Bildschirmfoto 2023 01 31 um 10.53.13

Rabenberg 2015: Die wichtigste RKI-Studie zu Vitamin D

Vitamin D ist ein essentielles Vitamin – jedenfalls im Winter.

Denn spätestens ab Oktober bis März reicht die UVB-Strahlung nicht aus, um es selbst in der Haut zu bilden. Mit der Folge, dass wir über die Wintermonate mangelversorgt sind. Dazu gleich mehr.

Niemand braucht einen Vitamin-D-Mangel

Vitamin D ist die Vorläufersubstanz für ein Hormon namens Calcitriol, das über 2000 Gene reguliert. Das macht 10 % unseres kompletten, proteinkodierenden Genoms. Unglaublich. Wir können also ganz konkret über das, was wir in den Mund stecken (oder nicht) 10 % unseres Genoms regulieren.

Vitamin D hat enorm weitreichende Effekte. Das lässt sich schon in der Einleitung der wohl wichtigsten RKI-Studie – Rabenberg 2015 – zur Versorgung mit Vitamin D in Deutschland erahnen:

Darüber hinaus wurde in den letzten Jahren in zahlreichen epidemiologischen Studien ein Zusammenhang zwischen einem niedrigen Vitamin-D-Spiegel und verschiedenen chronischen Erkrankungen außerhalb des Skeletts festgestellt, darunter Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Autoimmunerkrankungen sowie Lungen-, Brust- und Darmkrebs.

Quasi jede Zelle verfügt über die enzymatische Ausstattung, Calcitriol aus Vitamin D selbst zu bilden. Daher gibt es neben den ursprünglich beschriebenen Effekten – vor allem auf den Calciumhaushalt –, die vorwiegend über systemisches Calcitriol vermittelt werden, das in der Niere gebildet wird, in diversen Geweben eine Vielzahl weiterer Aufgaben von Vitamin D.

Dass ein Mangel an dieser Substanz weitreichende, negative Effekte auf die Gesundheit haben kann, ist daher nicht verwunderlich. Doch darum soll es in diesem Beitrag nicht gehen.

Vitamin D Effekte
Vitamin D hat weitreichende Effekte auf quasi jedes Gewebe des Körpers. (Quelle) Hier fehlt u. a. das Gehirn und der Muskel. 

Über Zielwerte im Blut gibt es entgegen der landläufigen Auffassung keinen breiten wissenschaftlichen Konsens. Zum einen wählen verschiedene Organisationen je nach Argumentationsgrundlage unterschiedliche Cut-offs. Zum anderen gibt es erhebliche genetische Unterschiede bezüglich der Wirkung von Vitamin D.

Das RKI in Deutschland wählt einen relativ konservativen Wert, ab dem Suffizienz erreicht sei: 50 nmol/l (= 20 ng/ml). Die Endocrine Society, eine der renommiertesten endokrinologischen Fachgesellschaften, empfiehlt „zur Maximierung der Knochengesundheit und Muskelfunktion“ den Zielwert von 75 nmol/l (= 30 ng/ml). In vielen wissenschaftlichen Veröffentlichungen findet man diese magischen 75 nmol/l.

Auf der anderen Seite haben Naturvölker in Afrika – etwa die Masai oder die Hadza – Spiegel von 110-120 nmol/l (44-48 ng/ml) (Q). Also erheblich mehr. Und es gibt einige wenige Experten, die Zielwerte von >100 nmol/l (= 40 ng/ml) empfehlen, da diese Werte invers mit einigen Erkrankungen oder gesundheitlichen Störungen assoziiert sind.

Soll heißen: die Spannbreite kann weit sein, liegt aber wohl im Bereich von 50-100 nmol/l. 

Vitamin D Empfehlungen Fachgesellschaften
Unterschiedliche Fachgremien und Experten kommen zu unterschiedlichen Auffassungen mit Blick auf die nötigen Vitamin-D-Spiegel. (Quelle

Vor diesem Hintergrund muss man die folgenden Daten von Rabenberg et al. 2015 verstehen, die uns als eine RKI-Studie ein Blick auf die Versorgungslage im Land gewähren.

Vitamin-D-Versorgung in Deutschland: Die wichtigsten Erkenntnisse

Hier wurden vor circa 12 Jahren bei rund 7000 Deutschen in verschiedenen Regionen in Deutschland der Vitamin-D-Wert erfasst. Die Ergebnisse der Arbeit lassen sich relativ kurz und bündig zusammenfassen. Die beginnen mit folgendem Zitat:

Der durchschnittliche 25(OH)D-Serumspiegel lag bei 45,6 nmol/l (18,25 ng/ml), ohne signifikante Unterschiede zwischen den Geschlechtern.

Eine der wichtigsten RKI-Studien zum Thema schlussfolgert hier also, dass die Deutschen im Schnitt ganzjährig die Zielwerte von 50 nmol/l (20 ng/ml) nicht erreichen. Das alleine wäre ja schon Grund genug, sich mit dem Thema zu befassen.

Doch viel bedeutender und wesentlicher werden die Erkenntnisse, wenn man die Versorgung im Winter und Frühling anschaut. Ein Blick auf die Abbildung 4 in der Arbeit gibt Auskunft, hier für die Männer:

vitamin d werte maenner deutschland
Vitamin-D-Spiegel von Männern nach Breitengraden und Jahreszeiten. Rund 70-80 % erreichen die Zielwerte von 50 nmol/l über Spät- und Frühjahr nicht. 

Eingeteilt wurde hier nach klarem Mangel (<30 nmol/l), suboptimaler Versorgung (<50 nmol/l) und adäquater Versorgung (≥50 nmol/l), als auch nach Breitengraden und Jahreszeiten.

Im Frühjahr erreichen 20-40 % der Probanden normale Werte. Im Winter sind es nur noch 10-20 %. In beiden Fällen weist ein erheblicher Teil der Bevölkerung nicht nur eine suboptimale Versorgung auf, sondern sogar einen nach RKI-Standards festgelegten Mangel (Frühjahr: 30-40 %; Winter: 50-60 %). Und zwar im Wesentlichen unabhängig vom Breitengrad des Wohnorts.

Ein Drittel der Bevölkerung erreicht nicht mal im Sommer normale Vitamin-D-Werte. Bei den Frauen sieht es nicht besser aus.

Zwar sind die Daten mittlerweile über 10 Jahre alt. Doch weitere Publikationen, z. B. Kunz et al. 2019, legen nahe, dass es „trotz öffentlicher Empfehlungen“ auch im Verlauf zu keiner wesentlichen Verbesserung des Vitamin-D-Status kam. Die Daten beziehen sich jedoch auf Säugline und Jugendliche.

Die Erfahrung und die Gespräche mit Ärzten und Heilpraktikern zeigen, dass sich an der eklatanten Versorgungssituation nichts geändert hat und die hier angeführten Werte via Rabenberg et al. 2015 noch immer repräsentativ sind.

Natürlich führt die Arbeit noch weitere wichtige Punkte an:

  • Ältere Menschen verwerten und bilden Vitamin D schlechter. Gewusst?
  • Die Vitamin-D-Aufnahme über die Nahrung trägt eben nicht zur Versorgung bei.
  • Nur ein Bruchteil nahm zum damaligen Zeitpunkt Vitamin-D-Präparate ein.
  • Daten aus der US-amerikanischen „National Health and Nutrition Examination Survey“ (NHANES) würden zeigen, dass das Risiko für einen Vitamin-D-Mangel bei fettleibigen Personen um den Faktor 2 erhöht ist.
  • Computer-, Konsolen- und Internetzeit war signifikant mit einem niedrigen Spiegel assoziiert.

Falscher Diskussionsschwerpunkt in den Medien

Und trotzdem hat man beim Lesen von Beiträgen, speziell bei öffentlichrechtlichen Anstalten, das Gefühl, in Deutschland würden sich sehr viele Menschen mit Vitamin D vergiften. In Anbetracht der unfassbaren Versorgungslücke von schätzungsweise 60 Mio. Menschen in Deutschland, speziell in den Wintermonaten, ist das nicht nur irreführend, sondern sogar gesundheitsschädlich.

Wir erinnern uns an die Daten vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ):

Bei einer Vitamin D-Supplementierung aller Deutschen über 50 Jahre könnten möglicherweise bis zu 30.000 Krebstodesfälle pro Jahr vermieden und mehr als 300.000 Lebensjahre gewonnen werden – bei gleichzeitiger Kostenersparnis von rund 1 Mrd. Euro.

Das sind doch keine Geschichten aus dem Paulaner Garten. Es gibt eine riesige Fülle an Daten mittlerweile, die klar nahelegen, dass dieser halbjährliche Vitamin-Mangel auf lange Sichte zu erheblichen Gesundheitsproblemen auswächst, die natürlich mit extremen Kosten verbunden sind – wie es auch das DKFZ hier vorrechnet.

Trotzdem werden wiederholt Vitamin-D-kritische Beiträge veröffentlicht, die völlig überzogen den Eindruck vermitteln, dass Vitamin D eine Art freiverkäufliches Chemotherapeutikum ist. So wird in einem aktuellen ZDFheute-Beitrag eine Verbraucherschützerin zitiert, die vor den immer weiter steigenden Vitamin-D-Dosen in Nahrungsergänzungsmitteln warnt.

Prompt mussten wir mit einer faktenbasierten Parodie eine Gegendarstellung veröffentlichen:

ZDFheute Beitrag vs edubily Parodie
Zum ZDF-Beitrag. Zu unserem Beitrag
  • Fakt ist, dass über die Wintermonate jeder Mensch in Deutschland von einem Vitamin-D-Präparat profitieren würde.
  • Fakt ist auch, dass normale Spiegel mit den in Deutschland nach BfR-Empfehlungen zugelassenen 800 IE kaum erreicht werden können.

So empfiehlt die Endocrine Society eine Vitamin-D-Dosis von 1000-2000 IE pro Tag. Und obgleich selbst die oberste Behörde für Lebensmittelsicherheit in Europa – die EFSA –, bereits unter Einbezug eines Sicherheitsfaktors von 2,5, 4000 IE als sicher erachtet, wird in Deutschland weiter so getan, als ob alles über 800 IE unnötig oder gar schädlich wäre.

Daher: Hut ab an die NEM-Anbieter, die sich dem Irrsinn widersetzen und den Kunden realistische Dosen anbieten. Auch Apotheker vor Ort empfehlen immer öfter 1000-2000 IE, um normale Spiegel im Winter zu wahren. Eine tolle Entwicklung. Auch andere EU-Länder, z. B. Polen, sind auf dem richtigen Weg.

Darüber hinaus wurde ganz aktuell eine „Konsenserklärung mittel- und osteuropäischer Experten“ im Fachmagazin Nutrients publiziert, die ein optimales Vorgehen bei der Bestimmung des Vitamin-D-Spiegels und der Behebung eines Mangels skizziert. Die Autoren kommen zum Schluss:

Für Erwachsene, die einen ausreichenden Vitamin-D-Status sicherstellen wollen, empfehlen wir eine Vitamin-D-Supplementierung in Höhe von 800 bis 2000 internationalen Einheiten (IE) pro Tag. (…) Diese Dosen werden auch für die Behandlung von Vitamin-D-Mangel empfohlen, doch können in den ersten 4 bis 12 Wochen höhere Vitamin-D-Dosen (z. B. 6000 IE pro Tag) verwendet werden.

Die Welt dreht sich also weiter. Nur in Deutschland nicht.

Ein Wort zum Schluss

Ich bin ein großer Freund von individueller Dosierung. Und ich glaube auch nicht, dass Blutwerte an sich entscheidend sind. Speziell mit Blick auf Vitamin D, in dessen Stoffwechsel eine Vielzahl an Enzymen und Proteinen beteiligt sind, zeigen sich erhebliche interindividuelle Unterschiede.

In diesem Zusammenhang spricht man von „respondern“ oder „low-respondern“ (vgl. Carlberg et al. 2018). Heißt, manche brauchen weniger Vitamin D für eine ausreichende Wirkung. Andere brauchen für die gleiche Wirkung deutlich mehr. Drum ist das Lebensgefühl noch immer der Goldstandard.

Aus zwei Gründen stoßen mir die hiesigen Debatten daher auf:

  1. Es wird nie über individuelle Dosierung gesprochen. Das würde bedeuten, dass manche nicht nur 2000 IE pro Tag brauchen, sondern vielleicht sogar 5000 IE – speziell (schwer) Übergewichtige. Manche natürlich erheblich weniger.
  2. Ein Mangel, der von den durch das RKI vorgegebene Werten sowieso nur unzureichend entdeckt wird, ist für jeden ein Mangel. Niemand profitiert von Vitamin-D-Spiegeln unter 50 nmol/l. Es gibt daher auch niemanden, der von einer Vitamin-D-Abstinenz im Winter profitiert.

Diese Variablität in der Betrachtung fehlt völlig.

Wenn man nun noch davon ausgeht, dass – je nach Versorgungslage – 1 µg (= 40 IE) zu einem Anstieg des Vitamin-D-Spiegels um 1 nmol/l führt (Q), wird klar, die von der Endocrine Society vorgegeben Empfehlungen (1000-2000 IE pro Tag) für die meisten Menschen eine viel realistischere Grundlage darstellen, um normale Werte zu erreichen bzw. zu halten.

Daher sind die in diesem Land geführten Debatten, vorwiegend vorgetragen von öffentlich-rechtlichen Sendern mit Bildungsauftrag, Scheindebatten, die den Kern, um den es hier eigentlich geht, gar nicht erfassen. Leider wie so häufig in der heutigen Zeit.

 

Der Text ist von mir, Chris Michalk. Fast zwei Jahrzehnte war ich dem Leistungssport treu und studierte als Folge Biologie und drei Jahre Sport. Leistungsphysiologie war mein Hauptinteresse, das mich vor circa 15 Jahren dazu gebracht hat, Studien zu lesen. In Folge einer Stoffwechselerkrankung gründete ich den Blog edubily und verfasste zusammen mit meinem Kollegen Phil Böhm mehrere Bücher (u. a. "Gesundheit optimieren, Leistungsfähigkeit steigern"). Ich machte meinen Abschluss in zellulärer Biochemie (BSc, 1,0) – und neben meinem hier ausgelebten Interesse für "Angewandte Biochemie", bin ich zusammen mit Phil Böhm Geschäftsführer der edubily GmbH.

4 comments On Rabenberg 2015: Die wichtigste RKI-Studie zu Vitamin D

  • Hallo Chris, ich möchte mal bei Deinem Statement „Und ich glaube auch nicht, dass Blutwerte an sich entscheidend sind“ einhaken. (Damit bestätigst Du ja fast die Aussage der Professorin aus dem ZDF-Beitrag „vergessen Sie den (Blut)Wert“)
    Was soll man denn sonst als Orientierungshilfe nehmen? Ich weiß ja nicht, inwieweit mich „normales“ Essen und Sonnenlicht mit Vit D versorgen und ob ich dann 1, 2, 3, 4, 5 k IE zuführen sollte. Das „Lebensgefühl“ kann’s ja wohl nicht sein. Oder meinst Du, dass sich jemand mit 60 nmol/l besser fühlt, als mit 40 (unter sonst gleichen Bedingungen)? Lebensgefühl hängt m.E. viel mehr von der Psyche ab, als vom Vit D Spiegel.

    • Ne, ich sage ja klar: Eine Basisversorgung sollte jeder haben. Die Werte, die man damit erreicht, sind individuell. Ich sage das vor dem Hintergrund, dass viele glauben, dass sie Werte z. B. über 50, 60 ng/ml mit Supplementation bringen können, obgleich sie z. B. schon im Sommer nur 40 erreichen. Soll heißen, der Körper reguliert hier gegen, weil es eine große unbekannte genetische Komponente gibt. Und tatsächlich ist es so, dass genau das der Körper entscheiden muss und das nur durch Ausprobieren klappen wird. Niemand, wirklich niemand, kann einem sagen, mit welchen Spiegeln man sich selbst wohl fühlt. Genau aus diesem Grund gibt es ja sowas wie ein Körpergefühlt. Leute nehmen 5000 IE, weil sie es irgendwo gelesen haben und merken, dass das Zahnfleisch häufiger blutet. Oh! Vielleicht zu viel. Das hat aber rein gar nichts damit zu tun, dass der Wert an sich nicht aussagekräftig ist, das sage ich nämlich keineswegs. Ein Wert unter 20 ng/ml, so wie ihn die Deutschen typischerweise im Winter haben, ist für mich klar zu wenig und besorgniserregend.

      • ah, verstehe. Es geht um die (zusätzliche) Versorgung mit ca. 1-2k IE um den Spiegel um ca. 25-50 zu erhöhen.
        Der gemessene Blutwert ist dann ein Anhaltspunkt, ob ich eher mehr oder weniger zugeben sollte. Und die tatsächliche Auswirkung muss ich nachmessen, weil es sein kann, dass z.B. 3 oder 4 k den Spiegel evtl. auch nur auf 50 erhöhen (und ggf. unangenehme Nebenwirkungen haben könnten). Danke :-)

  • Könnte man nicht einfach in einem zusammenfassenden Buch darlegen, daß solche Leute wie zum Beispiel bei der ‚Verbraucherzentrale‘ (und natürlich auch bei vielen anderen ‚Zentralen‘) schlichtweg Parasiten sind, die nie und nimmer einen sinnvollen Beitrag in der sie alimentierenden Gesellschaft zu leisten gewillt sind, sondern bloß eine, passend zu den geführten Scheindebatten, Scheinposition innehaben, woselbst sie über einen eng eingegrenzten Fachbereich nach von ganz oben vorgegebener Doktrin daherschwadronieren, um die Population in gewünschtem Zombie-Modus zu erhalten? Und ist das Internet nicht der eigentlich Anschlag auf jedwede institutionelle ‚Zentrale‘?

Leave a Antwort:

Your email address will not be published.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .