweist, hochgradig insulinresistent ist und einen zu hohen Glukose-Wert aufweist.
Eine Low-Carb-Ernährung ist hier von Vorteil, wenn damit Gewicht verloren wird. Denn
a) wir führen keine Glukose mehr zu, das heißt, wir überlasten das System nicht weiter mit einem Stoff, der nicht oder nur bedingt verarbeitet werden kann und
b) wir schaffen es damit das Körperfett loszuwerden, das für die Pathologie ursprünglich verantwortlich ist.
Denn wir erinnern uns: Nicht, wie oft gesagt, Glukose macht insulinresistent. Insulinresistenz entsteht, wenn dauerhaft und ungebremst Fettsäuren oxidiert werden. Es ergeben sich daraus weitere Probleme, wie etwa mitochondriale Dysfunktionen, die das Problem verstärken. Ein dauerhaftes Überangebot an Fettsäuren ist hier also Grund Nummer eins. Und das kommt daher, dass das Fettgewebe proportional zur Größe Fettsäuren in den Blutstrom abgibt.
Deshalb, die erste Hilfe bei Insulinresistenz: Fettverlust.
Im Endeffekt kann man Insulinresistenz also mit jeder Form von hypokalorischer Ernährung „heilen“. Deshalb haben Menschen aller Ernährungslager Erfolge.
OK. In vielen Studien finden wir genau aus dem Grund, dass Low-Carb-Ernährung gut für Insulinresistenz ist. Es senkt den Glukose-Wert, wir nehmen oft ab und dadurch verschwindet zunehmend die Insulinresistenz.
Aber: Treibt man es auf die Spitze, also wenn wir gesunde Menschen nehmen und sie von 20 g Glukose (Rest Protein und Fett) leben lassen, stellt sich eine andere Insulinresistenz ein, eine, die uns in unserer Vergangenheit das Leben gerettet hat: die physiologische Insulinresistenz.
Die tritt auf, wenn wir dominant Fettsäuren oxidieren. Der sogenannte Randle-Cycle bremst dann alle Glukose-lastigen Systeme aus, etwa den Muskel. Glukose wird gespart.
Viele Menschen, die das so leben, würden von sich behaupten, dass sie eine gute Insulinsensitivität aufweisen. Das aber, ist schlicht falsch. Das geht physiologisch betrachtet gar nicht.
Wohlgemerkt: Dieser Zustand ist reversibel und kann relativ schnell umgekehrt werden. Das ändert aber am Sachverhalt nichts.
Wenn wir also von einem „moppeligen, insulinresistenten Ich“ zu einem „stoffwechselgesunden Ich“ werden, dann ändert sich für uns der Kontext und somit ändern sich „Wahrheiten“. Während sich, relativ betrachtet, die Insulinresistenz im ersten Fall bessert, stimmt das nicht mehr den zweiten Fall. Freilich dürfen wir eine Pathologie nicht mit einem Schutzmechanismus gleichsetzen. Allerdings gilt in beiden Fällen, dass wir Einbußen hinnehmen müssen, was das zelluläre Insulin-Signaling angeht. Und darüber hatten wir schon mehrfach berichtet.
Wir haben nur noch ein Problem damit, dass viele Menschen immer wieder ganz heiß auf „einfache Wahrheiten“ sind und es immer Gemurre gibt, wenn zwei Sätze da stehen, über die man mehr als 2 Sekunden nachdenken muss — oder überhaupt nachdenken muss.
Ich bin bei euch, liebe Leser: Ökonomisch zu sein, das ist gut. Bin ich auch. Aber nicht überall. Manchmal lohnt es sich, ein bisschen was zu investieren.
Kontext zählt.
PS: Bevor jetzt wieder genörgelt wird, ob der Schwierigkeit des Themas … Es gibt sie, die einfachen Wahrheiten. Sport, Protein, Gemüse, Obst, Wurzelgemüse … usw. — das funktioniert immer. Das ist, auf was wir es herunterbrechen. Wer aber (z. B. an sich) mit Wissen hantieren will, der möge das bitte in korrekter Weise tun — und das setzt Verständnis voraus.
2 comments On Ernährung 2.0 und Kontext — Krebszelle und Insulinresistenz
sehr schön…mal wieder :)
Dankeschön :-)